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Gastronomie – wird Essen gehen zum Privileg?

Fachkräftemangel in Küche und Service, dazu die Rückkehr zu 19 Prozent Mehrwertsteuer: Was macht das mit der Gastronomie? 
Gemeinsam mit 16 anderen Verbänden hatte der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) Anfang November einen letzten Vorstoß für eine bleibende einheitliche Besteuerung auf Essen mit sieben Prozent gestartet. Eine breite Allianz, unter anderem aus Systemgastronomen, der Tourismuswirtschaft und Caterern, appellierte erneut an die politischen Entscheider, an der reduzierten Mehrwertsteuer festzuhalten. In der Corona-Pandemie im Juli 2020 hat der Gesetzgeber den Satz reduziert, aber nur befristet bis Ende 2023. “Die Erträge in den Betrieben stimmen jetzt schon nicht. Die Teuerung bei Miete, Energie und Lebensmitteln haben den Kostendruck stark erhöht. Wenn der sieben Prozent-Satz nicht bleibt, dann müssen die Gastronomen die Preise nochmal hochsetzen und essen gehen wird zum Privileg”, begründete Melanie von Görtz, Geschäftsführerin der DEHOGA in Heidelberg, den Vorstoß. 
 
DEHOGA-Geschäftsführerin Melanie von Görtz:
Wenn wir über lebendige Innenstädte sprechen, spielt die Gastronomie eine Schlüsselrolle.
Doch die Bemühungen waren umsonst. Mitte November nahm die Bundesregierung endgültig die sieben Prozent zurück. Melanie von Görtz hofft, dass sich der Trend, den sie in derzeit feststellt, nicht weiter verstärkt: Sie berät immer mehr Wirte wegen Betriebsaufgabe. “Wenn wir über lebendige Innenstädte sprechen, spielt die Gastronomie eine Schlüsselrolle. Wenn allerdings die Rahmenbedingungen nicht stimmen, kann es leider keiner mehr umsetzen.”
Dabei ist bereits jetzt klar: Für viele Betriebe ist der geplante höhere Mehrwertsteuersatz ab Januar kaum zu stemmen. Siehe Bliss Group in Heidelberg: Das Team um die Geschäftsführer Sven Günther, Daniel Marquardt, Jens Schmidt und Swen Schmidt betreibt zwei Restaurants, zwei Event-Locations, ein kleines Hotel sowie ein Catering-Unternehmen. “Die Erhöhung der Mehrwertsteuer kommt zur Unzeit und ist schwierig umzusetzen. Wir mussten im vergangenen Jahr mehrfach Teuerungen bei unseren Endkundenpreisen machen, um die Mehrkosten im Personalbereich, Lebensmittel- und Energie-Bereich abzufangen. Da jetzt wieder zwölf Prozent draufkommen, wird es tatsächlich haarig. Die Kalkulationsstruktur ist schon komplett durcheinander”, gibt People & Feel Good Manager Florian Kuzler zu bedenken. 
Die Unternehmensgruppe sei, so Kuzler, gut durch die Pandemie-Zeit gekommen. Es wurden schnell Lösungen wie für einen Lieferservice sowie einen Online-Shop entwickelt. Ein Teil der heute 120 Mitarbeiter konnte gehalten werden, sogar das Kurzarbeitergeld wurde aufgestockt. “Im Frühjahr 2022 gab es einen spürbaren Aufschwung, der wurde aber schon im vergangenen Jahr zur Weihnachtszeit durch die Inflation deutlich gebremst. Viele Unsicherheiten sorgen dafür, dass die Menschen ihr Konsumverhalten entsprechend anpassen”, sagt Kuzler. Melanie von Görtz sieht in der drohenden Preissteigerung ein gesellschaftliches Problem: “Damit werden Menschen, die sich den Restaurant- oder Barbesuch nicht mehr leisten können, ausgeschlossen. Eigentlich haben wir während der Pandemie gesehen, wie wichtig Lokale auch als Begegnungsstätten sind.”
Dazu kommt die angespannte Personalsituation in der Gastronomie seit der Pandemie. Bei der Bliss-Group fehlen beispielsweise fünf bis sechs erfahrene Köche sowie qualifizierte Servicekräfte: “Die Marktdynamik ist sehr groß. Wir arbeiten generell überwiegend mit ausgebildeten Fachkräften, gerne mit Berufserfahrung. Die wollen aber immer weniger operativ arbeiten und gerne Managementaufgaben übernehmen”, erklärt Kuzler. 
Und wie steht es um den Nachwuchs? Laut Tobias Nath, IHK-Bereichsleiter für kaufmännische Berufsausbildung, gab es – vergleicht man die Ausbildungszahlen von 2022 zu 2019 – einen Rückgang von insgesamt 20 Prozent in Gastronomie und Hotellerie als direkte Auswirkung der Pandemie. Viele kleinere Betriebe bilden gar nicht mehr aus, da sie keine Bewerbungen mehr erhalten. Auch die Bliss Group hofft, dass die aktuell acht Azubis tatsächlich ihre Lehre im Betrieb zu Ende bringen. Gerne hätte das Team um Florian Kuzler noch mehr eingestellt, doch zwei Ausbildungsverträge zur Fachkraft für Restaurant und Veranstaltungsservice kamen leider nicht zustande. Auch der Versuch, über eine Agentur mit marokkanischen Azubis zu arbeiten, brachte kaum Erfolg: “Von zehn Kandidaten ist noch einer da”, so Kuzler.
Mit rückläufigen Schülerzahlen hatte zuletzt auch die renommierte Hotelfachschule in Heidelberg zu kämpfen. Die Einrichtung, die 2025 ein Jahrhundert alt wird, hat im deutschsprachigen Raum einen hervorragenden Ruf. Trotzdem war eine Zusammenlegung mit der Marie-Baum-Schule unumgänglich. „Ein Arbeitskreis hat für die Hotelfachschule eine zukunftsfähige Strategie entwickelt. Allen ist bewusst, dass in die Ausstattung investiert werden muss. Durch die Zusammenlegung der beiden Schulen und somit größeren Schülerzahlen, ist es auch möglich dies umzusetzen,“ so Petra Emmerich, bei der IHK zuständig für die Berufliche Weiterbildung in der Gastro-Branche. 
Küchenmeister, Hotelmeister, Restaurant- oder Barmeister – die Fortbildungsmöglichkeiten über die IHK an der Hotelfachschule sind vielfältig. Petra Emmerich: “Während der Pandemie hatten wir einen regelrechten Nachfrage-Boom in Sachen Weiterbildung. Viele wollten die Zeit sinnvoll nutzen. Jetzt gibt es eine Delle, weil viele die Branche gewechselt haben und Lebenshaltungskosten gestiegen sind. Da wird eine Weiterbildung oft hintenangestellt.” Bei den schwierigen Rahmenbedingungen in der Branche kein Wunder. Zumindest bei den Ausbildungszahlen bestehe, so IHK-Experte Nath, mittlerweile etwas Hoffnung. “Wir beobachten einen leichten Aufwärtstrend.” Wenigstens ein Lichtblick für einen derzeit arg gebeutelten Wirtschaftszweig.