LSA 2020: LSA als Online-Konferenz

Corona nervt – aber das Virus regiert unseren Alltag. Vor allem gilt dies für viele Veranstaltungsformate. Zum Beispiel auf Konferenzen verzichten muss man deshalb aber noch lange nicht. Weil Präsenzveranstaltungen mit vielen Teilnehmern derzeit kaum durchführbar sind, verlegten die Organisatoren der LSA – Lübeck Summer Academy on Medical Technology, die Fachkonferenz für Medizinprodukterecht, Künstliche Intelligenz und Cybersicherheit kurzerhand komplett in eine Video-Kommunikationsplattform im Internet.
Der Umzug ins Netz gelang problemlos. Trotz teilweise großer Präsentationen der Referenten mit zahlreichen Animationen hatten die etwa 140 Konferenzteilnehmer durchweg guten Empfang. Und nicht nur das: Per Audiokanal über die Mikrofone oder im Chat über die Tastaturen gelang auch das Q&A, die Diskussion der einzelnen Fachbeiträge zwischen den Referenten und Teilnehmern, ohne Abstriche im Vergleich zu einer Konferenz in der "echten Welt". Zudem muss niemand zur Veranstaltung anreisen – das spart Zeit, Geld und CO2.

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LSA 2020 als Online-Konferenz

Haben Online-Konferenzen auch Nachteile? "Ich sag‘s mal so:", sagt Dirk Hermsmeyer vom Geschäftsbereich Innovation und Umwelt der IHK zu Lübeck. Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS und dem Cluster Life Science Nord, dem regionalen Branchennetzwerk für Medizintechnik, Biotechnologie und Pharma für Hamburg und Schleswig-Holstein, hat der die LSA2020 organisiert. "Der Vorteil von Online-Konferenzen ist: In der Pause gibt’s an der Kaffeetheke keine Schlange – also auch keine Wartezeit. Und der Nachteil ist: In der Pause gibt’s an der Kaffeetheke keine Schlange – also auch niemanden, mit dem man informell über die Konferenzinhalte oder Anderes ins Gespräch kommt. Egal, ob man alte Bekannte trifft oder per Zufall mit neuen Leuten in Kontakt kommt: ‚Netzwerken‘ ist ja das Salz in der Suppe jeder Konferenz.
Gerade aus den Pausengesprächen nehmen viele Teilnehmer wertvolle Aspekte und Ideen mit zurück in ihren Arbeitsalltag. Zwar bieten Video-Konferenztools auch Möglichkeiten zur Organisation von Klein- und Untergruppen. Deren Nutzung fühlt aber sich definitiv anders an als Gespräche von Angesicht zu Angesicht. Im Online-Format das eigene Netzwerk zu erweitern, etwa indem man jemanden anspricht, den oder die man noch nicht kennt, dürfte vielen schwerfallen."
Gleichwohl bot die LSA Medizinprodukteherstellern, Händlern, Beratungsunternehmen und Angehörigen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen in diesem Jahr erneut hoch spannende und sehr aktuelle Vorträge.
Martin Pregler vom Münchener Softwarehaus Brainlab AG berichtete über digitale Lösungen zur 3D-Navigation für die Planung und Durchführung von komplizierten Operationen am Kopf, z.B. bei der Entfernung von Hirntumoren, sowie über künftige Entwicklungen in diesem Bereich. Weltweit sind 13.000 Systeme der Brainlab AG in 5.500 Krankenhäusern im Einsatz. Dina Truxius vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik "impfte" die Teilnehmer mit einer eigentlich nicht neuen, aber dennoch sehr beunruhigenden Botschaft: ALLE Unternehmen und Organisationen stehen heute im Risiko, Opfer von Cyber-Attacken zu werden. Medizinproduktehersteller und deren Produkte sind hiervon nicht ausgenommen. Entscheidend ist, wie Unternehmen sich auf solche Attacken vorbereiten, welche Notfallpläne sie vorhalten, und ob sie selbst an ihren Produkten durch "freundliche Hacker" sogenannte Penetrationstests durchführen lassen, um bestehende Sicherheitslücken aufzuspüren und rechtzeitig beseitigen zu können.
Gefolgt wurden die beide Keynotes der LSA2020 von zwei parallelen Konferenzsessions, eine zu regulatorischen Fragen bei Medizinprodukten, die zweite zu Themen rund um Künstliche Intelligenz und Deep Learning.

Regulatorische Angelegenheiten bei Medizinprodukten

Klaus-Dieter Ziel, Geschäftsführer der MedCert GmbH in Hamburg, einem der ersten Unternehmen in Europa, die zur Durchführung des Konformitätsverfahrens nach dem neuen EU-Recht für Medizinprodukte berechtigt sind, beschrieb eindringlich den gegenwärtig sehr hohen Bearbeitungsstau bei der Anwendung des neuen Rechts. Zwar wurde aufgrund der Corona-Pandemie die Übergangsfrist für die neue EU-Verordnung um ein Jahr verlängert. Allerdings ist die zusätzliche Zeit auch bitter erforderlich und zudem weder für Medizinproduktehersteller noch für die prüfenden "Benannten Stellen" ein echter Zeitgewinn. Dies liegt vor allem daran, dass aufgrund von Reisebeschränkungen aktuell zahlreiche Audits und andere Arbeiten als Folge von Corona in der Tat nicht durchgeführt werden können. Der dringliche Apell von Herr Ziel an die Hersteller lautet, auf keinen Fall in deren Bemühungen nachzulassen, die Anforderungen des neuen Rechtsrahmens zu erfüllen. Wer dies tue laufe Gefahr, die Geschäftsgrundlage des Unternehmens zu verlieren, wenn die CE-Kennzeichnung nach den komplizierteren Regeln des neuen Rechts nicht rechtzeitig angebracht werden darf und Produkte somit nicht in den Verkauf gegeben werden dürfen.
Pascal Hofer vom Unternehmen Roche erläuterte am Beispiel einer App für Diabetes-Patienten das seit Dezember 2019 geltende Digitale Versorgungsgesetz (DVG) und die Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV). Erstmals in Deutschland ist es mit diesen neuen Regelungen möglich, dass Patienten "Apps auf Rezept" erhalten dürfen. Voraussetzung hierfür ist, dass die jeweilige App ein Prüfverfahren erfolgreich durchlaufen hat und in einem Verzeichnis erstattungsfähiger digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA-Verzeichnis) gelistet ist. Das Prüfverfahren wird beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) durchgeführt, einer nachgeordneten Behörde des Bundesministeriums für Gesundheit. Dort können sich Hersteller bzw. Entwickler von Gesundheits-Apps zu den Neuregelungen auch beraten lassen.
In seinem Vortrag über Haftungsfragen bei neuen Technologien gab Georg Borges, Leiter des Instituts für Rechtsinformatik der Universität des Saarlands, eine Übersicht über den aktuellen Stand der Diskussion um einen europäischen Rechtsrahmen für Produkte, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basieren. Mit Blick auf Haftungsfragen im Fall von Schäden im Zusammenhang mit der Anwendung solcher künstlicher "Autonomer Systeme" sei durchaus nicht alles so umstürzend neu, wie es auf den ersten Blick den Anschein habe. So kann es für die Entwicklung des neuen Rechtsrahmens hilfreich sein, sich daran zu erinnern, dass z.B. Haustiere oder Vieh ebenfalls als "Autonome Systeme" (wenngleich als natürliche) betrachtet werden können: Auch z.B. ein Hund ist durch den Menschen nicht in allen Situationen vollkommen steuerbar und kann etwa den Postboten beißen. Dennoch ist die Hundehaltung anerkannt, weit in der Gesellschaft verbreitet, und Regelungen zur Tierhalterhaftung im Schadenfall existieren im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch seit mehr als 100 Jahren. Sicher tragen Analogieschlüsse einer Betrachtung von Tieren als "natürlichen Autonomen Systemen" und KI-basierten Produkten – wie etwa lernenden Robotern – als "künstlichen Autonomen Systemen" nicht bis in jedes Detail. Im Umgang mit neuen Technologien kann dieser Blickwinkel aber sicher zu mehr Gelassenheit beitragen.

Künstliche Intelligenz und Deep Learning

Jelmer Wolterink von der Universität Twente (Enschede, Niederlande) berichtete über den Stand der Forschung und die Einsatzmöglichkeiten von Generative Adversarial Networks (GANs) im Kontext von medizinischer Bildverarbeitung. Vielversprechende Anwendungen sind unter anderem die Synthese von Bildmodalitäten und Bild-Rekonstruktion. So kann z.B. ein pseudo-CT aus einer MR-Aufnahme synthetisiert werden oder ein mit geringerer Strahlung aufgenommenes CT dennoch rekonstruiert werden. Noch mehr als bei auf Regression basierenden Verfahren, erfordern GANs besondere Sorgfalt bei der Auswahl der Trainingsdaten, um unbeabsichtigten Bias in den Ergebnissen zu vermeiden.
Die Rolle KI-basierter Auswertungen von CT-Scans insbesondere der Lunge im Zusammenhang mit COVID-19 erläuterte Bianca Lassen-Schmidt von Fraunhofer MEVIS in Bremen. Speziell im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf, wenn ein labormedizinischer Nachweis durch die PCR nicht mehr möglich ist, kann ein CT-Scan zusätzliche diagnostische Informationen liefern. Fraunhofer MEVIS arbeitet im Verbund mit dem Universitätsklinikum "Radboud UMC" in Nijmegen (Niederlande) an der Automatisierung dieser Diagnostik mit Hilfe von KI-Algorithmen.
Wolfgang Faisst von der Plattform Lernende Systeme beschrieb neue Geschäftsmodelle für KI in medizinischen Anwendungen. Um die erfolgreiche Entwicklung von KI in Europa zu gewährleisten, gibt Herr Faisst eine Reihe von Empfehlungen. Neben dem Ausbau von Netz- und Cloud-Infrastruktur sind dies vor allem die Stärkung von öffentlicher Förderung und Investitionsmöglichkeiten sowie die Schaffung einheitlicher und einfacher rechtlicher Rahmen, z.B. beim Umgang mit personenbezogenen Daten.
Norman Zerbe vom Institut für Pathologie der Berliner Charité beschrieb das Projekt EMPAIA – EcosysteM for Pathology Diagnostics with AI Assistance. Ziel des Projektes ist der Aufbau eines offenen und standardisierten Marktplatzes, der es Entwicklern von KI-Lösungen in der Pathologie erlaubt, ihre Produkte leichter an den Markt zu bringen. Lokale Partner des durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten EMPAIA-Projekts sind auch Fraunhofer MEVIS und die Gemeinschaftspraxis für Pathologie Lübeck, Dr. Turzynski und Kollegen.
Abschließend stellte Stefan Fischer, Vize-Präsident der Universität zu Lübeck für Technologietransfer und Digitalisierung, die KI-Ziele und Strategie der Universität vor. In rascher Folge erzielte die UzL in den vergangenen Monaten eine Reihe bedeutender Erfolge auf ihrem Weg, KI in den Bereichen Forschung, Lehre sowie Technologietransfer und Innovation zu einem Schwerpunkt zu machen. So wurde ein Zentrum für KI mit etlichen beteiligten Instituten gegründet, ein "Haus der KI" gemietet und Forschungsmittel in bedeutendem Umfang für etliche Projekte eingeworben, hierunter das Projekt KI-SIGS – Spaces für Intelligente Gesundheitssysteme. Anfang Mai 2020 fiel die Entscheidung, dass in Lübeck eine neue Außenstelle des weltweit renommierten Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) eröffnet wird. Und erst vor wenigen Tagen gab die Universität bekannt, dass sie als eine der ersten Hochschulen in Deutschland einen neuen PetaFLOPS-Supercomputer des kalifornischen Hersteller NVIDIA Corporation anschaffen wird. Anwendungen für den neuen Superrechner liegen unter anderem im Einsatz von KI und des Deep Learning für die häusliche Augendiagnostik, für die Auswertung von Röntgenbildern, für das Monitoring in der Notfall- und Intensivmedizin, für die Beatmungstherapie, für die Chirurgie, für individualisierte Hörhilfen und für das Bewegungstraining. Die UzL untermauert damit eindrücklich ihre führende Rolle in der KI-Forschung in Norddeutschland.
Der Termin für die Lübeck Summer Academy 2021 ist mit dem 17. Juni 2021 bereits gesetzt: Ob die Gäste aus dem gesamten Bundesgebiet und dem europäischen Ausland dann erneut per Video-Schaltung zusammenkommen werden, oder sich in den Lübecker media docks treffen, wird auf www.ihk-sh.de/lsa rechtzeitig bekannt gegeben.
Veröffentlicht am 8. Juli 2020