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Infrastruktur – wenn eine Baustelle die Existenz bedroht

In der Region häufen sich derzeit die Herausforderungen für Unternehmen aufgrund von Baustellen. Ein Blick nach Heidelberg und Wiesloch. 
In Heidelberg-Handschuhsheim wird sie schon jetzt die Baustelle des Jahrzehnts genannt. Zwar wurden die Maßnahmen zur Sanierung der Dossenheimer Landstraße um fünf Monate auf März 2024 verschoben, trotzdem ist für Unternehmen zwischen Hans-Thoma-Platz und Fritz-Frey-Straße die Baustelle ein großes Thema. Täglich nutzen rund 23.000 Fahrzeuge die Verkehrsachse im Heidelberger Norden. Die Dossenheimer Landstraße ist allerdings schon länger in desolatem Zustand und kann den Verkehr laut Stadtverwaltung kaum noch tragen. Dazu werden von der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH (rnv) die Gleisanlagen der Straßenbahn-Linien 5, 23 und 24 saniert, sowie zwei Haltestellen barrierefrei umgebaut. Die Stadtwerke wollen den unter den Gleisen liegenden Abwasserkanal und verschiedene Leitungen erneuern. Der Gemeinderat gab Anfang 2022 für die Sanierungen grünes Licht Aufgrund von Materialmangel wurde die Gesamtmaßnahme auf 2024 verschoben. Zweieinhalb Jahre sind für die Bauzeit angesetzt, die Kosten sollen sich für die Stadt Heidelberg auf mindestens 15 Millionen Euro belaufen. Wie teuer es für die dort beheimateten Betriebe wird, ist noch nicht abzusehen.  

Sabine Clormann, Inhaberin von Kücherer’s Käse Ecke:
Wir hoffen auf eine sinnvolle, neue Planung.
Zahlreiche Unternehmer haben inzwischen auf Initiative von Carmen Niebel vom Modehaus Niebel eine Task Force eingerichtet, um gut vorbereitet in die Baustellenzeit zu gehen und um auch mit der Stadtverwaltung, rnv und Projektleitung im ständigen Austausch zu bleiben. Wie wichtig das ist, zeigt das Beispiel von Sabine Clormann. Ihre Familie betreibt seit 75 Jahren Kücherer’s Käse Ecke in der Kriegsstraße. Mit Beginn der Baustelle wird ihr Geschäft aus Richtung Norden von der Dossenheimer Landstraße aus nicht mehr anfahrbar sein. Sabine Clormann: “Das wird eine riesige Herausforderung. Was uns aber noch viel mehr Sorgen macht: Es gibt keine Lösung für ‚danach‘. Die Verkehrsführung soll so bleiben. Alle Geschäfte rund um die Tiefburg wären somit von der Hauptverkehrsader aus Richtung Dossenheim kommend abgeschnitten.”
Die Händlerin hat das Problem schon mehrfach in der Task Force zur Sprache gebracht: “Es wurde uns auch signalisiert, dass man nach einer Lösung sucht, die scheint es jedoch noch nicht zu geben.” Die Wunsch-Lösung – ein Kreisverkehr am Hans-Thoma-Platz – ist wegen des Bahnverkehrs nicht möglich. Sabine Clormann hofft, dass durch die Verschiebung der Großbaustelle die Planer doch noch einen Weg finden, damit ihr Geschäft wieder erreichbar sein wird. “Wir haben zu 70 Prozent Stammkunden, natürlich können wir mit denen kommunizieren und mit Handzettel arbeiten, um die Verkehrsführung zu erklären. Trotzdem hoffen wir auf eine sinnvolle, neue Planung.”
Dass innerstädtische Baustellen ohne unterstützende Maßnahmen für den Handel existenzbedrohend sein können, zeigt sich ebenso in Wiesloch. Eine Großbaustelle macht es für Händler in der Unteren Hauptstraße und der Schwetzinger Straße schwierig. Dort wird die komplette Infrastruktur und die Fahrbahndecke erneuert. Christopher Schmidt, Geschäftsführer bei Schuh Wolf und Mitglied im IHK-Handelsausschuss: “Die Maßnahme zieht sich einfach unglaublich in die Länge. Da selbst die Gehwege erneuert wurden, gab es trotzt eines kleinen Fußweges inmitten der Baustelle kaum Möglichkeiten die Geschäfte zu erreichen. Man muss die Inhaber wirklich bewundern, dass sie den Kopf hochhalten.”
Trotz mehrerer Nachfragen und Initiativen sah sich die Stadtverwaltung aufgrund der angespannten Finanzsituation nicht in der Lage, besondere Maßnahmen wie beispielsweise die Auflage eines Baustellenfonds wie im benachbarten Walldorf zu ergreifen. Für die Händler ist die Wieslocher Innenstadt seit Jahren eine Herausforderung. “Die Stadt lebt von Besuchern aus dem Umland. Die haben inzwischen komplett den Überblick verloren, wo sie überhaupt noch lang fahren dürfen. Der Innenstadtring war in den vergangenen Jahren umgeben von Baustellen, ob an der Ringstraße oder am Palatin. Die Erreichbarkeit wurde immer schwieriger”, so Christopher Schmidt weiter. Selbst die traditionellen Sonderaktionen wie “Wieslocher Herbst” oder“ Wein und Markt“ wurden so zur infrastrukturellen Herausforderung. Ende August gab es einen offiziellen Brief an die Gewerbetreibenden von Oberbürgermeister Dirk Elkemann. Darin werden weitere Maßnahmen und Bauabschnitte erklärt. Der Rathauschef geht auch auf eine erneut geänderte Verkehrsregelung ab Oktober ein und nennt den Mai 2024 als voraussichtliches Bauende.
“Es ist je nach Kommune und den entsprechenden Beteiligten einfach sehr unterschiedlich, wie die Baustellen gemanagt werden”, so Mario Klein, bei der IHK Rhein-Neckar zuständig für Verkehr, Handel und Stadtentwicklung. Trotz einer gewissen Abhängigkeit von Bauunternehmen und Lieferanten entstehe mancherorts der Eindruck, es werde nicht stringent und zügig abgearbeitet. “Für die Geschäftsinhaber ist das ermüdend, wenn sich eine Maßnahme an die nächste reiht.” Dieses Gefühl möchte man in Handschuhsheim gar nicht erst aufkommen lassen. Mit Mut und Eigeninitiative wollen die Unternehmen dort die Baustellenzeit gemeinsam gestalten, auch wenn man mit großen Schwierigkeiten rechnet.

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