Die infizierte Weltwirtschaft - Neuausrichtung des Auslandsgeschäfts in Corona-Zeiten

Auf den Angebotsschock folgt bereits der Nachfrageschock. Und: Der Nachfrageschock wird deutlich tiefgreifender sein. Das Generieren von Aufträgen, Umsatz und vor allem Gewinn wird in der neuen Zeit der Pandemie-Normalität deshalb Kernaufgabe sein – auch im Auslandsgeschäft. Welche Möglichkeiten bestehen dazu kurzfristig innerhalb der nächsten 12 Monate, mittelfristig innerhalb der nächsten 2 Jahre, längerfristig innerhalb der nächsten 5 Jahre? Hier einige Gedanken und Impulse, wie es mit und nach Corona weitergehen könnte.
Zunächst lohnt ein Blick auf die eigenen Kundenbranchen. Welche davon werden sich zu welcher Zeit wie gut entwickeln? Über diese Branchensicht lohnt sich eine Ländersicht zu legen. Welche Länder und damit welche Auslandsmärkte werden sich generell wie entwickeln? Beides zusammen ergibt ein Koordinatensystem zur Orientierung, auf welche Branchen es sich in den einzelnen Auslandsmärkten besonders zu setzen lohnt. Dann stellt sich die kritische Frage: Passen meine Produkte noch zu den aussichtsreichen Kundenbranchen? Oder muss ich mir ganz neue Kundenbranchen erschließen? Kann ich meine Produkte entsprechend anpassen? Mit welchem Aufwand kann ich die angestammten oder neuen Kundenbranchen in den sich am attraktivsten entwickelnden Auslandsmärkten erschließen?
Je weniger ich die Möglichkeit habe, meine Produkte an aussichtsreiche Kunden in neuen Branchen zu liefern, desto stärker lohnt eine Ländersicht in meiner künftigen Vertriebsstrategie. In welchen Ländern dürfte es meinen Kunden in Bestandsbranchen in den genannten Zeiträumen vergleichsweise noch am besten gehen, weil es diesen Ländern vergleichsweise am besten gehen wird?

Zukunftsbranchen mit Erfolgspotenzial

Welches sind die Zukunftsbranchen, die sich in der nächsten Zeit gut entwickeln dürften? Diese Gruppe scheint eng begrenzt.
Gesundheitsschutz wird ganz oben anstehen, kurzfristig vor allem zum Eindämmen der aktuellen Covid-19-Pandemie und mittelfristig auch zum Vermeiden und Eindämmen anderer Epidemien. Dass dies notwendig ist, haben asiatische Länder bereits während der Ausbreitung des SARS-Virus in den Jahren 2002/2003 gelernt. Andere Länder lernen dies gerade durch das Coronavirus SARS-CoV-2. Wer also auf entsprechende Produkte umschalten kann, hat einen Markt.
Und zum Eindämmen ist vieles notwendig, nicht nur Desinfektionsmittel, Mund-Nase-Schutzmasken, Schutzbrillen und -kleidung oder Beatmungsgeräte für die Behandlung von akut Erkrankten. Alles, was im Bereich Social Distancing helfen kann, kann einen Markt haben. Alles, was das Arbeiten im Homeoffice erleichtert, kann einen Markt haben. Alles, was bei nicht-Homeoffice-kompatiblen Arbeiten das Social Distancing erleichtert, hat einen Markt. Für den Messebauer kann der Ladenbau, also das Umgestalten von Verkaufsräumen oder auch Lagerräumen ein neuer Markt sein. Kontaktloses Bezahlen wird zunehmen. Verpackungen, die Schmierinfektionen weniger leicht verbreiten, können bei sonst vergleichbaren Eigenschaften gegenüber anderen Verpackungen gefragter sein. Es lohnt also darüber nachzudenken, ob die eigenen Produkte einen Beitrag zu dem neu aufgetretenen Bedarf beisteuern können.
Kurzfristig werden auch alle Produkte des täglichen Bedarfs ihre Nachfrage behalten, allen voran Lebensmittel und Hygieneartikel. Ebenso alles, was uns beim Cocooning hilft, also es sich zu Hause behaglich zu machen – und das schließt den Balkon oder eigenen Garten mit ein. Dabei können parallel sowohl auf die Preisstrategie, als auch auf Qualitätsstrategie setzende Angebote ihren Markt finden. Man denke daran: Je schlechter die Zeiten, desto höher die Ausgaben für Silvesterartikel. Denn ab und zu möchte sich der Mensch etwas Kleines zwischendurch gönnen. Das schließt allerdings nicht große Anschaffungen ein. Der Kauf langlebiger Konsumgüter, wie den nächsten Pkw und vielleicht auch die nächste Küche, werden – wo immer möglich – für einige Zeit geschoben werden.
Ausnahmeeffekte bestätigen die Regel: Der erfreulich gut angelaufene Pkw-Verkauf in China sollte nicht zu gleichen Hoffnungen für den europäischen oder US-amerikanischen Automarkt führen. In China sind zum Beispiel beim Branchenprimus VW aktuell 60 Prozent der Käufer Erstkunden, die jetzt ein Auto kaufen, auch um öffentliche Verkehrsmittel in Corona-Zeiten zu meiden. In Europa und den USA ist die Zahl potentieller Erstkunden demgegenüber deutlich kleiner.

Ausbau des Dienstleistungsangebots

Wie sieht es bei Investitionsgütern und im B2B-Bereich insgesamt aus? Grundsätzlich gleich. Langfristige Investitionen in Maschinen und Anlagen finden in unsicheren Zeiten kaum statt. Was kann ich deshalb zum Beispiel als Maschinen- und Anlagenbauer tun? Kurzfristig zum Beispiel prüfen, ob ich die Möglichkeit habe, meinem Kunden statt eines Kaufs das Leasen einer Maschine anzubieten. Eine andere Option ist das noch stärkere Verlagern des konjunkturanfälligen Maschinen- und Anlagenverkaufs hin zum Dienstleistungsgeschäft. Diesen Weg sind viele Unternehmen aber bereits längst gegangen. Seit Jahren sind die meisten Maschinen- und Anlagenbauer Lösungsanbieter. Das eigene Dienstleistungsgeschäft dennoch ausbauen können wird in Corona- und auch Nach-Corona-Zeiten, wer etwa Wartungen im Idealfall als automatisierte Fernwartungen anbieten kann. Und die Reparatur auch per Ferndiagnostik über den Einsatz einer Augmented-Reality-Brille beim Kunden durchführt durch den Servicetechniker des deutschen Lieferanten von Deutschland aus. Ebenfalls die zugehörige Reparatur mit Anweisungen vom Servicetechniker und umgesetzt von einem Mitarbeiter des Kunden. Diese Entwicklung ist nicht neu, aber wer sie anbieten kann oder bald anbieten kann, ist besser am Markt positioniert. Nimmt gerade für den Kunden im Ausland dadurch doch die Sicherheit zu, Wartungs- und Reparaturleistungen auch tatsächlich zu bekommen – egal, ob Grenzen für Einsätze von Servicetechnikern gerade offen oder geschlossen sind.

Liefersicherheit gewährleisten

Liefersicherheit ist ein im Wert steigendes Gut. Wer Liefersicherheit bieten kann, wird sich in nahezu jedem Markt weltweit besser positionieren als die Konkurrenz. Das kann in Form von Pufferlagern direkt bei wichtigen Kunden oder alternativ an zentralen Standorten geschehen. Die Standorte dieser regionalen Zentrallager sollten sich durch eine möglichst geringe Anfälligkeit gegenüber externen Störungen auszeichnen, wie erneute Lockdowns zum Eindämmen einer zweiten oder dritten Pandemiewelle. In Asien könnten das am ehesten Standorte wie Singapur, Korea, die VR China oder Taiwan sein. Diese 4 Länder haben ihre Covid-19-Erfahrung schon mit dem SARS-Virus 2002/2003 gemacht und verfügen deshalb heute mit über die beste Pandemiebekämpfung der Welt, die sich bereits in der aktuellen Corona-Krise bewährt haben.
Komponenten- und Teilezulieferer können ihren Kunden gegebenenfalls eine erhöhte Liefersicherheit durch ein verstärktes Arbeiten mit 3D-Drucklösungen anbieten. Dann brauchen nicht die einzelnen Fertigteile oder fertigen Komponenten mit entsprechender Liquiditätsbindung auf Lager vorgehalten zu werden, sondern in regionalen kleinen Fertigungszentren nur das zu druckende Rohmaterial. Gerade bei einer hohen Artikelvielfalt wie im Ersatzteilbereich kann dieses Vorgehen zum Bedienen bestimmter Weltregionen oder Auslandsmärkte in Corona- und Nach-Corona-Zeiten deutliche Wettbewerbsvorteile bringen.

Finanzierung des Exportgeschäfts

Wer dem Kunden bei der Finanzierung entgegenkommen kann, wird ebenfalls seine Chancen auf Neuaufträge erhöhen können. Das muss nicht ein Nachgeben im Preis oder bei den Zahlungskonditionen sein. Es kann auch ein Absichern durch staatliche Exportkreditgarantien, also Hermesdeckungen, sein. Diese sind seit dem 30. März auch dann für Exportgeschäfte mit kurzfristigen Zahlungsbedingungen (bis zu 24 Monaten) möglich, wenn der Kunde in einem der anderen EU27-Länder, der Schweiz, den USA, dem Vereinigten Königreich oder anderen ausgewählten OECD-Staaten sitzt.

Potenzial von Auslandsmärkten ermitteln

Welche ausländischen Märkte dürften sich in naher Zukunft gut entwickeln? Grundsätzlich gilt: Alle aktuellen Prognosen gehen mittlerweile für 2020 von einem starken Einbruch der Wirtschaft in nahezu jedem Land der Welt aus. Unterschiede gibt es lediglich hinsichtlich der Tiefe des Einbruchs. Gleiches gilt auch für die für 2021 einsetzende prognostizierte Erholung. Die beste Vergleichsmöglichkeit bietet vermutlich der neue „World Economic Outlook“ des International Monetary Funds (IMF) vom 14. April 2020, weil er nahezu alle Märkte mit der gleichen Analysemethode und vergleichbarem Datenmaterial untersucht hat. Weniger aussagekräftig sind vielleicht die absoluten Werte der IMF-Prognose an sich, denn die Annahmen sind im Zweifel eher zu optimistisch. Es dürfte sich lohnen, als Unternehmen selbst mit verschiedenen Szenarien und einem Basisszenario zu arbeiten. Die IMF-Prognose ist eine gute Grundlage, um die Märkte, in denen Ihr Unternehmen aktiv ist oder zukünftig sein möchte, zu vergleichen: Wie stark bricht ein Markt gegenüber einem Alternativmarkt in 2020 ein und wie schnell wird ein Markt im Vergleich zu anderen wieder auf seinen Wachstumspfad zurückfinden? Die komplette Analyse finden Sie auf der IMF-Website unter www.imf.org/en/Publications/WEO.

Erholung des China-Geschäfts?

Im Kern dürfte das Fazit kurzfristig heißen: Wohl dem, der viel China-Geschäft hat. China geriet als Ausgangspunkt der Pandemie als erstes in den Corona-Schock und kommt nun als erster Markt auch wieder heraus. Allerdings wird die Erholung dieses Mal nicht so schnell gehen wie nach der Finanzkrise 2009, denn der chinesische Staat verfügt heute nicht über die gleiche Feuerkraft, um mit staatlichen Konjunkturprogrammen die Wirtschaft seinerseits massiv anzukurbeln. Dies werden auch Länder und Branchen mit hoher China-Lastigkeit merken, die letztes Mal im Sog des chinesischen Aufschwungs schnell wieder selbst auf ihren Wachstumspfad fanden. Und mittelfristig muss sich jeder weiterhin fragen: Wie viel China-Geschäft am Gesamtumsatz verträgt mein Unternehmen? Jede einseitige Abhängigkeit von einem Kunden wie von einem einzelnen Markt kann auf Dauer gefährlich sein.
Bei allen anderen Märkten wird ein Mix an Faktoren darüber entscheiden, wie tief der durch Corona induzierte Konjunktureinbruch bei ihnen ausfällt und wie schnell die Erholung eintreten und wie umfassend diese sein wird. Über die Tiefe des Konjunktureinbruchs entscheiden unter anderem Faktoren wie etwa der Anteil des Rohstoffsektors, zum Beispiel der Öl- und Gasförderung, oder der Anteil der Tourismusbranche an der Gesamtwirtschaft. Ebenso aber auch die Fähigkeit schnell wieder zu einem halbwegs geregelten Wirtschaftsleben zurückkehren zu können, dank eines entsprechenden Gesundheitssystems und Pandemieschutzes. Dieser fängt mit ehrlichen Zahlen an. Es ist zu befürchten, dass zahlreiche Länder ihre tatsächliche Dunkelziffer an Infizierten gar nicht kennen. Das Treffen punktgenauer Eindämmungsmaßnahmen ist dann besonders schwer. Das Ergreifen drastischer, deutlich größere Teile der Wirtschaft lahmlegender Maßnahmen ist in solchen Ländern deshalb hoch. Grundsätzlich gilt: Je geringer die Testkapazitäten eines Landes, desto höher die zu erwartende Dunkelziffer und desto geringer die Fähigkeit zu punktgenauen Eindämmungsmaßnahmen. In der Tendenz, dürfte die Zahl der durchgeführten Tests in wohlhabenderen Industriestaaten in der Regel eher höher, in Schwellenländern eher niedriger und insbesondere Entwicklungsländern oft extrem niedrig sein.
Dieser Artikel wurde am 24. April 2020 von Matthias Kruse erstellt und entspricht dem Wissenstand bei seiner Erstellung. Die Einschätzungen erheben nicht den Anspruch einer vollständigen Lagebeschreibung.
Quelle: IHK Rhein-Neckar