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„Wir können jeden Weltkongress ausrichten“

Ekkehard und Maxim Streletzki sind Eigentümer des größten Hotel- und Kongresszentrums Europas – dem Estrel. Berlin sehen sie für Großveranstaltungen gut aufgestellt.
Das Estrel in Neukölln ist mit 1.125 Zimmern und Suiten das größte Hotel in Deutschland. Hinzu kommen die 30.000 Quadratmeter des Estrel Congress Centers (ECC) – dem größten Berliner Kongresszentrum – sowie ein Showtheater. „Tagen, Wohnen, Entertainment – alles unter einem Dach“, lautet das Erfolgsrezept des Familienunternehmens. Gründer Ekkehard Streletzki und sein Sohn Maxim wollen in den kommenden Jahren am Standort aber noch viel mehr aufbauen und im wahrsten Sinne des Wortes hoch hinaus.

Berliner Wirtschaft: Sie haben als größter Anbieter von Hotel- und Kongresskapazitäten einen guten Überblick über die Veranstaltungen in der Stadt. Braucht Berlin Ihrer Ansicht nach mehr Großveranstaltungen?

Ekkehard Streletzki: Eine Stadt wie Berlin braucht bedeutende Veranstaltungen. Unsere Geschäftsführerin Ute Jacobs ist im Aufsichtsrat von Visitberlin. Wir sehen, dass viel gemacht wird. Zuletzt haben wir mit der Istaf und den Paralympics zwei große Sport-events in Berlin gehabt. Vielleicht könnten einige Veranstaltungen mitunter noch früher und überregionaler vermarket werden.
Maxim Streletzki: Wenn Berlin den Anspruch hat, eine Weltstadt zu sein, in die Menschen aus der ganzen Welt gern kommen, dann sind Großveranstaltungen ein ganz wichtiger Faktor, damit möglichst viele Menschen sehen, was diese Stadt zu bieten hat. Ich denke, dass wir auch mit unseren Mitarbeitenden im Marketing einen wichtigen Beitrag leisten, um große Veranstaltungen nach Berlin zu holen. Wir sind immer unterwegs, besuchen mit unserem Team Kunden im Ausland oder werben auf internationalen Messen für die Stadt.

Sehen Sie Berlin auch in der Lage, eine Veranstaltung vom Format einer Expo auszurichten?

Ekkehard Streletzki: Die Hotel- und Kongresskapazitäten dafür haben wir. Die Stadt ist mit ihrem reichhaltigen Kulturangebot auch attraktiv genug. Allerdings müssen wir uns dann auch mal um die Infrastruktur Gedanken machen und uns fragen, ob wir gut genug an den Rest der Welt angebunden sind. Ich denke da vor allem an den Flughafen. Der BER ist leider kein Drehkreuz. Aus vielen Destinationen kann Berlin nicht direkt erreicht werden. Viele internationale Gäste müssen über Frankfurt fliegen und dort eventuell übernachten. Ich weiß nicht, ob allen in der Stadt bewusst ist, was für ein immenser Nachteil das ist.
Maxim Streletzki: Ja, dieser Nachteil wird im Ausland wahrgenommen. Ansonsten haben wir ein tolles Image. Berlin ist bekannt als kreative, junge und interessante Stadt, die weltoffen und sehr liberal ist. Das müssen wir uns erhalten. Dazu gehört auch die Klubkultur, und dass Berlin nicht komplett gentrifiziert wird – und dass die Mieten bezahlbar bleiben. Das ist unser USP.
von Michael Gneuss

Wie gut ist Berlin im Wettbewerb um begehrte Kongresse aufgestellt?

Maxim Streletzki: Das Image ist der wohl wichtigste Pluspunkt für Berlin. Hinzu kommt, dass wir vergleichsweise günstig sind. Unsere wichtigsten Wettbewerber unter den Kongressstandorten in Europa sind London, Barcelona und Wien. Von denen müssen wir uns abgrenzen. Wir sollten nicht so werden wie London, sondern stolz darauf sein, dass hier alles etwas mittelständischer geprägt ist. Aber natürlich: Wenn Großveranstaltungen wie die Expo Impulse in die Stadt bringen können, ist das gut. Die Infrastruktur muss funktionieren. Sonst haben wir zwar die coolsten Klubs, aber es kommt keiner hin.
Ekkehard Streletzki: Wir machen immer stärker die Erfahrung, dass die Menschen ihre Kongresse dort abhalten, wo sie etwas erleben können. Und da bietet Berlin sehr viel. Mit unserem Kulturangebot müssen wir uns wahrlich nicht verstecken. In Berlin kann man – sogar sehr preisgünstig – in sehr guten Restaurants essen. Dazu kommt die Vielfalt der unterschiedlichen Kieze. Jeder Bezirk hat sein eigenes Flair. Wir haben viele Grünflächen, viel Wasser. Das alles macht die Stadt sehr attraktiv für Besucher und damit als Standort für große Veranstaltungen.

In Berlin war früher das ICC eine Art Wahrzeichen für Kongresse. Seit bald zehn Jahren fällt es aber für solche Events aus. Fehlen diese Flächen heute?

Maxim Streletzki: Nein, aber vielleicht wird das mitunter schlecht kommuniziert. Der Citycube ersetzt das ICC. Hinzu kommt unser ECC mit 30.000 Quadratmetern Fläche. Wir können jeden Weltkongress ausrichten. Es gibt keinen einzigen, den wir aufgrund mangelnder Kapazitäten in Berlin nicht austragen können. Auch die Hotelkapazitäten sind grundsätzlich ausreichend. Das einzige Manko ist, dass wir uns eine bessere Kooperation unter den Hotelbetreibern wünschen. Für große Events müssen die Hotels der Stadt frühzeitig Kontingente zusichern. Aber viele wollen sich so früh nicht festlegen.

Umso schöner, dass Sie ab 2025 auf der gegenüberliegenden Straßenseite im 176 Meter hohen Estrel Tower weitere 525 Hotelzimmer haben werden. 

Maxim Streletzki: Das ist für uns hier noch einmal bequemer für die Gäste. Zudem setzen wir uns mit dem Estrel Tower für den Standort Berlin ein und wollen genügend Betten auch für die ganz großen Kongresse zur Verfügung stellen. Für Veranstaltungen in einer Größenordnung von beispielsweise 20.000 Teilnehmenden ist es in Zukunft schließlich wichtig, verbindliche Zusagen machen zu können.

Welche strategische Bedeutung hat der Estrel Tower für Sie hier am Standort?

Ekkehard Streletzki: Der Estrel Tower ist ein eigenständiges Projekt, in dem Sinne, dass alle logistischen Abläufe und auch die Küchen unabhängig vom bisherigen Estrel Hotel funktionieren. Es wird neben den Hotelzimmern und Veranstaltungsräumen auch Co-Working-Büroflächen für Start-ups geben sowie 90 Serviced Apartments für Gäste, die länger bleiben und eine eigene Kitchenette wollen. Aber grundsätzlich bleiben wir uns treu: Unser Ziel bleibt es, hier am Standort ein Veranstaltungshotel zu betreiben. Es wird natürlich auch Hotelgäste geben, die durch den Tunnel auf die andere Straßenseite zu einem Meeting gehen.
Maxim Streletzki: Wir bauen aber keine Kopie vom Estrel, sondern glauben, dass wir interessante Räume für veränderte Ansprüche schaffen. Nach Corona haben sich die Bedürfnisse in Bezug auf Veranstaltungen verändert. Dem wollen wir gerade auch im Estrel Tower gerecht werden.

Was sind denn die neuen Bedürfnisse?

Maxim Streletzki: In Zeiten, in denen viele Menschen im Homeoffice arbeiten, wird viel Wert auf Zwischenmenschliches und Unternehmenskultur gelegt. Je dünner die Büros besetzt sind, desto schwieriger wird es, die Kultur zu erhalten oder weiterzuentwickeln. Tagungen sind heute so wichtig, weil Unternehmen Menschen wieder zusammenbringen wollen. Wir bieten dafür nicht nur die Flächen, sondern auch alle Services, damit unsere Kunden sich ganz auf ihre Kultur fokussieren können. Meist wollen sie einen Event-Charakter. Die Teilnehmer sollen nach den Vorträgen die Möglichkeit haben, etwas zu erleben.
Ekkehard Streletzki: Im Estrel Tower werden wir dafür ganz oben im 43. und 44. Stock einzigartige Räume bieten können. Auf diesen Etagen richten wir Veranstaltungsräume mit einer Fläche von 2.000 Quadratmetern ein. Es wird dort oben auch eine Terrasse geben. Unsere Gäste werden eine beeindruckende Aussicht haben. Abgesehen davon schaffen wir mit dem Tower ein weiteres architektonisches Highlight für Berlin. Dafür haben wir das Berliner Architekturbüro Barkow Leibinger gewonnen.

Haben Sie darüber hinaus weitere Pläne?

Maxim Streletzki: Neben dem Tower gibt es noch ein Grundstück, auf dem wir eine große Convention- und Eventfläche bauen wollen, das ist im B-Plan so festgelegt. Wir arbeiten gerade mit Architekten daran. Die neuen Flächen sollen anders als die bisherige Estrel Convention Hall sein. Wir wollen auch  noch einmal ein architektonisches Highlight setzen.

Stellen Sie sich auf vermehrte hybride Formate ein?

Maxim Streletzki: Darauf sind wir eingestellt. Wir haben ein digitales Studio und können alle Veranstaltungen an jeden Ort der Welt streamen. Aber die Nachfrage entwickelt sich anders: Das persönliche Zusammensein steht wieder im Vordergrund. Für die Zukunft müssen wir aber flexibel bleiben: Wer weiß, was Virtual und Augmented Reality mit sich bringen. Menschen werden in zehn Jahren nicht nur Handys haben, sondern viel immersiver sein. Wir müssen auch dann unseren Platz behalten.
Von Michael Gneuss