„Vollbremsung auf dem Ostfeld“

IHK Wiesbaden positioniert sich neu zur Schaffung von Gewerbeflächen

16. Januar 2024 – Die Industrie- und Handelskammer Wiesbaden hat in ihrer jüngsten Vollversammlung eine kritische Neubewertung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) Ostfeld vorgenommen.
„Die zunächst für das Ostfeld angedachte Mischung aus Wohnen, Arbeiten, Kultur- und Naturraum wurde zu Lasten der Wirtschaft erheblich verändert. Die erfolgten Anpassungen sind ein herber Rückschlag für die Entwicklung neuer, dringend notwendiger Gewerbeflächen“, so Dr. Christian Gastl, Präsident der IHK Wiesbaden.
Die 2017 initiierte und 2020 beschlossene Maßnahme wurde von der IHK-Vollversammlung in der Vergangenheit als starke Perspektive für die wirtschaftliche Entwicklung der Landeshauptstadt gewürdigt. Als Chancen wurden insbesondere die konkreten Entwicklungs- und Ansiedlungsmöglichkeiten für Betriebe sowie der potenzielle Beitrag zur Entlastung des Wohnungsmarktes bewertet. Die Vollversammlung forderte neben einer guten verkehrlichen Anbindung die Realisierung von vielfältigen Nutzungen auf den gewerblichen Flächen (siehe Beschluss der Vollversammlung vom 11.12.2019).
Die Rahmenbedingungen haben sich inzwischen erheblich geändert. Die ursprüngliche Planung sah von der 450 Hektar umfassenden Gesamtfläche 50 Hektar für gewerbliche Nutzungen vor. 12 bis 14 Hektar davon sollten auf den zentralen Neubaustandort des Bundeskriminalamtes entfallen. Mit der Auslobung des städtebaulichen und landschaftsplanerischen Ideenwettbewerbs im Juli 2023 wurden jedoch neue Flächenkulissen festgelegt: Aufgrund gestiegenen Bedarfs soll der neue BKA-Standort nun 26,5 Hektar beanspruchen, was alle für gewerbliche Nutzungen vorgesehenen Flächen nördlich der Bundesautobahn 66 (sog. B1-Fläche) umfasst.
Die südlich gelegene für Gewerbe und Industrie vorgesehene sog. B2-Fläche ist hin-gegen nicht mehr Bestandteil der SEM Ostfeld. Seitens SEG/Stadtplanungsamt werden hierfür eigentumsrechtliche Gründe angegeben: Da die Flächen sich bereits im Eigentum der Landeshauptstadt befinden, können sie rechtlich nicht Teil einer städte-baulichen Entwicklungsmaßnahme sein. Im Ergebnis bedeutet dies, dass im Ostfeld keinerlei Gewerbeflächen für Unternehmen entstehen werden. Vorgesehen sind lediglich kleinteilige integrierte Nutzungen im urbanen Raum („Konzept vertikaler und horizontaler Nutzungsmischung“).
Dr. Christian Gastl: „Es kann nicht sein, dass auf der einen Seite an der Gewerbesteuerschraube gedreht wird, sich aber auf der anderen keine relevanten Perspektiven für die Wirtschaft auftun. Nach der Vollbremsung auf dem Ostfeld brauchen wir nun umso mehr Nachdruck bei der Entwicklung weiterer Flächen für eine gewerbliche Nutzung.“
Vor diesem Hintergrund hat sich die Vollversammlung der IHK Wiesbaden in ihrer Sitzung am 13. Dezember 2023 neu positioniert. Der nachfolgende Beschluss wurde im Vorfeld mit dem Ausschuss Regionale Wirtschaft abgestimmt, der sich in seiner Sitzung am 17. Oktober 2023 intensiv mit dem Thema Ostfeld befasst hatte.

Beschluss der Vollversammlung der IHK Wiesbaden vom 13.12.2023

Die 2017 eingeleitete und 2020 beschlossene städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) Ostfeld bietet aus Sicht der Vollversammlung der IHK Wiesbaden grundsätzlich weiterhin eine wichtige Perspektive für die wirtschaftliche Entwicklung Wiesbadens und der gesamten Region (siehe Beschluss der Vollversammlung vom 11.12.2019). Umso mehr trifft es auf Kritik der Vollversammlung, dass das Ostfeld aufgrund der Neufestlegungen im Rahmen des im Juli 2023 eingeleiteten städtebaulichen und landschafts-planerischen Ideenwettbewerbs nach jetzigem Stand keinerlei Entwicklungs- und Ansiedlungsmöglichkeiten für Unternehmen bieten wird. Vor dem Hintergrund der Flächenbedarfe, sowohl für Neuansiedlungen als auch für Erweiterungen bereits ansässiger Unternehmen, und mit Blick auf die aktuelle Diskussion um die Entwicklung der Gewerbesteuererträge der Landeshauptstadt ist es dringend notwendig, alle Potenziale zu nutzen, um die Gewerbeflächenentwicklung mit hoher Priorität schnell voranzutreiben. Die Grundlage hierfür sollte eine detaillierte Bestands- und Potentialanalyse bilden. Auch die Schaffung von (bezahlbarem) Wohnraum ist weiterhin eine prioritäre Aufgabe, auf die die Entwicklung des Ostfeldes (geplanter Wohnraum für ca. 8.000 bis 12.000 Menschen) einzahlt. In gleicher Weise muss jedoch die Entwicklung von Gewerbeflächen verfolgt werden, wie es die ursprünglichen politischen Beschlüsse auch vorsehen. Die Vollversammlung fordert daher die unverzügliche Entwicklung der sog. B2-Fläche, die sich bereits im Eigentum der Stadt befindet, für gewerbliche Nutzungen. Ebenso müssen, insbesondere im Rahmen der bereits laufenden Neuaufstellung des Flächennutzungsplans, weitere Potenziale für eine gewerbliche Entwicklung identifi-ziert und als konkrete Entwicklungsprojekte mit Nachdruck verfolgt werden. Dies gilt insbesondere für die Perspektivfläche West. Auch bei den freiwerdenden bisherigen BKA-Flächen gilt es prioritär zu prüfen, ob diese zukünftig gewerblich genutzt werden können.
Die Umsetzung der SEM Ostfeld in der derzeit vorgesehenen Form bedingt aus Sicht der Vollversammlung der IHK Wiesbaden zwingend die Schaffung von zusammenhängenden Gewerbeflächen in angemessenem Umfang.