Alles online, oder was?!

Wie sieht die Innenstadt der Zukunft aus? – darum geht es in dieser Serie. Erster Teil: Herausforderungen und Chancen von Onlinehandel und Digitalisierung.

Ob über den eigenen Onlineshop, Amazon, eBay oder lokale Online-Marktplätze – die Möglichkeiten für Einzelhandelsbetriebe, ihre Produkte über das Internet an die Kunden zu bringen, sind im Zeitalter der Digitalisierung scheinbar grenzenlos. Aber werden sie auch genutzt? Laut der zweiten IHK-ibi-Handelsstudie „Der deutsche Einzelhandel 2020“ kann man diese Frage mit Jein beantworten. Das stationäre Ladengeschäft ist nach wie vor der wichtigste Vertriebskanal – 79 Prozent der 1.450 Befragten verkaufen ihre Produkte im eigenen Ladengeschäft. Das sind sechs Prozent weniger als noch 2017. Mittlerweile betreiben 39 Prozent der Befragten einen eigenen Onlineshop, über Amazon und eBay verkaufen zwölf beziehungsweise zehn Prozent ihre Produkte. Überregionale und lokale Online-Marktplätze spielen derweil eine untergeordnete Rolle.

Online-Vertriebsmöglichkeiten nutzen

Aktuell ist die Corona-Pandemie ein Treiber dafür, dass viele Einzelhandelsunternehmen ihre Online-Vertriebskanäle ausweiten. Doch der eigene Onlineshop, ist keineswegs von heute auf morgen aus dem Boden zu stampfen, sagt Andreas Voigtländer, IHK-Vizepräsident und Inhaber von Hut Mühlenbeck in der Mauritiusstraße. Er habe die Idee für einen eigenen Onlineshop bereits vor elf Jahren umgesetzt – zunächst auf eBay und mittlerweile auf vier Online-Kanälen die schrittweise entstanden sind. Schon Ende 2019 teilte sich der Umsatz zu gleichen Teilen in Online- und Ladengeschäft auf. Voigtländer gehört damit zu den 37 Prozent derer, die laut IHK-Studie sowohl online als auch stationär Umsatz generieren.
Laut IHK-Studie sind Zeitaufwand mit 54 Prozent und hohe Investitionskosten mit 39 Prozent die meistgenannten Hemmnisse, wenn es um die Umsetzung digitaler Maßnahmen geht. Als Alternative gibt es neben dem eigenen Onlineshop auch die Möglichkeit, lokale Marktplätze als Vertriebskanal zu nutzen. Durch den Lockdown sind bereits viele solcher Plattformen entstanden. Webseiten wie „Heimatschatz“, „Rheingau Marktplatz“ oder „IdsteinLiebe“ bieten Einzelhandels- und Dienstleistungsunternehmen eine digitale Verkaufsfläche, auf der sie Produkte und Leistungen anbieten können. Der Organisations- und Pflegeaufwand ist wesentlich geringer als bei einem eigenen Onlineshop.

Die virtuelle Customer Experience

Doch wie könnte ein Online-Einkaufserlebnis aussehen? Diese Frage stellte sich auch Laura Radermacher, Geschäftsführerin der BIRKHOVEN GmbH in Oestrich-Winkel. Zumal es für die Kunden normalerweise unabdingbar ist, die Herrenmaßbekleidung direkt in ihrem Rheingauer Atelier individuell anpassen zu lassen. „Während des Lockdowns konnten unsere Bestandskunden, einen virtuellen Termin bei uns vereinbaren. Wir haben uns dafür digital mit unseren Kunden im Atelier getroffen und sind gemeinsam die Stoffe und weitere Auswahlmöglichkeiten durchgegangen“, berichtet die Jungunternehmerin, die auch Vorstandsmitglied der Wirtschaftsjunioren Wiesbaden ist.
So hatten ihre Kunden die Möglichkeit, den gewohnten Service von Zuhause aus zu genießen. Das Angebot sei so gut angenommen worden, dass man es auch weiterhin anbieten werde, sagt Radermacher. Einen Onlineshop gibt es bisher noch nicht, aber „langfristig können wir uns eine Onlineplattform vorstellen, in der Bestandskunden auf Basis ihrer gespeicherten Körpermaße, ihren neuen Anzug oder ihr neues Hemd konfigurieren können.“
Dass Laura Radermacher mit diesem Service genau richtig liegt, wird auch durch die IHK-Studie bestätigt: Mehr als zwei Drittel der befragten Handelsunternehmen erwarten in den nächsten fünf Jahren neue Geschäftsmodelle und steigende Investitionen in Digitalisierungsthemen. Wohin die Entwicklung geht, liegt aber auch zu großen Teilen in den Händen der Kunden, meint Andreas Voigtländer. Ob sie ihr Geld vor Ort in der Region ausgeben oder bevorzugt über Onlineplattformen einkaufen, sei ihre Entscheidung.
Text: Christoph Jung und Tobias Quoika, IHK Wiesbaden