Fachkräfte

Afrika – völlig unterschätzt

Der Kontinent bietet ein großes Potenzial an jungen, hoch motivierten Fachkräften. Berliner Unternehmen fangen an, gezielt zu rekrutieren und zu vermitteln.
Der Fachkräftemangel hat das Logistik-unternehmen Plischka GmbH schwer getroffen. „Wir werden zu alt“, sagt Tanja Schirmann-Remhof, Mitglied der Geschäftsleitung. „Gerade in der Logistik brauchen wir eine Mischung aus alten Hasen und jungen Leuten, die sich körperlich und vom Wissen her ergänzen. Diese Mischung herzustellen, fällt uns immer schwerer.“ Schlussendlich wurde Plischka in Simbabwe fündig: „Wir bekamen einen Kontakt zu einer Sprachschule in Harare und haben von dort im letzten Jahr fünf Azubis eingestellt.“
Mit dem Vorhaben stellt der Betrieb in der Berliner Wirtschaft noch ein Novum dar. 2021 waren 28.800 Auszubildende in Berlin unter Vertrag, darunter aber nur 855 mit einem Aufenthaltstitel zur Berufsausbildung. Betrachtet man die Migration von Afrika in die EU, so machen Aufenthalte zur Erwerbstätigkeit nur rund zehn Prozent der Zuwanderungen aus. Es dominieren familienbasierte Zuzüge. Dabei ist das Potenzial der Fachkräftegewinnung aus Afrika riesig: 60 Prozent der 1,25 Milliarden Einwohnenden sind unter 25 Jahre alt – somit hat Afrika die jüngste Bevölkerung der Welt. Und viele sind gut ausgebildet und motiviert.
Dies kann Rimbert Richter, Gründer von Code-shift, bestätigen. Das Start-up arbeitet für seine komplexen Mobile- und Web-Applikationen mit Softwareingenieuren aus Ruanda zusammen. So wurde unter anderem ein Teil des letzten Wahl-O-Mats zur Bundestagswahl von Codeshift mit ruandischen Entwicklern umgesetzt: „Kigali versprüht einen Vibe wie das frühe Silicon Valley. Junge, kreative Leute sitzen in Cafés, kleinen Büros und Co-Working-Spaces und entwickeln spannende IT-Lösungen“, sagt Richter. Gleichzeitig investiere Ruanda stark in Bildung und Infrastruktur. Zudem falle das unglaubliche Arbeitsethos auf: „Es ist nicht unüblich, dass manche Programmierer mehrere Jobs gleichzeitig haben.“
Die Wirtschaftsförderung Berlin Partner war mit einer Unternehmensdelegation im Rahmen des Projektes „AfrikaBerlinNetwork“ in den vergangenen Jahren ebenfalls vor Ort, um Betriebe von hier mit afrikanischen Märkten zu vernetzen. „Afrika wird völlig unterschätzt. Viele Länder haben erkannt, wie wichtig Bildung ist, die Hochschulen sind oft neu und die Curricula in vielen Fällen anerkannt“, sagt Martin Theobald, Geschäftsführer der terrassign GmbH, der mit dort war. Von Land zu Land bestünden jedoch Unterschiede. Die Talentabwanderung wird aufgrund der jungen Bevölkerungsstrukturen nicht als Problem gesehen. Zur Fachkräftegewinnung sowie zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit sei es wichtig, Best Practices in beide Richtungen zu schaffen, erklärt Theobald. terrassign arbeitet bereits an einem Folgeprojekt, um mehr Brücken zu bauen.
Als Vermittler zwischen beiden Welten ist der Verein „Giving Africa a New Face“ (GAaNF) aktiv. Mit dem Projekt „360° Labour Mobility“ will die Vorsitzende Edith Otiende-Lawani eine ganzheitliche Lösung für den Fachkräftemangel in Deutschland bieten: „Wir wollen den Aufwand in der Rekrutierung für Betriebe reduzieren und gleichzeitig die langfristige Einbindung der zugewanderten Fachkräfte in den Betrieben erhöhen.“ Dabei startet GAaNF in der Pilotphase mit hundert Personen, die in den deutschen Arbeitsmarkt vermittelt werden sollen, vornehmlich für Berufe im Gesundheitswesen, IT und der Erziehung. Unternehmen können Fördermitglied werden, eigene Stellen melden und gewünschte Profile einreichen. „Mit ,360° Labour Mobility‘ wollen wir in der Pilotphase Stellen in Berufsgruppen besetzen, in denen bereits jetzt ein hoher Bedarf besteht, und dann die Berufsgruppen nach und nach erweitern. Damit wollen wir der jungen afrikanischen Bevölkerung langfristig Perspektiven aufzeigen“, so Otiende-Lawani.
Auch das Start-up Wunsch-Azubi will dem Fachkräftemangel entgegenwirken und gleichzeitig Talente aus Afrika fördern: „Die Ausbildung ist ein guter Einstieg in den Arbeitsmarkt und damit sehr förderlich für die Integration“, so die Gründerin Runya Chirikure. Das junge Unternehmen konnte bereits einen Pool von 150 potenziellen Auszubildenden in Simbabwe aufbauen, die aktuell Deutsch lernen. Man könne schon jetzt Auszubildende vermitteln und sehe Herausforderungen eher auf administrativer Seite. Von der Wirtschaft erhofft sich Wunsch-Azubi mehr Offenheit und, dass Vorbehalte gegenüber Afrika abgebaut werden. „In Simbabwe haben viele junge Menschen wenige Perspektiven. Wir vermitteln in vielen Fällen also Top-Performer, die hoch motiviert sind.“ Zu diesen zählen auch die fünf Simbabwer, die bei Plischka seit 2022 in der Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik sowie Möbel-, Küchen- und Umzugsservice sind. Für das kommende Ausbildungsjahr hat der Betrieb erneut sechs Ausbildungsverträge mit Nachwuchskräften aus Simbabwe abgeschlossen.
Von Julian Algner