„Die Zukunft der Stadt gestalten wir nur gemeinsam“

Wie sieht die Innenstadt der Zukunft aus? – darum geht es in dieser Serie. Letzter Teil: Vier Fragen an Carola Pahl, Projektleiterin Nachhaltige Stadtlogistik der Landeshauptstadt Wiesbaden.

Frau Pahl, der Stufenplan "Nachhaltige Stadtlogistik Wiesbaden" hat in der ersten Phase verschiedene Maßnahmen für 2020-2021 vorgesehen. Inwieweit ist diese erste Phase abgeschlossen und welche Maßnahmen wurden umgesetzt?

Die Stadtverordnetenversammlung hat den Stufenplan "Nachhaltige Stadtlogistik Wiesbaden" im März 2021 beschlossen; im April wurde er der Öffentlichkeit vorgestellt. Vorausgegangen war eine Phase intensiver Beteiligung der relevanten Stakeholder, explizit Kurier-Express-Paketdienstleister (KEP), Speditionen und Einzelhandel, aber auch Wissenschaft und Politik. Bereits vor der Fertigstellung des Konzepts hat das Kompetenzteam Stadtlogistik im Tiefbau- und Vermessungsamt die Umsetzung von Maßnahmen vorangetrieben: Das Kompetenzzentrum als Ansprechpartner für die Logistikbranche, Einzelhandel, Institutionen, Behörden und Privatpersonen ist seit Sommer 2020 vollständig mit drei Personen eingerichtet. Seit April 2021 finden sich halbjährlich Logistikexpert:innen auf der Dialogplattform „Runder Tisch Stadtlogistik“ zusammen, um über die Maßnahmen der urbanen Logistik zu diskutieren, zu informieren und Neues anzustoßen.
Neue Lieferzonen werden systematisch geplant und eingerichtet, der Bestand wird erfasst. Damit sie besser ins Auge fallen, markiert das Amt alle neuen Lieferzonen mit einem türkisfarbenen Breitstrich sowie Piktogrammen. In der Regel sind die Lieferzonen mit einem absoluten Halteverbot, Lieferverkehr frei, beschildert. Zur Nachtzeit stehen sie Anwohnenden zur Verfügung. In der Moritzstraße läuft ein Pilotprojekt zur digitalen Erfassung der Vorgänge auf der Lieferzone. Mittels einer Anzeigetafel sollen Fehlbelegungen sichtbar gemacht und somit eingeschränkt werden.
Der neue Mikro Hub ist seit September 2021 auf dem Elsässer Platz in Betrieb. Aus zwei Mikro-Depots in Containern werden Pakete und Gemüsekisten per Lastenfahrrad in das angrenzende Wohngebiet ausgeliefert. Der KEP-Dienstleister DPD und der Ökokisten-Lieferservice Gesund & Munter aus Taunusstein betreiben den Hub auf eigene Kosten, der Platz wird von der Stadt zur Verfügung gestellt. Auf der Radlogistik-Konferenz im September 2021 war der neue Mikro Hub ein Exkursionsziel. GO Express + Logistics und der Kiezkurier liefern ebenfalls mit Lastenfahrrädern im Wiesbadener Stadtgebiet aus.
Seit 2018 fördern die Landeshauptstadt Wiesbaden und der ESWE Klimaschutz Innovationsfonds die Anschaffung eines Lastenfahrrads mit bis zu 1.000 Euro, insgesamt mit 100.000 Euro pro Jahr. Die Nachfrage ist groß, nach einem halben Jahr war die Fördersumme jeweils komplett abgerufen. Über die Förderung im Jahr 2022 entscheidet die Stadtverordnetenversammlung im Rahmen der Haushaltsberatungen.
Weitere Arbeitsfelder sieht das Kompetenzteam bei der Vermittlung von Logistikflächen und der Schaffung von Infrastrukturen zur optimierten Zustellung. Hierzu könnten innovative Pick-up-points in Verbindung mit weiteren Funktionen, wie Retourenmanagement, Lastenradausleihe, Kinderbetreuung und ähnlichem eingerichtet werden.

Welche Maßnahmen sieht die zweite Phase konkret vor?

In der zweiten Phase werden die Maßnahmen der Phase 1 fortgeführt. Ziel des Lieferzonenmanagements ist das schnellstmögliche Abarbeiten einer umfangreichen Liste gewünschter Lieferzonen. Sobald ein Ortsbeiratsbeschluss zur Einrichtung einer Lieferzone vorliegt, beginnt das Kompetenzteam Stadtlogistik mit der Planung und leitet die Umsetzung ein, die aufgrund vieler Beteiligter aus Politik und Verwaltung oftmals mehr Zeit in Anspruch nimmt als ursprünglich vorgesehen. Mit dem Pilotprojekt in der Moritzstraße soll die Fehlbelegung von Lieferzonen minimiert und ein Buchungssystem vorbereitet werden, für das es derzeit noch rechtliche Vorbehalte gibt.
An der Verbesserung der Radinfrastruktur arbeitet das RADBÜRO mit Hochdruck, dies umfasst auch die Infrastruktur für Lastenfahrräder. Eine Umfrage im April 2020 unter Lastenradfahrer:innen zeigt deutlich an welchen Stellen (Abstellanlagen, Radwegbreite, Untergrund) Handlungsbedarf besteht.
Für die Errichtung weiterer Mikro Hubs werden sowohl Betreiber als auch Flächen, bzw. Immobilien gesucht.

Inwieweit berücksichtigen Sie Anregungen und Forderungen der Einzelhändler, Gastronomen und allgemein der Unternehmen im Innenstadtbereich?

Das Kompetenzteam Stadtlogistik nimmt Anregungen und Forderungen von Einzelhändlern, Gastronomen und Unternehmen gerne auf. Für alle Themen der Stadtlogistik hat das Kompetenzteam ein offenes Ohr und freut sich über eine Kontaktaufnahme, bzw. eine Teilnahme am „Runden Tisch Stadtlogistik“. In der Entstehungsphase des Stufenkonzepts gab es ab Dezember 2019 für alle Interessierten die Möglichkeit am Auftakt sowie in drei Workshop-Phasen ihre Ideen und Anregungen einzubringen. In dieser Zeit wurde ein umfangreiches Netzwerk aufgebaut, das jederzeit offen für neue Ideen und Beteiligte ist.

Bis 2030 soll der Stufenplan auch in seiner letzten Phase abgeschlossen sein. Wie können wir uns die Stadtlogistik dann vorstellen?

Ziel einer nachhaltigen Stadtlogistik ist es, die Stadt schnell, zuverlässig und gleichzeitig umwelt- und stadtverträglich mit Gütern aller Art zu versorgen. In der Innenstadt soll der Lieferverkehr emissionsfrei und leise mit kleinen Fahrzeugen erfolgen. Die öffentliche Fläche soll überwiegend für spielende Kinder, Spaziergänger:innen, Radfahrende, Kultur, Handel, Gastronomie und Begrünung zur Verfügung stehen. Auch das „Zweite-Reihe-Parken“ sollte der Vergangenheit angehören. Die Umsetzung der Maßnahmen, wie Micro-Hubs, Pick-Up-Points und anbieterübergreifende Paketstationen, ist nur unter Beteiligung vieler unterschiedlicher Akteure – auch aus der Privatwirtschaft – möglich. Deshalb müssen alle zusammenarbeiten, denn die Zukunft der Stadt gestalten wir nur gemeinsam – oder gar nicht!