Fokus

„Erlebnisort für Kreislaufwirtschaft“

Thomas Wagner ist Co-Geschäftsführer der NochMall in Reinickendorf. Dort will er mehr als Gebrauchtwaren anbieten. Er sieht das Projekt als Plattform für den Re-Use-Trend.
Das Gebrauchtwarenkaufhaus NochMall hat die Berliner Stadtreinigung (BSR) am8. August 2020 eröffnet – inmitten der Pandemie. Geschäftsführer Thomas Wagner ist überzeugt davon, dass sich das Konzept bewährt. Die Besucherzahlen steigen, und außerdem spenden die Berliner immer mehr gut erhaltene Waren.

Berliner Wirtschaft: Sie bezeichnen sich als Gebrauchtwarenkaufhaus, betonen aber, Sie sind kein Secondhand-Kaufhaus. Wo sehen Sie den Unterschied?

Thomas Wagner: Wir sind mehr als ein Secondhand-Kaufhaus. Wir verfolgen ein ganzheitliches Konzept und präsentieren Gebrauchtwaren als Trend. Wir wollen aufzeigen, wie man Dingen noch mal ein neues Leben geben kann und dass die Waren das auch wert sind. Wir haben in der NochMall einen Upcycling-Bereich, aus Altem wurde etwas Neues gemacht und dort von uns angeboten. Dazu geben wir dem Thema „unverpackt“ Raum. Wir wollen so aufzeigen, dass es nicht nur um Gebrauchtwaren geht, sondern auch darum, nachhaltig einzukaufen und nachhaltig zu denken. Insofern kann die NochMall als eine Plattform bezeichnet werden.

Warum verstehen Sie sich als Plattform?

Wir geben in der NochMall zum Beispiel Initiativen und Firmen Raum, damit sie ihre Produkte und Ideen bei uns präsentieren können. Bei uns finden auch viele Veranstaltungen und Workshops wie auch Repair-Cafés und Upcycling-Workshops statt. Wir bieten bei uns gemeinsam mit Partnern Services zum Thema Nachhaltigkeit an. Schulklassen besuchen uns, um mehr über Nachhaltigkeit zu lernen. Unser Anspruch ist es, ein Erlebnisort für Kreislaufwirtschaft und Abfallvermeidung zu sein. Dabei sind wir immer konsequent: bis dahin, dass auch in unserem Café nur Bio-Produkte angeboten werden.

Also gibt es bei Ihnen nicht nur Altes?

So ist es. Wir arbeiten mit Unternehmen zusammen, die sich dem Thema Nachhaltigkeit verschrieben haben und bieten deren Produkte in unserem Green-Label-Bereich in der NochMall an. Ein Partner ist beispielsweise eine Firma, die sehr stylishe Accessoires – wie Taschen und Rucksäcke – aus alten Fischfuttersäcken herstellt. Grundsätzlich geht es bei uns um nachhaltige Lösungen, um Wiederverwendung und Abfallvermeidung. Wir wollen zeigen, dass man nicht alles wegschmeißen muss, sondern dass es sich lohnt, Neues daraus zu machen.

Wie ist die Idee zur NochMall entstanden?

Die Idee dafür gab es in der BSR seit Langem. Mein Geschäftsführer-Kollege Frieder Sölling war daran von Anfang an beteiligt und wurde sehr aktiv vom BSR-Vorstand sowie dem Bereich Müllabfuhr unterstützt. Wir haben aber zunächst eine Studie durchgeführt, weil wir keine bestehenden Strukturen kaputt machen wollten. Das Ergebnis war, dass es noch keine strukturierte Landschaft gab. Gleichzeitig stellten wir fest, dass ein erhebliches Potenzial besteht. Als Entsorgungsunternehmen haben wir über die Recycling-Höfe Zugriff auf viele alte Produkte, die in einem Gebrauchtwarenhaus verkauft werden können.

Verkaufen Ihnen die Berlinerinnen und Berliner alte Produkte?

Nein, alle Waren, die wir in der NochMall verkaufen, sind Spenden, die an derzeit drei Recycling-Höfen oder im Gebrauchtwarenkaufhaus abgegeben werden. Inzwischen holen wir Waren aber zuätzlich direkt von den Spendern ab.

Die Eröffnung haben Sie am 8. August 2020 gefeiert, mitten in der Pandemie.

Ja, der Beginn ist natürlich durch die Corona-Krise gestört worden. Nachdem wir eröffnet hatten, mussten wir relativ schnell wieder schließen. Aber jetzt steigen die Besucherzahlen kontinuierlich. Mittlerweile kommen wir auf rund 26.000 Besucher pro Monat. Und wir sammeln immer mehr Spenden für das Kaufhaus ein. Wir haben inzwischen ein Sortiment von mehr als 2.000 Produkten. Es ist eine tolle Aufgabe, so ein einzigartiges Projekt zum Erfolg zu führen.

Bei welchen Produkten ist die Nachfrage am größten?

Es gibt viele Produktgruppen, in denen wir noch viel mehr verkaufen könnten, wenn es mehr Spenden gäbe. Möbel sind zum Beispiel sehr begehrt, Spielwaren auch, ebenso Musikinstrumente oder Sportgeräte. Aber leider landen solche Produkte immer noch viel zu oft im Restmüll. Die Restmülltonne ist für viele Bürger der einfachste Weg, aber er ist nicht immer der beste. Beim Thema Nachhaltigkeit geht es um das Mitmachen, nicht darum, den bequemsten Weg zu wählen. Auch das möchten wir hier mit der NochMall rüberbringen.

Wer kauft bei Ihnen?

Wir haben natürlich in erster Linie Kunden, die preisbewusst unterwegs sind, und natürlich Schnäppchenjäger. Es gibt aber auch Sammler mit Jagdinstinkt, die sich gut auskennen und hoffen, besondere Bücher, Schallplatten, Kleidungsstücke oder auch Elektrogeräte zu finden. Darüber freuen wir uns, denn es zeigt, dass unser Angebot für jeden etwas bereithält. Die NochMall ist ein Erlebnisort für alle, an dem man sich länger aufhalten und schmökern kann. Billig soll bei uns nicht das Hauptargument sein.

Sondern?

Re-Use ist ein Trend. Es ist nachhaltig und damit cool, Waren aus dem Gebrauchtwarenkaufhaus oder dem Upcycling-Bereich zu kaufen.

Sind Sie mit der Noch Mall schon profitabel?

Wie jedes Start-up brauchen auch wir ein bisschen Zeit, um profitabel zu werden. Aber wir sind auf dem Weg dahin. Ich sehe gute Chancen, dass wir schwarze Zahlen schreiben werden.

Bislang haben Sie mit der Auguste-Viktoria-Allee in Reinickendorf nur einen Standort? Können Sie sich eine Expansion vorstellen?

Das Potenzial für einen weiteren Standort in einem anderen Bezirk ist auf jeden Fall da. Die Herausforderung besteht darin, eine geeignete Immobilie zu finden, an der sich der Betrieb wirtschaftlich darstellen lassen kann – angesichts der derzeit sehr hohen Preise für Einzelhandelsflächen auf dem Immobilienmarkt ist das keine leichte Aufgabe. Aktuell haben wir daher noch keine konkreten Expansionspläne, für die Zukunft ist das aber nicht auszuschließen. Wenn ein gutes Angebot für ein geeignetes Objekt kommt, werden wir uns das auf jeden Fall ansehen.

Wie digital ist das Gebrauchtwarenkaufhaus?

Wir arbeiten bereits im Hintergrund mit sehr modernen digitalen Systemen, und wir nutzen die sozialen Medien. So berichten wir zum Beispiel auf Instagram über die neuesten Aktionen oder Events. Und wir haben einen Youtube-Kanal, in dem zum Beispiel Upcycling-Tutorials zu finden sind. Ansonsten haben wir begonnen, Produkte auch online anzubieten. Der Shop befindet sich gerade im Aufbau und wird noch im Laufe dieses Jahres starten.

Sie sind gleichzeitig Geschäftsführer der Bral Reststoff-Bearbeitungs GmbH, einer Tochtergesellschaft der BSR und der Alba Group. Was machen Sie mit dieser Firma?

Die Bral ist ein Entsorgungsunternehmen. Wir kümmern uns vorwiegend um Elektroschrott der Stadt Berlin und um Speisereste sowie Lebensmittelabfälle, aus denen in Biogasanlagen grüne Energie gewonnen wird. Der Elektroschrott wird in der Bral erstbehandelt. Im Rahmen der Vorbereitung zur Wiederverwendung werden auch Geräte durch unser Re-Use-Team repariert. Zum Teil verkaufen wir sie dann online oder auch hier im Gebrauchtwarenkaufhaus. Andere Geräte werden zerlegt, um die Stoffe weitestgehend zurück in den Wirtschaftskreislauf zu bringen.

Wie sehen Sie als Unternehmer die Rahmenbedingungen für eine Circular Economy in Berlin?

Wir brauchen eine Politik und eine Verwaltung, die uns aktiver, schneller und unbürokratischer unterstützt. Es muss verstanden werden, dass die Kreislaufwirtschaft einen großen Beitrag zum Erreichen unserer Klimaschutzziele leisten kann. Dafür fehlen aber leider Rahmenbedingungen, die dies möglich machen.
Von Michael Gneuss