Rede IHK-Sommerempfang 2025
Mehr als 650 waren Gast im Hofgut Ladenburg. Vor dem Netzwerken setzte IHK-Präsident Schnabel einen inhaltlichen Impuls. Titel der Rede: Neue Welt, neuer Kurs – warum wir uns jetzt ehrlich machen müssen.
Einleitung
Liebe Gäste,
und wie Sie es von mir erwarten, kommt auch in diesem Jahr vor der leichten die schwere Kost, nämlich eine Bestandsaufnahme über die Themen, die unsere Unternehmen und uns besonders bewegen, aber mit einem besonderen Fokus!
und wie Sie es von mir erwarten, kommt auch in diesem Jahr vor der leichten die schwere Kost, nämlich eine Bestandsaufnahme über die Themen, die unsere Unternehmen und uns besonders bewegen, aber mit einem besonderen Fokus!
In den vergangenen Jahren habe ich beispielsweise über die drohende Inflation und deren Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft oder unseren Ansatz gesprochen, dass Wirtschaft wie ein Ökosystem zu begreifen ist.
Heute lautet mein Thema: “Neue Welt, neuer Kurs – warum wir uns jetzt ehrlich machen müssen”.
Dabei geht es mir im Kern um drei Fragen:
- Wo stehen wir: international, national und in der Region?
- Warum und wo müssen wir uns ehrlich machen?
- Was ist zu tun, um wieder auf Erfolgskurs zu kommen?
Situationsanalyse
Liebe Gäste,
wenn man die Nachrichtenlage verfolgt, kann man eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass die politische und wirtschaftliche Situation – freundlich ausgedrückt – einigermaßen verzwickt und unübersichtlich ist:
Geopolitik
Geopolitisch erleben wir eine Erosion der Weltordnung, wie sie über Jahrzehnte Bestand hatte – einer Ordnung, die uns Frieden, Freiheit und Wohlstand gebracht hat.
Gemeint ist die sogenannte liberale Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter Führung der USA entstanden ist. Sie beruht im Kern auf drei Prinzipien:
- Regelbasierte internationale Zusammenarbeit: Konflikte zwischen Staaten sollen durch Verträge und internationales Recht gelöst werden – nicht durch Gewalt.
- Multilateralismus: Globale Probleme werden kooperativ im Rahmen internationaler Institutionen bearbeitet – etwa durch die UN, die WTO oder die EU. Letztere hat Europa nach zwei verheerenden Weltkriegen zu einem Kontinent des Friedens gemacht.
- Freihandel und wirtschaftliche Offenheit: Die liberale Ordnung setzt auf globalen Handel, offene Märkte und wirtschaftliche Verflechtung – mit der Überzeugung, dass das zu Wohlstand und Stabilität führt.
Bei der vergangenen Sitzung des DIHK-Präsidiums im Juni war mit Claudia Major eine der renommiertesten Sicherheitsexpertinnen Deutschlands zu Gast. Ihre Analyse war beeindruckend klar:
Es gehe längst nicht mehr nur um Putin, sondern um einen globalen Konflikt zwischen jenen Staaten, die die regelbasierte Weltordnung verteidigen – und jenen, die sie gezielt untergraben wollen.
Zu dieser zweiten Gruppe zählen neben Russland und China auch Teile der sogenannten BRICS-Staaten, also Brasilien, Indien und Südafrika, und womöglich auch die USA.
Besonders beunruhigend: Einige dieser Staaten betrachten Gewalt wieder als legitimes Mittel der Politik – und sind damit teilweise sogar erfolgreich.
Diese neue Weltordnung wird also nicht nur verhandelt, sondern blutig ausgefochten – auf den Schlachtfeldern in der Ukraine oder im Nahen Osten.
Sicherheit, so Majors zentrale Botschaft, ist heute keine rein militärische Kategorie mehr, sondern ein strategisches Querschnittsthema, das Wirtschaft, Gesellschaft und internationale Ordnung gleichermaßen betrifft.
Das Problem der liberalen Weltordnung: Den traditionellen Hüter dieser Ordnung – die USA – gibt es seit Donald Trump möglicherweise nicht mehr.
Wir in Deutschland geben uns gerne der Illusion hin, dass mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 alles anders wurde. Der damalige Kanzler Scholz prägte den Begriff der Zeitenwende.
Doch das ist so nicht richtig. Bereits 2014 hatte Russland die Krim völkerrechtswidrig besetzt und annektiert. Und noch früher – 2008 – intervenierte Russland in Georgien. Damals wurde bereits deutlich, wie wenig Russland von Gewaltverbot und staatlicher Souveränität hält – zumindest, wenn es um ehemalige Sowjetrepubliken geht.
Wir haben das alles gesehen – aber wir haben weggeschaut. Hartnäckig haben wir uns geweigert, diese Realität zur Kenntnis zu nehmen und daraus die nötigen Konsequenzen zu ziehen.
2022 hat sich deshalb nicht die Welt verändert – sondern unsere Wahrnehmung. Die Vollinvasion der Ukraine hat eine Krise sichtbar gemacht, die längst bestand. Wir konnten nicht mehr wegsehen – und wurden gezwungen, die Fakten zur Kenntnis zu nehmen.
Ähnlich ist es mit den Entwicklungen in den USA. Die zweite Präsidentschaft Trumps war zweifellos ein Bruch mit der außenpolitischen Tradition. Aber schon seine Vorgänger – Obama und Biden – forderten, dass Europa stärker selbst für seine Sicherheit einsteht. Denn die USA haben nicht nur enorme Ressourcen in Europa gebunden, sie haben zugleich ihren strategischen Fokus zunehmend auf den pazifischen Raum verschoben. Der Grund: der Aufstieg Chinas zur Weltmacht.
Apropos China: Auch hier haben wir lange weggesehen. Chinas geostrategische Ambitionen wurden nie wirklich verborgen. Die „Neue Seidenstraße“ ist seit Jahren öffentlich kommuniziert – ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Ziele klar erkennbar. Deutschland reagierte erst 2023 mit einer eigenen China-Strategie – über deren Weitsicht man durchaus streiten kann.
In dieser neuen Weltlage braucht Europa neue Allianzen – und neue Diplomatie. Eine außenpolitische Haltung mit erhobenem Zeigefinger ist, wie die vergangenen Jahre gezeigt haben, fehl am Platz.
Das heißt nicht, dass wir nicht für die liberale, multilaterale Weltordnung einstehen sollen – im Gegenteil. Aber wir müssen es anders tun: mit einem besseren Verständnis für die Perspektiven, Traditionen und Interessen anderer Länder. Und mit der Anerkennung, dass andere Staaten andere Werte haben.
In den vergangenen Jahrzehnten haben wir uns fast ausschließlich auf Diplomatie und wirtschaftliche Beziehungen konzentriert. Die Verteidigungspolitik hingegen spielte kaum eine Rolle. Doch in Zeiten zunehmender Aggression und einer bröckelnden Weltordnung reicht Diplomatie allein nicht mehr aus.
Gleichzeitig ist es genauso falsch, jetzt alles auf Aufrüstung zu setzen. Verteidigungsminister Pistorius hat gefordert, dass Deutschland wieder kriegstüchtig werden muss. Diesen Begriff lehne ich ab, weil er eine falsche Tonalität einführt.
Richtig ist: Deutschland muss wieder abschreckungs- und verteidigungsfähig werden. Das erfordert eine Erweiterung unseres politischen Instrumentariums – aber eben nicht nur militärisch. Denn die Ertüchtigung der Bundeswehr allein – personell wie materiell – wird nicht ausreichen.
Wir dürfen nicht den Mangel an Verteidigungsfähigkeit durch einen Mangel an Wirtschaftskraft ersetzen.
Denn unsere wirtschaftliche Stärke ist entscheidend: für unsere Abschreckungskapazität und unsere Fähigkeit, überhaupt Verteidigung zu finanzieren.
Was bedeutet das konkret?
- Wir müssen die Bundeswehr pragmatisch ertüchtigen, ohne der Wirtschaft unnötig Fachkräfte zu entziehen.
- Diplomatie und Allianzen bleiben ebenso unverzichtbar wie militärische Fähigkeiten.
- Der staatliche Haushalt braucht eine neue Prioritätensetzung – Aufrüstung darf nicht Innovationskraft und Standortbedingungen gefährden.
- Die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft muss so gestärkt werden, dass sie auch unsere sicherheitspolitischen Ambitionen tragen kann.
Ehrlich machen in der Geopolitik heißt deshalb:
- Allein mit Aufrüstung werden wir die globalen Probleme nicht lösen.
- Genauso wichtig ist eine wirtschaftlich starke, wettbewerbsfähige Basis – nur so schaffen wir die nötigen Ressourcen für unsere Sicherheit.
Europäische Union
Die aktuelle handelspolitische Diskussion mit den USA zeigt: Die EU ist für uns nicht nur eine Wertegemeinschaft – sie ist auch eine “Versicherungsgemeinschaft”. Ohne die vollständige Vergemeinschaftung der Handelspolitik wäre jedes einzelne Land gegenüber den USA machtlos. Einigkeit macht eben stark. Und im Interesse dieser gemeinsamen Stärke müssen nationale Interessen auch einmal hinter gemeinschaftlichen zurückstehen.
Ehrlich machen heißt im EU-Kontext: Wir sind viel zu langsam und bleiben unter unseren Möglichkeiten. Auch 32 Jahre nach Einführung des Europäischen Binnenmarkts ist dieser noch immer nicht vollendet – wir schöpfen das Potenzial des gemeinsamen Markts bei weitem nicht aus.
Und das wirtschaftliche Gewicht Europas entfalten wir nur dann, wenn wir Handelsabkommen nicht nur verhandeln, sondern auch abschließen. Über das Abkommen zwischen der EU und Mercosur wurde fast 20 Jahre verhandelt – weil wir uns in Details und Nationalegoismen verloren haben.
Immerhin: In einem Punkt hat sich die EU-Kommission bereits ehrlich gemacht. Sie hat erkannt, dass der Green Deal in seiner bisherigen Form zulasten der internationalen Wettbewerbsfähigkeit geht – und räumt dem Wirtschaftswachstum inzwischen wieder eine höhere Priorität ein.
Das halte ich für absolut richtig.
Aber, um es deutlich zu sagen: Wir brauchen keine “Re-Regulierung”. Wir brauchen eine echte De-Regulierung. Das heißt: Es müssen Regelwerke auch wieder abgeschafft werden – etwa die Taxonomieverordnung – die weit über ihr ursprüngliches Ziel hinausgeschossen ist.
Bundesebene
Nun zur Situation bei uns in Deutschland.
Zum Ende der Ampelregierung lag das Wirtschaftswachstum am Boden: -0,2 Prozent reales BIP-Wachstum im Jahr 2024 nach –0,3 Prozent im Vorjahr. Noch alarmierender: Beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf treten wir seit 2019 auf der Stelle.
Ein Blick auf internationale Wettbewerbsrankings – etwa den IMD aus Lausanne – zeigt: Unsere Wettbewerbsfähigkeit sinkt seit 2014 kontinuierlich, auch wenn wir zuletzt wieder leicht Boden gewonnen haben. Während der Ampelzeit stürzte Deutschland auf den 24. Platz geradezu ab.
Wir als IHK haben diesem Negativtrend nicht tatenlos hingenommen. Im Gegenteil: Wir haben regelmäßig Stellung bezogen und den Finger in die Wunde gelegt.
- Schuldenbremse:
Schon frühzeitig haben wir uns – im Einklang mit dem Sachverständigenrat – für eine maßvolle Reform ausgesprochen. Unser zentrales Prinzip: Erst Reformen und Einsparungen im Haushalt, dann – abhängig von der Schuldenstandsquote – begrenzte Flexibilität bei der Neuverschuldung. - Das ökonomische Ökosystem:
Ich habe es in diesem Kreis schon häufig ausgeführt: Die Wirtschaft funktioniert wie ein Ökosystem. Wir brauchen gute Rahmenbedingungen für alle Unternehmen – statt staatlicher Eingriffe über Förderungen und Subventionen. Die gescheiterten Großprojekte der Habeck-Ära – etwa Northvolt, Wolfspeed oder Intel – zeigen, wohin das führt. - Bürokratie:
Ich kann das Wort Bürokratieabbau selbst kaum noch hören – weil wir das Problem nicht an der Wurzel anpacken. Wenn wir uns ehrlich machen, dann müssen wir nicht nur Verfahren verschlanken, sondern Regulierungen auch abschaffen. Erst wenn überflüssige Regeln gestrichen werden, wird Bürokratieabbau gelingen. - Die ökologische Transformation:
Die Energiewende muss auch ökonomisch erfolgreich sein – nur dann kann sie weltweit zum Vorbild werden. Das war der Leitgedanke unserer IHK-Stromstudie, die wir noch vor Beginn des Ukraine-Krieges veröffentlicht haben – mit einem klaren Fokus auf Potenziale und Herausforderungen in der Region.
Das war die Ausgangslage vor der Wahl – doch was geschah danach?
Finanzen und Schuldenbremse
Wie in der Bibel stand der Sündenfall am Anfang. Trotz anderslautender Wahlversprechen wurde die Schuldenbremse gleich nach der Wahl durch eine schwarz-rot-grüne Koalition per Grundgesetzänderung faktisch ausgehebelt.
Statt einer vorsichtigen Reform nach einer echten Strukturreform wurden die Schleusen weit geöffnet – ein Füllhorn auf Pump, zulasten künftiger Generationen.
Damit wurde eine schwere Hypothek aufgenommen – politisch, weil viele Wählerinnen und Wähler sich getäuscht fühlen müssen. Und ökonomisch, weil Deutschland sich zunehmend den Risiken des Kapitalmarkts aussetzt.
Der aktuelle Zinssatz für zehnjährige Bundesanleihen liegt bei rund 2,5 Prozent. Noch ist das günstig – doch ein Blick auf andere Länder zeigt, wohin das führen kann:
- Frankreich zahlt bereits 3,3 Prozent,
- die USA sogar 4,3 Prozent – infolge ihrer hohen Staatsverschuldung.
Hinzu kommt: Als stärkste Volkswirtschaft in Europa halten wir mit unserem ökonomischen Gewicht die Zinsen für andere künstlich niedrig. Steigen wir nun selbst in die Schuldenpolitik ein, gefährden wir nicht nur unsere eigene Stabilität – sondern auch das gesamte Projekt Europa.
Eine neue Schulden- und Eurokrise wäre die mögliche Folge.
Auch innenpolitisch ist der Preis hoch: Die Zinslast wächst – der Haushalt versteinert. Nach Renten, Zinsen, Tilgung und Rechtsansprüchen bleibt kaum noch Gestaltungsraum. Umso unverständlicher ist es, dass die Bundesregierung verbliebene Spielräume durch Klientelpolitik aufbraucht – etwa mit Mütterrente und Agrardiesel.
Wenn wir schon einen so tiefen “Schluck aus der Pulle” nehmen, dann dürfen wir unseren Kindern und Enkeln nicht auch noch einen Reformstau hinterlassen – als Erbe einer politischen Aufschieberitis. Mein Appell: Lasst uns unsere Kreditwürdigkeit nicht leichtfertig gegen ein paar Wahlgeschenke eintauschen – auf Kosten einer gewaltigen, ungelösten To-do-Liste.
Auch beim Thema Finanzen gilt unser Motto. Ehrlich machen heißt fragen: Wer soll das alles bezahlen – unsere Enkel? Riskieren wir am Ende die Stabilität unserer Währung und das Vertrauen in unsere Demokratie?
Koalitionsvertrag
Den Koalitionsvertrag haben wir genau analysiert – mit einer zentralen Frage: Was bringt er für die Breite unserer Wirtschaft? Für unsere 70.000 Mitgliedsunternehmen?
Das Ergebnis: ein wenig Licht – aber auch viel Schatten.
Auf der positiven Seite finden sich erfreuliche Punkte – darunter einige unserer eigenen Forderungen:
- Abschaffung des nationalen Lieferkettengesetzes
- Reform des Arbeitszeitgesetzes
- Einführung der degressiven Abschreibung
- Absenkung der Körperschaftsteuer – wenn auch erst ab 2028
- Und ein erkennbarer Wille, das Bürokratieproblem überhaupt anzuerkennen
Aber: Trotz guter Überschriften bleibt vieles auf halber Strecke. Die Liste der Schattenseiten ist lang – und geprägt von einem Ausweichen vor echten Strukturreformen. So wurde die überfällige Sanierung der Sozialversicherungssysteme erneut vertagt – in eine Kommission, sprich: auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.
Die Folge: weiter steigende Lohnnebenkosten und steigende Steuerlasten
Und das belastet fast alle unserer Mitgliedsunternehmen – deutlich mehr als etwa hohe Energiekosten, von denen nur einige stark betroffen sind.
Fazit: Durch mangelnden Reformwillen – und zusätzliche Auflagen wie das Tariftreuegesetz – wird der Faktor Arbeit zunehmend zum Luxusgut.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel deutlich machen: Ein Handwerker verdient brutto 20 Euro pro Stunde. Netto bleiben – je nach Familienstand – vielleicht 13 Euro. Dem Kunden aber muss diese mit rund 78 Euro berechnet werden.
Wie kommt diese Differenz zustande? Durch Lohnnebenkosten, Gemeinkosten, Steuern, Krankheit, Urlaub, Schulungen, Betriebsbeauftragte, Versicherungen, Rechts- und Beratungskosten – und schließlich noch die Mehrwertsteuer.
Der Effekt: Der Handwerker muss rund sechs Stunden arbeiten, um sich eine eigene Handwerkerstunde leisten zu können. Wer soll das noch bezahlen?
Auch beim Koalitionsvertrag gilt: Wir müssen uns ehrlich machen – denn die echten Probleme werden nicht angegangen. Was mich zumindest ein wenig zuversichtlich stimmt: Auch Schröders Agenda 2010 stand nicht im rot-grünen Koalitionsvertrag – sondern war eine Reaktion auf die sich zuspitzende Lage.
Regierung
Nach dem Koalitionsvertrag wurden Kanzler und Ministerien bestimmt.
Der Kanzler scheint – vor allem in Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsminister, mit Abstrichen auch dem Außenminister – einen soliden Job zu machen. Das zeigt sich auch in der positiven Außenwahrnehmung.
Auch in anderen Ministerien gab es anfangs Grund zur Hoffnung: Die Zahl der Ressorts stieg zwar erneut, dafür setzte man verstärkt auf neue Gesichter – teils mit Wirtschaftserfahrung.
Positiv: Der Umgang mit der Wirtschaft hat sich verbessert. Man hört uns wieder zu – auch wenn das mitunter mehr Ratlosigkeit als Einsicht signalisiert.
Aber entscheidend ist, was umgesetzt wird – nicht, was angekündigt wird. Und hier wachsen die Zweifel. Die Anzeichen für Klientelpolitik sind zu offensichtlich, die Lücke zwischen Worten und Taten untergräbt Vertrauen – bestes Beispiel: die Stromsteuer-Debatte.
Zur Erinnerung: Vor zwei Jahren haben wir die Wirtschaft mit einem Ökosystem verglichen. Wenn die Stromsteuersenkung nur für Industrie und Landwirtschaft gilt, wird ein Großteil der Wirtschaft erneut ausgeklammert – obwohl auch dieser zum Wohlstand beiträgt.
Ehrlich machen heißt: Die Lage muss sich spürbar für alle Unternehmen verbessern – nicht nur in Überschriften, sondern im Alltag.
Aktuelle wirtschaftliche Lage
Werfen wir einen genaueren Blick auf die aktuelle Wirtschaftslage. Wie am Ende der Ampelzeit bleibt sie unbefriedigend – trotz der Ankündigung der Bundesregierung, die Stimmung bis zum Sommer zu drehen.
Tatsächlich hören wir in Gesprächen mit Unternehmen von einer leichten Stimmungsaufhellung. Es keimt Hoffnung – aber von echter Aufbruchsstimmung kann keine Rede sein.
Die Verunsicherung ist weiterhin groß. Viele Betriebe sprechen über Aufträge – vergeben sie aber noch nicht. Ähnlich bei den Verbrauchern. Weil die Arbeitslosigkeit steigt, nimmt auch die Sparquote wieder zu.
Baden-Württemberg
Kommen wir zur Landesebene: Wir stehen rund neun Monate vor der nächsten Landtagswahl, die mindestens einen Wechsel des Ministerpräsidenten, vielleicht auch einen Wechsel der Regierungskoalition bringen wird.
Nicht nur wegen dieser Wahl wird uns die Landesebene künftig stärker fordern. Auch, weil unsere IHK seit vielen Jahren durch meine Person wieder im Vorstand des Baden-Württembergischen IHK-Tages vertreten ist – unserer Dachorganisation auf Landesebene.
Wir stehen seither in einem viel engeren Kontakt mit der Landesregierung als bisher. Das wollen wir für unsere Region nutzen – etwa für die Health and Life Science Alliance oder für Verbesserungen unserer Forschungslandschaft.
Ehrlich machen auf der Landesebene: Durch die faktische Aufkündigung der Schuldenbremse erhalten die Länder enorme zusätzliche Mittel. Zum einen bekommen sie durch neue Verschuldungsmöglichkeiten in Höhe von 0,35 Prozent des BIP rund 16 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr. Zum anderen haben sie sich schon zu Beginn den Entfall der Zusätzlichkeitsvereinbarung gesichert – das bringt ihnen weitere 100 Milliarden Euro zur freien Verfügung.
Das ist enorm! Die Länder müssen sich dieser Verantwortung bewusst sein – und jetzt tatsächlich liefern! Ich denke da etwa an unsere maroden Schulen, insbesondere die Berufsschulen. Das Argument “Wir haben kein Budget” kann jetzt nicht mehr gelten.
Region
Auf regionaler Ebene gilt: Wir haben uns bereits ehrlich gemacht. Unsere IHK-Resilienz-Studie zeigt, dass wir durchaus verletzlich sind. Schon der Erhalt unseres aktuellen Wohlstandsniveaus ist kein Selbstläufer. Wir müssen dafür viel tun.
Im Vergleich mit anderen deutschen Metropolregionen stehen wir sehr stabil da, haben also eine gute Substanz. Die Mischung aus DAX-Konzernen, leistungsstarkem Mittelstand und vielen kleinen Unternehmen ist stark.
Doch bei der Innovationskraft – insbesondere bei der anwendungsorientierten Forschung nahe an der Marktreife – besteht Handlungsbedarf. Hier sind andere Metropolregionen besser aufgestellt.
Wir müssen unser regionales Innovationssystem so stärken, dass wissenschaftliche Ergebnisse auch ökonomischen Nutzen bringen. Wissenschaft und Wirtschaft müssen aufeinander zugehen und sich gegebenenfalls um neue, anwendungsorientierte Forschungseinrichtungen bemühen.
Ein starkes Signal ist hier die neue Strategie des Vorstands des Vereins Zukunft Metropolregion Rhein-Neckar, in dem ich mitwirken darf.
Besonders hervorheben möchte ich die klare Fokussierung auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Gerade in Zeiten wachsender internationaler Konkurrenz ist es entscheidend, die richtigen Schwerpunkte zu setzen. Diese strategische Ausrichtung schafft Orientierung – und ist ein klares Bekenntnis zur wirtschaftlichen Stärke unserer Region.
Kommunen
Auf kommunaler Ebene erleben wir, dass viele Kommunen finanziell stark unter Druck stehen. Das liegt einerseits daran, dass sie sich in Zeiten guter Steuereinnahmen übernommen haben, andererseits an der zunehmenden Aufgabenverlagerung durch Bund und Land – ohne ausreichende Finanzierung.
Die Liste der notwendigen Maßnahmen ist lang. Kommunen und Landkreise tragen entscheidend zur Lebensqualität bei – sie sind mitverantwortlich für Infrastruktur und wirtschaftliche Stärke. Doch sie stoßen zunehmend an ihre finanziellen und personellen Grenzen.
Unser Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises, Dr. Achim Brötel – heute ausnahmsweise entschuldigt – hatte hierzu kürzlich in seiner Funktion als Präsident des Deutschen Landkreistags einen eindrucksvollen Auftritt bei Markus Lanz. Er beschrieb die absurde Situation, dass Kommunen zunächst Mittel vorenthalten werden, um daraus Förderprogramme aufzulegen – für die man sich dann aufwendig bewerben muss. Bürokratischer Irrsinn. Sein Vorschlag: weg mit den Förderprogrammen, weg mit den Förderinstituten – stattdessen ein höherer Anteil an der Mehrwertsteuer. Denn die Kommunen wissen selbst am besten, was sie brauchen. Diesen Ansatz wünsche ich mir auch für die Unternehmen.
Weg mit aufwendigen Förderprogrammen, weg mit der unsinnigen Bürokratie und der absurden Umverteilungsmaschinerie – und stattdessen mehr Vertrauen in das leistungsfähige Unternehmertum.
Ehrlich machen auf kommunaler Ebene: Wer bestellt, muss auch bezahlen – dieses Prinzip muss endlich wieder gelten.
Verantwortung aller politischen Ebenen: Beispiel Wohnungsmarkt
Besonders herausfordernd wird es, wenn man sich ebenenübergreifend ehrlich machen muss – etwa in der Wohnungspolitik, bei der Bund, Länder und Kommunen gleichermaßen Verantwortung tragen. Alle wollen alles – und am besten sofort. Doch das passt schlicht nicht zusammen:
Wachsende Platzansprüche in der Gesellschaft, eine weitere Reduzierung des Flächenverbrauchs (Bund und Land), Zuwanderung (Bund), steigende Zinsen (bedingt durch die Staatsverschuldung) und immer höhere Baustandards (vorangetrieben durch die ökologische Transformation) stehen dem Ziel einer sozialverträglichen Miete diametral entgegen.
Hier muss man sich besonders ehrlich machen und Prioritäten setzen – alles gleichzeitig geht nicht.
Mein Appell besteht in fünf Forderungen:
-
Polarisierung aufhalten!
Wir müssen den gesellschaftlichen Diskurs wieder ernst nehmen – auch wenn er unbequem ist. Es stellt sich die Frage, ob die zunehmende Polarisierung nicht auch daher rührt, dass wir kritische Meinungen vorschnell ausgegrenzt statt argumentativ entkräftet haben. Gerade weil wir den Diskurs verweigert haben, haben sich viele Menschen in eine Wagenburg-Mentalität zurückgezogen. Das fördert die Spaltung der Gesellschaft.Natürlich gibt es Radikale – auf der linken wie der rechten Seite. Ihr Anteil liegt vermutlich deutlich unter fünf Prozent. Doch viel zu oft werden Menschen stigmatisiert, die lediglich ihre demokratisch legitimierte, kritische Meinung äußern:
Kritiker evidenzarmer Corona-Maßnahmen wurden zu Corona-Leugnern erklärt.- Kritiker ineffizienter Klimaschutzpolitik zu Klima-Leugnern.
- Kritiker der Migrationspolitik zu Fremdenfeinden.
- Befürworter solider Finanzpolitik als Neoliberale abgetan.
- Menschen mit echtem Naturschutzanliegen pauschal als Öko-Spinner verunglimpft.
Das spaltet – und das muss aufhören.
- Prioritäten setzen!
Wir müssen wieder unterscheiden zwischen dem Wünschbaren und dem Machbaren – und entsprechend klare Prioritäten setzen, um Staat und Gesellschaft nicht zu überfordern. Andernfalls verzetteln wir uns in Symbolpolitik und bleiben in halbfertigen “Wünschbarkeitsruinen” stecken.
Ja, die ökologische Transformation ist notwendig – aber auch sie muss ehrlich betrachtet werden. Unsere Resilienz-Studie zeigt: Nur bei der Digitalisierung überwiegen für unsere Mitgliedsunternehmen die Chancen. Bei Dekarbonisierung, Deglobalisierung und Demografie hingegen sehen viele überwiegend Risiken.
Das ist keine ideologische Haltung, sondern die betriebswirtschaftlich-nüchterne Einschätzung von Unternehmerinnen und Unternehmern, die täglich Investitionsentscheidungen treffen.
Auch die ökologische Transformation braucht ökonomische Rationalität. Deshalb: Konzentrieren wir uns auf Maßnahmen mit substanzieller Wirkung auf den CO₂-Ausstoß. Für symbolische Maßnahmen fehlen uns schlicht die Mittel. - Soziale Marktwirtschaft neu beleben!
Wir müssen zurückfinden zum Vertrauen in die Kraft der Märkte – wie früher. Die Märkte sorgen dafür, dass der Kuchen größer wird. Und wenn die Ergebnisse zu unerwünschten Folgen führen, können sie sozialpolitisch korrigiert werden. - Verantwortlichkeiten klären!
Wir brauchen wieder klare Zuständigkeiten und Finanzierungsregeln – insbesondere nach dem Konnexitätsprinzip: Wer bestellt, muss auch bezahlen. Multiple Verantwortlichkeiten führen zu organisierter Verantwortungslosigkeit – denn wenn etwas schiefläuft, war es angeblich niemand. - Politik muss Vertrauenswürdigkeit zurückgewinnen!
Politik braucht Wahrhaftigkeit, Berechenbarkeit und Verbindlichkeit. Keine Versprechen, die nicht eingehalten werden können. Vertrauen ist schnell verspielt – und schwer zurückzugewinnen. Wir Unternehmer kennen das: Erwartungsmanagement ist unser Alltag. Auch die Politik muss sich wieder an diesem Grundsatz des ehrbaren Kaufmanns orientieren: Was man ankündigt, muss man auch umsetzen – und schon gar nicht das Gegenteil.
Fazit: Wenn wir diese Prinzipien ignorieren, steuern wir auf einen Kipppunkt unseres politischen Systems zu.
Ein Blick nach Ostdeutschland genügt, um zu erkennen, wie sich gesellschaftliche Dynamiken dort bereits zuspitzen – wie unter einem Brennglas. Es ist nicht ausgeschlossen, dass nach der nächsten Landtagswahl dort keine Regierung mehr ohne radikale Parteien möglich sein wird.
Das kann niemand wollen. Und ich hoffe sehr, dass uns allen die Umkehr noch gelingt.
Der IHK-Sommerempfang in Bildern
Ladenburg, 9. Juli 2025