01 | 2022

"Ein klimaneutrales Unternehmen ist ein Vorbild!"

Apurva Gosalia, Experte für Strategie und Nachhaltigkeit, ist sich sicher: Die Aufstellung einer zumindest jährlichen CO2-Bilanz wird schon bald in großen, aber auch mittelständischen und teilweise kleinen Firmen den Status bekommen, den eine Finanzbilanz schon seit vielen Jahren hat.

Herr Gosalia, waren Sie schockiert, als Sie zum ersten Mal Ihre persönliche CO2-Bilanz ermittelt haben?

Apurva Gosalia: Schockiert nicht, aber überrascht: Mein Gesamtergebnis entsprach beim ersten Mal praktisch genau dem durchschnittlichen CO2-Ausstoß eines deutschen Bundesbürgers.

Wie kam es zu diesem Durchschnittswert?

Gosalia: Überdurchschnittliche Werte bei Wohnen, Strom und Mobilität habe ich durch vergleichsweise niedrigere Emissionen bei Ernährung und öffentlichen Emissionen wieder ausgeglichen. Damit bin ich zwar gleichauf mit dem deutschen Durchschnitt, aber leider ist dieser CO2-Abdruck in etwa doppelt so hoch wie der weltweite CO2-Ausstoß pro Kopf. Würde die gesamte Weltbevölkerung so leben, wie wir hier in Deutschland, so bräuchten wir drei Planeten, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen.

Zur Wirtschaft: Ist ein klimaneutrales Unternehmen eine Illusion?

Gosalia: Ganz im Gegenteil: Ein klimaneutrales Unternehmen ist keine Illusion, sondern eine Institution, ein Vorbild! Und gleichzeitig ein strategisches Ziel, welches Firmen und Organisationen anstreben und erreichen müssen. Denn der Erfolg von Unternehmen wird längst nicht mehr nur nach rein ökonomischen Gesichtspunkten beurteilt, sondern auch nach ökologischen Kriterien. Was allerdings eine Illusion darstellt, ist die Bezeichnung „emissionsfreies Unternehmen“.

Wieso?

Gosalia: Heutzutage wird leider der Begriff „klimaneutral“ oft mit dem Begriff „emissionsfrei“ verwechselt oder synonym und alternativ zu diesem verwendet. Das ist meist auch der Grund für teilweise völlig unberechtigte Kritik und die Stichworte „Greenwashing“ oder „Ablasshandel“ fallen hier oft. Dieselben Kritiker übersehen jedoch die Tatsache, dass praktisch jede Tätigkeit zu Treibhausgasemissionen führt und ein emissionsfreies Leben und Wirtschaften daher für Menschen und Unternehmen kaum möglich ist. Selbst Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten wachsen in der Regel nicht emissionsfrei. Sie stehen am Ende einer Lieferkette, die das Saatgut, den Dünger und die Werkzeuge per Transport herbeischafft und hierbei Emissionen verursacht hat. Diejenigen, die also das Fehlen einer emissionsfreien Produktion bei Unternehmen kritisieren, erwecken fälschlicherweise den Eindruck, dass eine solche möglich ist – was jedoch nicht den Tatsachen entspricht.

Wie können Betriebe aktiv werden?

Gosalia: Was für Unternehmen möglich und notwendig ist, wäre die Kompensation der unvermeidbaren bzw. noch nicht vermiedenen Emissionen durch Investitionen in Klimaschutzprojekte. Und zwar parallel zur eigenen Reduzierung und Vermeidung des unternehmenseigenen Fußabdrucks, um so klimaneutral zu werden.

Können Sie Klimaneutralität genauer erklären?

Gosalia: Aktivitäten sind klimaneutral oder CO2-neutral, wenn sie keine Treibhausgasemissionen verursachen, das Klima also nicht belasten. Klimaneutralität kann aber auch erreicht werden, wenn anfallende CO₂-Emissionen mit Klimaschutzmaßnahmen kompensiert werden. Denn für das Klima spielt es – im Gegensatz zur Luftverschmutzung – keine Rolle, wo Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen und wo sie reduziert werden. Wichtig ist, dass die weltweiten Emissionen in der Summe abnehmen. Da CO2-Emissionen das Klima auf globaler Ebene beeinflussen, ist es bilanziell letztlich unerheblich, an welchem Ort der Erde sie entstehen und wo sie eingespart werden. Wenn also im Gegenzug zu ihrer Entstehung, Emissionen in gleichem Umfang vermieden werden, zum Beispiel durch Investitionen in internationale Klimaschutzprojekte, ist die Bilanz für das Klima am Ende wieder neutral.

Was müssen Firmen auf ihrem Weg zur Klimaneutralität beachten?

Gosalia: Den strategischen Dreiklang der „3 M’s“ wie ich sie nenne: „Messen – Minimieren - Meiden“. Dazu muss zunächst die Menge der CO2-Emissionen des Unternehmens, der sogenannte Corporate Carbon Footprint (CCF) berechnet werden. Die CO2-Bilanz spielt die entscheidende Rolle: Denn was man nicht messen kann, kann man nicht managen und was man nicht managen kann, kann man nicht minimieren. Eine Treibhausgasbilanz schafft Transparenz und ermöglicht den Betrieben, die direkten und indirekten Emissionen im Unternehmen und entlang ihrer Wertschöpfungskette zu identifizieren.

Wie geht es dann weiter?

Gosalia: Wichtig ist, wie gesagt, die CO2-Emissionen in den nächsten Schritten so weit wie möglich zu reduzieren oder komplett zu vermeiden. Dies geht beispielsweise durch höhere Energieeffizienz, Prozessoptimierung, Umstellung auf erneuerbare Energien oder durch Kombinationen dieser und anderer Methoden. Zeitgleich, das heißt parallel zu diesem Prozess, können und sollten die Restemissionen durch den Erwerb streng zertifizierter Klimaschutzprojekte in den Entwicklungsländern des so genannten „globalen Südens“ kompensiert werden, so dass die Emissionsbilanz des Unternehmens am Ende eines jeden Kalenderjahres klimaneutral ist und zwar bereits in Jahr Eins nach der erstmaligen Ermittlung des CCF. Der Mehrwert für die Umwelt entsteht bei dieser sogenannten CO2-Kompensation durch die freiwillige Förderung von Klimaschutzprojekten, die ohne solche Zusatzeinnahmen nicht durchführbar wären. Klar ist aber auch, dass diese Form der CO2-Kompensation, die kontinuierliche Suche der Unternehmen nach Reduzierungspotenzialen bei den eigenen CO2-Emissionen begleiten, aber nicht ersetzen sollte.
Apurva Gosalia war mehr als 20 Jahre als Chief Sustainability Officer und Vice President Intelligence bei der Mannheimer Fuchs Petrolub SE beschäftigt. Dort hat er unter anderem das strategische Nachhaltigkeitskonzept entwickelt und das Thema als Leiter der jeweiligen Initiativen zusammen mit Partnern auch für die deutsche und europäische Schmierstoffindustrie vorangetrieben. Heute ist Gosalia als unabhängiger Nachhaltigkeits- und Strategieexperte tätig, sowie Partner einer Nachhaltigkeitsberatungsfirma. Zudem lehrt er das Thema als Honorardozent an mehreren deutschen Universitäten darunter auch die Universität Mannheim, sowie die MBS – und leitet seit 2021 den Arbeitskreis Klimaneutralität der Senatskommission Sustainable Economy im Senat der Wirtschaft.


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