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Nr. 3910870
Georg Baumann
Von der Emaille zur @mail
Lesen wir heute das Wort Email, assoziieren wir ganz automatisch gegenwartsroutiniert die noch abzurufenden papierlosen Mitteilungen auf dem Smartphone oder dem Computer. Aber ein Email-Becher? Ein Email-Kochtopf? Soll man darin ein Süppchen aus Emoticons kochen? Ist die Emailfabrik ein Ort, an dem elektronische Post produziert wird, womöglich hübsch dekoriert, in Weiß, Blau, mit Henkel oder ohne?
Die drei Worte Emaille/Email/E-Mail umfassen einen Zeitraum von etwa hundertfünfzig Jahren. Der erste Begriff stammt wie so vieles in unserer Sprache aus dem Französischen, der zweite vereinfacht nur die Schreibweise, der dritte wird schlicht als englischer Begriff beibehalten. In den Tagen vor der Erfindung des PC aber wurden Briefe noch mit der Hand geschrieben und unter Emaille – oder eben in späterer Schreibweise: Email – verstand man einen glasartigen Schmelzüberzug auf Metall. Immerhin: Wir alle kennen noch emailliertes Geschirr, haben, vielleicht beim Zelten oder beim Angeln, aus Emaille-Bechern getrunken, auf Flohmärkten oder auf dem Dachboden altes Emaille-Geschirr entdeckt. Haltbar ist es. Haltbarer als elektronische Post allemal.
Emaille und E-Mail – die beiden Worte koppeln zwei Mitglieder der Familie Baumann, nämlich Dr. Georg Baumann I., Emaillefabrikant und die Hauptfigur dieser Exkursion in Textform, und seinen Urenkel Dr. Georg Baumann III., der auf dem Gelände der 1987 abgerissenen Emaillefabrik seiner Vorfahren in Amberg im Jahre 2000 die @mail-Fabrik erbauen ließ, einen als Niedrigenergiegebäude geplanten Ladenkomplex mit insgesamt 5.600 Quadratmeter Fläche für Büros, Arztpraxen, Läden und Gastronomie rund um ein im Zentrum des Baus platziertes gläsernes Atrium, das als Wärmepuffer dient.
Dr. Georg Baumann III., der mit seiner Firma Baumann automation schlüsselfertige High-End-Automationssysteme für Automobilzulieferer sowie Elektronik- und Haushaltsgerätehersteller in aller Welt liefert, ist Internetexperte. Dieser Tatsache ist auch die höchst informative, spannend zu lesende Website über die Geschichte der Gebrüder Baumann zu verdanken, die uns die Familie und ihr Unternehmen in Text und Bild vor Augen führt: ein Familienunternehmen eben, mit Weltruf und einem Löwen als Schutzmarke oder Corporate Identity, wie es heute heißen würde. Beschäftigte die Firma Baumann bei der Gründung 1872 gerade einmal dreißig Arbeiter, waren es 1908 fast 3.000 Beschäftigte – damit war die Amberger Emaillefabrik der größte private Arbeitgeber der Oberpfalz.
Ursprünglich aber waren „die Baumänner“, wie Dr. Georg Baumann III. seine Familie liebevoll nennt, Handwerker, die von Plauen aus im Verlauf von drei Jahrhunderten über das Erzgebirge in die Nähe von Wunsiedel zogen. 1735 gründete Christian Baumann dort eine Werkstatt zur Herstellung von Röhren aus ausgehöhlten Baumstämmen, die, mit Blechteilen verbunden, als Wasserleitungen dienten. Enkel Michael stellte außer den Wasserleitungsröhren als erster auch reine Blechwaren her und arbeitete zudem als Spengler; sein Sohn wiederum fertigte erstmals einfache Blechgeschirre und Öfen. In der fünften Generation vererbte sich das Geschäft auf Johann Baumann, dessen Blechwaren bereits außerhalb der Region verkauft wurden: „Absatz in ganz Bayern, besonders Fürth, Nürnberg, Regensburg, Straubing“, wie es 1858 auf der Industrieausstellung im Sechsämterland, heutiger Landkreis Wunsiedel, hieß. Es ging voran, Schritt für Schritt, im Gleichschritt mit den Zeitläuften. Von Generation zu Generation kam etwas hinzu, entwickelte sich eine Idee, ein Produkt weiter. Im Zuge der Industrialisierung erlebte das Familienunternehmen im 19. Jahrhundert einen rasanten Aufschwung. Als Johann Baumann 1855 starb, übernahm seine Witwe Katharina die Geschäfte.
Schon damals spielten die Standortfrage und der Transport eine wichtige Rolle. Wunsiedel lag verkehrstechnisch gesehen im Abseits. Amberg hingegen war seit 1859 an die Eisenbahnstrecke von Nürnberg nach Regensburg angekoppelt. „Die Baumänner“ sahen sich nach einem neuen Standort um, einige der Söhne gingen auf Wanderschaft. Während Erhard in Weiden sesshaft wurde, erhielt der älteste Sohn Christian nach mehreren abgelehnten Gesuchen 1864 die Erlaubnis, in Amberg eine Spenglerei gründen zu dürfen. Sein Bruder Johann stieg in das recht bald erfolgreiche Geschäft mit ein. Keine zwei Jahre später zog auch die Mutter mit den Söhnen Georg und Peter nach Amberg und gründete dort ihre eigene Spenglerei. 1869 erhielt sie die Konzession zur „Fertigung von Schwarzblechwaren mit 6 Gehilfen.“ Beide Betriebe produzierten Bratröhren, Blechöfen, Ofenrohre und Küchengeschirre, gehörten schnell zu den größten Werkstätten in Amberg und verkauften vorwiegend an auswärtige Großhändler.
„Ein Grund für den Erfolg war wohl die Herstellung von Weißwaren“, schreibt Dr. Georg Baumann III. in der Zeitschrift Eisengau von 2012. Für alle Fachfremden: Schwarzwaren sind unbehandelte Blechartikel, die leicht rosten und den Geschmack der Speisen beeinträchtigen, Weißwaren sind verzinnte Schwarzwaren. Die Methode zur Verzinnung war streng geheim; so musste ein bei den Baumanns angestellter Kupferschmied bei vertraglich fixierten 25 Gulden Strafe per Unterschrift zusichern, einem „beliebigen Geschäft Concurrenten der Baumann bezüglich der Arbeit, hauptsächlich der Verzinnerei in keiner Beziehung eine Anleitung zu geben.“
Die Baumänner und die einzige „Baufrau“ waren geschäftstüchtig und vorausschauend genug, um die Zeichen der Zeit zu erkennen: wenn die handwerklich geführte Werkstätte zu einer effektiveren Herstellungsweise fände, würde das Geschäft expandieren – gefragt war der Schritt von der Manufaktur zur industriellen Produktion. Katharina Baumann suchte daher nach einem geeigneten Grundstück außerhalb der Stadtmauern und wurde ganz in der Nähe des Bahnhofs fündig. Finanziert wurde die für damalige Verhältnisse enorme Kaufsumme von 14.000 Gulden mithilfe etlicher Verwandter aus Wunsiedel. Im August 1872 gründeten Christian, Johann und Georg die Blechwarenfabrik „Gebrüder Baumann – Firma Johann Baumann’s Witwe“ mit rund dreißig Gehilfen. Noch wurden die produzierten Eisenwaren verzinnt oder lackiert – Geduld, auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut.
Vergegenwärtigen wir uns für einen Augenblick die historische und geographische Lage Ambergs. Im Mittelalter war die Stadt ein bedeutender Umschlagplatz für Eisen und Eisenerz, an der Goldenen Straße nach Prag gelegen, eine Drehscheibe für den Handel zwischen Nord und Süd, Ost und West. Auf der Vils wurde Eisen flussab nach Regensburg geliefert, im Gegenzug Salz nordwärts verschifft – viele Straßennamen in Amberg erzählen noch heute davon. Unter den pfälzischen Wittelsbachern wurde Amberg ab 1329 Hauptstadt der Oberen Pfalz – eine extrem wehrhafte, durch Eisenerzbergbau reich gewordene Stadt, die sich eine beeindruckende Stadtbefestigung mit über hundert Türmen und kilometerlangen zweireihigen Stadtmauern sowie einen stets gefüllten Wassergraben leistete. 1564 schrieb Bürgermeister Michael Schwaiger in der Chronica Amberg: „München Seyn die schönst, Leipzig die reichist, Amberg die festeste Fürstenstatt“. Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Oberpfalz mehrfach durch den Durchzug der beileibe nicht zimperlichen Truppen, egal, ob nun katholisch oder protestantisch, gründlich durchpflügt und verwüstet. 1620 kam die Stadt nach der Schlacht am Weißen Berg in Prag zurück zu den katholischen Wittelsbachern in München, die vom Amberger „Winterkönig“, Friedrich IV., die Obere Pfalz plus die Kurwürde übernahmen. Bis 1621 blieb der Amberger Erzberg noch im Besitz der Stadt, doch die neuen Landesherren in München nahmen immer mehr Einfluss, bis Amberg 1792 keinerlei Rechte mehr am Erzabbau besaß. Im Ersten Koalitionskrieg trafen 1796 vor den Toren der bestens befestigten Stadt die kaiserlich-österreichischen auf die französischen Truppen – die sogenannte Schlacht von Amberg endete mit einem Sieg über Napoleon. 1810 wurde der Regierungssitz der Oberen Pfalz von Amberg nach Regensburg verlagert – und mit dem Regierungssitz ging auch die frühere Bedeutung der Stadt verloren. 1818 ging obendrein der Bergbau gänzlich in den Besitz des Königreichs Bayern über.
Im Vergleich zu den anderen Landesteilen Bayerns wurde die überwiegend arme, bäuerlich geprägte Oberpfalz in gewissem Sinne „links“ – sprich: im hohen und rauhen Norden – liegen gelassen. Noch 1894 heißt es unter dem Stichwort „zurückgebliebene Oberpfalz“ in einem Jahresbericht der Handels- und Gewerbekammer: „Was andere Provinzen längst in Hülle und Fülle haben“, bleibe der Oberpfalz „eben gar zu lange vorenthalten, wenn wir auch noch so oft und noch so inständig darum bitten. Wenn wir bessere Verkehrsmittel erhalten, wird sich auch bei uns mehr Intelligenz entwickeln, denn an unserem eisernen Fleiße und an unserer Ausdauer zweifelt keiner.“
Dennoch brachte das 19. Jahrhundert mit dem Übergang von der Manufaktur zur industriellen Produktionsweise, der parallel dazu steigenden Nachfrage nach Eisenerz, dem 1859 erfolgten Anschluss Ambergs ans Eisenbahnnetz, der Verbreitung von Elektrizität und Stromerzeugung sowie der Erfindung des Telefons ganz wesentliche Umwälzungen und Umbrüche – nicht nur für Amberg, sondern für die gesamte Oberpfalz. Urbanisierung und Bevölkerungswachstum prägten besonders die zweite Jahrhunderthälfte. Wie heute noch zogen auch damals die Menschen dorthin, wo es Arbeit gab – die Fabrik wurde zum neuen Arbeitsplatz. Zählte Amberg 1818 nur 6.807 Einwohner, so waren es 1840 schon über 10.000 und zur Jahrhundertwende mehr als doppelt so viele.
Fabrik Bahnansicht 1900 (Foto: Baumann)
Schon vor der Fabrikgründung, hatten die Gebrüder Baumann, „besessen von der Idee, Stahlblech mit einer dauerhaften und widerstandsfähigen Emailbeschichtung zu versehen“, wie Klaus Haußmann im Eisengau schreibt, erste Versuche zur Herstellung von Emaille unternommen, an die sie 1872 wieder anknüpften. Wie aus einer Materialliste ersichtlich ist, wurde mit einem Gemisch aus Ton, Zinnoxid, Knochenmehl, Flussspat, Kryolith sowie Mangan-, Kupfer- und Eisenoxyd experimentiert – heute weiß man, dass der wichtige Rohstoff Borax fehlte. Die Gebrüder Baumann waren eben Spengler, keine Chemiker. Naheliegende Lösung: das Wissen zur Herstellung von Emaille zu kaufen. Anfang des Jahres 1876 erwarben sie von einem belgischen Fabrikanten für 10.000 Francs das entsprechende Rezept. Ein Mitarbeiter des Belgiers reiste an, um einen Emaillierofen aufzubauen, doch das Rezept erwies sich sofort als unbrauchbar. Der Betrugsverdacht war nicht von der Hand zu weisen, doch es gab keine rechtliche Handhabe; der Belgier zahlte nie eine Entschädigung, auch die Anzahlung von 3.000 Francs war verloren.
Die Baumänner ließen sich durch diese Schlappe nicht entmutigen, denn auch im Saarland, in Ahlen in Westfalen, in Fulda, im sächsischen Pirna und im holsteinischen Pinneberg gab es bereits Emaillierwerke. Die Hartnäckigkeit der Amberger wurde belohnt: Es gelang ihnen, den Ingenieur Max Walter abzuwerben, bis dato Spezialist der königlich bayerischen Eisenhütte Bodenwöhr, wo bereits seit 1800 emailliertes Gussgeschirr hergestellt wurde. Noch im selben Jahr gelang den Baumanns die erste brauchbare und widerstandsfähige Emaillierung auf Stahlblech. Jetzt ging es zügig voran: der erste große Brennofen wurde gebaut, die erste Dampfmaschine aufgestellt, die Produktion von emaillierten Waren in Weiß-Blau und Weiß lief an. Ein Meilenstein, ein Siebenmeilenschritt – und die Welt war groß und weit und verlockend! Die „Gebrüder Baumann – Firma Johann Baumann’s Witwe“ waren damit die ersten Emaillierer für Blechwaren in Süddeutschland – im Verlauf von dreißig Jahren sollten sie zum Weltmarktführer werden.
Sich rückblickend wie im Zeitraffer die Expansionsschritte des Baumann-Unternehmens vor Augen zu führen, ist faszinierend – wie die Firma kontinuierlich und scheinbar nimmermüde wuchs, neue Hallen baute, sich dehnte und reckte und streckte, bekannt wurde, die Produktpalette erweiterte und bei Industriemessen regelmäßig Preise einheimste. Laufend wurde das Inventar der Fabrik erweitert, wurden veraltete Maschinen durch wiederum neue, leistungsstärkere ersetzt – hohe Investitionen, die eine noch höhere Produktivität nach sich zogen.
1880 kaufte Georg Baumann in Amerika die erste Tiefziehpresse, auch „Stanze“ genannt, die es ermöglichte, hohe bzw. tiefe Formen aus einem Stück Stahlblech zu erzeugen. Durch das Produktionsverfahren Ziehen statt Falzen konnten die Gefäße nun in einem einzigen Arbeitsgang produziert werden – ein „echter Technologiesprung“, wie Urenkel Dr. Georg Baumann es nennt: ersetzte die Presse doch drei Arbeitsschritte durch einen. Die Waren sahen besser aus und waren außerdem haltbarer. Eine zweite wichtige technische Neuerung war die Umstellung der Emaillieröfen auf Gasbefeuerung; dadurch konnten sie fünfmal so groß gebaut werden wie zuvor und trotzdem eine gleichmäßige Temperatur halten. 1880 konnten bemalte Artikel erstmals auch nach Katalog bestellt werden, das Musterbuch von 1881 enthielt bereits 460 Artikelgruppen. Die Bemalung der Waren wurde zunächst durch Porzellanmaler aus Selb durchgeführt, bis die zu kostspielige Handmalerei durch sogenannte „Schmelz-Farben-Abziehbilder“ ersetzt wurde. Der mit dieser Technik auflackierte, aufrecht stehende Löwe wurde als Schutzmarke für die Gebrüder Baumann beim Landgericht Amberg eingetragen.
Musterbuch dekorierte Geschirre 1881 (Baumann)
Die Fabrik erhielt jetzt einen eigenen Gleisanschluss zur nahen Eisenbahnlinie; mithilfe einer Drehscheibe konnten die Waggons direkt ins Magazin oder ins Emaillierwerk geleitet werden. 1886 umfasste der Betrieb schon sieben Emaillieröfen, vier Schmelzöfen, sechs Ziehpressen und 43 Exzenterpressen. Der Personalstand stieg unablässig. Die Produktion betrug über 70 Zentner emailliertes Geschirr pro Tag. Als die Firma Baumann auf der 1. Bayerischen Landes-, Industrie- und Gewerbeausstellung 1882 in Nürnberg die Goldene Medaille erhielt, wurde ein Industrieller aus New York aufmerksam und erwarb das Emaillerezept der Gebrüder Baumann für 50.000 Goldmark. Das Geld wurde postwendend zur Modernisierung und Vergrößerung des Werks eingesetzt: Bau eines vierzig Meter hohen Kamins und eines großen Warenmagazins, Bau eines eigenen Gaswerks zur Beleuchtung sowie eines Dampfsägewerks zur Holzkisten- und Holzwollefabrikation – für die Gründerzeit typische Autarkiebestrebungen.
Der damals zweite Prokurist der Firma, Josef Mayerhofer, berichtet in seinen Erinnerungen über ein Fest, das anlässlich der Erfolge an einem Sommerabend gefeiert wurde: „Längs des Arbeitssaales wurden im Freien viele Bänke und Tische aufgestellt. Sämtliche Teilnehmer wurden mit Sauerbraten und Klößen, was in den 3 Küchen der Besitzer zubereitet wurde, bewirtet. Bier wurde dazu vom Faß verzapft und jeder konnte trinken soviel er wollte. Eine kleine Blechmusikkapelle spielte frohe Weisen und so war bald alles in fröhlicher Festesstimmung. (…) Erst nach Mitternacht fand das Fest sein Ende.”
Zeitweilig liest sich die Firmengeschichte wie ein Gründerzeitmärchen des nimmer endenden Erfolgs, gespeist aus Zahlen, Daten, Fakten – und doch ahnen wir längst, dass Wachstum begrenzt ist, dass auf jeden Berg ein Tal folgt und die Welt in sich selbst eine natürliche Begrenzung findet. Noch ging es mit der Firma Baumann höher, weiter, ferner hinaus – nicht exzessiv oder in Überschätzung der eigenen Kräfte und Ziele, sondern unverändert bodenständig, mittelständisch, lokal verankert, familienverbunden. Grund zu feiern gab es also mehr als genug.
Es mehrten sich die Aufträge aus dem Ausland, ein expandierendes Vertriebsnetz von Handelsvertretungen in aller Welt entstand. Dank der Aufzeichnungen Josef Mayerhofers, der jahrelang als Handelsreisender für die Firma unterwegs war, wissen wir heute, dass beispielsweise der Vertreter Warnecke 1884 für ein „Riesengebiet Württemberg bis Pommern“ zuständig war. Ein Jahr später deckte Herr Pisetzky ganz Italien mit Löwengeschirr ein, Herr Walcker reiste durch die Schweiz, eine erste Auslandspreisliste wurde für England erstellt. In den nächsten Jahren entstanden Vertretungen in Wien, Kopenhagen, Amsterdam, Paris, Marseille, Mailand, Lissabon, Konstantinopel, Barcelona, Madrid, Warschau, Belgrad, Moskau, in New York und San Francisco, Argentinien, Brasilien, Cuba, Chile – sogar in Australien, Java und Jamaica. Kataloge in französischer, italienischer und spanischer Sprache erschienen. Für die einzelnen Exportländer wurden spezielle Geschirrformen und Emaillefarben entwickelt: die Farben „Onyx“ und „Neumosaik“ waren besonders in Nordamerika beliebt. Um 1900 belief sich der Anteil des Exports auf 70 %. Der Baumann-Löwe war – und ist noch heute – auf der ganzen Welt zu finden.
Ein Blick auf die Fotos aus jener Zeit zeigt Firmengründer, die zwar zeitgemäß ernst, aber zugleich vertrauenserweckend, seriös, kompetent wirken. Das Deutsche Reich war gerade erst gegründet worden, die Zeichen standen auf Aufbruch und Aufstieg. Christian, Georg und Johann Baumann konnten damals nicht ahnen, dass es letztlich nicht die wachsende Konkurrenz und nicht die für den Export schädliche Zollpolitik sein würde, die eine rasante Talfahrt einleiteten, sondern ein Krieg mit Massensterben, Grauen und Schrecken in bis dahin unbekannten Dimensionen.
Gesellschaftlich waren die Baumann-Familien längst am üppigeren Ufer angekommen: aus eher mittellosen Handwerkern waren vermögende Industrielle geworden, ausgezeichnet mit Verdienstorden und Ehrentiteln. Der Königliche Kommerzienrat Georg Baumann wurde 1891 Mitglied im Bezirksgremiums Amberg für Handel und Gewerbe, von 1894 bis 1896 amtierte er als stellvertretender Vorsitzender und von 1897 bis 1908, also elf Jahre lang, als erster Vorsitzender. Aufgabe war es, die wirtschaftlichen Interessen der Region zu vertreten, Wünsche und Anträge zu sammeln und der Regierung zu übermitteln sowie engen Kontakt zur Hauptstelle der Handelskammer in Regensburg zu halten. Erlebte die Emaillewarenfabrik Baumann Jahre der Expansion und Prosperität, bot die Wirtschaftslage der Oberpfalz eher Anlass zur Sorge: Berichte über die geringe Kaufkraft der Landwirte, ungenügenden Absatz von Waren, ungesunde Konkurrenz durch Überproduktion, schlechte Verkehrsanbindungen, steigende Rohstoffpreise und nicht zuletzt schädliche neue Zollgesetze prägen die Jahresberichte der Handels- und Gewerbekammer der Oberpfalz und von Regensburg jener Jahre. Georg Baumann zeigt sich in diesen Jahresberichten als wortgewandter Formulierungskünstler mit Sinn für feine Ironie.
Als er den Vorsitz übernahm, veränderte sich der Ton in den Berichten aus Amberg, die zuvor eher klagend-konstatierenden Charakter hatten und von unterwürfigen Formulierungen gerahmt waren – die Formulierungen wurden geschäftsmännisch klarer, fordernder, souveräner, durchaus auch polemisch, wenn es beispielsweise um die erforderlichen Bahnanbindungen in der Provinz ging, die über Jahrzehnte hinweg wieder und wieder verschoben wurden. Zu den Postöffnungszeiten vermerkte Baumann knapp: „ein neues Postgebäude wäre kein Überfluss gewesen“; an anderer Stelle heißt es: „Handelsverbindungen sind viel leichter zu verlieren, wie zu gewinnen, denn an die Stelle des Verdrängten sind hundert andere bereit zu treten.“ Die Lektüre dieser Jahresberichte, in der Bibliothek der IHK in Regensburg aufbewahrt, ist ein empfehlenswerter Hochgenuss an Essayistik, Rhetorik und Sprachkompetenz – und obendrein höchst informativ. Themen wie Löhne und Gehälter, Steuer- und Zollgesetze, Geschäftskonkurrenz, Fragen der Quantität und der Qualität, Frachtkosten, Rohstofftransporte etc. standen damals ebenso auf der Tagesordnung wie heute.
Die sich verschärfende Situation der Zölle und Zollgesetze war auch für das Baumann-Unternehmen brisant. Schon 1894 wurde beklagt, dass es infolge reduzierter Einfuhrzölle zu viele Importe aus Ungarn, Böhmen und Russland gebe – der Mittelstand müsse langfristig daran zugrunde gehen. Immer wieder werden in den Berichten neu auszuhandelnde Handelsverträge u.a. mit Amerika, England, Spanien gefordert, um die Zölle gerechter auszubalancieren und die deutschen Unternehmen zu schützen und zu stärken. Infolge einer neuen Zollgesetzgebung 1906 kam der Absatz in nahegelegene Länder wie Österreich-Ungarn und nach Skandinavien fast zum Erliegen. Während beispielsweise der Einfuhrzoll für Emaille nach Deutschland 7 Mark 50 pro Kilo betrug, wurden beim Export nach Schweden ca. 55 Mark verlangt; nach Nordamerika waren es 40 % des Warenwerts, nach Argentinien 64 Mark pro 100 kg. Die Emaille-Industrie litt unter diesen Zollschranken nicht weniger als unter der immer größer werdenden Konkurrenz im Inland wie im Ausland. Man fragt sich bei der Lektüre dieser eindrücklichen Berichte, ob sie in München (ab 1904 war das Staatsministerium des Äußeren zuständig) gelesen und in welchem Maße die Wünsche und Forderungen aus Amberg überhaupt ernst genommen, diskutiert und berücksichtigt wurden.
Georg Baumann war ein streitbarer Mann, der nicht nur für das eigene Unternehmen eintrat, sondern für die ganze Region der Oberpfalz. Als 1909 die Handelskammer Regensburg die Beitragspflicht der Bezirke ohne vorherige Rücksprache mit den jeweiligen Gremien auf 5 % anhob, sammelte Baumann, nun seinerseits ohne Rücksprache mit den Regensburgern, bei zahlreichen Firmen in der Oberpfalz Unterschriften, um bei der Kgl. Regierung Protest einzulegen. Die daraus resultierende kammerinterne Auseinandersetzung liest sich heute wie ein Kammerstück der Wortklaubereien, Kränkungen, Schuldzuweisungen und verletzten Eitelkeiten, die in gegenseitigen Vorwürfen mündeten („Überrumpelung!“ „In den Rücken fallen!“). Letztlich hätten beide Seiten nur rechtzeitig miteinander reden und einander zuhören müssen. Ob als direkte Folge oder aus anderen Gründen – jedenfalls kandidierte Georg Baumann 1909 nicht mehr, blieb aber weiterhin Mitglied der Vollversammlung.
Was für ein Mensch war dieser Georg Baumann I. eigentlich? War er redselig, lachte er gern, liebte er Gesellschaft oder blieb er lieber für sich? War er ein Familienmensch, ein liebevoller Vater seiner vier Kinder? Ein Einzelgänger? War er beliebt oder unbeliebt, melancholisch, aufbrausend, herrisch, nachgiebig? Ein Planer und Stratege oder eher ein spontan ideenreicher Unternehmer, der laufend aktiv und unterwegs war und es einfach liebte, „etwas zu unternehmen“ – Neuerungen in der Fabrik einzuführen, einen Kindergarten zu integrieren, im Auslandsgeschäft zu expandieren? Als der mittlere Bruder war er das Sandwichkind, wie es heute gern heißt. Auf Fotos zeigt er ein zögerndes Lächeln, doch auch den Anflug von Sorgenfalten. Von einer Krankenhausphobie wird berichtet und dass Georg selbstbewusst, wortgewandt und manchmal aufbrausend war.
Georg Baumann wird als bei jedermann beliebt beschrieben. Seine zweite Frau Erny notierte in ihrem Tagebuch: ihm flog „mein Herz sofort entgegen, wie es ja jedem Menschen ging, der ihn kennenlernte.“ Er war Mitglied im Gesangsverein und Alpenverein, unterstützte als Ehrenmitglied diverse Turnvereine, Arbeitervereine, Veteranenvereinigungen – ein mildtätiger, sozial denkender Netzwerker. Im Zuge der Werksexpansion entwickelten die Gebrüder Baumann eine Reihe sozialer Einrichtungen: u.a. eine Arbeiter-Krankenkasse mit Krankengeldzahlung, einen Werkverein, eine Pensionskasse, eine Witwen-und-Waisen-Unterstützungskasse, gar eine Bierkasse. Als in Amberg große Wohnungsnot herrschte, ließen die Fabrikbesitzer Arbeiterwohnungen bauen, gründeten auf dem Werksgelände eine evangelische Diakoniestation mit Kindergarten und Krankenpflege, damit die zumeist ungelernten Arbeiterinnen (ein Anteil von fast 40 % um die Jahrhundertwende) das Multitasking von Haushalt, Familie und Beruf „schaffen“ konnten.
Seit dem Tod des ‚Pioniers’ Christian 1892 und des jüngeren Bruders Johann 1895 war Georg Baumann hauptverantwortlicher Seniorchef des Emaille-Unternehmens – an seiner Seite in der Unternehmensleitung Christians Sohn Erhard sowie stellvertretend für ihren noch minderjährigen Sohn Johanns Witwe Babette (die 1927 vom Gärtner der Familie erstochen werden sollte; doch das ist eine andere Geschichte). Nach dem Tod seiner Frau Elise im Jahr 1900 heiratete Georg Baumann vier Jahre später die sehr viel jüngere Erny. Mit ihr unternahm er eine Vielzahl an Reisen, die einerseits zu Handelsvertretern im In- und Ausland führten, aber auch nach Spitzbergen und in den Orient und im Verlauf einer Weltreise bis nach Südamerika. Ein in doppeltem Wortsinn unternehmungslustiger Mann …
Kehren wir noch einmal zurück zum Unternehmen der „Gebrüder Baumann – Amberg“, das vierzig Jahre lang, von 1872 bis 1914, der weltweit führende Hersteller von Emaillegeschirr war. Zu jener Zeit war Umweltschutz noch lange kein Thema; keiner ahnte, dass die Emailleproduktion vielfältigste Rückstände und giftige Abfälle hinterließ. Als die Firma Baumann 1986, also viele Jahrzehnte später, (nach einer Serie von Fehlentscheidungen, u.a. gegen die Produktion von Geschirr aus Plastik oder Edelstahl) Konkurs anmelden musste, war der Boden vor allem an den ehemaligen Standorten der Brennöfen und Kamine bis tief hinunter ins Grundwasser verseucht, u.a. mit 5,6 Tonnen Arsen und 250 Tonnen Mineralölkohlenwasserstoffen. Die Sanierungskosten betrugen mehr als 2,6 Millionen Euro, die Bund und Länder, die EU und die Stadt Amberg sich teilten.
Presse mit Mitarbeiter 1950 (Foto: Baumann)
Im Stadtmuseum Amberg lässt sich in einer Dauerausstellung zu den Gebrüdern Baumann die Fülle, Farbvielfalt und Formschönheit der hergestellten Tassen, Teller, Kochtöpfe, Waschschüsseln etc. bewundern – Emaillewaren, je nach Mode und Land in Wolkiggrau oder Hechtgrau, Geädert, Cameo, oder Onyx, Mosaik, Lichtblau, Elfenbein. Eine in den Zeitläuften untergegangene Fabrik, deren Spuren mit dem Baumannschen Löwen noch heute überall auf der Welt zu finden sind. In dem 1914 von der Handelskammer Regensburg herausgegebenen Band mit dem Titel „Die Industrie der Oberpfalz in Wort und Bild“ heißt es: „Ein Rundgang durch das Werk hinterläßt einen mächtigen Eindruck: Ausgedehnte Werkstätten und sonstige Arbeitsräume; hunderte von Maschinen zur Blech Bearbeitung, schwergliedrige Stanzen und Pressen, zwischen denen die halbfertigen Geschirre sich häufen, in ständiger Bewegung. Das Schweißen, das Beizen, das Auftragen in vielen Händen. In langen Reihen die kreisenden Mühlen für die Emailbereitung. Weiträumige Brennhallen, in denen etwa 30 hellglühende Öfen die Arbeit an den Geschirren vollenden. Die fertigen Waren, von denen jeder einzelne Gegenstand eine vielstufige Entwicklung durchmacht und die nur in erster Güte hergestellt werden, sammeln sich zu glänzend buntfarbigen Mengen in den großen Lager- und Packräumen, wo der umfangreiche Versand die Pflichten des Tages beherrscht und mit den Erzeugnissen den Namen Amberg hinausträgt in alle Gegenden des Erdballs.“
Werkansicht 1909 (Foto: Baumann)
Wer heute im Stadtmuseum Amberg Abbildungen der Baumannschen Fabrik betrachtet, als nächstes den ehemaligen Standort aufsucht, an dem sich heute u.a. die Emailfabrik alias @mail-Fabrik befindet, wie es an der Gebäudefassade steht, und sich zuletzt im Amberger Vorort Immenstetten die durchdacht-designte Architektur von Baumann automation ansieht, unternimmt eine weite Reise durch Raum und Zeit. Emaille und E-Mail, Fabrik und Fabrik sind zweierlei, gar keine Frage.
Dr. Georg Baumann III. stellt unter Beweis, dass sich der Urgeist der Familie Baumann bis heute weitervererbte – aber was die Produkte angeht, trennen die Generationen Welten. Ob Roboterzelle oder je nach Bedarf programmiertes Fertigungsmodul oder gar vollständig automatisierte Produktionslinie – man muss sich im Netz die Filme auf YouTube ansehen, um zu begreifen, was Baumann automation mit inzwischen rund 550 Mitarbeitern entwirft und baut und aus Amberg einmal mehr in alle Welt liefert. Erst rund 150 Jahre ist es her, dass die Baumänner das Rezept für die Emaillierung von Blechwaren kauften – betrachtet man die Entwicklung der Industrie, sind das beinahe schon Äonen.