So profitieren deutsche Unternehmen vom Infrastrukturprogramm

Das US-Infrastrukturprogramm eröffnet für deutsche Unternehmen vielfältige neue Geschäftschancen. Regulierungen und dezentrale Ausschreibungen machen eine Beteiligung jedoch nicht einfach.

Erste Ausschreibungen laufen

Die Vereinigten Staaten sind für die deutsche Wirtschaft drittgrößter Handelspartner und wichtigster Exportmarkt insgesamt. So ist auch auf dieser Seite des Atlantiks die Aufbruchstimmung spürbar, die das Inkrafttreten des “Infrastructure Investment and Jobs Act” (IIJA) ausgelöst hat. Das Programm ist eines der innenpolitischen Kernvorhaben von Präsident Biden: Die vielerorts marode Infrastruktur in den Bereichen Verkehr, Energie, Gesundheitsschutz, Bildung, Digitalisierung, Umwelt- und Wassermanagement soll landesweit modernisiert werden. Insgesamt billigte der US-Kongress dafür Bundesausgaben in Höhe von 550 Milliarden US-Dollar (US$) – ein Betrag, der über eine Laufzeit von fünf Jahren mit regulären Haushaltsausgaben auf 1,2 Billionen US$ aufgestockt wird. Nun nimmt die Implementierung der über 375 Einzelmaßnahmen spürbar an Fahrt auf.
Konkret werden die einzelnen Projekte durch die zuständigen Bundesbehörden, Bundesstaaten und Kommunen sowie die Betreiber großer Transportsysteme für Straße, Schiene, Flug- und Seehäfen identifiziert, geplant und zur Genehmigung sowie Finanzierung eingereicht. Daraus entstehen Ansatzpunkte für baden-württembergische Unternehmen, um an Beschaffungsmaßnahmen und Projektausschreibungen der öffentlichen Hand auf allen drei Verwaltungsstufen zu partizipieren.

Lokalisierungsvorschriften: “Buy American” oder “Buy America”?

Allerdings dämpfen die Anforderungen an lokale Wertschöpfungsanteile (Local-Content) durch Buy-America-Vorschriften die Erwartungen vieler Unternehmen. Hinzu kommt, dass die geltenden Regelungen durchaus komplex und teils noch wenig ausformuliert sind. Häufig sorgen die gleichklingenden Regelwerke “Buy America” und “Buy American” für Verwirrung. Zwar liegt beiden Verordnungen das Bestreben zugrunde, den Anteil der in den Vereinigten Staaten erzeugten Güter und Dienstleistungen zu erhöhen, die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft zu stärken und Arbeitsplätze in den USA zu schaffen. 
Buy American betrifft allerdings ausschließlich das öffentliche Beschaffungswesen auf Ebene der Bundesbehörden. Für das Infrastrukturprogramm ist dieser Rechtsrahmen somit in Projektausschreibungen auf bundesstaatlicher und kommunaler Ebene nicht von unmittelbarer Relevanz. Buy America hingegen bezieht sich auf die Bedingungen für öffentliche Ausschreibungen von Infrastrukturprojekten, die aus Bundesmitteln mitfinanziert werden. Daher ist Buy America auch in den Projekten des IIJA anzuwenden. Da das IIJA zwar in Washington, D.C. beschlossen wurde, das Gros der Mittel jedoch in Vorhaben auf Bundesstaaten-, Landkreis- und Kommunalebene fließt, obliegt die Einhaltung der Buy-America-Vorgaben auch überwiegend den Empfänger-Gebietskörperschaften. Unternehmen bewerben sich für die jeweiligen Infrastrukturprojekte auf diesen Verwaltungsebenen. Um Gelder aus dem Programm zu bekommen, müssen die Local-Content-Anteile in den Projektanträgen eingehalten werden: Die in den Projekten zum Einsatz kommenden Produkte müssen in den USA hergestellt worden sein. Zugleich muss der Wertanteil der in dem Produkt verwendeten Komponenten mit US-Herkunft mehr als 55 Prozent der gesamten Produktherstellungskosten ausmachen.
Deutsche Unternehmen, die nicht selbst in den USA produzieren, können als Projektpartner oder Zulieferer von Vorprodukten an IIJA-Ausschreibungen partizipieren. Auch die Positionierung als Subauftragnehmer bereits im US-Markt etablierter Groß- und Generalunternehmen kann ein Anknüpfungspunkt sein.  

Buy America

  • Lieferklauseln für Ausschreibungen mit Bundesfinanzierung 
  • Lokalisierungsvorgaben: 55 Prozent
  • Überprüfung der Einhaltung von lokalen Wertschöpfungsanteilen und von Ausnahmegenehmigungen obliegt mehrheitlich den empfangenden Gebietskörperschaften
  • Findet Anwendung in Vorhaben des IIJA 

Buy American

  • Bedingungen für das öffentliche Beschaffungswesen auf Ebene der Bundesbehörden
  • Lokalisierungsvorgaben: derzeit 60 Prozent, Erhöhung in Schritten vorgesehen (2024 auf 65 Prozent, 2029 auf 75 Prozent)
  • Zentrale Überprüfung der Einhaltung von lokalen Wertschöpfungsanteilen und von Ausnahmegenehmigungen über das Made in America Office (MIAO) 
  • Findet keine unmittelbare Anwendung in Projekten des IIJA auf Ebene der lokalen Gebietskörperschaften

Ausnahmeregelungen prüfen: Vorteile für deutsche Anbieter 

Gemäß des Infrastrukturgesetzes können in bestimmten Fällen Ausnahmeregelungen von den Local-Content-Vorgaben, sogenannte “Waivers”, zum Tragen kommen. Dies ist beispielsweise möglich, wenn die Einhaltung der Buy-America-Vorschriften in einem speziellen Fall nicht im öffentlichen Interesse der USA liegt. Ausnahmen können greifen, wenn die Produkte und Materialien in gewünschter Qualität und Quantität nicht im Land vorhanden beziehungsweise nur mit unzumutbaren Verzögerungen oder zu überhöhten Preisen zu beziehen sind. Die nationalen Lieferklauseln sehen zudem Ausnahmegenehmigungen vor, wenn sich die Gesamtkosten eines Projektes durch die Einhaltung von Buy America um mehr als 25 Prozent erhöhen würden.
Zu beachten ist, dass der Geltungsbereich von Buy America im Rahmen des Infrastrukturvorhabens geändert wurde. Waren zuvor nur Eisen, Stahl und Industriegüter unter die Regelung gefallen, umfasst diese nun weitere Sektoren und Materialien wie nichteisenhaltige Metalle, Polymere, Fiberglas und Werkstoffe, die zum Beispiel im Holz- und Trockenbau Verwendung finden. 
Die konkrete Umsetzung von Buy America im Projektalltag ist noch offen, denn: Die öffentliche Infrastruktur ist in den USA seit Jahrzehnten chronisch unterfinanziert. Insbesondere in den Feldern Wassermanagement, Schienenverkehr, Autobahn- und Brückenbau sowie in den Bereichen Strom- und Datennetze, Emissionsschutz und im öffentlichen Personennahverkehr besteht ein hoher Investitionsstau. Daher stehen jetzt, da die Mittel fließen sollen, in den USA weder genügend Kapazitäten noch die notwendigen Investitionsgüter in ausreichender Menge und Qualität zur Verfügung, um alle angestoßenen Vorhaben aus eigener Kraft und ausschließlich aus nationalen Quellen zu realisieren. Auch dürfte die lückenlose Überprüfung der Local-Content-Anteile gerade für lokale Gebietskörperschaften mit geringer Personaldecke herausfordernd werden. Von Vorteil ist daher, dass deutsche Technologien in den USA einen ausgezeichneten Ruf genießen. Unternehmen aus Baden-Württemberg verfügen grundsätzlich bereits über gute Voraussetzungen, um sich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen. Dennoch sollten sie frühzeitig prüfen, ob sie die nationalen Lieferklauseln für Ausschreibungen mit einer Bundesfinanzierung im konkreten Einzelfall erfüllen oder ob projektbezogen Ausnahmegenehmigungen greifen.
Anbieter aus Deutschland sollten zudem bei der Geschäftsanbahnung technologische Alleinstellungsmerkmale und wettbewerbsfähige Preise in den Vordergrund stellen. Unternehmen, deren Produkte und Leistungen einen hohen Qualitäts- und Spezialisierungsgrad aufweisen, sind generell gut aufgestellt. Dank ihrer Expertise in Nischenbereichen können auch kleinere Unternehmen zum Zuge kommen
In Zeiten unsicherer Lieferketten können sich Unternehmen außerdem durch Lieferfähigkeit abheben und sich als verlässlicher Partner im US-Geschäft etablieren. Auch konkurrenzfähige Preise sind eine potenzielle Markteinstiegschance. Dies kann sich besonders lohnen, da bei künftigen Ausschreibungen auf Erstprojekte als Referenz verwiesen und das Preisniveau bei nachfolgenden Projekten wieder angehoben werden kann.

Wie können sich deutsche Unternehmen einbringen?

  • mit hoher Qualität und Spezialisierung punkten
  • konkurrenzfähige Preise anbieten
  • Lieferfähigkeit garantieren
  • gute Markt- und Ortskenntnis auf lokaler Ebene
  • Markteinstieg als Subunternehmer oder Zulieferer

Komplexe Ausschreibungsstruktur und fragmentierter Markt

Herausfordernd ist zudem, dass es auf Ebene der Bundesstaaten, der Counties und Kommunen keine landesweit einheitliche Behördenstruktur gibt. Zudem existieren keine bundesweiten Ausschreibungsdatenbanken, die einen standardisierten Ausschreibungsprozess oder die Bewerbung für mehrere Vorhaben an zentraler Stelle ermöglichen. Interessierte Unternehmen sollten sich daher auf einzelne Bundesstaaten fokussieren, in denen sie bestenfalls bereits über Markt- und Ortskenntnis sowie über lokale Kontakte und bestehende Netzwerke verfügen. 
Infrastruktursegmente, die besonderen Investitionsbedarf erkennen lassen und daher über das IIJA signifikante Mittelzuflüsse zu erwarten haben, variieren je nach Bundesstaat. Einen Überblick über Partizipationschancen bieten beispielsweise US-amerikanische Branchenverbände wie die American Road and Transportation Builders Association.
Da sich derzeit viele Vorhaben und Prozesse in der administrativen Vorbereitung befinden, sollten Unternehmen die für sie relevanten Programmsegmente des IIJA weiter im Blick behalten. Hilfestellung bieten zwei kostenfreie Angebote, welche die US-Regierung auf ihrer Website bereitstellt. Ein Guidebook erfasst und erläutert alle der über 375 Einzelprogramme. Die jeweils zuständigen Ministerien und Behörden sind ebenso aufgelistet wie Informationen zu den Fördersummen und -zeiträumen sowie zu den anstehenden Projektmeilensteinen. Ergänzend wurde von der US-Regierung eine interaktive Karte der Projekte bereitgestellt.