Rechtsinformation

Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters

Ob und in welcher Höhe der Handelsvertreter bei Beendigung des Vertragsverhältnisses einen Ausgleichsanspruch hat, hängt von zahlreichen verschiedenen Voraussetzungen ab. Einzelheiten regelt § 89b des Handelsgesetzbuches (HGB):

1. Wer ist Handelsvertreter?

Der Handelsvertreter muss Handelsvertreter im Sinne des § 84 HGB sein. Unerheblich ist, ob er seine Tätigkeit nur beim Gewerbeamt angemeldet hat, ob er als Einzelkaufmann/-frau im Handelsregister eingetragen ist oder das Unternehmen in einer anderen Rechtsform betreibt. Probleme können sich jedoch bei Kapitalgesellschaften ergeben. Auch Unterhandelsvertreter und arbeitnehmerähnliche Handelsvertreter im Sinne des § 92a HGB können ausgleichsberechtigt sein. Einen Ausgleichsanspruch haben je nach Lage des Einzelfalles häufig auch Vertragshändler, Reisebüros, Tankstellenpächter und Inhaber von Lotto Annahmestellen. Keinen Ausgleichsanspruch hat, wer ausdrücklich nur als Handelsvertreter im Nebenberuf beauftragt ist, § 92b HGB

2. Vertragsbeendigung

Ob der Handelsvertreter einen Ausgleichsanspruch hat, hängt auch davon ab, wer den Vertrag kündigt und aus welchen Gründen dies geschieht. Es empfiehlt sich daher, die Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs noch vor der Kündigung sorgfältig zu prüfen! Aus § 89b Abs. 3 HGB ergeben sich die folgenden drei Konstellationen, in denen kein Ausgleichanspruch besteht: Kündigt der Handelsvertreter selbst, so besteht regelmäßig kein Anspruch, es sei denn, dass ein Verhalten des Unternehmers hierzu begründeten Anlass gegeben hat oder dass dem Handelsvertreter eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen seines Alters oder Krankheit nicht zugemutet werden kann.
Kündigt der Unternehmer, so entfällt der Ausgleichsanspruch dann, wenn für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorlag. Der Anspruch besteht auch dann nicht, wenn bei Vertragsbeendigung eine Vereinbarung geschlossen wird, nach der ein Dritter anstelle des Handelsvertreters in das Vertragsverhältnis eintritt.

3. Wie ist der Ausgleichsanspruch geltend zu machen?

Der Anspruch muss innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertragsverhältnisses geltend gemacht werden.

4. Wann ist der Anspruch ausgeschlossen?

Der Anspruch kann nicht im Voraus ausgeschlossen werden. Bei Vertragsbeendigung sind jedoch Vereinbarungen über die Zahlung und die Höhe eines Ausgleichsanspruches möglich.

5. Welche Höhe hat der Ausgleichsanspruch?

Die häufig geäußerte Vermutung, der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters beliefe sich generell auf eine Jahresprovision, ist falsch. Hierbei handelt es sich vielmehr um die Höchstgrenze (siehe unten). Bei der Errechnung des Ausgleichsanspruchs müssen aufgrund einer Änderung des § 89b HGB zum 1. August 2009 nur noch zwei statt bislang drei Voraussetzungen – nebeneinander – erfüllt sein. Die Provisionsverluste des Handelsvertreters sind kein eigenständiges Kriterium mehr, sondern nunmehr im Rahmen der Billigkeit zu berücksichtigen. Die Höhe des Ausgleichsanspruchs ergibt sich somit aus den Vorteilen des Unternehmers und den Billigkeitskriterien. Hieraus errechnet sich der so genannte "Rohausgleich":

a) Vorteile des Unternehmers

Im Rahmen einer Prognose ist zu ermitteln, welche erheblichen wirtschaftlichen Vorteile der Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses aus jenen Geschäftsverbindungen voraussichtlich hat, die der Handelsvertreter aufgebaut oder wesentlich intensiviert hat (Neukunden und intensivierte Altkunden, unter Umständen auch reaktivierte Altkunden). Einen konkreten Zeitraum, innerhalb dessen diese Gewinnmöglichkeiten berücksichtigt werden müssen, nennt das Gesetz nicht; maßgebend sind die Umstände des Einzelfalles.

b) Billigkeitskriterien

Zahlreiche andere Umstände können unter Billigkeitsaspekten die Höhe des Rohausgleichs beeinflussen. Hierzu gehören können zum Beispiel eine vom Unternehmer finanzierte zusätzliche Altersversorgung für den Handelsvertreter, die wirtschaftliche und soziale Lage der Vertragsparteien oder die konjunkturelle Situation. Dabei sind die Provisionsverluste vorrangig zu berücksichtigen.
Bei den Provisionsverlusten ist regelmäßig zu ermitteln, welche (Vermittlungs-, nicht Verwaltungs-)Provisionen der Handelsvertreter aus Geschäften mit den von ihm geworbenen Neukunden und intensivierten Altkunden im letzten Vertragsjahr erzielt hat und wie viele Jahre lang er voraussichtlich die Geschäftsbeziehungen aufrechterhalten hätte. Als Prognosezeiträume sind hier regelmäßig zwei bis drei Jahre, im Einzelfall bis zu fünf Jahren zu berücksichtigen. Voraussichtliche Umsatzrückgänge und Kundenabwanderungen sind mindernd zu beachten; reine Einmal-Geschäfte begründen regelmäßig keine Provisionsverluste. Bei der Errechnung ist eine Abzinsung zu berücksichtigen.

6. Gibt es eine Höchstgrenze?

Der zunächst ermittelte Rohausgleich kann somit eine Jahresprovision über- oder unterschreiten. Überschreitet er eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit berechnete Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung, so ist der Ausgleichsanspruch auf maximal eine Jahresvergütung zu kürzen. Dauerte das Vertragsverhältnis weniger als fünf Jahre, so ist der Durchschnitt während der Dauer des Vertragsverhältnisses maßgebend. Bedingt durch die gesetzliche Neuregelung kann der Ausgleichsanspruch die aufgrund des Vertragsendes entstehenden Provisionsverluste zum Vorteil des Handelsvertreters übersteigen (§ 89b Abs. 2 HGB).

7. Berechnungsbeispiel

Der Handelsvertreter hat in den letzten zwölf Monaten seines Vertragsverhältnisses (=Basisjahr) 100.000 Euro an Provisionen mit von ihm neu geworbenen Mehrfachkunden verdient. Die Abwanderungsquote betrug in der Vergangenheit rund 20 Prozent jährlich. Aufgrund der relativen Beständigkeit der Geschäftsbeziehungen wird der Prognosezeitraum mit vier Jahren festgelegt. In den letzten fünf Jahren hat der Handelsvertreter insgesamt Provisionen in Höhe von 550.000 Euro erhalten.

1. Schritt: Prognoseberechnung

1. Prognosejahr: 100.000,00 Euro ./. 20 Prozent Abwanderung = 80.000,00 Euro
2. Prognosejahr: 80.000,00 Euro ./. 20 Prozent Abwanderung = 64.000,00 Euro
3. Prognosejahr: 64.000,00 Euro ./. 20 Prozent Abwanderung = 51.200,00 Euro
4. Prognosejahr: 51.200,00 Euro ./. 20 Prozent Abwanderung = 40.960,00 Euro
Summe: 236.160,00 Euro
Abgezinst 10%: 212.544 Euro
Die Prognoseberechnung ergibt mithin einen Ausgleich in Höhe von 212.544 Euro.

2. Schritt: Vergleich mit dem Höchstbetrag

Der Ausgleichsanspruch ist der Höhe nach beschränkt auf eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit berechneten Jahresprovision.
Provision aus den letzten fünf Jahren: 550.000,00 Euro
Durchschnitt: 550.000,00 Euro : 5 Jahre = 110.000,00 Euro
Vergleicht man den nach der Prognoseberechnung ermittelte Ausgleichsbetrag mit dem Höchstbetrag so zeigt sich, dass der Ausgleichsbetrag den Höchstbetrag übersteigt. Der Ausgleich wird deshalb durch den Höchstbetrag begrenzt. Der Handelsvertreter kann als Ausgleich gemäß § 89 b HGB einen Betrag in Höhe von 110.000,00 Euro verlangen.

8. Was gilt für Versicherungs- und Bausparkassenvertreter?

Besonderheiten gelten gemäß § 89b Abs. 5 HGB für Versicherungs- und Bausparkassenvertreter: an die Stelle der Geschäftsverbindung mit Neukunden, die der Vertreter gewonnen hat, tritt die Vermittlung neuer oder wesentliche Erweiterung bestehender Versicherungsverträge. Die Höchstgrenze beträgt hier drei Jahresprovisionen oder -vergütungen. In der Praxis erhebliche Bedeutung haben hier die "Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs im Sach-, Lebens-, Krankenversicherungs-, Bauspar- und Finanzdienstleistungsbereich". 
Stand: Juli 2021
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