"Die Politik kann den Folgen steigender Energiepreise nicht hinterhersubventionieren"

Viele Unternehmen leiden unter den extrem gestiegenen Strompreisen. Die Pläne der EU-Kommission, eine Übergewinnabgabe für Stromerzeuger als Entlastung einzuführen, ist in dieser Notsituation aus Sicht der IHK wenig zielführend. Präsident Manfred Schnabel:  
Die von der EU-Kommission geplante Übergewinnabgabe für Stromerzeuger setzt nicht an den Ursachen der explodierenden Preise an und bräuchte zu lange, bis sie als Entlastung bei den Unternehmen ankommt. Meine Forderung mit Blick auf die Diskussion um Laufzeitverlängerungen, Reaktivierung stillgelegter Meiler und lange Genehmigungszeiten für regenerative Energien: Zielführender wäre es, das Stromangebot kurzfristig zu erhöhen. Dazu müssen alle verfügbaren Erzeugungskapazitäten so schnell wie möglich ans Netz. Dabei geht es nicht um dauerhafte Laufzeitverlängerungen oder Reaktivierungen, sondern um temporäre Lösungen in der jetzigen Notsituation.
Zweite notwendige Stellschraube: Der Staat sollte für die Zeit der Krise die Energiesteuern und -abgaben so weit als möglich reduzieren; von einer bloßen Reduktion der Mehrwertsteuer haben Unternehmen indes nichts.
Dritte mögliche Stellschraube, deren Auswirkungen schwierig zu kalkulieren sind und die es deshalb intensiv zu prüfen gilt: eine Änderung der Preisbildungsregel am Strommarkt. Nach dem Merit-Order-Prinzip bestimmt die zuletzt produzierte Einheit den Preis. Das ist derzeit die Stromproduktion mit Gas und führt zu entsprechend exorbitanten Kosten. Eine Änderung dieser Regel könnte den Strompreis tendenziell drücken und würde sogenannte Übergewinne bei den Erzeugern schmälern. Einfach wäre solch eine Änderung nicht, aber nach Meinung von Experten machbar. Das neue Strommarktdesign müsse in jedem Fall die Interessen der Stromerzeuger sowie der -verbraucher ausgleichen, finanzierbar sein und europäisch umgesetzt werden.
Die Kommission legt mit ihrem Vorschlag eine große Menge umverteiltes Geld ins Schaufenster und lässt dabei offen, wie und wann Unternehmen entlastet werden. Große Teile der Wirtschaft leiden unter den extrem gestiegenen Preisen; Industriebetriebe fahren ihre Produktion zurück oder sind gezwungen, sie ganz auszusetzen. Wir befürchten eine massive Deindustrialisierung. Es zählt jetzt nicht nur jede Kilowattstunde, sondern auch jeder Tag, andernfalls drohten irreparable Schäden an unserer wirtschaftlichen Substanz und damit langfristige Wohlstandsverluste. Vor diesem Hintergrund überzeugen die Planungen der EU-Kommission nicht. Die Politik kann den Folgen steigender Energiepreise nicht hinterhersubventionieren. Das ist ein aussichtsloses Unterfangen.
Mannheim, 22. September 2022