BW 07-08/2021 – Agenda

„Wir müssen mehr Tempo machen“

Die Umsetzung des Green Deal bis 2050 ist möglich, sagt Stefan Kapferer, CEO von 50Hertz, beim Gespräch im Ludwig Erhard Haus. Dafür müssen sich aber einige Dinge ändern
Die Energiewende war das einzige Thema, das neben den täglichen Corona-Nachrichten nie weg war, sondern immer ganz vorn in den Nachrichten.“ Auf den Austausch über Deutschlands aktuell größtes Projekt freute sich Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin, sichtlich, als er Mitte Juni Stefan Kapferer zum digitalen Wirtschaftsgespräch im Ludwig Erhard Haus begrüßte. Der CEO des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz Transmission GmbH unterstrich in seinem Impulsvortrag, welche Chancen, aber auch Herausforderungen mit dem Umbau des Energiesystems hin zu einer nachhaltigen Versorgung auch für Berlin verbunden seien. Vor wenigen Wochen habe die Bundesregierung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts das Ziel ausgegeben, bis 2045 klimaneutral werden zu wollen, so Kapferer und warf zunächst eine Zahl in den digitalen Raum: 8859. „Das ist die Zahl der Tage, die uns noch bleibt, um das Ziel bis Ende 2045 zu schaffen.“ Wenn man jedoch beobachte, wie lange allein in Berlin Infrastrukturprojekte dauerten, werde klar, dass nicht mehr viel Zeit bleibe. „Wir müssen deshalb schneller werden bei der Umsetzung.“

Nachhaltigkeit attraktiv für Fachkräfte

Wie der Standort Berlin von der Energiewende profitiert, verdeutlichte der Geschäftsführer anhand einiger Zahlen für sein Unternehmen. Für Berlin bedeute die Energiewende ein riesiges Investitionsprogramm. „Allein wir werden in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich 14 bis 15 Milliarden Euro investieren.“ 50Hertz schaffe jährlich Jobs im niedrigen dreistelligen Bereich und sei bereits heute unter den vier deutschen Übertragungsnetzbetreibern derjenige mit dem höchsten Grünstromanteil, der zuletzt bei 62 Prozent lag und bis 2032 bereits 100 Prozent betragen solle. Die Chance, bei 50Hertz Teil der Energiewende sein zu können, trage wohl auch dazu bei, dass der Fachkräftemangel das Unternehmen aktuell nicht treffe. Auch vom Zwang zu verstärkter Innovation und Digitalisierung würden die Unternehmen und mit ihnen die Start-ups profitieren.

Klimaschutz muss auch für Verwaltung gelten

Wie ein roter Faden zog sich gleichzeitig eine Befürchtung durch das Gespräch. „Die Priorisierung für das Thema Klimaschutz, die das Bundesverfassungsgericht uns vorgegeben hat, darf natürlich nicht nur für die Unternehmen, sondern muss auch für die öffentliche Verwaltung gelten“, unterstrich Kapferer, der zunächst in der Politik Karriere gemacht hatte, dann als stellvertretender Generalsekretär der OECD in Paris arbeitete und den Bundesverband der Deutschen Energie und Wasserwirtschaft leitete, bis er Ende 2019 zu 50Hertz kam. Man erlebe täglich, dass sich der Klimaschutz in der Verwaltung hintenanstellen müsse. Ein Beispiel: Beim Bau des großen Südostlinks, der den Windstrom von Nord nach Süd transportieren solle, führe der Weg durch Sachsen- Anhalt. Dieses Bundesland sei das einzige, in dem ein archäologisches Landesamt gesagt habe, man wolle mal die ganze Trasse archäologisch untersuchen. „Das kostet Zeit.“ Auch beim Bau des Tunnels von der Rudolf-Wissell-Brücke bis zum Tiergarten habe das Gerangel um Zuständigkeiten und um das Fällen von Bäumen Genehmigungsprozesse um vier Jahre verzögert. „Tempo, Tempo, Tempo, eine bessere Ausstattung und mehr Digitalisierung in den Behörden sowie eine stärkere Priorität für das Thema Klimaschutz sind das Gebot der Stunde“, so Kapferer. Ob der Green Deal überhaupt bis 2050 zu schaffen sei, wollte Eder zum Auftakt der Diskussionsrunde wissen. Für Kapferer ist das technologisch mit klarerer Fokussierung und Priorisierung kein Problem. „Die Frage ist aber, ob wir das ökonomisch schaffen. Was bedeutet die Priorisierung für die Finanzmittel an anderer Stelle wie Sozialsysteme oder Bildungsinvestitionen?
Wir können ja jeden Steuer-Euro nur einmal ausgeben.“ Und wenn der CO2-Preis steige, werde Energie für viele Unternehmen teurer. Damit stelle sich die Frage der Wettbewerbsfähigkeit. Dass die Energiewende ohne Kohle und Atomkraft erreicht werden könnte, hält Kapferer für möglich. „Mit der Bullerbü-Mentalität ist das allerdings nicht zu schaffen.“ Wenn Menschen glaubten, dass Berlin den steigenden Strombedarf für Wärme, Mobilität, Produktion mit ausschließlich hier produziertem Strom decken könnte, sei das illusorisch. „Wir müssen die Strommärkte grenzüberschreitend miteinander verknüpfen, und am Ende wird das kein System sein, das nur mit Solar und Wind funktioniert, weil wir noch keine Speichertechnologie haben, sondern wir werden Back-up-Kapazitäten auf der Basis von grünem Wasserstoff brauchen.“ Das bedeute aber ein gigantisches Investitionsprogramm.

Brennstoffzellen werden wichtiger

Ob Kapferer Wasserstoff und/oder Batterietechnologie für die Zukunft der Mobilität halte, wollte von Publikumsseite Rechtsanwalt Axel Wunschel wissen. Man sehe gerade einen enorm dynamischen Prozess bei der Weiterentwicklung beider Energieträger, so der CEO von 50Hertz. Die Batterien hätten gleichwohl in der Automobilindustrie einen Startvorteil, weil die Hersteller auf diese Technologie setzten. Zuletzt habe sich zudem die Reichweite der Fahrzeuge enorm verbessert. Ein anderer Teilnehmer wollte wissen, welche Bedeutung Kapferer Brennstoffzellen beimisst. „Sie werden eine wichtige Rolle spielen. Wir haben in Deutschland Stand heute etwa zwölf Millionen Heizungssysteme, die auf Gas und Öl basieren. Will man klimaneutral werden, darf man diese nicht mehr betreiben.“ Solle das Ziel bis in den verbleibenden 8.859 Tagen erreicht werden, müsse man theoretisch ab sofort jeden Tag 1.333 Heizungen umrüsten. Mit energetischer Sanierung funktioniere das nicht. Die Brennstoffzelle könne ein Faktor sein, sei zwar noch sehr teuer, aber es gebe sehr hohe Zuschüsse vom Bund.

Strompreis nicht wettbewerbsfähig

Eder rechnete schließlich vor, dass die deutschen Stromverbraucher 40 Mrd. Euro an gesetzlichen Steuern und Abgaben zahlen. Nur der guten deutschen Wirtschaftsleistung sei es zu verdanken, dass wir uns diesen Preis überhaupt leisten könnten. In Wahrheit sei der Strompreis nicht wettbewerbsfähig, was ein großer Standortnachteil sei. Ob sich der Preis irgendwann wieder zurückentwickle? „Der Strompreis ist zu hoch“, pflichtete Kapferer dem IHK-Hauptgeschäftsführer bei. Konsens sei, dass die EEG-Umlage gegen null sinken solle, indem man die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung verwende. „Das wird massiv helfen.“ Ein großes Problem sei, dass die Preisbildung am Strommarkt nicht dazu führe, dass Investoren verlässlich planen könnten.
von Eli Hamacher