FOKUS | Resilienz

Krisenfest

Mit vereinten Kräften stemmen sich Berlins Unternehmen gegen aktuelle Bedrohungen. Die kleinteilige, vielfältige Struktur des Wirtschaftsstandorts erweist sich dabei als Vorteil
Besser als befürchtet ist die Wirtschaft in der Hauptstadt durch die Krisen des vergangenen Jahres gekommen. Das Wachstum in Berlin betrug voraussichtlich 2,5 Prozent und lag damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 1,7 Prozent, die Zahl der Insolvenzen hat sich im Vergleich zu 2019 nicht erhöht. „Kein anderes Bundesland hat mehr neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigte verzeichnet“, sagt Michael Biel, Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, „und auch bei den neuen Betrieben liegen wir in allen Kategorien über dem Bund.“ Ein Wachstum werde auch in diesem Jahr erwartet, wenngleich auf niedrigerem Niveau.
Auch der aktuelle Konjunkturbericht der Industrie- und Handelskammern in Berlin- Brandenburg bestätigt, dass die Wirtschaft in der ­Metropolregion den Tiefpunkt, auf den der Konjunkturklimaindex im Herbst gefallen war, hinter sich gelassen hat. Die Geschäftslage der Unternehmen habe sich verbessert, heißt es im Bericht: „Angesichts der äußerst pessimistischen Erwartungen, die zu Beginn des vierten Quartals das Bild dominierten, ist das eine erfreuliche Entspannung der Lage.“ Die Berliner Wirtschaft blicke weit weniger skeptisch als noch im Herbst auf das kommende Halbjahr – mit besseren Geschäften rechnen aktuell 23 Prozent der Betriebe, vor vier Monaten waren es nur neun Prozent.
„Das alles fällt nicht vom Himmel, das ist harte Arbeit, die wir gezielt unterstützen“, sagt Staatssekretär Biel. „Für den Neustart nach Corona haben wir gemeinsam mit der IHK und vielen Partnern ein 330-Millionen-Förderprogramm aufgelegt, und dieses läuft 2023 weiter. Dazu kommen gut 425 Millionen Euro für Liquiditätshilfen, die Heizkostenhilfe für Öl, Kohle und Pellets, von der auch Gewerbetreibende profitieren, und das bald startende Energiekosten-Zuschussprogramm für KMU – insgesamt eine Dreiviertelmilliarde Euro als Schutzschirm und klares Bekenntnis zum Wirtschaftsstandort.“ Dass sich die Wirtschaft in Berlin noch vergleichsweise gut in den Krisen behauptet, bestätigt für Wirtschaftssenator Stephan Schwarz „die besondere Resilienz unseres Standorts“.

Schocks aushalten

Ökonomische Resilienz, so die Definition von Experten der Bertelsmann Stiftung, sei „die Fähigkeit einer Volkswirtschaft, vorbereitende Maßnahmen zur Krisenbewältigung zu ergreifen, unmittelbare Krisenfolgen abzumildern und sich an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen“. Und unternehmerische Resilienz ist nach Gablers Wirtschaftslexikon „die Eigenschaft eines Unternehmens, externe Schocks oder Verwerfungen der sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Rahmenbedingungen auszuhalten und sich an die neuen Bedingungen anzupassen“. Zwischen Resilienz und Robustheit unterscheidet der Wirtschaftswissenschaftler Markus Brunnermeier und vergleicht Resilienz mit dem Schilf, das im Sturm nachgibt, aber wieder zurückfedert, das sich biegt, aber nicht bricht – im Gegensatz zur robusten Eiche, die dem Sturm bewegungslos trotzt oder, wenn er stärker wird, umfällt.
Resilient ist ein Unternehmen, wenn es zum Beispiel auf Digitalisierung setzt, auf einem expandierenden Markt unterwegs ist und strukturell wächst – wie die FinTech-Gruppe Raisin mit eigener Bank und ihren Geldanlage-Plattformen. Wenn es Produkte und Dienstleistungen im Portfolio hat, die vor allem von der öffentlichen Hand nachgefragt werden – wie die Harbauer Umwelttechnik. Oder wenn es gefragte Medizintechnik anbietet und Wert auf Qualität und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Kunden und Lieferanten legt – wie Limmer Laser.
Was früher als Schwäche und Nachteil der Berliner Wirtschaft ausgelegt wurde, erweist sich schon länger als Stärke und Vorteil: Die zahlreichen kleinen und mittleren Unternehmen und ein buntes Puzzle an Branchen statt eines dominanten Industriesektors sorgen in ihrem Zusammenspiel für eine Dynamik, die auch gegen Krisen besser schützt. Staatssekretär Michael Biel erlebt die lokale Wirtschaft als wendig und innovationsfreudig, „was sicherlich mit unserer Innovations- und Kreativlandschaft zusammenhängt und mit der Sogwirkung unserer Stadt auf Talente“.
Zur wachsenden Resilienz der Wirtschaft trägt auch die IHK bei. „Die IHK tut ihr Bestes, die Berliner Mitgliedsunternehmen gerade auch in Krisenzeiten zu unterstützen – im Service genauso wie im Bereich der politischen Interessenvertretung“, sagt IHK-Vizepräsidentin Sonja Jost. „Hier ist das Ziel, dass die Politik die Situation der Unternehmen versteht und möglichst schnell, effektiv und unbürokratisch Verbesserungen herbeiführt – zum Beispiel durch die Ausarbeitung und Anpassung der Hilfsmaßnahmen zur Abfederung der gestiegenen Energiekosten.“ Damit die IHK die Sorgen und Nöte der Betriebe adressieren kann, sei es auch so wichtig, „dass möglichst viele Unternehmen Feedback an die IHK geben – zum Beispiel über die Teilnahme an themenspezifischen Umfragen“.
Die IHK informiere ihre Mitgliedsunternehmen mit Übersichtsmaterial zu den aktuell wichtigsten Themen und führe zahlreiche Info-Veranstaltungen durch, die zur Stärkung der langfristigen Widerstandsfähigkeit beitragen sollen. So werde beispielsweise zu Fördermitteln im Bereich Energieeffizienz und zu Energie- und Umweltmanagement-Systemen beraten.
„Außerdem“, so Vizepräsidentin Jost, „hat die IHK seit März vergangenen Jahres einen anlassbezogenen Newsletter zu bundes- und landespolitischen Maßnahmen zur Bewältigung der Energiekrise sowie ein Postfach für Fragen der Unternehmen zu den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs eingerichtet – ähnlich wie bereits zur Hochphase der Corona-Pandemie.“ Die Liste könne man noch lange so weiterführen. „Ich selbst bin immer wieder beeindruckt davon, was die Kolleginnen und Kollegen aus Haupt- und Ehrenamt über ihr Tagesgeschäft hinaus alles auf die Beine stellen und mit welch großem Engagement sie sich für unsere Unternehmen einsetzen.“

Sorge vor geopolitischen Spannungen

Die Berliner Politik habe viele Unternehmen in vielen Krisen tatkräftig unterstützt, erkennt die IHK-Vizepräsidentin an. Jetzt müsse sie sich auf eine weitere mögliche Krise einstellen. Berlin sei als Exportregion stark auf stabile internationale Beziehungen angewiesen, sagt Sonja Jost. „Deshalb treffen uns geopolitische Spannungen hart, und es ist heute schon absehbar, dass sie eher zu- als abnehmen, beispielsweise mit China.“ Die Politik, sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene, sei nun gefordert, auf die damit verbundenen Probleme zu reagieren und Lösungen zu finden. „Eine Neuausrichtung der Außenwirtschaftspolitik, die die Erhöhung der Resilienz der Wirtschaft zur Folge hat, ist dringend notwendig.“
Je besser das Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft funktioniert, desto höher fällt auch die urbane Resilienz aus, die eine Stadt nachhaltiger und zukunftssicherer macht. Dass beispielsweise die Strom-, Wasser- und Energieversorgung derzeit in Berlin gewährleistet ist, führt Wirtschaftsstaatssekretär Michael Biel auch auf die Energiespar-Anstrengungen der Einwohnerschaft und der Unternehmen zurück. „Hier zeigt sich wieder: Herausforderungen geht man am besten gemeinsam an.“ Für die langfristige Versorgungssicherheit sei es notwendig, „die Transformation und den Ausbau erneuerbarer Energien konsequent voranzutreiben – zusammen mit der Berliner Wirtschaft“.
von Almut Kaspar
IHK-Kontakt zum Thema Kriegsfolgen
Zu Fragen, die sich infolge des Kriegs in der Ukraine ergeben, können Unternehmen sich an die IHK wenden: energiekrise@berlin.ihk.de