BW 02/2021 – Agenda

Es geht nur gemeinsam

Durch die Pandemie haben wir viel Zeit und Energie bei der Umstrukturierung unserer Wirtschaft verloren. Nach dem Lockdown müssen Unternehmen und öffentliche Hand eine Investitionsoffensive starten
Weltweit hat die Corona-Pandemie zu erheblichen Verlusten in der Wertschöpfung geführt. In Deutschland lag 2020 der Rückgang der realen Wirtschaftsleistung bei mehr als fünf Prozent. Auch der Start ins neue Jahr ist durch die besonderen Umstände der Pandemiebekämpfung gekennzeichnet. Geschäfte, Restaurants, Hotels sind geschlossen. Kultureinrichtungen haben ihren Spielbetrieb unterbrochen. Viele personenbezogene Dienstleistungen, vom Friseur bis zum Fitnesstrainer, können nicht erbracht werden.
Der Staat hält dagegen. Regierungen versuchen, mit Liquiditätshilfen unternehmerisches Überleben zu sichern und mit Lohnersatzleistungen die Einkommen zu stützen. Zentralbanken rund um den Globus haben zugleich expansive geldpolitische Maßnahmen ergriffen. Kreditfinanzierte Konjunkturprogramme nicht nur in Europa sollen die Wirtschaft wieder in Gang bringen, wenn der pandemiebedingte Lockdown in den nächsten Monaten gelockert werden kann. Gehen im Zuge der Impfungen die Sterbefälle und Belegungszahlen auf den Intensivstationen zurück, dürfte in den meisten entwickelten Ländern allmählich eine wirtschaftliche Erholung einsetzen. Für Deutschland geht das DIW Berlin derzeit von einem Wachstum der Wirtschaftsleistung in 2021 von gut drei Prozent aus. Ende 2022 könnte hierzulande dann die reale Produktion wieder das Vorkrisenniveau erreichen.
Diese Aussicht mag auf den ersten Blick beruhigen. Auf den zweiten Blick allerdings zeigt sich, dass wir durch die Pandemie viel Zeit und Energie bei der Umstrukturierung unserer Wirtschaft verloren haben. Der fortschreitende demografische Wandel wie die Dekarbonisierung und Digitalisierung unserer Produktionsprozesse schaffen erhebliche Investitionsbedarfe. In 2020 sind aber die Ausrüstungsinvestitionen nicht gestiegen, sondern im zweistelligen Bereich geschrumpft. Und auch die Investitionen in unsere Köpfe – in das sogenannte Wissenskapital – sind zurückgegangen. Umso wichtiger ist es nun, dass Unternehmen und öffentliche Hand den Neustart nach dem Lockdown zu einer Investitionsoffensive nutzen. Das gilt für den Bildungssektor, die digitalen Netze, die kommunale Infrastruktur wie für Investitionen in klima- und ressourcensparende Technologien.
Die Chancen für eine solche Neuausrichtung stehen gar nicht so schlecht. Staat und Unternehmen haben in der Krise gelernt, dass sie aufeinander angewiesen sind. Dogmen vom freien Markt oder allwissenden Staat haben an Einfluss verloren. Erfolgreich ist nur ein Miteinander. So geben uns gerade jetzt staatliche Garantien und unternehmerische Innovationskraft gemeinsam die Hoffnung, mit entsprechenden Impfstoffen die Pandemie zu überwinden.
Gleichzeitig ist bei Konsumenten wie Unternehmen die Einsicht gewachsen, dass ein bloßes Mehr an Gütern und Dienstleistungen für unseren Wohlstand nicht entscheidend ist. Präferenzverschiebungen zugunsten klima- und ressourcensparender Produktionen scheinen an Fahrt gewonnen zu haben. Zudem bekommen Werte wie Resilienz von Produktions- und Lieferketten gegenüber statischen Effizienzkriterien mehr Gewicht. Lokale Produktion beispielsweise könnte so nicht nur für landwirtschaftliche Produkte, sondern auch für viele Konsumgüter zu einem Markenzeichen werden. Dies vor allem auch, weil uns digitale Technologien erlauben, vieles in Kleinserien kostengünstig produzieren zu können.
Was bedeutet das nun für Berlin? Aktuell zeigen sich wie so oft in der Hauptstadt entgegengesetzte Effekte. Berlin mit seinem ausgebauten Tourismussektor und seiner großen Kulturszene trifft auf der einen Seite der Lockdown vieler personenbezogenen Dienstleistungen besonders hart. Auf der anderen Seite profitiert die Stadt als Zentrum des E-Commerce überproportional von der Expansion des Online-Handels.
Aber wie sieht es mit der längerfristigen Perspektive der Metropolen aus? In den letzten Jahren sind in Deutschland die Großstädte, allen voran die Hauptstadt, überdurchschnittlich stark gewachsen. Damit sind sie auch immer teurer geworden. Die Beschleunigung von Homeoffice und Online-Handel im Lockdown hat nun scheinbar eine Alternative zum teuren Stadtpflaster aufgezeigt. In der Tat werden die räumlichen Bindungen im Produktionsprozess wieder einmal lockerer. Bloße Größe als ökonomischer Vorteil zählt immer weniger.
Metropolen aber, die in der Lage sind, aus ihrer Mischung von Produktion, Handel, Dienstleistungen, Erholung und Wohnen einen kreativen Mehrwert zu generieren, werden auch künftig die Zentren der wirtschaftlichen Entwicklung sein. Ob Berlin dazu zählt, hängt auch vom Handeln der lokalen Akteure ab. Die Stadt muss Räume für die Mischung von Arbeit und Leben sichern und ausbauen.
von Prof. Dr. Martin Gornig