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Nr. 3910834
Georg Heinrich Brauser
Zwischen König und Kaufmannsstand
Von der 1392 geschriebenen Satzung der Regensburger Kramerbruderschaft bis zur heutigen IHK Regensburg für Oberpfalz / Kelheim war es ein weiter Weg. Und immerhin 175 Jahre ist es her, dass König Ludwig I. am 19. September 1842 eine „Allerhöchste Verordnung, die Einführung von Handelskammern betreffend“ erließ. Als Zweck und Aufgabe dieser Handelskammern war vorgegeben, „die Regierung in der Förderung des Handels- und Gewerbefleißes und in der Beseitigung der ihrem Aufblühen entgegenstehenden Hindernisse durch ihren Rath und ihre Mitwirkung zu unterstützen.“ Die Kenntnisse der Fabrikanten und Kaufleute waren erstmals von Belang, doch alle Entscheidungen behielten sich der König und sein Ministerium vor – auch darüber, in welchen Städten und Bezirken diese Kammern eingerichtet wurden. Im Jahr darauf fand er sich „bewogen, … die Bildung einer Handelskammer im Regierungsbezirke der Oberpfalz und von Regensburg mit dem Sitze in Regensburg allergnädigst zu genehmigen“. Er ernannte auch die Mitglieder, von denen sechs aus dem Handelsstand und sechs aus dem Fabrikantenstand kamen.
Die konstituierende Sitzung mit Vorstandswahl fand am 11. Mai 1843 im Regensburger Rathaus statt. Zum ersten Vorstand der neuen Kammer wurde Friedrich Heinrich Theodor Fabricius ernannt, zuvor Vorsitzender des Regensburger Handelsgremiums. Fabricius, Mitglied der Freimaurerloge „Carl zu den 3 Schlüsseln“ und Protestant, handelte u.a. mit Musikalien, Spezereiwaren und diversesten Mineralwässern (Püllnaer-Bitterwasser, Selzer-, Eger-Salzbrunnen-, Marienbader-Kreuzbrunnen-, Geilnauer-, Fachinger-, Embser-, Wiesauer-, Kondrauer, Ragozy-Wasser“ usw.). Er betrieb sein Geschäft in einem spätgotischen Patrizierhaus an der Ecke Ludwigstraße/Watmarkt, das 1903 abgerissen und zum Kaufhaus von Emanuel Schwarzhaupt wurde (dazu mehr im Beitrag über Eva Schwarzhaupt). Aus Krankheitsgründen musste F. H. T. Fabricius bereits im März 1844 darum bitten, ihn „aufgrund seiner geschwächten Gesundheit aus der Kammer allergnädigst zu entlassen“. Auch sein Nachfolger, der Großhändler Christoph Friedrich Braunhold, hatte das Amt nur vorübergehend inne. Ihm folgte – aller guten Dinge sind drei – der zuvor zweite Vorstand Georg Heinrich Brauser und blieb gleich stolze neunzehn Jahre lang, von 1844 bis 1862, Vorsitzender der „Oberpfälzisch-Regensburg'schen Handelskammer zu Regensburg“, wie der offizielle Titel bis 1850 hieß. Damit hält G. H. Brauser bis zum heutigen Tage den Rekord der längsten Amtszeit eines Leiters der IHK Regensburg überhaupt. Er verhalf der neu gegründeten Handelskammer in dieser Findungsphase zu Stabilität und Konsolidierung.
Von Beruf war der neue Vorsitzende G. H. Brauser Großhändler – vor allem aber war er in einer Zeit des „Mittendrin“ zwischen Restauration und Umbrüchen ein Mann des Übergangs, bereits geprägt von den Idealen der Freimaurerei und Aufklärung, tätig in einer Epoche, da die Industrie im Königreich Bayern noch in den Kinderschuhen steckte, Handel und Gewerbe darum kämpfen mussten, sich aus den zahlreichen Hemmnissen und Schranken absolutistischer Bevormundung zu befreien. Unter Brausers Vorsitz berichtete die Handelskammer in ihrem Jahresbericht 1845 erstmals über die Lage und die Probleme, mit denen sich Handel und Industrie im Kammerbezirk konfrontiert sahen: „… denn mit Freimuth müssen die Hemmnisse bezeichnet werden, welche dem Aufschwunge des Handels und der Industrie entgegenstehen. (…) Es sind in diesem Gutachten … die wichtigsten Interessen besprochen, Lebensfragen für unsere Industrie und unseren Handel berührt, indem wir Schutz Zölle für unsere Eisen-und Glas-Werke, für Baumwoll-Gespinnste und Gewebe, für Leinen-Gespinnste und Gewebe, indem wir Freiheit im Transitoverkehr, Ablösung der Fluss Zölle auf dem Main und der oberen Donau, indem wir einen Freihafen für Regensburg und endlich eine Eisenbahn von hier nach Nürnberg beantragen.“ Damit sind zwei zentrale Probleme und Forderungen genannt, welche die Kammer auch weit über das 19. Jahrhundert hinaus intensiv beschäftigen sollten: Zölle und Verkehrswege.
Der Regensburger Bahnhof, Historische Aufnahme aus dem Jahr 1863. Am 8. Dezember 1859 wurde Regensburg an das Eisenbahnnetz angeschlossen. (Foto: IHK)
Vergegenwärtigen wir uns kurz die Ausgangssituation. Ihre wirtschaftliche Blütezeit erlebte die Stadt Regensburg im frühen und hohen Mittelalter, woraufhin um das Jahr 1500 herum ein jäher Absturz folgte, als sich die Handelsrouten weg von der Donau verlagerten, speziell Konstantinopel nach der Eroberung durch die Osmanen als Drehscheibe für den Import aus Asien entfiel. Im Zuge der Ansiedlung des Immerwährenden Reichstags folgte im späten 18. Jahrhundert ein spürbarer Aufschwung des Handels, speziell mit Luxusgütern, der jedoch nur von kurzer Dauer war. Der Verlust des Status’ der freien Reichsstadt 1803 und die Aufhebung des Immerwährenden Reichstags im Jahre 1806 versetzten sowohl dem Handwerk als auch dem Handelsstand einen empfindlichen Schlag. Nur drei Jahre danach sorgten erst französische und dann österreichische Truppen bei der Belagerung bzw. dem Entsatz Regensburgs für schlimmste Verwüstungen in weiten Teilen der Stadt. Nach dem kurzen Intermezzo der Regierung des Fürstbischofs Carl Theodor von Dalberg, der ein aufgeklärtes und für seine Zeit sozialpolitisch höchst fortschrittliches Regiment führte, fiel Regensburg, das als freie Reichsstadt seit 1245 in Konkurrenz bis Gegnerschaft zu den Herzögen und Kurfürsten von Bayern stand, im Jahre 1810 endgültig zurück an den Flächenstaat Bayern. Alle Regensburger Handelsfirmen mussten gravierende Verluste hinnehmen, im Jahre 1811 noch verschärft durch die Bankrotterklärung Österreichs, bislang stets der wichtigste Handelspartner der Stadt. Auch die letztlich über Jahrhunderte hinweg feindselig pointierte Zollpolitik des bayerischen Kurfürstentums gegen die freie, später obendrein protestantische Reichsstadt setzte Regensburg schmerzlich zu.
Aus dieser Misere galt es sich Zug um Zug zu erholen. Der erste merkliche Aufschwung kam, als verschiedene Gutsbesitzer und Großhändler, aber auch der Domänendirektor des Hauses Thurn und Taxis, 1837 das benötigte Kapital für die von Friedrich Joseph Fikentscher gegründete Zuckerfabrik zeichneten; die Bayerisch-Württembergische Donaudampfschifffahrtsgesellschaft eröffnete eine Maschinenfabrik samt Werft in Regensburg, die Verlage Pustet und Manz siedelten sich in der Stadt an. Anders als in Augsburg, Nürnberg oder München entwickelten sich in Regensburg jedoch keine größeren Fabriken oder Banken, die nachhaltig zur Industrialisierung Bayerns beigetragen hätten. Die Zollvereinszählung von 1847 ermittelte für Regensburg zwar 184 „Fabriken und vorwiegend für den Großhandel beschäftigte Gewerbeanstalten“, aber diese beschäftigten insgesamt nur 943 Arbeiter, also im Schnitt nur 5 Arbeiter pro Betrieb – im heutigen Wortverständnis alles andere als eine Fabrik. Selbst bei der Zählung im Jahr 1861 kam man nur auf einen Durchschnitt von 9 Arbeitern in insgesamt 152 „Fabriken“ mit jetzt 1.290 Arbeitern einschließlich des Direktionspersonals. Noch 1907 standen lediglich bei einer Handvoll von Firmen jeweils mehr als hundert Arbeiter auf den Lohnlisten: in der Druckerei und Papierfabrik Pustet, der Bleistiftfabrik Rehbach, der Schnupftabakfabrik Gebr. Bernard, der Zuckerfabrik sowie drei Baugeschäften.
In diesem nicht durchweg ermutigenden Umfeld übernahm Georg Heinrich Brauser 1828 im Alter von 28 Jahren das Großhandelsgeschäft seines Vaters Johann Georg. Womit hatte Brauser senior gehandelt? Eine Annonce im Kurfürstlich-Erzkanzlerischen Regierungs- und Intelligenzblatt von 1804 vermerkte: „Kaufmann Brauser in der Residenzstraße hat in Kommission zu verkaufen: ächten Caravanen-Thee, die Büchse zu ein Pfund pr. 15 fl.“ So manch anderes Handelsgut klingt in unseren heutigen Ohren skurril: „Bey dem hiesigen Kaufmann J. G. Brauser, ist in Kommission zu haben: 1) die wegen ihrer vortrefflichen Eigenschaften berühmte Doktor Voglerische Zahn Tinctur, wider angefreßene und hohle Zähne. Im Gläschen zu 36 kr. und 1 fl. 12 kr. 2) das allgemein beliebte Waschpulver von Doktor J. Smith in London, das Glas zu 1 fl. 12 kr. und 3) englische Potpourri, im Gläschen zu 27 kr. Von sämtlichen lehrt die gedrukte Gebrauchs-Anweisung das Nähere.“ Auch folgende exotisch durchwirkte Annonce vom Februar 1810 soll den heutigen Lesern nicht vorenthalten werden: „Von den so berühmten antirheumatischen Gesundheitssohlen, welche der Revisor Schellenberg in Weimar verfertigen läßt, und welche sich seit fünf Jahren als eins der wirksamsten Mittel gegen Gicht und Rheumatismus bewiesen haben, hat Unterzeichneter eine Parthie in Commission genommen und empfiehlt dieselben hiemit allen an Gicht und Podagra oder andern rheumatischen Zufällen Leidenden. Zwei Paar kosten, nebst der dazu gehörenden Abhandlung 2 fl. 42 kr., jedes Paar einzeln 1 fl. rhein.“ Andere Zeiten, andere Produkte. Was auf die heutigen Leser kurios wirkt, wirft ein Licht auf den damaligen Alltag und die Bedürfnisse des adressierten Publikums – möge es helfen bzw. geholfen haben.
Georg Heinrich Brauser behielt zunächst die Geschäfte seines Vaters bei, die offenbar profitabel liefen. 1830 stand er in der Liste der Mitglieder des Handelsstands als „Brauser, G. H., Farbwaaren u. Commission und Spedition. C. 103“. Mit der Zeit verlegte Brauser sich zunehmend aufs Versicherungsgeschäft. So war er Agent für die „Inländische Münchner-Aachener-Feuer-Versicherung-Gesellschaft, sanktioniert und als inländische Gesellschaft erklärt durch Seine Majestät den König von Bayern unterm 10. Februar 1843“, später auch bevollmächtigter Hauptagent der „Union, Allgemeine Deutsche Hagel-Versicherungs-Gesellschaft“, gegründet im Jahre 1853 mit einem Grundkapital von neun Millionen Mark. Die Gesellschaft versicherte Bodenerzeugnisse aller Art gegen Hagelschaden und sicherte zugleich allen Interessierten zu: „Die Prämien sind billig und fest, so daß eine Nachzahlung auf dieselben niemals stattfinden kann; die Vergütung der Schäden gelangt spätestens binnen Monatsfrist, in der Regel aber früher, zur vollen und baaren Auszahlung." Auch Transportversicherungen, sowohl zu Wasser als auch zu Lande, vermittelte Brauser als „Haupt-Agent der Niederrheinischen Güter-Assekuranz-Gesellschaft zu Wesel“.
Die Brausers zählten zur anerkannten Elite der Stadt, was sich u.a. an diversen Ehrenämtern und Verpflichtungen ablesen lässt. Durch seine Heirat mit Johanna Herrich war G. H. Brauser in den Besitz des stattlichen Anwesens C. 103 gekommen – das sogenannte Liskircherhaus in der Unteren Bachgasse 10, Stammsitz von Brausers Unternehmung, wo auch zunächst die Sitzungen der Handelskammer abgehalten wurden. Die Liskircher waren eines der großen Patriziergeschlechter der Glanzzeit Regensburgs gewesen, die zweischiffige Eingangshalle des gotischen Palazzo zeigt das noch heute anschaulich.
Als Vorsitzender der Handelskammer kam G. H. Brauser gar nicht umhin, sich zu positionieren und zu äußern, wo er die Zukunft von Handel und Gewerbe sah: „Es wäre Thorheit, dem rollenden Rade der Zeit und dem Umschwunge in der Weise der Erzeugnisse, früher hervorgerufen durch die fleißige Hand des Handwerkers, jetzt durch die Kraft der Maschine, hemmend entgegenzuwirken“, heißt es im Jahresbericht für das Jahr 1855 der Kreis-Gewerbe- und Handelskammer für Oberpfalz und Regensburg, wie sie seit 1853 hieß. Der Blick nach vorn entsprach dem Zeitgeist der beginnenden Moderne mit Industrialisierung, wachsendem bürgerlichem Selbstverständnis und liberalem Gedankengut unter dem Motto des „Laissez-faire“ – einer indirekten Aufforderung an den Staat, nicht in das wirtschaftliche Geschehen einzugreifen, sich diesbezüglich herauszuhalten. Als Kaufmann und Freimaurer stand auch Brauser diesem Gedankengut nahe, sein Berufsstand forderte geradezu Weltoffenheit, Mobilität und Liberalismus.
Nur tickten die Uhren in Bayern nach wie vor merklich anders. Im Königreich Bayern galt es, auf altetablierte Widerstände gegen das freie Walten und Schalten des aufgeklärten Kaufmannsgeistes Rücksicht zu nehmen, der Feudalismus stand noch in voller Blüte. Dies spricht unüberhörbar aus dem devoten Ton der Eingangsfloskeln, die am Beginn des Jahresberichts 1855 der Kammer stehen: „Allerdurchlauchtigster, Grossmächtigster König! Allergnädigster König und Herr!“ Im ganzen Bericht wimmelt es von „getreulichst“, „ehrerbietigst“, „treugehorsamst“, „allerunterthänigst“ und sonstigen verbalen Kratzfüßen. Die Wehen des auch mental vollzogenen Übergangs von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie, vom Handwerk zur Industrie, vom Lokalen zum Überregionalen wollten erst noch überstanden sein – von den andernorts längst in die Praxis umgesetzten Anforderungen an Veränderungen in Wirtschaft und auch Politik war man in München und Regensburg viele Meilen weit entfernt.
Noch im Jahresbericht von 1860, also ein Dutzend Jahre nach der Revolution von 1848 und viele Jahrzehnte nach dem Sturm auf die Bastille, heißt es: „Vor allem ist es der Ausdruck des ehrerbietigsten Dankes, den wir Euer Königlichen Majestät allerunterthänigst darzubringen uns gedrungen fühlen für das den gewerblichen und Handels-Interessen allergnädigst zugewendete Wohlwollen, welches wir namentlich in dem Erlasse Euer Königlichen Majestät allerhöchsten Ministeriums des Handels und der öffentlichen Arbeiten vom 7. Dez. 1859, den Zusammentritt der Kreis=Gewerbe= und Handelskammer betreffend, neuerdings bekundet finden, da die Bewilligung, den einzelnen Wünschen und Anträgen der Kreis=Gewerbe= und Handelskammern im Hauptberichte, auch deren Motivirung, ferner auch die Sitzungs=Protokolle im Drucke beifügen zu dürfen, zu erkennen gibt, daß Euere Königliche Majestät den wahren Ausdruck der Wünsche und die ächte Grundlage derselben kennen zu lernen die allergnädigste Absicht hegen. Mit nicht minder dankbarer Gesinnung haben wir auch die Mittheilung der Berichte der übrigen 7 Kreis=Gewerbe= und Handelskammern und deren Verbescheidung durch Euer Königlichen Majestät allerhöchstes Ministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten empfangen, und darin mit Freude erkannt, wie darin ein Fortschritt zum Bessern gesehen wäre, dass die Verhandlungen der einzelnen Gewerbs= und Handelskammern und deren Beurtheilung von Seiten des Allerhöchsten Ministeriums allen übrigen Kreis=Gewerbe= und Handelskammern zur Kenntnis kommen. Die allerunterthänigst treugehorsammste Kreis=Gewerbe= und Handelskammer sieht darin nur die neue Aufforderung, sich ihrer Aufgabe mit umso größerem Eifer zu widmen, um das in solch erhebender Weise in sie gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen.“
Der Ton hält sich an die Usancen der Zeit, versteht sich, dennoch wird augenfällig, dass sich die Kammer selbst noch 1860 offenbar gut beraten fühlte, in subalternem Kotau statt mit unverbrämt formulierten Forderungen und Erwartungen vor den Thron zu treten: „Die fortwährenden Bemühungen Euer Königlichen Majestät Allerhöchsten Staats-Regierung für das Wohl, Gedeihen und Blühen, und für die Hebung der gewerblichen und Handelsverhältnisse sind es, welche uns vor Allem zum ehrerbietigsten treugehorsamsten Danke drängen und wir erblicken in diesem weisen Walten den schönsten Beweis dafür, daß man Allerhöchsten Orts der so hochwichtigen Frage des Landes, nemlich seinen Gewerben, seinem Handel und seiner Industrie dasjenige Augenmerk zu schenken geruht, welches dringend nöthig ist, den Bedürfnissen des Staates und den brennenden commerziellen und gewerblichen Fragen der Gegenwart und der nächsten Zukunft Rechnung zu tragen. // Dieß ermuthigte uns, Euer Königlichen Majestät Allerhöchstem Ministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten alle jene Wünsche offen darzulegen, deren Allergnädigste Erfüllung das Wohl und Gedeihen der gewerblichen, Handels- und industriellen Interessen zu befördern vermag und jene Anträge und Wünsche allerunterthänigst zu unterbreiten, welche auf die Bedürfnisse der Gewerbe, des Handels und der Industrie abzielen, zu deren Vertretern wir berufen sind.“
Um welche Bedürfnisse ging es konkret? An erster Stelle findet sich Jahr für Jahr das große Thema Eisenbahn: Man „wünschte sich“ mehr Eisenbahnlinien sowie die Erweiterung bereits bestehender Strecken, die Anbindung der Oberpfalz an Böhmen, konkret an Budweis, Pilsen und Prag. Die Planung der Strecke Nürnberg-Amberg-Pilsen-Prag stand immer wieder auf der Tagesordnung, für die wirtschaftliche Entwicklung in der Oberpfalz enorm wichtig, um preiswert Steinkohle, Lehm, sonstige Rohstoffe für die Eisenhütten besorgen zu können. Moniert wurde nicht zuletzt, dass Regensburg von dem „belebenden Netze der Eisenbahnen“ ausgeschlossen sei. Wenn der König schon mehr auf seinen Ludwigs-Kanal setze statt auf die Eisenbahn, so wären doch zumindest billigere Kanalgebühren zu wünschen, noch besser die Abschaffung aller „Canal-Gebühren“ und sämtlicher Zölle an Rhein und Main. Erstrebenswert sei ebenso die Ausdehnung der bayerischen Dampfschifffahrt auf die ganze Donau, „vorerst wenigstens bis Wien und Pesth und vice versa“, wünschenswert auch hier eine Senkung der Frachtgebühren. Die Kammer regte diverseste Neuerungen an, legte den „Entwurf einer neuen Schulordnung für die technischen Lehranstalten des Königreichs Bayern“ vor, schlug an den Gewerbeschulen in Regensburg einen „Specialkurs für Landwirtschaft“ vor, ferner einen für Handelswissenschaften, ebenso einen „Spezialkurs für Bergbau“ in Amberg, plädierte für die „Vereinigung der Maaße und Gewichte“.
Hinzu kamen aus heutiger Sicht kurios bis fatal klingende Unterlassungsanträge gegen „den Hausirhandel der Sulzbacher Juden“ (im Bericht 1855 werden namentlich dreizehn von ihnen detailliert benannt, geradezu denunziert), gleichermaßen protestierte man gegen die „Röhrenschieber aus Sachsen“, gegen die Preispolitik der Glasschleifereien „der Juden“ sowie ganz generell gegen alle Pfuscher und Hausierer und „jüdischen Schacher“. Der Jahresbericht hielt aberdutzende Details fest, darunter teils penibelste Auflistungen etwa der Zahlen zur Holztrift auf dem Regen und zu den Frachtmengen auf dem Ludwigs-Kanal und der Donau. Im Grunde brachte die Kammer unter dem Vorsitz von Georg Heinrich Brauser fast zwanzig Jahre lang wieder und wieder dieselben Themen ins Gespräch – von Forderungen zu sprechen, wäre zu kühn. Immerhin nimmt die Zahl der devoten Floskeln an die Allergnädigste Majestät bis zum Ende der Amtszeit Brausers nach und nach ab.
Brauser war ein ebenso aktives wie tragendes Mitglied der Regensburger Freimaurerloge „Carl zu den 3 Schlüsseln“. Diese Loge war die Nachfolgerin der ersten, 1765 von Carl Anselm von Thurn und Taxis in Regensburg gegründeten französischsprachigen Loge „Saint Charles de la Constance“, in der eine ganze Reihe Adeliger aus dem Dunstkreis des Fürstenhofes Mitglied waren. Nur zwei Jahre später, 1767, spaltete sich im Protest gegen die „sklavische Herrschaft“ der „franz. Brüder“ eine erste deutschsprachige Freimaurerloge ab, geführt von Hieronymus Paul von Maemmingen, Spross der alteingesessenen Regensburger Ratsherrenfamilie der Memminger. Sieben von elf Gründungsmitgliedern dieser Loge waren Kaufleute. Solche Unterschiede waren für die Freimaurer typisch; tagten in der ältesten deutschen Loge in Hamburg vor allem Kaufleute, waren es in den Residenzstädten mehrheitlich Adelige, in den Universitätsstädten vorwiegend Gelehrte. „Doch egal, in welcher Stadt, es waren vor allem die Kaufleute, die als Träger der Aufklärungsbewegung eher angesprochen werden konnten als andere aus der bürgerlichen Schicht. Denn ihr Beruf forderte Weltoffenheit und Mobilität“, so Thilo Bauer in seiner Dissertation über die Regensburger Freimaurer im 18. und 19. Jahrhundert.
Zu den Grundsätzen der Freimaurerei gehörte die radikale Absage an alle Standesunterschiede und jeglichen Standesdünkel; ihre fünf Grundideale Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität sollten helfen, jenen „Tempel der Humanität“ zu erbauen, den die Freimaurer ersehnten. In der Liedersammlung für das Ritual zur Eröffnung der Loge „Carl zu den 3 Schlüsseln“ heißt es: „Laßt Rang und Stolz, laßt Ehrenstellen, / Laßt eitlen Dünkel, Pracht und Glück, / Bevor ihr diese heilgen Schwellen / Betrettet, an der Thür zurück, / Und hofft hier andern Vorzug nicht, / Als den die Tugend euch verspricht. // Nicht Rang, noch Gold, noch eitles Wissen, / Erheben unserer Logen Pracht. / Entfernet euch aus unsern Reihen, / Ihr sollt den Tempel nicht entweihen, / Wo nur die Tugend glücklich macht.“
Brauser blieb Zeit ihres Bestehens Mitglied der Loge; 1852 löste sie sich auf. Weil nunmehr alle Menschen Brüder waren? Wohl nicht. Die Loge war in der Umbruchszeit der Spätaufklärung eher „eine neue, moderne Form … um das gesellschaftliche Leben zu pflegen“, so Edmund Neubauer in seiner Dissertation über „Das geistig-kulturelle Leben der Reichsstadt Regensburg 1750–1806“. Männer wie Georg Heinrich Brauser und Friedrich Heinrich Theodor Fabricius dachten fortschrittlich, das ganz gewiss, hielten sich aber doch in den Bahnen und Gepflogenheiten des Gegebenen. Dennoch trug diese Tradition der Freimaurerei, des Illuminatentums und sonstiger aufklärerischer Debattierzirkel ihre Sprengkraft unverändert in sich. Noch 1884 sah sich Papst Leo XIII. bewegt, ein flammendes Rundschreiben u.a. gegen die Freimaurer und sonstige organisierte Gruppen von Freigeistern zu erlassen, um „diese unreine Seuche auszurotten, welche durch alle Adern der Staaten dahinschleicht. (…) Denn, ohne noch ihre Pläne zu verheimlichen, stacheln sie sich gegenseitig auf das Frechste gegen Gottes Majestät auf, streben ganz offen das Verderben der heiligen Kirche an und zwar mit der Absicht, die christlichen Völker der durch unseren Heiland Jesus Christus erworbenen Heilswohlthaten, wenn es möglich wäre, gänzlich zu berauben.“
In diesem Spannungsfeld zwischen den unbestreitbar auch im Königreich Bayern erzielten Fortschritten von Handel und Gewerbe und den Banden, in denen sich die Kaufleute und Industriellen nach wie vor gefangen sahen, blieb auch Georg Heinrich Brauser gefangen – als Kind seiner Zeit und als wichtige Figur des Übergangs. Als Handelsherr war Brauser aufgeklärt im Denken und deshalb eingeschworen auf jenen egalitären und herrschaftsfreien Umgang der unterschiedlichen Stände miteinander, wie ihn die Freimaurer in ihren Ritualen und Liedern und Bauhüttensymbolen in Ehren hielten – als Vorsitzender der Kammer und damit Kontaktperson „nach oben“ zum Königshaus bzw. dessen allerhöchstem Ministerium blieb er der Tradition verhaftet. Diese ambivalente Doppel-Rolle ließ sich sicherlich nicht ohne Reibungsverluste ausfüllen. Die Privatperson Brauser bleibt in allen Quellen im Hintergrund, aufgrund seiner gesellschaftlichen Position, auch aufgrund der zeitlichen Distanz. Was ein Individuum dieser Zeit, einen Mann zumal, im Innersten beschäftigte und bewegte, vor über 150 Jahren, darüber ließe sich nur spekulieren. (Anders wäre es bei Johann Leonhard Seyboth, der 1850 in die bekannte Regensburger Seilereifamilie geboren wurde und seine Lebensgeschichte in zwanzig Tagebüchern festhielt.)
Der nach London emigrierte Mainburger Maler Georg Ludwig Scharf schuf während eines zweijährigen Heimaturlaubs 1845–47 dieses Panorama der Stadt Regensburg. (British Library)
Georg Heinrichs Enkel Carl Brauser, Geheimer Kommerzienrat und wie Vater und Großvater Großhändler, war seinerseits von 1890 bis 1901 Vorstand der Kammer in Regensburg. Er gab das Amt erst ab, als er zum Ersten Direktor der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank ernannt wurde und nach München zog, wo er es zu erheblichem Wohlstand brachte. 1914 wurde er im „Jahrbuch des Vermögens und Einkommens der Millionäre in Bayern“ mit 3 Millionen Mark Vermögen sozusagen unter den Superreichen gelistet. Was seine Karriere und sein Vermögen anbelangt, war Carl Brauser fraglos einer der erfolgreichsten Regensburger Unternehmer.
Georg Heinrich Brauser ist heute weitgehend vergessen. Nicht einmal im Internet sind nennenswerte Spuren zu finden. Allerdings hängt sein Porträt im Foyer der IHK Regensburg – ein gemütlich wirkender Mann mit langen Koteletten, Schnäuzer und buschigen Augenbrauen, der eindeutig in einer vergangenen Epoche zu Hause ist. Im Museum der Stadt Regensburg befindet sich heute die Glassammlung G. H. Brauser, die dem Museum von den Erben Carl Brausers vermacht wurde. In dieser Sammlung – die seit etlichen Jahren im Depot verwahrt wird – ist unter anderem auch das Freimaurerglas erhalten, das Georg Heinrich Brauser in der Regensburger Freimaurerloge „Carl zu den 3 Schlüsseln“ benutzte. Das trotz seines überaus massiven, fein geschliffenen Bodens fast zierlich zu nennende Kristallglas weist heute einen großen Sprung auf, der sich über den größten Teil des Glases erstreckt. Bei aller Schönheit, die man ihm mit seinen fein eingravierten Maurerzirkeln, dem Sarg mit dem Skelett, der Eule Minervas und den diversen anderen Freimaurersymbolen noch immer zuschreiben muss, ist das Trinkglas dennoch schwer lädiert. Vielleicht ist es gerade daher ein treffliches Sinnbild für all die Brüche und Umbrüche, die Ansprüche und Widersprüche, die Bindungen und noch nicht realisierten Ideale, innerhalb derer sich Georg Heinrich Brauser Zeit seines Lebens bewegen musste und zu bewegen wusste.