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Ukraine-Wiederaufbau: Infos für deutsche Ingenieurunternehmen

Auch wenn die kriegerischen Handlungen in der Ukraine weiter andauern, wird bereits an vielen Stellen wieder aufgebaut. Hier sind auch Planungsleistungen und Leistungen der Projektkoordination erforderlich. Nachfolgend werden häufig gestellte Fragen zur Teilnahme deutscher Ingenieurunternehmen an Ausschreibungen in der Ukraine beantwortet.
Die Informationen wurden in Zusammenarbeit mit Igor Dykunkskyy, LL.M, Rechtsanwalt und Partner bei DLF Attorneys-at-law, erarbeitet.

1. Welche Rechtsform muss ein Bieter haben, um sich an einer Ausschreibung in der Ukraine beteiligen zu können?

Das ukrainische Gesetz “Über das öffentliche Auftragswesen” erlaubt die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen durch Vereinigungen von teilnehmenden Unternehmen und Nichtansässigen. Besteht eine Vereinigung von Teilnehmern jedoch aus mindestens einem in der Ukraine ansässigen Unternehmen, muss diese Vereinigung von Teilnehmern in das ukrainische Handelsregister eingetragen sein, um an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen zu können. Besteht die Vereinigung von Teilnehmern nur aus nicht ansässigen Unternehmen, beispielsweise zwei Ingenieurunternehmen aus Deutschland kann eine solche Vereinigung von Teilnehmern an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen, ohne eine weitergehende Registrierung.
Das ukrainische Gesetz “Über das öffentliche Auftragswesen” enthält auch keine Beschränkungen für die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen durch eine separate juristische Person, die als Vereinigung von Unternehmen in anderen Ländern gegründet wurde, wobei ein ukrainisches Unternehmen dieser Vereinigung von Unternehmen gehört. Die Vergabebehörden sind nicht berechtigt, von einer Vereinigung von Teilnehmern eine bestimmte Rechtsform zu verlangen, um ein Angebot einreichen zu können.
Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, dass die gesetzlichen Regelungen in der Ukraine es hinsichtlich der Rechtsform jedem Unternehmen ermöglichen an einer Ausschreibung teilzunehmen.

2. Welche fachlichen Voraussetzungen muss ein Ingenieurbüro erfüllen, um in der Ukraine Planungsleistungen zu erbringen?

In der Ukraine gibt es gesetzliche Regelungen, die für die Ausübung von bestimmten Planungstätigkeiten die Pflicht formulieren, sich lizensieren/zertifizieren zu lassen. Es handelt sich hierbei um die folgenden Leistungen:
  • Erstellung der städtebaulichen Dokumentation;
  • architektonische und bautechnische Planung;
  • bautechnische Gutachten und Inspektionen;
  • technische Überwachung;
  • Ingenieurtätigkeiten im Bauwesen zur Koordinierung der Tätigkeiten aller am Bau Beteiligten;
  • Durchführung der technischen Bestandsaufnahme der Immobilien.
Nach dem Gesetz über die Regulierung der städtebaulichen Tätigkeit muss die Lizenzierung nur für Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Bau von Anlagen, die als mittelschwer (Schadensfolgeklasse CC2) und schwerwiegend (Schadensfolgeklasse CC3) eingestuft werden, nachgewiesen werden.
Die auf dem Eurocode 0 – Grundlagen der Tragwerksplanung basierende Systematik der Schadensfolgeklasse eines Objekts beschreibt mit dem geplanten Bauwerk verbundene Folgen für Menschenleben und für den Eintritt des Materialschadens im Fall des Bauwerksversagens. Dabei bedeutet die Schadensfolgeklasse CC1 die geringsten Folgen für Menschenleben, materielle Folgen und Folgen für die Umwelt, in der Schadensfolgeklasse CC2 sind Objekte mit mittleren Folgen für Menschenleben etc. und die Schadensfolgeklasse CC3 beinhaltet Objekte mit zu erwartenden größten Auswirkungen auf Menschenleben, Umwelt und Bauwerksschaden.
Nachfolgend einige Beispiele für die Einordnung:
  • CC1: einfache Agrarbauten, wie Gewächshäuser, kleine Mehrfamilien- und Einfamilienhäuser, kleine Bauvorhaben,
  • CC2: Wohngebäude (unter 100 m), die meisten Industriebauten und Logistikzentren,
  • CC3: besondere Bauten, Stadien, Hochhäuser, Einkaufszentren, Brücken.
Die Lizenzierung/Zertifizierung erfolgt über das Ministerkabinett der Ukraine. Das Qualifikations- Zertifikat kann nach Vollendung eines Architekturstudium mit Fach- oder Masterabschluss mit dem Nachweis einer mindestens 3-jährigen Berufserfahrung erlangt werden. Ausländische Architekten können in der Ukraine demzufolge nicht alleine Architekturleistungen ausführen. Kooperationsprojekte mit ukrainischen Architekten mit Architektur-Zertifikat sind jedoch gestattet. Für die Erbringung der vorgenannten Planungsleistungen in der Ukraine ist es daher zwingend erforderlich einen ukrainischen Architekten einzuschalten.
Für die Ausführung von Planungsarbeiten für die Errichtung von Bauwerken ist es nicht erforderlich, dass die Fachleute über einen entsprechenden Qualifikationsnachweis verfügen, wenn:
  • Fachleute Planungsarbeiten unter der Leitung eines Architekten oder eines anderen Fachmanns ausführen, der über einen Qualifikationsnachweis für die Ausführung von Arbeiten des entsprechenden Profils verfügt;
  • Planungsunterlagen ausgearbeitet werden, die nicht zur Ausführung bestimmt sind (Entwürfe, Sondierungen, Konzepte usw.), Vorschläge über die Möglichkeit und die Bedingungen der Bebauung eines Grundstücks;
  • Arbeiten im Zusammenhang mit der Teilnahme an städtebaulichen und architektonischen Wettbewerben durchgeführt werden, sofern deren Bedingungen nichts anderes vorsehen;
  • Anlagen geplant werden, für die nach der ukrainischen Gesetzgebung keine Dokumente erforderlich sind, die zur Ausführung von Bauarbeiten berechtigen.
Auch die folgenden Leistungen, die für den Wiederaufbau der Ukraine und für die Bedürfnisse in Kriegszeiten von Bedeutung sein können, bedürfen keiner Genehmigungen, darunter auch:
  • Umbau- und Sanierungsarbeiten an Wohngebäuden und Wohnräumen sowie an Nichtwohngebäuden, -bauten und -räumen, deren Ausführung keine Eingriffe in die Umschließungs- und Tragkonstruktionen und/oder in die öffentlichen Versorgungsnetze erfordert – bei Objekten, die nach der Einwirkungsklasse (Haftung) als Objekte mit geringer (Schadensfolgeklasse СС1), mittelschwerer (Schadensfolgeklasse CC2) und schwerwiegender (Schadensfolgeklasse CC3) Einwirkung eingestuft werden;
  • Erneuerung von Dächern von Gebäuden und Bauwerken gemäß den Bauvorschriften ohne Eingriff in Tragkonstruktionen;
  • Rekonstruktion, Generalüberholung, technische Umrüstung von Innenanlagen;
  • Anschluss von Einfamilienhäusern, Gartenhäusern, Landhäusern, Nebengebäuden und Bauten, Garagen auf Privatgrundstücken, Sommerhäusern und Gartengrundstücken sowie Grundstücken für den Bau von Einzelgaragen an die Versorgungsnetze gemäß den technischen Anforderungen;
  • Errichtung von provisorischen Gebäuden und Bauten ohne Fundamente;
  • Demontage von Objekten, die infolge von Katastrophen, militärischen Operationen oder terroristischen Handlungen beschädigt oder zerstört wurden;
  • Rekonstruktion einzelner Gebäude- und Baukonstruktionen zur Beseitigung der Folgen von Havarien (Unfällen) und zur Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit von Einrichtungen, die zur Sicherung der Lebenstätigkeit der Bevölkerung bestimmt sind, ohne Änderung ihrer geometrischen Abmessungen;
  • Auswechseln von Einheiten und Baugruppen der technischen Ausrüstung und ihrer technischen Netze, Steuerungs- und Automatisierungssysteme, die veraltet sind und deren technische Lebensdauer in den bestehenden Werkstätten und Räumlichkeiten erschöpft ist;
  • Bau von militärtechnischen Anlagen und Befestigungen für Verteidigungszwecke;
  • Neubau, Rekonstruktion, Restauration, Instandsetzung von Kasernen und Unterkünften von Militärlagern (mit Ausnahme von Wohngebäuden), Militärflugplätzen, Arsenalen, Stützpunkten und Lagern, Versorgungseinrichtungen, technischen Netzen, die nach der Wirkungsklasse (Haftung) als Objekte mit geringer (Schadensfolgeklasse CC1) und mittelschwerer (Schadensfolgeklasse CC2) Einwirkung eingestuft werden und direkt auf dem Territorium von Militäreinheiten (Unterabteilungen) durchgeführt werden, Einrichtungen und Organisationen der Streitkräfte, der Nationalgarde und der Auslandsaufklärung im Rahmen der Gewährleistung der nationalen Sicherheit und Verteidigung, der Abwehr und Abschreckung der bewaffneten Aggression der russischen Föderation in den Gebieten Donetsk und Luhansk.
Darüber hinaus sind für bestimmte Arten von Bauarbeiten keine Genehmigungen erforderlich (sie unterliegen einem besonderen Verfahren). Zu diesen Arbeiten gehören die Errichtung von provisorischen Bauten und deren Komplexen, die zum Zweck der Lebenserhaltung bestimmter Bevölkerungsgruppen ausgeführt werden, wie z. B.
  • Personen, die von Notfällen, militärischen Operationen oder terroristischen Handlungen betroffen sind;
  • evakuierte Bevölkerung;
  • Binnenflüchtlinge;
  • Personen, die an der Inspektion und Instandsetzung beschädigter Anlagen sowie an Wiederaufbaumaßnahmen zur Beseitigung der Folgen von Notsituationen, Feindseligkeiten oder terroristischen Handlungen beteiligt sind.
Gleichzeitig müssen die Bauarbeiten für den Neubau, die Rekonstruktion, die Restaurierung, die Generalüberholung und die technische Umrüstung in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften, den Bauvorschriften, den Normen und Regeln sowie in Übereinstimmung mit der Projektdokumentation, die in Übereinstimmung mit dem gesetzlich festgelegten Verfahren erstellt und genehmigt wurde, durchgeführt werden.

3. Was ist zu berücksichtigen, wenn sich ein deutsches Ingenieurunternehmen gemeinsam mit einem ukrainischen Unternehmen an einer Ausschreibung beteiligen möchte?

Nach den Vorschriften des ukrainischen Rechts können sich Unternehmen zur Erreichung eines bestimmten gemeinsamen Geschäftsziels vorübergehend zusammenschließen. Eine solche befristete Unternehmensvereinigung ist eine juristische Person und unterliegt der staatlichen Registrierung, d. h. sie ist in das ukrainische Handelsregister einzutragen. Das Erfordernis der Rechtspersönlichkeit für eine Unternehmensvereinigung ist auch im ukrainischen Gesetz “Über das öffentliche Auftragswesen” enthalten insbesondere für Vereinigungen von Teilnehmern, die durch den Zusammenschluss gebietsansässiger juristischer Personen oder gebietsansässiger und gebietsfremder juristischer Personen gebildet werden.
Gleichzeitig erlaubt das Gesetz “Über das öffentliche Auftragswesen” die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen durch Vereinigungen gebietsfremder juristischer Personen mit oder ohne Gründung einer eigenen juristischen Person. Gemäß den Bestimmungen des Wirtschaftsgesetzbuches gilt eine in der Ukraine gegründete Vereinigung von Teilnehmern im Sinne des ukrainischen Gesetzes “Über das öffentliche Auftragswesen” als Wirtschaftsvereinigung. Wirtschaftsvereinigungen arbeiten auf der Grundlage eines Gesellschaftsvertrages und/oder einer Satzung, die von ihren Gründern genehmigt wurde. In diesem Fall werden Wirtschaftsvereinigungen insbesondere in Form von Konsortien gegründet.
Der Beschluss über die Gründung einer Unternehmensvereinigung (Gesellschaftsvertrag) und die Satzung der Vereinigung müssen vom Antimonopolkomitee der Ukraine gemäß dem gesetzlich festgelegten Verfahren genehmigt werden. Als Alternative gilt die Einholung eines vorläufigen Gutachtens des Antimonopolkomitees der Ukraine, dass für die Gründung einer solchen Unternehmensvereinigung keine Fusionsgenehmigung bzw. Genehmigung der abgestimmten Verhaltensweisen erforderlich ist.
Bei der Gründung und Registrierung eines Konsortiums in der Ukraine zum Zwecke der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen sind folgende Besonderheiten zu beachten:
  • Der Vertrag über die Gründung eines Konsortiums sowie die Satzung des Konsortiums sollten sicherstellen, dass der öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe darauf vertrauen kann, dass die Mitglieder des Konsortiums ihre Verpflichtungen gegenüber dem Konsortium erfüllen werden, wenn es im Rahmen des Vergabeverfahrens zum Vertragsabschluss kommt.
  • Der Vertrag über die Gründung eines Konsortiums sowie die Satzung des Konsortiums sollten Regelungen enthalten für die Nutzung von Lizenzen und Genehmigungen, die sich im Besitz eines der Konsortiumsteilnehmer befinden.
  • Die Unterlagen, auf deren Grundlage das Konsortium gegründet und registriert wird, sollten auch die Besonderheiten des Projekts (insbesondere die Ausschreibungsunterlagen), für das es gegründet wird, sowie die aktuellen Besonderheiten des öffentlichen Auftragswesens in der Ukraine berücksichtigen.
Hinsichtlich der Verteilung der Gesellschaftsanteile sieht das ukrainische Recht keine besonderen Regelungen hinsichtlich der Beschränkung der Beteiligung ausländischer Unternehmen an Konsortien vor, die unter Beteiligung ukrainischer Gebietsansässiger gegründet und in der Ukraine registriert wurden.
Angesichts der dynamischen Änderungen der Gesetzgebung in Kriegszeiten kann nicht ausgeschlossen werden, dass es im Laufe der Zeit zu solchen Einschränkungen kommen könnte. Solche Einschränkungen können sich zum Beispiel auf den Grad der Lokalisierung der Produktion beziehen. Im Sinne des Gesetzes “Über das öffentliche Auftragswesen” ist dies ein Indikator für den Anteil der lokalen Komponente an den Kosten der Rohstoffe, Bauteile, Baugruppen, Teile, Komponenten und Bestandteile von Produkten, Bauarbeiten, Dienstleistungen und anderen Komponenten der inländischen Produktion an den Kosten der zu beschaffenden Waren; bei öffentlichen Aufträgen.
Obwohl die Anforderungen des Gesetzes “Über das öffentliche Auftragswesen” für die Beschaffung von Waren gelten, gilt die Lokalisierung auch für die Beschaffung von Dienstleistungen und Arbeiten, wenn die Ausführung dieser Arbeiten oder die Erbringung von Dienstleistungen den Erwerb der in der oben genannten Liste aufgeführten Waren durch den Auftraggeber beinhaltet.
Die Rechtmäßigkeit und Gültigkeit von Anforderungen ukrainischer Behörden oder Beschaffungsstellen im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe hinsichtlich des Umfangs der Beteiligung eines ausländischen Unternehmens an einem ukrainischen Konsortium sollte auf ihre Vereinbarkeit mit dem geltenden ukrainischen Recht zum Zeitpunkt ihres Auftretens und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls geprüft werden.

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Quelle: VBI
Stand: Oktober 2023