Interview: "Wirtschaft entfesseln statt verwalten"

Was fordert IHK-Präsident Manfred Schnabel von der neuen Bundesregierung?
Herr Schnabel, Deutschland kommt wirtschaftlich kaum vom Fleck. Woran liegt die anhaltende Schwächephase?
Manfred Schnabel: Zunächst: Unsere Unternehmen sind stark und innovativ. Der Standort Deutschland hat über viele Jahre mit seiner Wirtschaftskraft überzeugt, vor allem durch den Mittelstand. Doch seit 2014 verschlechtern sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zusehends.
In welchen Bereichen sehen Sie diese Verschlechterung?
Schnabel: Im World Competitiveness Ranking des renommierten IMD-Institut aus Lausanne ist unser Land in den vergangenen drei Jahren regelrecht abgestürzt. Das Ranking zeigt: Wir liegen bei Lebenshaltungs-, Bau- und Energiekosten, Reformfähigkeit sowie Steuer- und Abgabenlast weit hinten. Unternehmen kämpfen zudem mit einem dysfunktionalen Arbeitsmarkt und einer überbordenden Regulierungsdichte. Wie beim gefesselten Riesen Gulliver müssen wir die vielen Fesseln lösen, die unsere Wirtschaft ausbremsen.
Was sollte die neue Bundesregierung jetzt konkret machen, um den “gefesselten Riesen” wieder zu wecken?
Schnabel: Der Handlungsbedarf ist gewaltig. Die IHK-Organisation hat zwölf Maßnahmen für die ersten 100 Tage vorgelegt – schnell umsetzbar und haushaltsneutral. Ein Beispiel: Alle Fehlanreize für einen frühen Ruhestand müssen abgebaut werden. Gleichzeitig müssen Unternehmen unkompliziert weiterbeschäftigen können, auch jenseits der Regelaltersgrenze. Dann sollten Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung entfallen.
Wie kann die Wirtschaft finanziell entlastet werden?
Schnabel: Beispielsweise muss die Stromsteuer dauerhaft auf das europäische Mindestmaß sinken – für alle Branchen. Auch die Netzentgelte gehören auf den Prüfstand. Zusätzlich brauchen wir Entlastungen am Arbeitsmarkt, etwa bei den Lohnnebenkosten. Hier sind strukturelle Reformen überfällig.
Und bei der Bürokratie?
Schnabel: Wir müssen die Wurzel des Problems anpacken. Bürokratie ist häufig nur ein Symptom für eine überbordende Regulatorik auf allen Ebenen. Und diese erstickt viele Unternehmen! Wir brauchen weniger, dafür klare und widerspruchsfreie Regeln; ohne nationale Übererfüllung.
Was genau meinen Sie damit?
Schnabel: Es reicht nicht mehr aus, wie etwa durch die Omnibus-Gesetzgebung auf EU-Ebene, Regulierungen lediglich bürokratieärmer und widerspruchsfreier zu gestalten. Vielmehr muss ein erheblicher Teil der überbordenden Regulatorik ganz abgeschafft werden. Ein Beispiel in Deutschland ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Dazu gibt es eine ausreichende EU-weite Regelung. Und auf europäischer Ebene sollte die Taxonomie vollständig gestrichen werden. Solche Vorschriften schaffen enorme Unsicherheit und belasten die Unternehmen im internationalen Wettbewerb massiv.
CDU/CSU, SPD und Grüne haben durch Grundgesetzänderungen neue Spielräume geschaffen. Wie beurteilen Sie dies?
Schnabel: Ich sehe das kritisch. Geld allein hilft nicht weiter. Wir brauchen zuerst Strukturreformen und eine klare Aufgabenprüfung des Staates. Sonst werden strukturelle Probleme erneut mit Geld zugeschüttet – statt sie wirklich zu lösen.
Wie blicken Sie auf die Finanzpolitik generell?
Schnabel: Schulden dürfen, wenn überhaupt, nur in Zukunftsinvestitionen fließen. Der Grundsatz der Haushaltsdisziplin und Sparsamkeit muss bleiben. Deutschland war der finanzpolitische Stabilitätsanker Europas. Diese Verantwortung dürfen wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
Wenn wir uns die Koalitionsverhandlungen näher anschauen: Wie bringt sich die IHK in solche politische Prozesse ein?
Schnabel: Sehr aktiv – nicht nur während der Regierungsbildung. Wir geben viele Stellungnahmen ab, sprechen mit Abgeordneten und Ministerien. Das gilt für unsere Region genauso wie für die DIHK in Berlin, wo ich als Präsidiumsmitglied direkt an den Themen mitarbeite, etwa am erwähnten 12-Punkte-Programm für die neue Bundesregierung.
Und auf Landesebene?
Schnabel: Als Federführer “Verkehr" in der baden-württembergischen IHK-Organisation setzen wir uns für unternehmensfreundliche Mobilitätslösungen ein. Jüngst konnten wir die Arbeitgeberabgabe im Landesmobilitätsgesetz verhindern. Ich bin zudem Vizepräsident des baden-württembergischen IHK-Tages und Mitglied im Beirat ”Zukunft Handel/Innenstadt" der Landesministerien “Wirtschaft, Arbeit und Tourismus" und ”Landesentwicklung und Wohnen". Hier setze ich mich im Dialog mit der Landesregierung für einen zukunftsorientierten Handel und eine wirtschaftsfreundliche Stadtentwicklung ein.
Welche Rolle spielt die Metropolregion Rhein-Neckar für Ihre Arbeit?
Schnabel: Ich bin dankbar, als Vorstandsmitglied der Metropolregion (ZMRN) die Region aktiv mitzugestalten. Wir haben außerdem gemeinsam mit den Pfälzer IHK-Kollegen eine starke regionale Kooperationsmarke, die IHK Metropolregion Rhein-Neckar, aufgebaut. Ein Beispiel für deren Arbeit ist unsere Stromstudie, die das regionale Potenzial erneuerbarer Energien erhoben hat. Sie diente als Grundlage für landesweite Planungen. Auch den Mobilitätspakt Rhein-Neckar haben wir gemeinsam mit unseren Partnern in der Region auf den Weg gebracht. Unser Ziel hier: bessere Verkehrsverbindungen für Güter und Pendler, besonders bei den Rheinquerungen.
Was leistet die IHK Rhein-Neckar für die wirtschaftliche Entwicklung der Region?
Schnabel: Wir sind die Selbstverwaltung der Wirtschaft und Partner der Betriebe, in der Ausbildung ebenso wie in vielen anderen Bereichen. Unser gesetzlicher Auftrag ist es, die Gesamtinteressen der regionalen Wirtschaft zu vertreten. Dabei arbeiten wir konstruktiv-kritisch, lösungsorientiert und eng mit anderen Wirtschaftsverbänden zusammen. Ich bin stolz auf unser starkes IHK-Team aus Ehren- und Hauptamt. Das ist vorbildlich und einer der Gründe, weshalb wir als IHK Rhein-Neckar mit aller Energie in den vergangenen Jahren das bereits sehr hohe Niveau unserer Aktivitäten stetig ausbauen konnten.
Ihr Blick nach vorn: Was braucht Deutschland jetzt?
Schnabel: Deutschland ist ein Land mit enormem Potenzial – wenn die Politik den Weg frei macht für Reformen. Unser agiler Mittelstand macht den Unterschied. Kaum ein anderes Land kann so gut technische Lösungen für die globalen Probleme finden. Wenn die Politik unternehmerischer Freiheit wieder mehr Vertrauen schenkt, gibt es in Deutschland jede Menge Grund zur Zuversicht.

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