02 | 2022

Renaissance des eigenen Gleisanschlusses?

In den vergangenen Jahren wurden viele Gleisanschlüsse zurückgebaut, weil sie aktuell nicht mehr benötigt wurden. Heute fehlen sie oftmals. Die Gleisanschlüsse zu reaktivieren, kann sich aus verschiedenen Gründen lohnen.
Hafendirektor Uwe Köhn glaubt an die Zukunft der Bahn im Transportwesen – er will Schienenverbindungen im Mannheimer Hafen stärken und die ansässigen Unternehmen beim Wechsel auf die Schiene unterstützen. Immerhin gibt es in den vier Hafengebieten nicht nur 54,5 Kilometer Ufer an Rhein und Neckar und 36 Kilometer eigene Straßen, sondern auch ein Gleisnetz mit 96 Kilometern und 272 Weicheneinheiten. Das 1.130 Hektar große Industriegebiet ist eine trimodale Logistikdrehscheibe mit exzellenten Verbindungen für die Verkehrsträger Schiene, Straße und Wasserstraße. “Insbesondere wenn es um eine Neuvermietung oder eine Vertragsverlängerung geht, weisen wir unsere Vertragspartner auf bestehende Gleisanschlüsse hin. Mit der Idee, diese Gleisanschlüsse zu reaktivieren oder intensiver zu nutzen, stoßen wir immer öfter auf offene Ohren”, freut er sich. Für die eigentliche Abwicklung gebe es reichlich Angebote: 18 verschiedene Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) stehen bereit, um Unternehmen im Hafen mit Güterzügen zu bedienen.
Eine wichtige Entwicklung, wie Artin Adjemian, IHK-Geschäftsführer Verkehr, betont: “Die Stärkung der Schiene beim Güterverkehr ist ein bedeutender Beitrag zur dringend notwendigen Verkehrsverlagerung, wenn die beschlossenen Klimaziele erreicht werden sollen.” Er appelliert an die Verantwortlichen für Industrie- und Gewerbegebiete, aber auch an Firmen, bestehende Gleisanschlüsse mit Blick auf künftige Nutzungen im Zeichen einer Verkehrswende zu erhalten beziehungsweise Gewerbeflächen an die Schiene anzubinden. Die jüngste Verbesserung der Gleisanschlussförderung setze hier wichtige Impulse.
Das Interesse an Gleisanschlüssen wächst stetig. So lässt ein Recyclingunternehmen im Mannheimer Handelshafen eine in der Vergangenheit ausgebaute Weiche wieder einbauen, um den vorhandenen Gleisanschluss wieder für den Betrieb nutzen zu können. Und das Containerterminal am Neckar war vor einigen Monaten mit der Abfertigung eines kompletten Zuges so zufrieden, dass man künftig noch stärker auf die Schiene setzen will. Gleich zu Beginn des Jahres 2022 wurde daher das zweite parallel zur Kaimauer verlaufende Gleis wieder fit gemacht, um die Ladezeiten zu optimieren.
Schon wegen der hohen Gütermengen, die sie zu bewegen haben, nutzen immer mehr Logistiker und Speditionen die Schiene in ihren Transportkonzepten. So hat sich auch Alpensped aus Mannheim auf die Fahnen geschrieben, Transporte vermehrt auf der Schiene abzuwickeln. Ein gemeinsames Projekt mit der Hochschule Heilbronn lieferte anno 2019 die Erkenntnis, dass Spediteure rund 40 bis 45 Prozent ihres CO2-Ausstoßes einsparen können, wenn sie Transporte auf die Bahn verlagern. “Das ist für uns mittel- bis langfristig der größte Hebel, um unser erklärtes Ziel der Klimaneutralität bis 2030 zu erreichen”, berichtet Alpensped-Geschäftsführer Christian Faggin. Sein Familienunternehmen setzt daher zunehmend auf den Kombinierten Verkehr (KV). Bei dieser Form des intermodalen Verkehrs wird der größte Teil der Strecke mit der Bahn bewältigt und der treibstoffintensive Vor- und Nachlauf auf der Straße möglichst kurzgehalten. Damit die transportierten Güter beim Umladen ihr Behältnis nicht wechseln müssen, kommen standardisierte Ladeeinheiten wie Container, Wechselbehälter oder Sattelauflieger zum Einsatz.
Der KV spielt auch bei Cargotainer eine große Rolle. Die Mannheimer Fachspedition realisiert in eigenen Tank- und Silocontainern den Transport von flüssigen und staubförmigen Massengütern sowie Gefahrgütern – europaweit, in den GUS-Staaten und auch in Übersee. Gern übernimmt Cargotainer dabei die Überbrückung des Vor- und Nachlaufs vom Firmengelände bis zum Bahnterminal für Kunden ohne Gleisanschluss. “Den haben ja viele nicht, sei es aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie auf den Einsatz der Bahn verzichten müssten”, erläutert Matthias Fuchs, Geschäftsführer von Cargotainer und leidenschaftlicher KV-Verfechter.
Nicht nur bei permanent hohem Güteraufkommen, auch beim regelmäßig vorkommenden Transport von Schwergewichten kann der Einsatz der Bahn sinnvoll sein. Das bestätigt der Schwergutspezialist Kübler, der im Mannheimer Rheinauhafen ein leistungsfähiges Schwergutzentrum betreibt. “Wie bekomme ich eine 231 Tonnen wiegende Stahlwalze, die mit dem Schiff aus Übersee nach Mannheim gekommen ist, nun auf der letzten Meile in ein saarländisches Stahlwerk?” Tagtäglich befasst man sich hier mit solchen und ähnlichen Fragen, und oft lautet die Antwort: auf der Schiene. “Denn für ein solches Gewicht kommt ein Straßentransport oft nicht in Frage, viele Brücken sind dafür zu schwach”, erklärt Kübler-Chef Heinz Rößler, der die lange Bearbeitungszeit durch Netzbetreiber von bis zu drei Monaten bei besonders großen Bahntransporten moniert. Trimodale Lösungen sind für den Schwergutspezialisten gut umsetzbar. Er verfügt nicht nur über einen umfangreichen Straßenfuhrpark, sondern in Mannheim auch über entsprechende Krane, die bis zu 500 Tonnen wuchten können, und mehr als 100 Schienentiefladewagen, die das Schwergut in Zusammenarbeit mit einem EVU ans Ziel bringen. 
Unternehmen, die an einen Gleisanschluss direkt ans DB-Netz denken, sind bei der DB Netz AG, dem Schieneninfrastrukturunternehmen der Deutschen Bahn, an der richtigen Adresse. Hier rät Frank Oelschläger interessierten Firmen, den zeitlichen Vorlauf auf dem Weg zum eigenen Gleisanschluss nicht zu unterschätzen. “Bei dem seltenen Fall eines vorhandenen, funktionstüchtigen Gleisanschlusses, der nur reaktiviert werden muss, dauert die Wiederinbetriebnahme im Idealfall nur wenige Wochen oder Monate." Wenn das Gleis aufwändig wiederhergestellt werden muss, hängt der Zeitplan von den Planungs- und Baukapazitäten ab, die Lage sei hier aktuell bekanntlich "eher angespannt”. Bei einem kompletten Neubau könne es je nach der individuellen Gemengelage mehrere Jahre dauern, bis alle Planungs- und Genehmigungsverfahren und die Bauarbeiten abgeschlossen sind.
“Während glücklicherweise immer mehr Kunden – gerade auch aus der Automobilindustrie – ihren CO2-Fußabdruck reduzieren wollen und sich ausdrücklich für Bahntransporte interessieren, sind diesem Wunsch (noch) Grenzen gesetzt”, räumt Christian Faggin ein. Derzeit gebe es auf der Schiene nicht die nötigen Kapazitäten, um die gestiegene Nachfrage jederzeit zum Wunschtermin befriedigen zu können. Hier würden mehr Bahntrassen und zusätzliche Strecken benötigt. “Große Verkehrsströme auf die Bahn zu verlagern, erfordert also noch einiges an Vorarbeit – ist aber eine Investition in die Zukunft”, ist der Logistikexperte überzeugt.