Wettbewerbsfähigkeit im Zeichen der EU

Wer entlang der malerischen Donauschleifen zu Landypoint nach Beuron-Neidingen fährt, tut dies in einem Liebhaberauto. Das 20 Mitarbeiter starke Unternehmen hat sich zum deutschlandweit führenden Restaurations- und Servicebetrieb für klassische Land Rover und Range Rover entwickelt. Doch EU-Verordnungen wie CBAM machen zu schaffen. Der Carbon Border Adjustment Mechanism dient dem CO2-Grenzausgleich von gelisteten Waren aus Nicht-EU-Ländern.
Diese EU-Klimaschutzmaßnahme soll verhindern, dass Treibhausgasemissionen in Drittländer ausgelagert werden, und gleichzeitig sollen diese Länder Anreize erhalten, ressourcenschonender zu wirtschaften. Aber: „CBAM macht Sinn für Industriebetriebe, die größere Mengen an Rohstoffen oder Produkten einführen. Wir bewegen uns mengenmäßig als Restaurationswerkstatt weit darunter“, so Andreas Ruff, zuständig für die Warenströme und Bestellungen bei Landypoint.

Alles für die Katz?

„Für die Bearbeitung von CBAM benötige ich monatlich 20 bis 25 Stunden. Kosten und Nutzen stehen in keinerlei Verhältnis“, bemängelt Ruff. Sein für Ersatzteile und Verwaltung verantwortlicher Kollege Gregor Meichelbeck ergänzt: „Das Ganze ist ein rein bürokratischer Aufwand. Sprichwörtlich für die Katz.“ Der Land-Rover-Restaurationsbetrieb arbeite für eine gute CO2-Bilanz bevorzugt mit regionalen Anbietern zusammen. Doch bei Ersatzteilen sei man als Partner einer englischen Marke auf Großbritannien angewiesen. Von den EU Regularien nicht betroffen, fehle den dortigen Zulieferern häufig das Verständnis für die Beschaffung der erforderlichen Daten, denen man ständig hinterherrennen müsse.
Weitere Kritikpunkte: „Das CBAM-Eingabetool ist nicht auf Deutsch erhältlich. Manchmal erscheinen reine Fehlercodes, das Problem wird nicht benannt“, berichtet Meichelbeck. Es gebe außerdem keinen Service-Ansprechpartner, das Unternehmen fühlt sich alleingelassen. „Ohne den CBAM-Einführungsvortrag der IHK wären wir im Regen gestanden“, ergänzt er.
Für die Bearbeitung von CBAM benötige ich monatlich 20 bis 25 Stunden.
- Andreas Ruff

Großer Unmut, aber auch Lösungsideen

Auch andere Regularien sorgen für Unmut, zum Beispiel die bundesdeutsche Lizenz, die Unternehmen zur Entsorgung von Kartons über das Tool LUCID entrichten müssen. „Wir kaufen keine Kartons, sondern recyceln erhaltene Kartons wieder“, erklärt Meichelbeck. Dass so pro Karton mehrfach abkassiert werden könne, bestrafe diejenigen Unternehmen, die für geschlossene Wertstoffkreisläufe sorgen. Zudem empfindet Meichelbeck das System als „recht undurchschaubar“, durch die Verwicklung aus Ämtern, Stiftungen und Privatunternehmen. Ruff betont: „Ich würde, wenn möglich, lieber eigenhändig zehn Bäume pro Jahr anpflanzen, als mich an diesem System zu beteiligen.“ Zur Lösung des CBAM-Debakels haben die Landypoint-Mitarbeiter Vorschläge: „Der Zoll könnte das Thema CBAM mitbearbeiten. Er muss die Waren ohnehin abnehmen“, so Meichelbeck. Ein Ansatz lautet auch, den Einfuhrzoll generell um wenige Prozentpunkte anzuheben. Unterm Strich käme dasselbe heraus, ohne Zusatzaufwand für Unternehmen.
Zudem plädiert Ruff für eine Differenzierung: Handwerksbetriebe oder Kleinunternehmen unter 10 Millionen Euro Jahresumsatz könnten von CBAM freigestellt werden, da diese meist nichts bezahlen müssen.

Deutsches Bankensystem benachteiligt

Stefan Hell, Vorstandssprecher der Volksbank Ulm-Biberach eG und Sprecher der Bezirksvereinigung der Volks- und Raiffeisenbanken Ulm/Alb-Donau, kritisiert den fehlenden Blick der EU für die Eigenheiten des deutschen Finanzsektors. Europaweit ist das deutsche Drei-Säulen-Banksystem aus privaten Banken, öffentlich- rechtlichen Banken und Genossenschaftsbanken einzigartig. „In Deutschland gibt es rund 1.000 Regionalbanken, in vielen Ländern nur fünf große Häuser“, betont Hell. „Wir Genossenschaftsbanken agieren regional, risikoarm und mit hoher Stabilität. Doch die EU-Vorgaben ignorieren das. Diese Regulatorik wird für Großbanken gemacht und uns übergestülpt.“ Über 60 Prozent der regulatorischen Vorgaben stammen mittlerweile aus Brüssel. Viele Institute mussten ihre Meldewesen- und Compliance-Abteilungen personell verdreifachen. Eine DZ-Bank-Analyse von 2022 beziffert den jährlichen Zusatzaufwand auf 600 Millionen Euro. Das bleibt nicht ohne Folgen.
Auch wenn das Ziel richtig ist – die Umsetzung ist schlecht, und der Weg verschlingt wahnsinnig viele Ressourcen.
- Stefan Halder

Der Kunde zahlt den Preis

Zum einen beschleunigt dies die Konsolidierung des genossenschaftlichen Bankensektors. Die Zahl der VR-Banken ist von 1990 bis Ende 2022 um 75 Prozent gesunken, weil sich immer mehr Banken zusammenschließen. Zum anderen ist ein Rückzug aus margenschwachen, aber gesellschaftlich relevanten Geschäftsbereichen wie Existenzgründungsfinanzierung oder ländlicher Wohnungsbau zu beobachten. Sinkende Nutzerzahlen führen zu Filialschließungen und geänderten Öffnungszeiten, obwohl gleichzeitig der Aufwand steigt: „Im Wertpapiergeschäft haben sich die Kundengespräche um 50 Prozent verlängert“, so Hell. Was dazu führe, dass kleinere Banken oft keine Wertpapiergeschäfte mehr anbieten. Natürlich seien viele Regularien wie DORA (Digital Operation Resilience Act) sinnvoll, da der IT-Bereich heute das Einfallstor für Kriminelle sei. Doch die IT-Sicherheit verlange sehr hohe Investitionen.

Menschenverstand statt Regularien

Stefan Hell, eigentlich eine fränkische Frohnatur, macht sich Sorgen: „Mich ärgert, dass durch die EU-Regularien das Vertrauen und der gesunde Menschenverstand ausgeblendet werden.“ Beispiel: In den 1990er-Jahren habe eine verwitwete 80-Jährige eine neue Heizung für umgerechnet etwa 10.000 Euro benötigt. Es war absehbar, dass die Seniorin mit ihrer kleinen Rente den Kredit nicht vollständig zurückzahlen konnte. Also kontaktierte die Volksbank ihre Tochter, die das Haus erben würde. „Als regionale Bank kennt man seine Kunden und ihre Lebensumstände. Doch heute dürften wir so einen Kredit nicht mehr vergeben und müssten andere Lösungen finden“, betont der Vorstandssprecher. Wenn sich junge Paare kein Eigenheim leisten können oder Richtlinien wie „Basel III final“ 25 Prozent mehr Eigenmittelunterlegung für Unternehmenskredite fordern, laufe einiges falsch. „Zwar will die EU den Bankensektor stabilisieren, erreicht aber in Deutschland das Gegenteil.“ Die Perspektive des Mittelstands und der kleinen, risikoarmen Institute müsse Gehör finden. Für diese sollten weniger komplexe Anforderungen gelten. Hell hat einen Appell: „Ich plädiere für das Prinzip des Weglassens, wenn eine Regulierung keinen Mehrwert schafft. Es braucht den politischen Mut, Nein zu sagen.“

Gutes Ziel, schlechte Umsetzung

Umwelt, Sicherheit, faire Produktionsbedingungen – die meisten Vorgaben werden von den Unternehmen als sinnvoll erachtet. Ärgerlich sind Widersprüche, welche die Regularien ad absurdum führen. Von letzteren weiß die Erwin Halder KG aus Achstetten zu berichten. Für die jährlich rund 1,2 Millionen produzierten Hämmer benötigt das Unternehmen große Mengen an Holzstielen. Diese sind von der EUDR (EU Deforestation Regulation), der EUEntwaldungsverordnung, betroffen. „Dazu gehört alles, was in der Erde wächst, wie Holz, Palmöl, Soja bis hin zum Endprodukt Rindersteak“, weiß der geschäftsführende Gesellschafter Stefan Halder. Mittels Geodaten soll der Nachweis erbracht werden, dass das Produkt nicht aus illegaler Abholzung stammt. Diese EU-Verordnung dient dem Schutz von wichtigen Ökosystemen wie Regen- und Urwäldern, bedrohten Tierarten sowie den Interessen der meist indigenen Bevölkerung. Halder bezieht Robinie aus Europa und Hickory- Holz aus dem Süden der USA, wo man sich kaum für den Nachweis von Längen- und Breitengraden interessiert. Als erstes „Nicht-KMU“ in der Wertschöpfungskette muss Halder eine umfangreiche Sorgfaltserklärung für die bezogenen Stiele abgeben. Die vorgelagerten Lieferanten, allesamt KMUs, die von einigen Meldepflichten befreit sind, stellen wenig Daten zur Verfügung. Die Erwin Halder KG muss alles selbst nachrecherchieren.
Das nächste Problem: Herkunftsländer sollen in risikoarme Länder wie die EU und in risikoreiche Länder wie Brasilien oder Indonesien eingeteilt werden. „Unternehmen, die aus risikoreichen Ländern importieren, werden angewiesen, Maßnahmen zur Risikominimierung durchzuführen. Niemand weiß, wie diese aussehen sollen“, betont Halder. „Dass das Gesetz zur entwaldungsfreien Lieferkette um ein Jahr verschoben wurde und viele Punkte offen, sogar widersprüchlich sind, spricht für eine dilettantische Arbeit.“

Auslagerung der Produktion

Am meisten verärgert Halder, dass der Holzstiel bei der Einfuhr in die EU zwar unter die Verordnung falle, zusammengebaute importierte Hämmer allerdings nicht, was an unterschiedlichen Zolltarifnummern liegt: „Hier wird geradezu Druck ausgeübt, die Produktion außerhalb der EU zu verlagern“, sagt er kopfschüttelnd. Es fördere die Einfuhr von Billighämmern aus Asien und bestrafe nachhaltige Qualität und Wertschöpfung in der EU. „Darin sehe ich eine Inkonsequenz, wenn es darum geht, den Rohstoff Holz zu schützen.“ Halder biete etwa Ersatzteile an, die die Lebensdauer der Produkte erhöhen. Zudem sei völlig unklar, wie Übergangszeiten zu meistern sind. „Die Hölzer für unsere Bestellungen nächstes Jahr lagern heute schon in Form von Stämmen – ohne Geodaten –, die sich bis 2026 nicht mehr nachvollziehen lassen.“ Stefan Halders Urteil bezüglich der Verordnung fällt vernichtend aus: „Auch wenn das Ziel richtig ist – die Umsetzung ist schlecht, und der Weg verschlingt wahnsinnig viele Ressourcen.“

Reach/RoHS-Verordnungen als Positivbeispiel

Dabei hat die EU gezeigt, dass sie es kann. Stefan Halder nennt die Reach/RoHS-Verordnungen am Beispiel Blei als positiven Ansatz. Sie sollen durch die Bewertung und Einschränkung chemischer Stoffe in der EU zum Schutz von Gesundheit und Umwelt beitragen. „Durch diese Verordnung wurden Hersteller animiert, ungefährliche Stoffe zu verwenden. Nun haben wir bleifreie Materialien zur Verfügung, die wir gut bearbeiten können.“

Billiganbieter aus Fernost

Die Bekleidungshaus Bredl GmbH aus Ravensburg sieht sich mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert. „Billiganbieter wie Temu und Shein schaden der gesamten Modebranche, weil sie das Preisniveau drücken“, beobachtet Geschäftsführer Gerhard Gieseke. Shirts für 5 Euro, „bei denen klar sein muss, dass niemand fair daran verdient“, habe es zwar schon früher gegeben, aber nie in dieser Masse. „Wir reden von zwei bis drei Milliarden Paketen pro Jahr, die in die EU geliefert werden“, macht er deutlich. Dadurch sei ein völlig falsches Gefühl für Preise entstanden. Und Fast Fashion ist weder nachhaltig für die Umwelt, noch für die Branche.
„Der Einzelhandel kann die Preise nicht so festsetzen, wie er es eigentlich sollte, und Mitarbeiter nicht besser bezahlen“, bedauert Gieseke. Das Bekleidungshaus kann auf einen festen Stamm aus rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zurückgreifen. Doch Gieseke wünscht sich von der Politik bessere Rahmenbedingungen, um sein Personal langfristig zu halten: „Menschen, die in Altersteilzeit gehen oder sich in der Rente etwas hinzuverdienen möchten, sollten keine Steine in den Weg gelegt werden.“
Menschen, die in Altersteilzeit gehen oder sich in der Rente etwas hinzuverdienen möchten, sollten keine Steine in den Weg gelegt werden.
- Gerhard Gieseke

Events gegen die Online-Konkurrenz

Strategisch setzt das traditionelle Familienunternehmen auf Service und Mode Happenings. Bredl bietet Shoppingpartys für Junggesellinnenabschiede, Abend-Events für VIP-Shoppingkunden und Personal Shopping an. Dabei nimmt sich eine Mitarbeiterin viel Zeit für die Beratung. Vorab werden telefonisch Fragen wie Größe oder Stiltyp geklärt. „Unsere Aktion ‚fair-knallt‘ kommt ebenfalls sehr gut an“, freut sich Gieseke. Kunden können getragene Kleidung abgeben und erhalten ein paar Euro pro Stück. Bredl gibt die Kleidung an eine Tochterfirma der Diözese Rottenburg weiter, diese verkauft sie im dortigen Secondhand- Laden weiter. Eine ebenso nachhaltige Idee wie Bredls Änderungsschneiderei, die Lieblingsteile länger tragbar macht. Mit seinem „Youtopia“-Store spricht Bredl gezielt die jüngere Zielgruppe an. Mit Dschungelambiente, pfiffigen Aktionen und Mitarbeiterinnen, die die neuesten It-Pieces auf Instagram und Co. präsentieren. „Am wichtigsten ist es, alle neuen Trends schnell im Store verfügbar zu haben“, sagt Gieseke, denn eine große Artikelvielfalt mit aufeinander abgestimmten Teilen sei die Stärke eines erfolgreichen Einzelhandels.

Fair, sozial, wirtschaftlich

Umso mehr ärgert er sich über die Flut an Regularien, die ausbremsen. „Jedes Kabel, jeder Stecker muss abgenommen werden“, so Gieseke. Er plädiert dafür, den Unternehmen mehr Selbstverantwortung zu geben: „Große Unternehmen können für alles einen Spezialisten einstellen. Wie sollen mittelständische oder kleinere Firmen das stemmen?“ Was den Wettbewerb zu Billiganbietern betrifft, sei das Problem langsam
in der Politik angekommen. Der Einzelhande stagniere seit Jahren bei gleichzeitig steigenden Preisen. Dennoch bekomme er aufgrund fehlender Lobby politisch wenig Unterstützung. Dabei hätten, so Gieseke, Events und Gespräche mit Kunden gezeigt: „Der Einzelhandel ist nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, sondern ein sozialer Begegnungsraum. Er verdient politischen Rückhalt und faire Bedingungen.“
Diana Wieser, Inhaberin von adWORDising, Werbetext und Journalismus, Ulm