Reisegewerbe
Reisegewerbe
Eine Reisegewerbetätigkeit übt aus, wer "in eigener Person" außerhalb seiner eigenen Niederlassung (oder der Niederlassung seines Arbeitgebers) Waren oder gewerbliche Leistungen anbietet oder Bestellungen aufnimmt, ohne dass er dazu von dem bzw. den Kunden aufgefordert wurde. Eine solche Tätigkeit ist grundsätzlich reisegewerbekartenpflichtig.
Im Gegensatz zu den sonstigen Regelungen der Gewerbeordnung, die nur für selbständige Gewerbetreibende gelten, finden die Vorschriften über das Reisegewerbe auch auf angestellte Mitarbeiter Anwendung, die für ihren Arbeitgeber außerhalb der Verkaufsstelle des Unternehmens Waren oder gewerbliche Leistungen anbieten, sofern sie dazu von den Kunden nicht aufgefordert (bestellt) wurden.
Ein angestellter Mitarbeiter kann daher ebenso wie der Betriebsinhaber selbst „Reisegewerbetreibender“ sein. Er benötigt dann wie der Inhaber des Unternehmens eine Reisegewerbekarte. Wer als Betriebsinhaber mit der Ausübung des Reisegewerbes aber nur seine Mitarbeiter beauftragt, ohne selbst „in eigener Person“ tätig zu werden, benötigt keine Reisegewerbekarte.
Die Reisegewerbekarte ist bei dem Ordnungsamt der Stadt- bzw. Gemeindeverwaltung zu beantragen, in deren Bezirk der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Grundsätzlich wird die Reisegewerbekarte erteilt, wenn der Antragsteller die erforderliche persönliche Zuverlässigkeit besitzt. Nur dann, wenn der Vertrieb von Waren oder das Anbieten von Leistungen besonderen Erlaubnispflichten unterliegt, sind im Einzelfall von selbständigen Reisegewerbetreibenden auch diese weiteren Anforderungen zu erfüllen.
Der Inhaber einer Reisegewerbekarte hat diese bei der Ausübung seiner Tätigkeit ständig mitzuführen und auf Verlangen den Beauftragten der zuständigen Behörde vorzuzeigen.
Befreiungen von der Reisegewerbekarte
Nicht erforderlich ist eine Reisegewerbekarte allerdings, wenn lediglich andere Gewerbetreibende oder auch Freiberufler bzw. vergleichbare Berufsgruppen im Rahmen ihres Geschäftsbetriebes aufgesucht werden.
Darüber hinaus sind folgende Tätigkeiten reisgewerbekartenfrei:
- das Feilbieten von Waren anlässlich von Messen, Ausstellungen, öffentlichen Festen oder aus besonderem Anlass mit Erlaubnis der zuständigen Behörde;
- der Vertrieb selbst gewonnener Erzeugnisse der Land- und Forstwirtschaft, des Gemüse-, Obst- und Gartenbaus, der Geflügelzucht und Imkerei sowie der Jagd und Fischerei (dies gilt auch für die in dem Erzeugerbetrieb beschäftigten Personen);
- der Vertrieb von Milch und Milcherzeugnissen, sofern eine Erlaubnis nach § 4 Milch- und Margarinegesetz vorliegt (dies gilt auch für die in dem Gewerbebetrieb beschäftigten Personen);
- die Vermittlung und der Abschluss von Versicherungs- und Bausparkassenverträgen;
- Bewachungs-, Versteigerer- und Maklertätigkeiten mit entsprechender Erlaubnis (dies gilt auch für die in dem Betrieb beschäftigten Personen);
- der An- und Verkauf, das Anbieten und die Aufnahme von Bestellungen (Waren und Leistungen) in der Gemeinde des Wohnsitzes oder der gewerblichen Niederlassung, sofern diese nicht mehr als 10.000 Einwohner zählt;
- der regelmäßige Vertrieb von Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs in kürzeren Zeitabständen an derselben Stelle;
- das Feilbieten von Druckwerken auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten. Das gilt aber nicht für Zeitschriftenwerber, die von Haus zu Haus gehen um Zeitschriftenbestellungen aufzunehmen.
- Sofern die drei letztgenannten Tätigkeiten nur im Reisegewerbe ausgeübt werden, ist aber analog dem stationären Gewerbe eine Gewerbeanmeldung beim Ordnungsamt zu erstatten.
Vertriebsverbote im Reisegewerbe
Unabhängig davon ob eine Reisegewerbekarte erforderlich ist oder nicht, ist zu beachten, dass verschiedene Tätigkeiten im Reisegewerbe ausdrücklich verboten sind. Das gilt für
- den Vertrieb von Giften und gifthaltigen Waren (ausgenommen die Aufnahme von Bestellungen auf Pflanzenschutzmittel, Schädlingsbekämpfungsmittel und Holzschutzmittel, für die nach baurechtlichen Vorschriften ein Prüfbescheid mit Prüfzeichen erstellt worden ist);
- den Vertrieb von Bruchbändern, medizinischen Leibbinden, Stützapparaten und Bandagen, orthopädischen Fußstützen, Brillen und Augengläsern (ausgenommen Schutzbrillen und Fertiglesebrillen);
- den Vertrieb von elektromedizinischen Geräten einschließlich elektronischer Hörgeräte (ausgenommen Geräte mit unmittelbarer Wärmeeinwirkung);
- den Vertrieb von Wertpapieren, Lotterielosen, Bezugs- und Anteilscheinen auf Wertpapiere und Lotterielose (ausgenommen der Verkauf von Lotterielosen im Rahmen genehmigter Lotterien zu gemeinnützigen Zwecken auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder anderen öffentlichen Orten);
- den Vertrieb von Schriften unter der Zusicherung von Prämien oder Gewinnen;
- das Feilbieten und den Ankauf von Edelmetallen - Gold, Silber, Platin, Platinbeimetalle - und edelmetallhaltigen Legierungen in jeder Form sowie Waren mit Edelmetallauflagen (ausgenommen Silberschmuck bis zu einem Verkaufspreis von 40 Euro und Waren mit Silberauflagen);
- das Feilbieten und den Ankauf von Edelsteinen, Schmucksteinen, synthetischen Steinen, Perlen;
- das Feilbieten von geistigen Getränken (ausgenommen sind Bier und Wein in fest verschlossenen Behältnissen sowie alkoholische Getränke, soweit sie aus selbstgewonnenen Erzeugnissen des Weinbaus, der Landwirtschaft oder des Obst- und Gartenbaus hergestellt wurden und durch den Urproduzenten selbst auch das Feilbieten von nicht selbst vergorenen zugekauften Likören und Geisten aus Obst, Pflanzen und anderen landwirtschaftlichen Ausgangserzeugnissen);
- den Abschluss sowie die Vermittlung von Rückkaufgeschäften (§ 34 Abs. 4 Gewerbeordnung) und die für den Darlehensnehmer entgeltliche Vermittlung von Darlehensgeschäften.
Diese Vertriebsverbote gelten aber nicht, wenn ausschließlich andere Personen im Rahmen ihres Geschäftsbetriebes aufgesucht werden. Verboten ist jedoch insoweit das Feilbieten von Bäumen, Sträuchern und Rebpflanzengut bei land- und forstwirtschaftlichen Betrieben sowie Betrieben des Obst-, Garten- und Weinanbaues.
Auf Antrag können die zuständigen Behörden im Einzelfall Ausnahmen zu den Verboten zulassen. In Hessen sind das die Verwaltungen der Landkreise und kreisfreien Städte.
Besondere Anzeigepflicht bei Wanderlagern
Auch Verkaufsveranstaltungen, die ein Reisegewerbetreibender oder ein stationärer Gewerbetreibender außerhalb seiner gewerblichen Niederlassung durchführt, zum Beispiel in Gaststättennebenräumen, sind Tätigkeiten im Reisegewerbe. Bei derartigen Wanderlagern müssen dann alle vor Ort aktiv am Verkauf beteiligten Personen im Besitz einer Reisegewerbekarte sein, also der Unternehmer selbst und zusätzlich die bei der Veranstaltung eingesetzten Verkaufsmitarbeiter. Das gilt für Wanderlagerveranstaltungen am Wohn- und/oder Betriebssitz aber nur dann, wenn diese Gemeinde mehr als 10.000 Einwohner zählt.
Wenn auf die Verkaufsveranstaltung öffentlich hingewiesen werden soll, zum Beispiel durch Postwurfsendung oder Zeitungsanzeige, ist das Wanderlager - unabhängig von dem Erfordernis einer Reisegewerbekarte für jede Verkaufsperson - spätestens zwei Wochen vor Veranstaltungsbeginn bei der für den Veranstaltungsort zuständigen Kreisverwaltung, in kreisfreien Städten bei der Stadtverwaltung, anzuzeigen.
Die Anzeige hat folgende Angaben zu enthalten:
- Ort (mit genauer Anschrift) und Zeit (auch Öffnungszeiten) der Veranstaltung,
- den Namen und die Wohn- bzw. Betriebssitzanschrift des vor Ort zuständigen Veranstaltungsleiters (Reisegewerbetreibenden) und
- den Namen und die Wohn- bzw. Betriebssitzanschrift desjenigen, für dessen Rechnung die Waren vertrieben werden sowie
- den Wortlaut und die Art der beabsichtigten Werbung. Dabei ist unter anderem zu beachten, dass in der Werbung, das heißt in sämtlichen öffentlichen Ankündigungen für die Veranstaltung, auch der Vor- und Familienname oder die im Handelsregister eingetragene Firmenbezeichnung des Gewerbetreibenden angegeben wird, in dessen Namen die Geschäfte abgeschlossen werden sollen. Auch sind in den öffentlichen Ankündigungen immer die Art der vertriebenen Ware und der Ort der Veranstaltung anzugeben.
Sowohl die Anzeige als auch die Werbung sind in zweifacher Ausfertigung einzureichen, damit eine gewerbe- und wettbewerbsrechtliche Überprüfung durch die zuständige Industrie- und Handelskammer möglich ist. Denn diese erhält von den Ordnungsbehörden die Zweitausfertigung der Anzeige mit der beabsichtigten Werbung zur Prüfung.
Neben den allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Kriterien wird die IHK insbesondere prüfen, ob aus der Werbung deutlich wird, in wessen Namen welche Waren zum Verkauf kommen sollen und ob unentgeltliche Zuwendungen (Waren oder Leistungen), einschließlich Preisausschreiben, Verlosungen und Ausspielungen angekündigt werden. Denn dies ist im Zusammenhang mit Wanderlagern immer unzulässig - unabhängig von der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit - und führt in der Regel auch zur Untersagung der Veranstaltung, wenn die Werbung nicht abgeändert wird.
In Zweifelsfällen sollten deshalb Unternehmen, die Wanderlagerveranstaltungen durchführen wollen, mit der für den Veranstaltungsort zuständigen IHK frühzeitig Kontakt aufnehmen, damit die beabsichtigte Werbung vor Beginn der zweiwöchigen Anzeigefrist auf ihre Zulässigkeit überprüft und ggf. auch noch korrigiert werden kann.
Antrag auf Sondernutzung
Wenn die Ausübung des Reisegewerbes auf öffentlichen Wegen oder Plätzen vorgesehen ist, bedarf eine solche Sondernutzung der Zustimmung der örtlich zuständigen Stadt bzw. Gemeinde. In größeren Gemeinden und in Städten ist die gewerbliche Nutzung öffentlicher Plätze in der Regel durch eine Sondernutzungssatzung geregelt. Für entsprechende Tätigkeiten auf Privatgelände ist selbstverständlich das Einverständnis des Eigentümers erforderlich.
Schaustellertätigkeiten
Auch Tätigkeiten als Schausteller oder nach Schaustellerart sind reisegewerbekartenpflichtig. Die Reisegewerbekarte wird jedoch nur von selbständigen Schaustellern benötigt, auch dann, wenn sie diese nicht selbst „in eigener Person“ vor Ort ausüben. Selbständige Schausteller haben den in ihrem Betrieb beschäftigten Personen eine Zweitschrift dieser Reisegewerbekarte auszuhändigen, die die Mitarbeiter bei der Ausübung ihrer Tätigkeit ständig mitführen und auf Verlangen den zuständigen Ordnungsbehörden vorzeigen müssen. Dies gilt auch für den Inhaber der Reisegewerbekarte, wenn er die Tätigkeit vor Ort selbst ausübt.
Für bestimmte Schaustellerleistungen im Reisegewerbe ist eine Haftpflichtversicherung mit Mindestversicherungssummen vorgeschrieben. Dies gilt für
- Schaustellergeschäfte, mit denen Personen befördert oder bewegt werden;
- Schießgeschäfte;
- Schaufahren mit Kraftfahrzeugen und Steilwandbahnen;
- Zirkusse;
- Schaustellungen von gefährlichen Tieren;
- Reitbetriebe.
Auch diese Versicherungsunterlagen sind bei der Tätigkeit mitzuführen und auf Verlangen den Beauftragten der zuständigen Behörde vorzuzeigen.
Beachtung des Ladenschlussgesetzes und der Sonn- und Feiertagsgesetze
Für das gewerbliche Feilhalten von Waren im Reisegewerbe sind, wie im stationären Gewerbe, die nach dem Hessischen Ladenöffnungsgesetz zulässigen Zeiten zu beachten. Das gleiche gilt für die Ausstellung von Mustern, Proben o. ä., wenn dazu Räume benutzt werden, die für diesen Zweck besonders bereit gestellt sind, und dabei Warenbestellungen entgegen genommen werden. Unabhängig davon sind auch im Reisegewerbe an Sonn- und Feiertagen alle öffentlich bemerkbaren Tätigkeiten verboten, die werktäglichen Charakter haben, sofern nach dem Hessischen Feiertagsgesetz nicht ausdrücklich Ausnahmen zulassen, wie zum Beispiel im Gastgewerbe und in Verkehrsbetrieben.
Marktverkehr
Den Vertrieb über Messen, Ausstellungen, Großmärkte, Wochenmärkte, Jahr- und Spezialmärkte und die Tätigkeiten auf behördlich festgesetzten Volksfesten fasst man unter dem Begriff Marktverkehr zusammen. Der Gesetzgeber hat die einzelnen Veranstaltungstypen begrifflich definiert und auch weitgehend festgelegt, welche Tätigkeiten dort ausgeübt werden können.
Veranstalter einer Messe, einer Ausstellung, eines Marktes oder auch eines Volksfestes kann jede natürliche oder juristische Person sein, auch eine Kommune, Stadt oder Gemeinde. Messen und Ausstellungen sowie Jahr- und Spezialmärkte werden meist von privaten Veranstaltern organisiert und durchgeführt; Wochenmärkte und Volksfeste in der Regel von der jeweiligen Stadt bzw. Gemeinde.
In der Regel wird das Marktgewerbe nur in Ergänzung einer anderen Tätigkeit im stationären und/oder im Reisegewerbe ausgeübt. Marktgewerbetreibende, das heißt Anbieter und Aussteller bei derartigen Veranstaltungen können aber auch andere Berufsgruppen sein, zum Beispiel Landwirte, Freiberufler oder sogar Privatpersonen, die einmalig oder nur ganz selten Waren aus ihrem Privatbesitz anbieten.
Das Marktrecht privilegiert derartige Tätigkeiten, da bestimmte Vorschriften, die für das stationäre oder das Reisegewerbe gelten, keine Anwendung finden, zum Beispiel
- das Ladenschluss- und das Sonn- und Feiertagsgesetz (ausgenommen bei Wochenmärkten und bei Großmärkten in den Zeiten, in denen Letztverbraucher zum Kauf zugelassen werden);
- die Reisegewerbekartenpflicht (ausgenommen für Schausteller);
- die Höchstarbeitszeit und die Nachtarbeit für Frauen;
- das Verbot, Jugendliche an Samstagen zu beschäftigen;
- das Verbot der Beschäftigung von Arbeitnehmern im Handelsgewerbe an Sonn- und Feiertagen.
Diese Befreiungen gelten aber nur für behördlich nach Titel IV Gewerbeordnung festgesetzte Veranstaltungen und nicht für sog. Privatmärkte, die den Vorschriften des Reisegewerbes und darüber hinaus auch dem Ladenschlussgesetz und dem Sonn- und Feiertagsgesetz unterliegen.
Wer sich als Aussteller an einer Marktveranstaltung beteiligen will, sollte sich deshalb bei dem Veranstalter vergewissern, ob der Markt behördlich festgesetzt ist, da er nur dann die „Marktprivilegien“ für sich in Anspruch nehmen kann.
Wer Marktveranstaltungen gewerblich organisiert und durchführt, hat dies als stationäres Gewerbe bei seiner Betriebssitzbehörde (Stadt- oder Gemeindeverwaltung) anzuzeigen und unabhängig davon für jede einzelne Marktveranstaltung die Genehmigung und Festsetzung entsprechend ihrem Veranstaltungscharakter - unabhängig von der erforderlichen Sondernutzungsgenehmigung - bei der für den Veranstaltungsort zuständigen Stadt- oder Gemeindeverwaltung zu beantragen. Wer dies nicht beachtet, setzt sich sowohl öffentlich-rechtlichen Sanktionen als auch zivilrechtlichen Unterlassungs- und Schadenersatzansprüchen aus.