Schiedsgerichtsordnung der IHK Wiesbaden

Gemäß Beschluss der Vollversammlung vom 12. November 1971; 17. Dezember 1984; 9. Dezember 1987, 15. Dezember 1999, 6. März 2006
§ 1
Geltung
Diese Schiedsgerichtsordnung findet auf Streitigkeiten Anwendung, die nach § 1025 ZPO wirksam durch ein Schiedsgericht geregelt werden könnten und gemäß der Vereinbarung der Parteien unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges durch ein Schiedsgericht nach den Bestimmungen der nachstehenden Schiedsgerichtsordnung entschieden werden sollen. Die Schiedsgerichtsordnung wird, soweit sie nicht abweichende Bestimmungen enthält, durch die §§ 1025 bis 1066 ZPO ergänzt.
§ 2
Das Schiedsgericht
Sitz des Schiedsgerichts ist Wiesbaden. Das Schiedsgericht tagt im Gebäude der Industrie- und Handelskammer. Ein anderer Tagungsort kann durch Vereinbarung der Parteien bestimmt werden, wenn dadurch eine Beschleunigung des Verfahrens zu erwarten ist.
§ 3
(1) Das Schiedsgericht besteht aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern, es sei denn, die Parteien beantragen die Bestellung eines Einzelschiedsrichters oder erklären sich binnen einer Frist von zwei Wochen mit einem dahingehenden Vorschlag der Industrie-und
Handelskammer Wiesbaden einverstanden.
(2) Grundsätzlich werden die Schiedsrichter von der Industrie- und Handelskammer Wiesbaden ernannt. Durch Vereinbarung der Parteien kann die Benennung der Beisitzer den Parteien überlassen werden. In diesem Fall wählt jede Partei einen Schiedsrichter. Die Ernennung des Vorsitzenden bleibt der Industrie- und Handelskammer vorbehalten. Dieser muss die Befähigung zum Richteramt haben.
(3) Zur Erleichterung der Benennung von sachverständigen Beisitzern durch die streitenden Parteien stellt die Industrie- und Handelskammer eine Liste der Schiedsrichter zur Verfügung, die sich mit der Übernahme dieses Amtes ausdrücklich einverstanden erklärt haben. Benennen die Parteien innerhalb von zwei Wochen nach Anrufung des Schiedsgerichtes keinen Beisitzer, erfolgt die Zusammenstellung des Gerichtes durch die Kammer.
§ 4
(1) Als Schiedsrichter sollen nur solche Persönlichkeiten bestimmt werden, die vermögens ihrer Kenntnisse und Erfahrungen in Hinsicht auf den Streitfall für das Amt des Schiedsrichters besonders geeignet sind.
(2) Der Schiedsrichter ist nicht Parteivertreter, sondern hat das ihm übertragene Amt nach bestem Wissen und Gewissen unparteiisch wahrzunehmen.
(3) Nach Übernahme des Amtes darf der Schiedsrichter weder eine der Parteien beraten
noch persönlich mit einer der Parteien in Fühlung treten.
§ 5
Beginn des Verfahrens
(1) Die Einleitung des Schiedsgerichtsverfahrens erfolgt durch Mitteilung der Parteien und des Streitgegenstandes an die Industrie- und Handelskammer.
(2) Nach Eingang des Antrages wird das Schiedsgericht gemäß § 3 der Schiedsgerichtsordnung baldmöglichst gebildet.
§ 6
(1) Der Schiedsrichter hat sich unverzüglich, nachdem er von seiner Ernennung unterrichtet ist, über die Annahme des Amtes zu erklären.
(2) Er ist verpflichtet, das ihm angetragene Amt ohne Verzug abzulehnen, wenn er vom Ausgang des Streites materiell berührt wird, wenn einer der anderen Gründe des § 41 ZPO vorliegt oder wenn er sich aus irgendeinem Grunde befangen fühlt. Wer nicht in der Lage ist, das Amt des Schiedsrichters ohne Verzug auszuüben, hat es in gleicher Weise abzulehnen.
§ 7
Ablehnung der Schiedsrichter
(1) Ein Schiedsrichter kann aus denselben Gründen und unter denselben Voraussetzungen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters nach § 41 und § 42 ZPO berechtigen. Die Ablehnung kann außerdem erfolgen, wenn der Schiedsrichter die Erfüllung seiner Pflichten ungebührlich verzögert hat. Ein Schiedsrichter kann zudem gemäß § 1037 Abs. 1 ZPO aus den von den Parteien vereinbarten Gründen abgelehnt werden.
(2) Eine Ablehnung durch eine Partei ist nicht mehr möglich, wenn sie sich, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in der Verhandlung zur Sache eingelassen hat.
§ 8
Wird ein Schiedsrichter oder der Vorsitzende mit Erfolg abgelehnt, benennt die Industrie- und Handelskammer den neuen Schiedsrichter nach Anhörung der Parteien.
§ 9
Wenn ein Schiedsrichter aus den in §§ 1036 bis 1038 ZPO ausgeführten Gründen wegfällt, findet das Verfahren des § 8 der Schiedsgerichtsordnung Anwendung.
§ 10
Das Verfahren
Alle Mitteilungen der Parteien oder ihrer Bevollmächtigten, die die Ernennung oder Ablehnung von Schiedsrichtern betreffen, sind durch eingeschriebene Briefe zu bewirken. Die Wirksamkeit einer Erklärung auf anderem Wege bleibt unberührt.
§ 11
Aufgabe des Schiedsgerichts ist es, den Sach- und Streitgegenstand festzustellen, die Streitigkeiten durch Herbeiführung eines Vergleichs zu schlichten oder, sofern ein solcher nicht zustande kommt, eine Entscheidung im Wege eines Schiedsspruches zu fällen.
§ 12
Dem Vorsitzenden obliegt die Leitung der gesamten schiedsgerichtlichen Geschäfte. Insbesondere führt er den Vorsitz bei den Verhandlungen und den schriftlichen Verkehr mit den Beteiligten. Er setzt nach Einholung der Ansicht der übrigen Schiedsrichter die Termine fest, erlässt die erforderlichen Ladungen und fordert die von ihm für notwendig erachteten Kostenvorschüsse ein.
§ 13
Die IHK Wiesbaden hat das Recht, zur mündlichen Verhandlung einen Beobachter zu entsenden. Der Beobachter muss Mitglied der Geschäftsführung sein oder die Befähigung vom Richteramt aufweisen. Er ist nicht stimmberechtigt.
§ 14
In dem Verfahren sind die Parteien zu hören. Im Übrigen wird das Verfahren von dem Schiedsgericht nach freiem Ermessen bestimmt. Die Bestimmung der Formen und Grenzen für die Ermittlung des Sachverhaltes unterliegt lediglich dem Ermessen des Schiedsgerichts, soweit nicht diese Schiedsgerichtsordnung oder das Gesetz entgegenstehende Bestimmungen enthalten. Vor Erlass des Schiedsspruches soll eine Schlussverhandlung mit den Parteien stattfinden, wenn diese hierauf nicht ausdrücklich verzichten. Diese Verhandlung ist in der Regel mündlich. Sie kann durch Schriftsätze vorbereitet werden. In der Verhandlung ist den Parteien, soweit sie anwesend oder ordnungsgemäß vertreten sind, Gelegenheit zu geben, das, was ihnen zur Wahrnehmung ihrer Rechte geeignet erscheint, vorzubringen.
§ 15
Erscheint in einem zur mündlichen Verhandlung bestimmten Termin trotz rechtzeitiger Ladung weder die Partei selbst noch ein von ihr ordnungsgemäß bestellter Vertreter, so darf das Schiedsgericht annehmen, dass die Partei keine oder keine weiteren Erklärungen abzugeben
habe.
§ 16
Im Verlaufe des Verfahrens sind den Parteien die gegnerischen Erklärungen und Anträge in Abschrift oder Urschrift zu übermitteln. Es ist dabei auf alle neuen, vom Schiedsgericht für die Entscheidung des Streites für wesentlich erachteten Tatsachen oder Gesichtspunkte hinzuweisen.
§ 17
(1) Das Schiedsgericht ist in Bezug auf die Ermittlung von Tatsachen und die Erhebung von Beweisen an die Beweisanträge der Parteien nicht gebunden. Es kann nach seinem Ermessen Zeugen und Sachverständige vernehmen, Beweise auf andere Art erheben oder Eide, die von einer Partei zu leisten sind, festsetzen. Das Schiedsgericht ist dabei in der Auswahl von Sachverständigen nicht an den Kreis öffentlich beeidigter Sachverständiger gebunden, sondern soll diese Auswahl nach freiem Ermessen je nach Art und Bedeutung des Streitfalles treffen.
(2) Zur Beeidigung eines Zeugen oder Sachverständigen oder zur eidlichen Parteivernehmung ist das Schiedsgericht nicht befugt, es kann jedoch von einer Partei verlangen, dass diese die für erforderlich erachteten richterlichen Handlungen bei dem zuständigen Gericht beantragt. Wird diesem Verlangen nicht entsprochen, so ist das Schiedsgericht befugt, aus der Unterlassung ihm gerechtfertigt erscheinende Schlussfolgerungen zu ziehen.
§ 18
(1) Über eine mündliche Verhandlung vor dem Schiedsgericht ist eine Niederschrift aufzunehmen. In dieser sind die Anträge der Parteien und ihr sonstiges Vorbringen zu vermerken, soweit es in den Schriftsätzen der Parteien nicht enthalten ist. Auch über die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen und über die Vornahme von Ortsbesichtigungen sind Niederschriften aufzunehmen. Sämtliche Niederschriften sind von allen Schiedsrichtern zu unterzeichnen.
(2) Sind vom Schiedsgericht einzelne Schiedsrichter mit der Vornahme einer Beweisaufnahme beauftragt, so haben diese die entsprechende Niederschrift zu vollziehen.
§ 19
Wird zwischen den Parteien ein Vergleich geschlossen, so ist hierüber eine Niederschrift vorzunehmen. Die Niederschrift ist den Parteien vorzulesen. Dass dies geschehen ist, ist in ihr zu vermerken. Die Niederschrift ist von den Schiedsrichtern und auch von den Parteien
zu unterzeichnen.
§ 20
Der Schiedsrichter sowie die Sachverständigen und sonstige vom Schiedsgericht hinzugezogene Personen sind zur Geheimhaltung der ihn durch ihre Tätigkeit im schiedsrichterlichen Verfahren bekannt gewordenen Tatsachen verpflichtet.
§ 21
Die Vertretung der Parteien durch Bevollmächtigte ist zulässig; die Kosten der Vertretung regeln sich nach den Grundsätzen der ZPO (§ 91 Abs. II).
§ 22
(1) Erachtet das Schiedsgericht den Sachverhalt für ausreichend geklärt, so hat es ohne Verzug den Schiedsspruch im Rahmen der gestellten Anträge zu erlassen d.h. nach seiner gewissenhaften Überzeugung und auch seinem billigen Ermessen zu bestimmen, was unter den Parteien in Bezug auf ihren Streit rechtens sein soll, und diese Bestimmung zu begründen. Der Schiedsspruch hat sich auf das gesamte zwischen den Parteien streitig gewordene Rechtsverhältnis zu erstrecken.
(2) Außerdem hat das Schiedsgericht darüber zu befinden, wer die Kosten des schiedsrichterlichen Verfahrens zu tragen hat, und zwar auch dann, wenn der Streit in der Hauptsache seine Erledigung in anderer Weise als durch Schiedsspruch gefunden hat.
§ 23
(1) Beschlüsse des Schiedsgerichts werden mit Stimmenmehrheit gefasst.
(2) Bei der Beratung und Beschlussfassung über den Schiedsspruch dürfen nur die Schiedsrichter anwesend sein.
(3) Der Schiedsspruch ist schriftlich abzufassen. Er hat zu enthalten:
a) die Bezeichnung der Parteien und der Schiedsrichter,
b) die Entscheidung dessen, was zwischen den Parteien rechtens sein soll,
c) den Tatbestand und die Begründung der Entscheidung,
d) das Datum der Abfassung des Schiedsspruches,
e) die Unterschriften sämtlicher Schiedsrichter,
f) die Entscheidung des Gerichts über die Höhe des Streitwertes.
§ 24
Je eine von sämtlichen Schiedsrichtern unterschriebene Ausfertigung des Schiedsspruches ist den Parteien zu übersenden.
§ 25
Der Schiedsspruch hat unter den Parteien die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils (§ 1055 ZPO).
§ 26
Für die von den Schiedsrichtern erforderlich erachteten richterlichen Handlungen ist das Amtsgericht Wiesbaden zuständig. Für die gerichtlichen Entscheidungen über die Ablehnung von Schiedsrichtern, über die in §§ 1032, 1034, 1035, 1037, 1041, 1059, 1060 und 1061 bezeichneten Beschlüsse sowie der Aufhebung und Vollstreckbarkeitserklärung von Schiedssprüchen ist das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zuständig.
§ 27
Kosten und Gebühren
Die Kosten und Gebühren richten sich nach dem Rechtsanwaltsgebührengesetz.
§ 28
(1) Wird ein Vergleich geschlossen, bei dem das Schiedsgericht mitwirkt, tritt eine Ermäßigung der Gebühr ein.
(2) Bei Rücknahme der Klage vor der mündlichen Verhandlung wird die Gebühr auf die Hälfte ermäßigt.
§ 29
(1) Die tatsächlich entstandenen Unkosten werden gesondert erstattet.
(2) Die Leistungen der Gehilfen (Protokollführer usw.) werden deren Stellung entsprechend berechnet und vergütet.
§ 30
Für die Entschädigung von Sachverständigen und Zeugen gilt das Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz.
§ 31
Abschluss des Verfahrens
Nach Abschluss des Schiedsgerichtsverfahrens übergibt der Vorsitzende die entstandenen Akten der Industrie- und Handelskammer, soweit sie nicht den Beteiligten auf Antrag zurückgegeben werden. Die Industrie- und Handelskammer hat die Akten zehn Jahre lang aufzubewahren.
§ 32
Die Schiedsgerichtsordnung der Industrie- und Handelskammer Wiesbaden tritt einen Tag nach Verkündung in Kraft.
Veröffentlicht in der "Hessischen Wirtschaft" vom 1. Dezember 1971, Seite 495; April 1985, Seite 6; 10. Januar 1988, Seite 9., 10. Februar 2000, Seite 24.