Offizielles Zertifikat für berufliche Kompetenzen

Viele Kompetenzen, aber keinen qualifizierten Berufsabschluss? Das erschwert die Jobsuche. Gleichzeitig fehlen immer mehr Unternehmen die Fachkräfte. Eine Lösung für beide Seiten bietet das vom Bundesbildungsministerium geförderte Programm ValiKom Transfer. Der 39-jährige Iraner Mohsen Naderi hat das Verfahren erfolgreich durchlaufen – zu seiner Freude und der des Mannheimer Aufzugbauers Lochbühler.

Von Schiraz nach Oftersheim

Als Mohsen Naderi von Schiraz nach Deutschland floh, hatte er außer seinem Pass nicht viel dabei. Schiraz liegt im Süden des Iran, 700 Kilometer von der Hauptstadt Teheran entfernt, und Naderi ist Christ. Christen sehen sich in dem mehrheitlich muslimischen Land immer wieder Repressionen ausgesetzt, sie werden ausgegrenzt und diffamiert, Gläubige werden festgenommen. Naderi wollte für sich und seine Familie eine andere Zukunft, eine sichere. Also verließ er seine Heimat und kam im Dezember 2015 in Deutschland an, seine erste Station war Oftersheim, ein Auffanglager, in dem 300 Männer lebten. Und auf einen Neuanfang hofften.
Bei Mohsen Naderi ist er gelungen. Er hat eine Wohnung in Oftersheim, seine Frau und sein Sohn (11) sind aus dem Iran nachgekommen. Er hat einen Job, und er spricht Deutsch. „Wir sind sehr stolz auf ihn“, erzählt Brigitte Frei. Sie und ihr Mann arbeiten seit vielen Jahren in der Flüchtlingsarbeit in Oftersheim, sie besuchen die Menschen in den Unterkünften, sie organisieren für sie Deutsch- und Integrationskurse, sie füllen Formulare aus, suchen Wohnungen und Arbeit, der vielleicht wichtigste, aber auch schwierigste Schritt auf dem Weg zur Integration. „Es hapert an den Sprachkenntnissen, aber auch an fehlenden Zeugnissen und Abschlüssen, und selbst wenn sie diese haben, werden sie in Deutschland oft nicht anerkannt“, sagt Brigitte Frei. Was sie haben, ist allein ihr Können und Wissen. So wie Naderi. Elf Jahre lang hatte er im Iran bei einer Aufzugsfirma gearbeitet. Er hat auf Baustellen Schächte vermessen und in der Werkstatt die Metall-Komponenten erstellt, Teil für Teil, später auf der Baustelle hat er sie montiert. „Er war total fit“, so Frei weiter. „Der Aufzugberuf gefällt mir“, sagt Naderi.
Das merkten auch schnell seine Chefs beim Aufzugbauer Lochbühler, ein Familienunternehmen, das seit 1873 existiert und ein großes Werk in Mannheim-Friedrichsfeld hat. Im Rahmen einer dreimonatigen Eingliederung an der Berufsschule Heidelberg, die der engagierte Iraner, kaum war er in Deutschland angekommen, durchlief, absolvierte er ein dreiwöchiges Praktikum bei Lochbühler. Schnell war dort klar: Naderi kann zwar (noch) kein Deutsch sprechen, aber er kann alles, was eine Fachkraft für Metalltechnik können muss: drehen, fräsen, schleifen, Baupläne lesen, montieren. Gerne wäre Naderi bei Lochbühler geblieben. „Das Betriebsklima ist gut, alles ist sehr familiär.“ Auch der Aufzugbauer hätte den Iraner gerne behalten. Es verging dann noch ein halbes Jahr, ehe Naderi einen sogenannten Aufenthaltstitel vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erhielt, den jeder benötigt, der aus einem anderen Land als der EU nach Deutschland einwandert.

Viel Erfahrung, aber kein Zeugnis

Mit dem Titel kehrte Naderi im Sommer vor dreieinhalb Jahren zu Lochbühler zurück. Was jetzt noch fehlte, war ein formales Zeugnis. „In Deutschland braucht man immer etwas in der Hand“, erklärt Brigitte Frei. An der Stelle kommt Martje Hoekmeijer ins Spiel. Die gebürtige Niederländerin betreut seit einem Jahr für die IHK Rhein-Neckar das Programm ValiKom, das in verschiedenen Berufen aus Industrie, Handel, Handwerk und Landwirtschaft Zertifikate ausstellt. „Das ist kein formaler Berufsabschluss, aber ein Nachweis, dass in dem jeweiligen Beruf Kompetenzen vorhanden sind.“
Hoekmeijer hat viele Menschen kennen gelernt, die im Gastrogewerbe, Einzelhandel, Lager, Logistik viel praktische, theoretische und vor allem langjährige Erfahrungen haben, sie können aber keinen Schulabschluss vorlegen, haben keine Lehre gemacht oder diese abgebrochen. Um als IHK bei ValiKom, das vom Bundesbildungsministerium gefördert wird, teilnehmen zu können, muss die IHK Mindestzahlen von Teilnehmern vorweisen.
Im ersten Jahr, 2019, waren es zehn Teilnehmer, im laufenden Jahr sind es 22. „Ich habe keine Probleme, Interessierte zu finden, schon im ersten Jahr haben wir 16 Zertifikate ausgestellt“, erzählt Hoekmeijer. Einzige Voraussetzung: Interessierte müssen mindestens 25 Jahre alt sein und eine Arbeitserfahrung aufweisen, die mindestens anderthalb Mal so lang ist wie die dazugehörige Ausbildung.

Kompetenzfeststellung durch Berufsexperte

Das Bewertungsverfahren selbst nimmt ein externer Experte ab, bei Naderi war es Wilhelm Kronawetter. Der war jahrelang als Prüfer in verschiedenen Handwerkskammern und beim Berufsbildungswerk Mosbach-Heidelberg tätig, das junge Menschen mit einem besonderen Förderbedarf ausbildet. Er weiß, dass Lebensläufe nicht immer gradlinig verlaufen. Inzwischen ist Kronawetter eigentlich in Pension, bis 2021 sitzt er aber noch in verschiedenen Prüfausschüssen und war auch bereit, für ValiKom seine Expertise zur Verfügung zu stellen. „Bei der Bewertung geht es um eine Arbeitsprobe, die der Prüfling herstellt, und anschließend unterhalten wir uns in einem Fachgespräch über das Werkstück, so werden Fachbegriffe und theoretische Kenntnisse abgefragt“, erklärt Kronawetter.
Der Termin von Naderi war Ende November vergangenen Jahres im Berufsbildungswerk in Mosbach, und nervös waren an dem Tag nur zwei: Brigitte Frei, die hoffte, dass es keinen Stau zwischen Mannheim und Mosbach gibt, und Kronawetter. „Ich schlafe immer schlecht vor einer Prüfung. Es ist meine Verantwortung, dass die Rahmenbedingungen stimmen, die Maschinen funktionieren, die Formalien eingehalten werden.“ Bei Naderi stimmte alles. Nervös? „Nein“, sagt er und lächelt. Acht Stunden lang dauerte die Herstellung des Werkstücks, das Kronawetter in Anlehnung an die Inhalte des regulären Ausbildungsrahmenplans vorgegeben hatte. Danach die Qualitätskontrolle. „Der Prüfling muss die Maße nachmessen, bestimmen, was falsch ist, was richtig, wo nachgearbeitet werden muss“, so Kronawetter. Naderi kann am Ende alle Kriterien, die an eine Fachkraft für Metalltechnik gestellt werden, erfüllen.
Autorin: Stefanie Ball