Mit Wasserstoff in die Zukunft

Die deutsche Bundesregierung hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: Das Land soll in Windeseile CO2 neutral werden und unabhängig von fossilen Energieträgern. Dabei gewinnt das Element Wasserstoff als zukünftige Säule neuer Energie­konzepte an Bedeutung. Hergestellt mit erneu­erbaren Energien wie Wind- oder Solarstrom, gilt Wasserstoff als klimaschonende Alternative für den Einsatz in Industrie, Gebäudetechnik, Lkw-, Schiffs- und Flugverkehr. Die prekäre Versorgungslage mit Erdgas hat der Entwicklung von alternativen Energiekonzepten einen Schub verliehen. Jedoch zeigt ein Blick auf spezialisierte Unternehmen der Region, dass die Energiewende längst in vollem Gange ist.
Während die Politik noch um die Definition von Zielen und Vorgaben ringt, sind viele Unternehmen schon einen Schritt weiter. Mit Weitblick haben sie Technologien rund um den Einsatz von Wasserstoff entwickelt, zur klima­schonenden Umgestaltung von Industrie und Verkehr. Sie investieren damit nicht nur in ihre Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch in die Erschließung neuer Märkte und in die Si­cherung von Arbeitsplätzen.
„Die größte Herausforderung ist die Infrastruktur.“
– Diego Borghese

Im Fokus: Preisreduktionbei Brennstoffzellen

Wasserstoff ist ein chemisches Element mit vielen Vorzügen: Es ist in Form von Wasser in ausreichender Menge auf der Erde vorhanden, es kann verflüssigt werden und gleicherma­ßen zur Speicherung von Energie wie zur Energieherstellung verwendet werden. Brenn­stoffzellen sind Energiewandler und können aus Wasserstoff elektrische Energie herstellen. Die CellForm Hydrogen GmbH & Co. KG in Baienfurt produziert dafür sehr dünne und fili­grane Bipolarplatten. Diese bestehen meist aus dünnem Edelstahlblech, in das die Struk­tur von Strömungsfeldern und Kühlkanälen durch einen Stanz-Umformprozess eingeprägt wird. Eine Seite der Bipolarplatte hat die Funk­tion einer wasserstoffführenden Anode, wäh­rend die andere Seite die sauerstoffführende Kathode bildet. Dazwischen befindet sich eine Elektrolyt-Schicht. Eine Einheit erzeugt nur wenig Spannung, weshalb mehrere in soge­nannten Stacks aufeinandergestapelt und in Reihe geschaltet werden. „Der Nachteil der Brennstoffzelle ist die teilweise geringe Effizi­enz“, erklärt Geschäftsführer Simon Brugger. „Außerdem sind die Brennstoffzellen noch sehr teuer. Deshalb legen wir unseren Fokus darauf, sie effizienter und günstiger zu machen. Aus unserer Sicht ist bei Bipolarplatten eine Preisreduktion von 90 Prozent realistisch und damit wird diese Technik für breite Ein­satzzwecke hochinteressant.“ Erreichen möchte Brugger die Effizienzsteigerung durch die Opti­mierung des filigranen Designs der Bipolarplat-ten. In Forschung und Weiterentwicklung setzt er auf Technologiepartnerschaften unter ande­rem mit Hochschulen und auf ein Fundraising, um strategische Investoren zu finden. Brugger ist zuversichtlich: ‚Es arbeiten schon seit länge­rer Zeit einige Unternehmen an der Optimie­rung der Brennstoffzelle, aber wir produzieren günstiger, effektiver und nutzen unseren tech­nologischen Vorsprung.“ Für den Einsatz der Brennstoffzellen sieht er ein großes Potenzial, sowohl stationär in der Gebäudetechnik oder in­dustriellen Produktion wie auch in mobilen An­wendungen. Bei Letzteren sei allerdings das Ge­wicht ein bedeutender Faktor. ‚Für kleinere Autos und Kurzstreckenfahrten sehe ich den batterieelektrischen Antrieb als sinnvolle Lö­sung“, meint Brugger. ‚Für größere Autos und Lkws mit Langstreckenfahrten ist die Brenn­stoffzelle die bessere Alternative. Allerdings fehlt in Deutschland die dafür benötigte flä­chendeckende Infrastruktur mit Wasserstoff­tankstellen. In der mobilen Anwendung liegen für uns die höchsten Stückzahlen, aber wir schauen auch auf große Stromverbraucher wie die Serverlandschaften von beispielsweise Amazon und Apple. Dort wird die Energiever­sorgung im Moment noch mit Dieselgeneratoren sichergestellt. Hier sehen wir ein großes Poten­zial und neue Märkte.“ In der Mobilität ganz auf die Batterie zu setzen, hält Brugger für unrealis­tisch. ‚Ich wünsche mir in der Politik und Wirt­schaft eine Technologieoffenheit, die Batterie­technik und Brennstoffzellentechnik abwägt. Wie bislang bei Diesel und Benzin sollten wir uns überlegen, was für welchen Einsatz sinn­voll ist. Wenn man sich schon vor 100 Jahren nicht zwischen diesen beiden Technologien ent­scheiden konnte, warum sollte man sich dann schon jetzt im Verkehr ganz auf den batterie­elektrischen Antrieb fokussieren? Darüber hin­aus zeichnen sich mit den E-Fuels weitere Alter­nativen ab.“
„Das Interesse an Wasserstoff und seinen Einsatzbereichen ist riesig.“
David Wenger

Entwicklung verschiedener emissions­freier Antriebe statt Festlegung

Für Technologieoffenheit plädiert auch Diego Borghese, Chief Executive Officer der Nikola Iveco Europe GmbH, Ulm. Nikola USA hatte be­reits 2015 die Entwicklung von emissionsfreien Fahrzeugen vorangetrieben. Im September 2019 wurde eine Partnerschaft mit der Iveco Group eingegangen und dadurch der Entwicklungs­prozess beschleunigt. Bereits 2021 konnten die ersten Nikola Tre-Lkws BEV (battery electric ve-hicle) in den USA getestet werden. Nun ist das Ulmer Werk bereit für die Markteinführung in der EU. Diese ist für Lkws BEV im Juni 2023 und für Lkws FCEV (fuelcell electric vehicle), also mit Brennstoffzellenantrieb, für das erste Quar­tal 2024 vorgesehen. Nikola Iveco Europe setzt damit auf verschiedene emissionsfreie An­triebssysteme. Aus gutem Grund, wie Diego Borghese erläutert: ‚Die Lkw-Industrie folgt komplexen Regeln. Es ist zu berücksichtigen, ob weite Strecken zurückgelegt werden müssen, welche Güter geladen werden und ob es um Schichtbetrieb oder Tagfahrten geht. Es gibt viele Unterschiede, die Raum geben für mehrere Technologien wie zum Beispiel Batterie oder Brennstoffzelle. Wir wollen uns nicht festlegen, denn nur eine Technologie würde nicht alle An­forderungen unserer Kunden abdecken.“ Die Entwicklungen haben klar zum Ziel, die CO2-Emissionen zu reduzieren und den Güterver­kehr zu dekarbonisieren. Doch dem breiten Ein­satz neuer Antriebskonzepte stehen noch einige Hindernisse im Weg.
“Die größte Herausforde­rung ist die Infrastruktur. Das ist fast so, als müsse man ein ganz neues Ökosystem imple­mentieren.“
– Diego Borghese
“Für die Brennstoffzellen-Lkws brauchen wir spezielle Tankstellen. Aber auch beim batte­rieelektrischen Lkw heißt es nicht einfach plug and play. Die Strommengen beim gleichzeitigen Laden mehrerer Lkws stellen gewaltige Anfor­derungen an die Netzinfrastruktur. Darüber hi­naus machen beide Antriebstechnologien die Lkws schwerer. Neue Längen- und Gewichts­regelungen sind deshalb seitens der EU bereits in Kraft und von Deutschland und einigen an­deren Ländern schon umgesetzt. Als weiteres Hindernis für schnelle Umstellungen sieht Borghese die Anschaffungskosten. Der Treib­stoff sei zwar mittelfristig günstiger, ebenso die Instandhaltung durch weniger verbaute Verschleißteile. Die benötigten Komponenten zur Produktion würden aber noch nicht in gro­ßen Mengen hergestellt und seien entspre­chend teuer.

Kooperationen für den Fortschritt

Nikola Iveco unterstützt das Projekt Hy-FIVE im Rahmen des EFRE-Förderprogramms “Mo­dellregion Grüner Wasserstoff. (Hy-FIVE: Hy: Hydrogen, F: Fahrzeug, I: Industrie, V: Vertei­lung, E: Erzeugung). Das Projekt wird mit 33 Millionen Euro vom Land Baden-Württemberg gefördert. Ziel ist die Erprobung einer Wasser­stoffwirtschaft im ländlichen und städtischen Raum. ‚Wir begrüßen dieses Projekt sehr, be­tont Borghese. “Deshalb arbeiten wir, zusam­men mit Nikola Energy und anderen Partnern, an einer Hochleistungstankstelle am Werk, die auch der Öffentlichkeit zugänglich sein wird. Die Herausforderung einer solchen Einrich­tung liegt darin, wie der Wasserstoff aus der Lagerung in den Tank kommt. Dazu brauchen wir Kühlung und Kompressoren. Bei jedem Schritt kann kostbare Energie verloren gehen – eine sehr komplexe Angelegenheit. Das Pro­jekt sei genau das, was neue Technologien er­fordern: ein Zusammenspiel verschiedener Komponenten und Akteure.

„Wasserstoff ist viel mehr als ein Energieträger“

Wasserstoff ist kein Energieträger, der einfach zu handhaben ist. Auch David Wenger, Ge­schäftsführer der Wenger Engineering GmbH, Ulm, kennt die Komplexität der Anforderungen rund um den Einsatz von Wasserstoff. Sein Unternehmen plant Wasserstoffproduktions­anlagen und Speicher für die Aufnahme von Wasserstoff als Gas, Flüssigkeit oder chemisch gebunden. Ausgearbeitet werden Konzepte zum Transport von Wasserstoff, zur Einrich­tung von Wasserstofftankstellen oder zur Nut­zung von Wasserstoff in Brennstoffzellen oder Kleinkraftwerken. Die Projekte werden ge­meinsam mit dem Kunden entwickelt und auf dessen Bedürfnisse abgestimmt. Wie sehr sich das Unternehmen dem Wasserstoff verschrie­ben hat, zeigt der eigens gegründete Unterneh­menszweig Mission Hydrogen GmbH. Hier wer­den wöchentlich kostenlose Webinare zum Thema Wasserstoff organisiert, die bis zu 2.800 Interessenten aus aller Welt zusammenführen.
“Das Interesse an Wasserstoff und seinen Ein­satzbereichen ist riesig”
– David Wenger
“Schon seit zwei Jahren verzeichnen wir eine erhöhte Nachfrage.” Wenger sieht Wasser­stoff nicht als alleinigen Energieträger der Zu­kunft. Priorität hat seiner Meinung nach der Ausbau von Solar- und Windenergie. Darüber hinaus müsse in Energieeffizienz investiert werden, um den Stromverbrauch insgesamt zu senken. Trotzdem werde Deutschland auf­grund seiner geografischen Lage und Bevölke­rungsdichte immer auf Energieimporte an­gewiesen sein. Der Import könne dann aus Wasserstoff oder Wasserstoffderivaten beste­hen, die mit grüner Energie im südlichen Aus­land produziert werden. Wenger wirft noch ei­nen erweiterten Blick auf das Thema Wasser­stoff: “Wasserstoff ist viel mehr als ein Energie­träger. Er wird aktuell in einer Menge von 100 Millionen Tonnen pro Jahr mithilfe von Erdgas und Kohle hergestellt und überwiegend zur Ammoniaksynthese für die Herstellung von Düngemitteln verwendet. Alternativen zu Was­serstoff für die Düngemittelproduktion gibt es nicht. Hier müsse mit günstigem grünem Was­serstoff angesetzt werden, damit nicht durch erhöhte Düngemittelkosten Getreide verteuert und Brot unbezahlbar werde. Einen weiteren Aspekt bringt Wenger ins Spiel: “Für die glo­bale Schifffahrt werden Batterieantriebe kein Thema sein und Wasserstoffantriebe ebenfalls nicht überall. Für die Langstrecke sehe ich syn­thetische Kraftstoffe, also E-Fuels, als sinnvolle Alternative. 300 Millionen Tonnen E-Fuels wären aber nötig, um den gesamten Bedarf in der Schifffahrt zu decken. Dazu wäre eine Elektrolyseleistung erforderlich, die tausend­mal höher liegt als heute verfügbar ist. Die Konsequenz wäre es also, Elektrolyseure zu entwickeln, die größere Mengen Wasserstoff kostengünstiger herstellen können – vorzugs­weise mithilfe grüner Energie aus dem Süden.

Handhabung von Wasserstoff ist komplex

Was die Handhabung von sensiblen Gasen be­deutet, weiß man auch bei der Hecht cryo & gas expert GmbH in Meckenbeuren. Das Unterneh­men bietet Engineering, Installation und Ferti­gung in den Bereichen der Gasverflüssigung, Vakuumtechnik und Hochdrucksysteme. Also beste Voraussetzungen für den Umgang mit Wasserstoff. “Wir wollen Pioniere sein beim Einsatz von grünem Wasserstoff als Energie­speicher, sagt Dominic Hecht. Schon seit eini­gen Jahren richtet er sein Augenmerk auf Was­serstoff als Energieträger. Zu diesem Zweck ging das Unternehmen eine strategische Part­nerschaft mit einem Schweizer Hersteller von Hydridspeichern ein. “Unserer Meinung nach sind Metallhydridspeicher am effizientesten und langlebigsten, wenn man die gesamte Wertschöpfungskette und den Lebenszyklus betrachtet, so Hecht. ‚Es handelt sich um eine in vielen Punkten optimierte Technologie, die neue Einsatzbereiche eröffnet.“ Bei dieser Speicherform wird der Wasserstoff an ein Me­tall gebunden und bei Bedarf rein thermisch wieder gelöst. Nachteil ist das hohe Gewicht durch die benötigten Metalle. „Unsere System­lösungen mit den optimierten Metallhydrid-speichern könnten stationär überall dort zum Einsatz kommen, wo Wasserstoff via Brenn­stoffzelle rückverstromt oder als Prozessgas eingesetzt wird“, erklärt Hecht. „Wir haben dafür mit unseren Partnern von T4H2 (Technologies for Hydrogen) eine fertige Speicher-und Rückverstromungsanlage entwickelt. In Verbindung mit elektrolytisch selbst herge­stelltem grünem Wasserstoff kann sie für Un­ternehmen eine enorme Kosteneinsparung be­deuten.“ Dominic Hecht sieht in der Speziali­sierung auf Wasserstofftechnologien neue Chancen für das Unternehmen. Doch er weist auch auf Faktoren hin, die den Einsatz noch bremsen: „Staatliche Förderungen gibt es lei­der nicht für die breite Masse. Die mit der Handhabung von Wasserstoff verbundene Bü­rokratie ist zuweilen ausufernd und die Arbeit mit Druckbehältern unterliegt strengen Richt­linien insbesondere bei brennbaren Gasen.”„Es handelt sich um eine in vielen Punkten optimierte Technologie, die neue Einsatzbereiche eröffnet.“

„Es handelt sich um eine in vielen Punkten optimierte Technologie, die neue Einsatzbereiche eröffnet.“
– Dominic Hecht
Dipl.-Wirt.-Ing. Birgit Mann ist Wirtschaftsingenieur Kommunikationstechnik und Inhaberin der Team-Entlastung PR Blaubeuren