Fokus

„Ein enormer Sprung“

Die Knauer Wissenschaftliche Geräte GmbH ist mittlerweile 60 Jahre alt. Alexandra Knauer hat in zweiter Generation einen Hidden Champion aus ihr gemacht.
Knauer hat während der Pandemie innerhalb weniger Monate große Anlagen für die Einkapselung von mRNA, die für die Produktion von Impfstoff gegen das Coronavirus benötigt werden, entwickelt. Mit den neuartigen Geräten wurden inzwischen 3,7 Milliarden Dosen des Biontech-Vakzins Comirnaty hergestellt. Der Mittelständler aus Zehlendorf ist mit seiner Technologie Weltspitze in einem zukunftsträchtigen Markt.
Berliner Wirtschaft: Frau Knauer, Ihr Unternehmen wird als Hidden Champion bezeichnet. Sehen Sie es selbst auch in einer solchen Rolle?
Alexandra Knauer: Ja, irgendwie schon. Ich würde sagen, wir sind ein Hightech-Familienunternehmen mit weltweit sehr gefragten Produkten. Trotzdem sind wir nicht sehr bekannt. Die Firma wurde von meinen Eltern gegründet, ich bin seit 1995 als Geschäftsführerin dabei und seit dem Jahr 2000 die Eigentümerin. Uns gibt es seit 60 Jahren, und wir produzieren erfolgreicher denn je hochpräzise Laborgeräte für unsere Kunden.
Berliner Wirtschaft: Um ein Hidden Champion zu sein, müssen Sie aber auch eine herausragende Stellung auf dem Weltmarkt haben oder Marktführer in Europa sein.
Alexandra Knauer: Als Mittelständler sind wir sehr auf unsere Kernkompetenzen fokussiert. Das sind bei uns die Hochdruck-Pumpentechnologie und beispielsweise das extrem präzise Mischen von Flüssigkeiten. Traditionell bringen wir dieses Know-how in der Flüssigkeits-chromatografie zum Einsatz. Damit können Flüssigkeiten zum Beispiel auf Schad- oder Wirkstoffe untersucht werden. Wir setzen unsere Expertise nun auch im Bereich der Herstellung von Lipid-Nanopartikeln zur Verkapselung von Wirkstoffen ein. Das ist ein junger Markt, in dem es bislang wenig Anbieter gibt. Wir sind in diesem Geschäftsfeld führend in Europa und gehören zur Weltspitze.
Berliner Wirtschaft: Sind diese Geräte jetzt erst mit dem Aufbau der Corona-Impfstoffproduktion entstanden?
Alexandra Knauer: Ja, diese Geräte zur Herstellung so großer Mengen von Lipid-Nanopartikeln gab es in dieser Form noch gar nicht. Da mRNA sehr empfindlich ist, muss sie zur Produktion eines mRNA-Vakzins mit einer Lipidhülle ummantelt werden. Diesen Prozess übernehmen unsere Anlagen. Wir sind sehr stolz darauf, dass uns diese innovative Leistung gelungen ist.
Berliner Wirtschaft: Wie kommt es, dass eine mittelständische Firma aus Zehlendorf diese Geräte geliefert hat und kein großer Medizintechnik-Konzern?
Die Pharmaindustrie hatte die Herausforderung, erstmalig einen mRNA-Impfstoff herzustellen. Die Frage war, mit welchen Komponenten die Produktion so großer Mengen des Vakzins nach der Zulassung so schnell wie möglich hochgefahren werden könnte. Es musste sehr schnell gehen. Wir hatten das passende Know-how, die notwendige Flexibilität und ein hoch motiviertes Team. Damit waren wir der richtige Partner. Wir waren bereit, ins Risiko zu gehen, um solche Anlagen mit höchster Priorität zu entwickeln und herzustellen. Es war klar: Sobald der Impfstoff zugelassen wird, musste alles funktionieren.
Berliner Wirtschaft: Welche Risiken sind Sie eingegangen?
Alexandra Knauer: Wir haben in dem Projekt sowohl Chancen als auch Risiken gesehen. Um keine Zeit zu verlieren, haben wir ohne Verträge mit der Arbeit begonnen. Es war auch noch gar nicht klar, ob der Impfstoff wirklich zugelassen wird. Wir wussten auch nicht, ob es wirklich gelingen würde, die Geräte so schnell zu entwickeln. Es folgte dann eine superspannende Zeit. Wir haben unsere besten Leute ins Rennen geschickt, und das Projekt hatte bei uns allerhöchste Priorität. Unser großes Ziel war es, mit unseren Anlagen einen Beitrag im Kampf gegen die Pandemie zu leisten. Wir haben es dann auch in weniger als einem halben Jahr vollbracht, die Anlagen zu entwickeln und die ersten bereitzustellen.
Berliner Wirtschaft: Wie groß war der Sprung, den Knauer damit gemacht hat?
Alexandra Knauer: Das war für uns ein enormer Sprung. Der Umsatz ist im vergangenen Jahr um 30 Prozent auf 44 Millionen Euro gestiegen. Seit Ende 2019 ist auch die Zahl der Mitarbeitenden um rund 30 Prozent auf jetzt 180 geklettert. Wir haben Platzprobleme, die wir aber bald lindern können, weil wir ein weiteres Gebäude in unserer Straße kaufen konnten. Wir haben auch mehr Aufmerksamkeit bekommen. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hat uns im September 2021 besucht und uns als ein Juwel des deutschen Mittelstands bezeichnet. Zu unserer großen Freude sind wir Ende April 2022 mit dem Deutschen Innovationspreis ausgezeichnet worden.
Jetzt wird aber nicht mehr so viel Impfstoff gegen das Coronavirus benötigt. Ist der Boom schon vorbei?
Alexandra Knauer: Die Nachfrage nach den ganz großen Anlagen, die wir für die Produktion von Comirnaty gebaut haben, hat inzwischen natürlich nachgelassen. Aber für die mRNA-Technologie ist das ja erst der Anfang gewesen. Es werden sicher weitere Medikamente und Impfstoffe auf mRNA-Basis folgen, und deswegen halten wir dieses neue Geschäftsfeld für hochinteressant. Wir bleiben auf jeden Fall am Ball. Auf der Produktseite haben wir jetzt schon diversifiziert. Wir bieten auch deutlich kleinere Anlagen an, wie sie in der pharmazeutischen Forschung benötigt werden.
Berliner Wirtschaft: Wenn das neue Geschäftsfeld so interessant ist: Haben Sie die Sorge, dass sich die großen Konzerne darauf stürzen werden?
Alexandra Knauer: Eine Sorge ist es schon, aber wir sind Konkurrenzsituationen gewohnt und stellen uns ihnen. Bei den Flüssigkeitschromatografen stehen wir auch im Wettbewerb mit weltweit aktiven Konzernen. Und trotzdem kaufen sehr viele Kunden bei uns. Bei den Anlagen für die Produktion von Lipid-Nanopartikeln hatten wir einen guten Start und einen Vorsprung im neuen Geschäftsfeld, den wir so weit wie möglich noch ausbauen wollen.
Berliner Wirtschaft: Wie schaffen Sie es, innovativ zu bleiben?
Alexandra Knauer: Für uns ist immer sehr wichtig, dass wir einen engen Kontakt zu Kunden haben und sehr gut zuhören, wenn sie über ihre Bedürfnisse sprechen. Wir besuchen auch viele internationale Symposien, Kongresse und Messen, um Trends frühzeitig aufzunehmen. Ich denke, entscheidend ist aber vor allem unser herausragendes Team mit breiter Expertise, zum Beispiel in den Bereichen Chemie, Physik, Verfahrenstechnik oder Maschinenbau und Mechatronik.
Berliner Wirtschaft: Sind Sie auch in der Flüssigkeitschromatografie Marktführer?
Alexandra Knauer: Nein, um in einem solchen Weltmarkt ganz oben zu stehen, sind wir schlicht und einfach zu klein. Das Besondere an dieser Analysentechnik ist ja, dass sie eine unglaubliche Vielfalt an Anwendungsmöglichkeiten hat. Damit kann in der Qualitätskontrolle geprüft werden, ob ein Hustensaft die beschriebenen Wirkstoffe wirklich enthält. Es kann auch in einer Apfelsaftschorle untersucht werden, welche Zucker oder Vitamine sie enthält oder ob vielleicht sogar schädliche Pestizide enthalten sind. So können auch die verschiedenen neuen Cannabisprodukte auf ihren Cannabinoid-Gehalt untersucht werden.
Berliner Wirtschaft: Müssen die Geräte für die einzelnen Anwendungen entsprechend angepasst werden?
Alexandra Knauer: Ja, deshalb ist es so wichtig für uns, den Kunden gut zuzuhören, wenn sie ihre Tätigkeiten und Anforderungen schildern. Und wir fragen auch immer nach, was wir noch für sie tun können. So entstehen mitunter Ideen für neue Anwendungen und Verbesserungen.
Berliner Wirtschaft: Also sind auch in Ihrem klassischen Geschäftsfeld immer wieder neue Innovationen möglich?
Alexandra Knauer: Ja, ich denke, eine Innovation muss nicht immer ein neues Gerät sein. Es kann auch eine neue Anwendung, wir nennen das Applikation, sein. Aktuell beschäftigen wir uns mit der sogenannten PFAS-Thematik. Diese per- und polyfluorierten Alkylverbindungen sind extrem langlebig, verteilen sich über das Wasser und reichern sich in der Umwelt an. Sie wurden erst kürzlich in der Spree in hoher Konzentration nachgewiesen. Die Wissenschaft weiß aber noch zu wenig, deshalb ist es wichtig, PFAS genau bestimmen zu können und ihre Auswirkungen auf die Natur zu erforschen.
Berliner Wirtschaft: Welche Regionen haben Sie für Ihr weiteres Wachstum besonders im Visier?
Alexandra Knauer: Wir haben Kunden in mehr als 70 Ländern, und unser Exportanteil ist recht hoch, er liegt bei 75 Prozent. Ich denke, in den USA und in China wird besonders viel geforscht und produziert, deshalb sind das sehr wichtige Märkte für uns. Wir wünschen uns, dass auch in Europa noch mehr Unternehmen aktiv werden und hier neue Medikamente und Impfstoffe entwickeln und herstellen. Wir engagieren uns deshalb in dem europäischen Forschungsverbund „NanoFacT“ mit Sitz in Graz – auch im Hinblick auf weitere Chancen im Bereich der Lipid-Nanopartikel.
Berliner Wirtschaft: Gehen Sie auch in neue Märkte?
Alexandra Knauer: Ja, dafür ist aber immer wichtig, dass wir das über einen sehr guten Handelspartner machen können. Im deutschsprachigen Raum arbeiten wir auch mit einer eigenen Vertriebsmannschaft. Für andere Regionen ist es extrem wichtig, die Händler gut auszuwählen und gut zu schulen. Unsere Geräte können nur dann optimale Ergebnisse liefern, wenn auch eine professionelle Beratung und Unterstützung des Kunden stattfindet.
Berliner Wirtschaft: Können Sie sich auch vorstellen, durch die ­Übernahme einer anderen Firma zu wachsen?
Alexandra Knauer: Grundsätzlich wollen wir aus eigener Kraft wachsen. Ich habe aber 2022 tatsächlich eine Firma aus den Niederlanden gekauft. Das war unser erster Firmenkauf und eine ganz neue zeitintensive Erfahrung. Im Laborbereich ist Automatisierung ein ganz wichtiger Trend, und auf diesem Gebiet hat die Firma ModuVision sehr viel Know-how. Wir passen gut zusammen.
Berliner Wirtschaft: Und andersherum: Kommen große Konzerne auf Sie zu, um Knauer zu kaufen?
Alexandra Knauer: Ja, wir werden in der Branche beobachtet, und es gibt Interessenten. Das ehrt uns sehr. Aber ich sage dann, dass ich viel Freude mit meinem Unternehmen habe, so, wie es ist, und vor allem wahnsinnig gern mit Co-Geschäftsführer Carsten Losch und unserem Team zusammenarbeite. Dieses Knauer-Team ist ein superwichtiger Erfolgsfaktor. Und ich will selbst dafür sorgen, dass das so bleibt.
Von Michael Gneuss