Auf den Punkt

Berlin muss mehr wagen

Wirtschaft, Politik und Verwaltung sind sich einig: Das öffentliche Beschaffungswesen in Berlin braucht einen deutlichen Schub in Richtung Qualität und Innovation
Meinung
In der Kolumne „Auf den Punkt“ ­positionieren sich im ­monatlichen Wechsel Mitglieder des ­Präsidiums zu wirtschaftspolitischen ­Fragestellungen aus ihrer persönlichen Sicht.
Die Berliner Wirtschaft steht der öffentlichen Hand als Auftraggeber zunehmend kritisch gegenüber, weil Bürokratie und einseitige Preisfokussierung für qualitätsbewusste Unternehmen keine Einladung zur Angebotsabgabe darstellen. Damit schneidet sich die Stadt von innovativen Impulsen aus der Wirtschaft zu Ungunsten der eigenen Leistungsfähigkeit ab – siehe Modernisierungsgrad der Berliner Verwaltung. Die Wirtschaft erwartet von Politik und Verwaltung mehr Verantwortungsbewusstsein für qualitativ hochwertige,  zukunftsfeste Beschaffungen, so die Aussage von rund 1.500 Unternehmen in der IHK-Sommerumfrage 2022.
Im „Stadtgespräch Mittelstand – auf ein Wort mit dem IHK-Präsidenten“ diskutierten dazu sechs Unternehmen mit Wirtschaftssenator Stephan Schwarz, IKT-Staatssekretär und CDO, Dr. Ralf Kleindiek, sowie dem Leiter der Zentralen Vergabestelle Charlottenburg-Wilmersdorf, Michael Nestoroff. Wir waren uns schnell einig: Berlin muss mehr wagen, braucht Mut, Offenheit und Flexibilität für neue – innovationsoffene – Wege in der Vergabepraxis. Auf der Hand liegende Lösungen scheitern immer wieder an mangelnden Ressourcen in der Verwaltung.  Diese kann die Wünsche der Wirtschaft nachvollziehen: mehr wettbewerbliche Ausschreibungen, fachlicher Austausch mit der Verwaltung, innovationsoffene Leistungsbeschreibungen sowie höheres Gewicht auf qualitative, langfristig wirkende Kriterien gegenüber dem Anschaffungspreis. Die erforderliche Höherausstattung mit Personal (das schwer zu finden ist), Know-how (das gern die Wirtschaft liefert) und Zeit (die eine gute Entscheidung braucht) stehen dazu aktuell noch im Widerspruch.
Der IHK-Vorschlag, ein Serviceteam Innovative Beschaffung für die beratende Begleitung komplexer Vergaben ins Leben zu rufen, kommt bei der Verwaltung gut an. Da passt es, dass Senator Schwarz sich selbst mit dem Eingeständnis ins Spiel bringt, dass der Mut zu entsprechenden Veränderungen vom zuständigen Senator ausgehen muss. Staatssekretär Kleindiek stellt einen GovTech-Campus Berlin für die vorwettbewerbliche Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Wirtschaft und ein zentrales Landesbeschaffungsamt in Aussicht. Die Ressorts Wirtschaft und Inneres sind für die rechtliche und prozessuale Organisation der öffentlichen Vergabe zuständig. Der Ball liegt also bei ihnen.