Revolution nicht nur auf dem Acker
Im Jahre 1626 wurde in der Residenzstadt Neumarkt, damals Obere Pfalz, heute Oberpfalz, die Brauerei Lammsbräu gegründet – das sind bis heute stolze 392 Jahre, fast vier Jahrhunderte, eine beachtliche Zeitspanne. Das Staunen wird um nichts geschmälert, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass etliche Klöster natürlich bereits deutlich länger ihre Braustätten betreiben: die Benediktinerabtei Weltenburg urkundlich seit dem Jahr 1050, das Benediktinerkloster Weihenstephan seit spätestens 1146, die Mönche von Scheyern seit 1119, das Zisterzienserkloster Aldersbach seit 1268 … um nur einige zu nennen. Doch ist Lammsbräu keine Klosterbrauerei und die Familie Ehrnsperger ein reiner Familienbetrieb, der die Neumarkter Traditionsbrauerei im Jahre 1800 erwarb und sie bis heute in ununterbrochener Folge vom Vater auf den Sohn vererbt. Allein das ist rekordverdächtig. Nicht viele bürgerliche Unternehmerfamilien können auf eine derart lange Tradition ihrer Firma zurückblicken.
Definitiv jedoch gesellt sich der Lorbeerkranz zur Hopfenkrone, wenn man sich die neueste Geschichte des Lammsbräu unter Dr. Franz Ehrnsperger vor Augen führt: Er nämlich ist der unangefochtene Pionier eines gänzlich neu verstandenen „Reinheitsgebotes“ für bayrisches (und nicht-bayrisches) Bier, das erstmals rein biologisch und umweltverträglich, mit anderen Worten: ganzheitlich verstanden wird. Franz Ehrnsperger ist einer der prominentesten Verfechter dieses neuen Denkansatzes, den er im Nachhaltigkeitsbericht seiner Brauerei so bündig wie richtungsweisend zusammenfasst: 100% biologisch – 0% Kompromiss.
„Die 1970er waren die goldenen Jahre der Landwirtschaft gewesen, die Subventionen kamen auf, der Profit wuchs wie das Unkraut, das man plötzlich mit jeder Menge Chemikalien bekämpfen konnte und die Bauern fuhren schicke ‚Heizöl-Maseratis’. Allein die Natur spielte auf Dauer nicht mit. Die Böden verloren ihre Kraft, die Rohstoffe ihre Qualität, irgendwann ließ sich passables Bier nur noch mit Hilfsstoffen herstellen. Als ich die Brauerei übernahm, auf deren Hof ich als Kind gespielt hatte, waren die Konzentrationsbewegungen in der Branche bereits groß. Ich kam nicht zur Ökologie, weil ich ein ‚Grüner’ war. Unser nachhaltiges Unternehmenskonzept entstand, weil wir bessere Produkte brauchten als unsere Mitbewerber. Und dafür benötigten wir bessere Rohstoffe.“ So der Biopionier des Bierbrauens in dem auch in ästhetischer Hinsicht überzeugenden Jubiläumsband „Revolution auf dem Acker“, der zum 25jährigen Bestehen der Erzeugergemeinschaft für ökologische Braurohstoffe im Jahr 2014 neunzehn Bio-Bauern näher vorstellt.

Wie fing die Revolution des Bierbrauens an? Als Dr. Franz Ehrnsperger 1977 die Brauerei der Familie übernahm, war er zum einen gelernter Braumeister und zweitens Diplomkaufmann mit Doktortitel und einer Dissertation über Steuerrecht. Neben der Übernahme der laufenden Geschäfte in der Brauerei wartete eine zweite knifflige Aufgabe auf ihn – er musste die für seinen Neustart denkbar schwierige Ausgangssituation klären, dass zwei Stämme der Familie (die des Vaters und die des Onkels) je 50 % des Familienunternehmens geerbt hatten. Wenn jemand radikalere Weichenstellungen im Sinn hat, bereitet ihm solch ein Patt viel Kopfzerbrechen. Um handlungsfähig zu sein, mussten die Miterben ausgezahlt werden. Dem jungen Brauer und Steuerrechtler gelang es trotz zeitweiser Überschuldung, die Erbengemeinschaft weitgehend schmerzfrei bis reibungsarm auseinanderzudividieren. Was half: der Sparkassendirektor habe immer an ihn und an seine Pläne geglaubt, wie Ehrnsperger erzählt. Das war nicht selbstverständlich, denn sein Vorhaben, seine Vision, war so unerhört wie umstürzlerisch: Er wollte biologisch brauen und nachhaltig wirtschaften – beides Begriffe, die Ende der siebziger Jahre noch ein Schattendasein führten. Der Terminus „Nachhaltigkeit“ (sustainable development, ein Begriff aus der Forstwirtschaft) setzte sich letztlich erst mit der im Jahre 1992 in Rio de Janeiro abgehaltenen UN-Weltkonferenz über Umwelt und Entwicklung durch.
Da war der Braumeister seiner Zeit in der Tat weit voraus: Schon 1977, zwei Jahre vor der Gründung des Landesverbandes der Grünen in Bayern, gab Ehrnsperger dem Neumarkter Lammsbräu das Motto „Umweltschutz als Unternehmensziel“ mit auf den Weg. Das hört sich aus heutiger Sicht so an, als wäre sofort alles in Butter, quasi ein Selbstläufer gewesen. Weit gefehlt – bis der Lammsbräu sein erstes rein biologisch gebrautes Bier auf den Markt bringen konnte, schrieb man das Jahr 1987.
Wenn einer ein Biobier brauen will, geht das nicht über Nacht. In Neumarkt dauerte es geschlagene zehn Jahre … Denn woher die Rohstoffe nehmen? Zunächst einmal die Braugerste? Regional wollte Ehrnsperger wirtschaften, aber wo waren die Biobauern? Es gab sie nicht, so lautete der Befund. Viel Überzeugungsarbeit stand damit an erster Stelle auf dem Programm. Als ersten Schritt machte der junge Brauer unter den Landwirten rings um Neumarkt vierzig Betriebe bzw. einzelne Bauern ausfindig, die sich für seine Idee erwärmten und daher 1978 zur „1. Erzeugergemeinschaft für Qualitätsgerste ‚Gold der Oberpfalz’“ zusammenschlossen. Alle betrieben sie konventionelle Landwirtschaft, anvisiert aber war, dass jeder der vierzig Bauern früher oder später zum biologischen Anbau wechseln würde. Das freilich braucht Zeit, denn die Natur kennt keine Eile – erst 1981 lieferte Erwin Ehemann der Mälzerei des Lammsbräu die erste Fuhre Öko-Braugerste, die überhaupt auf dem regionalen Markt zu haben war. Das hieß auch: „Jetzt machen wir ernst.“ Bis 1988 waren es dann insgesamt siebzig Bauern aus dem Landkreis Neumarkt, die insgesamt 400 Tonnen Bio-Braugerste an Lammsbräu lieferten. Als man im Jahr danach versuchte, auch die nach wie vor konventionell produzierenden Bauern der Erzeugergemeinschaft auf „Öko“ einzuschwören, kam es zum Eklat – das „Gold der Oberpfalz“ ging andere Wege als die Biopioniere.
In der Not wurde postwendend die EZÖB gegründet: die „Erzeugergemeinschaft für ökologische Braurohstoffe“, die inzwischen auf fünfundzwanzig Jahre Geschichte zurückblickt und heute 131 Mitgliederbetriebe umfasst, von denen bereits etliche in zweiter Generation mit von der Partie sind. „Ein Vierteljahrhundert lang hat die Gemeinschaft bewiesen, dass sie funktioniert. Dass sie schlagkräftig, innovativ, nachhaltig und erfolgreich ist. Sie darf jetzt mit Fug und Recht allen als Beispiel dienen, die Alternativen zu unserem kränkelnden System suchen“, so Ehrnsperger.

Denn auch das zählt zum Credo des Pioniers: Nur ohne Zwischenhändler ist die Bio-Qualität ohne Wenn und Aber überprüfbar. Dass der Lammsbräu schon immer seine eigene Mälzerei betreibt, ist ein wichtiger Schritt dazu. Abgerundet wird das Ganze durch den brauereieigenen Brunnen mit altem Wasserrecht von 1898 und durch die Hefe, die man seit jeher ausschließlich im eigenen Haus vermehrt und heute sogar in reichlicher Menge – bis zu zwei Tonnen im Jahr – an andere Brauer verkauft. Damit hält man beim Neumarkter Lammsbräu den kompletten Weg des Biers „vom Acker bis zur Abfüllung“ in den eigenen Händen.
Bevor der Neumarkter Lammsbräu das erste voll und ganz als „biologisch“ deklarierbare Bier anbieten konnte, musste im Kleinen experimentiert werden; das geschah in einer eigens in Nürnberg eingerichteten „microbrewery“ mit dem Namen „Brauerei im Altstadthof“. In dieser ersten Mikrobrauerei überhaupt, die es in Deutschland gab, wie Ehrnsperger stolz anmerkt, wurden kleine Mengen gebraut und sofort verkostet. 1987 konnten dann als erste Bio-Biere das Schankbier und das Dunkel des Neumarkter Lammsbräu auf dem deutschen Markt eingeführt werden.
Doch bekanntlich braucht es beides: Hopfen und Malz – biologisch angebauter Hopfen aber war nicht in genügender Menge zu haben. Erst 1990 kamen Naturhopfendolden aus zu hundert Prozent ökologischem Landbau in die Sudpfannen; Hopfenpellets lehnt man bei Lammsbräu kategorisch ab, es würden zu viele Polyphenole verloren gehen, so der Haupteinwand. Bis die Neumarkter ihren Bedarf vollständig mit Öko-Hopfendolden decken konnten, dauerte es abermals geraume Zeit. Noch heute liefern den Öko-Hopfen nicht mehr als zwei (!) Hopfenbauern aus Hersbruck.

Die komplette Umstellung auf hundertprozentige Öko-Produktion war nicht von heute auf morgen machbar. In der Übergangsphase produzierte Lammsbräu zweigleisig biologisch und konventionell gebraute Biere. Nach und nach wurde Sorte für Sorte umgestellt; dieser Prozess erstreckte sich über sieben Jahre, eine geradezu biblische Zahl – mit dem Unterschied, dass bei Lammsbräu auf sieben gute keine sieben schlechten Jahre folgten. (Eine Missernte gab es zuletzt im Sommer 2016 als Folge ausgiebiger Regenfälle Anfang August, Lammsbräu musste in Norddeutschland zukaufen.) 1994 war es dann soweit. Mit Fug und Recht konnte das Unternehmen nun endlich sagen: „Die Biere der Neumarkter Lammsbräu sind zu 100% Bio.“ Eine Zeitspanne von siebzehn Jahren von dem gefassten Entschluss bis zur hundertprozentigen Realisierung. Mit anderen Worten – wenn es in der Landwirtschaft um Neues und vor allem um Ganzheitliches geht, ist langer Atem gefragt.
Wie Dr. Ehrnsperger im Gespräch ohne Groll, aber mit Nachdruck festhält, traf er zu Beginn nicht nur auf Skeptiker, die ihre Einwände sachlich vorbrachten; nein, er machte sich sehr rasch mächtige Gegner, die für böigen Gegenwind sorgten. Speziell den Bauernverband nennt er – und damit kam auch die CSU ins Spiel: „Denn zwischen die beiden passte noch nicht einmal ein Blatt Papier, um es so auszudrücken.“
Ökologisch-biologisch zu denken, war Ende der 1970er Jahre alles andere als Mainstream und schick, von Biosupermärkten war die Gesellschaft denkbar weit entfernt. Die „Ökos“ wurden gern als spinnerte Spätpubertäre betrachtet; sollten sie doch in ihren kleinen Bioläden in Randlage einkaufen. Aber die Bio-Idee weiterzuentwickeln und in größerem Rahmen umzusetzen, gar ein ganzes Unternehmen darauf einzustellen und schrittweise umzustellen, dabei womöglich sogar noch auf wirtschaftlichen Erfolg zu hoffen – das ging doch wirklich zu weit. Bis heute liegt der bayernweite Prozentanteil der Bio-Bauern bei bescheidenen 5,8 Prozent, im Landkreis Neumarkt (eine der fünf offiziellen „Öko-Modellregionen“ Bayerns) sind es immerhin 7,7 % biologisch angebaute Gesamtfläche, was schon die Spitzenposition in der Oberpfalz und auch in Niederbayern sichert. Das bayerische Landwirtschaftsministerium ließ erst unlängst verlauten, dass sich die Zahl der Bio-Produkte aus dem Freistaat bis 2020 verdoppeln soll. Gesagt, getan? Eins steht fest: Die Bio-Idee ist inzwischen en vogue, fast alle Parteien haben sich „grüne“ Ideen aufs Blatt geschrieben. Es wäre definitiv ein Schritt in der richtigen Richtung, wegweisend für die Gesellschaft der Zukunft. Pionier Ehrnsperger ist davon überzeugt: „Mit Erfolgsmodellen im Stil unserer EZÖB wird das ebensowenig eine Vision bleiben wie unser Bier aus 100 % Bio-Rohstoffen. Profitieren werden davon am Ende alle: Natur und Tiere ebenso wie unsere Gesellschaft.“
Widerstände und allmähliche Akzeptanz hin oder her – die Brauerei Lammsbräu hatte Erfolg. Insgesamt machten im Zuge der Umstellung auf Bio-Biere nur zwei Gaststätten als Dauerabnehmer einen Rückzug, alle anderen blieben Lammsbräu treu. 2016 konnte das Unternehmen rund 23 Millionen Euro Umsatz verbuchen, ein sattes Plus von 13,2 Prozent zum Vorjahr. „Wem das Glück hold ist, dem kälbert ein Ochs.“ So heißt es in Sailers Sprichwortsammlung Die Weisheit auf der Gasse. Wer heute in einen Bioladen geht, ob in Ostholstein oder in Hannover, auf Sardinien oder im Athener Vorort Glyfada: der Neumarkter Lammsbräu ist garantiert im Sortiment zu finden. Beim Export in großem Stile hält sich die Brauerei aus ökologischer Überzeugung zurück. Laut der MZ/Neumarkt vom 14.2.2017 gebe es sehr viele Anfragen besonders aus Asien, denen man jedoch mit Blick auf die CO-2 Bilanz weiterhin widerstehen wolle.
Was aber tun, wenn der Bierkonsum langsam, aber stetig sinkt? Von einer Rekordspitze im Jahr 1976 mit rund 156 Litern Bier pro Kopf pro Jahr sank der Bierkonsum bis 2017 auf rund 100 Liter pro Kopf pro Jahr – die Deutschen trinken damit heute im Schnitt etwa ein Drittel weniger Bier als vor vierzig Jahren. Ein so eindeutiger Abwärtstrend brachte und bringt selbst einen erfolgreichen Brauer wie Franz Ehrnsperger zum Grübeln, der den Bierausstoß seines Unternehmens binnen fünf Jahren von 63.000 Hektoliter im Jahr 2011 auf 71.000 hl im Jahr 2013 und auf knapp 87.000 hl, also ein Drittel mehr, im Jahr 2016 steigern konnte.
Die Antwort der Neumarkter lag auf der Hand: Sie würden die ursprüngliche, längst Realität gewordene Vision weiter vorantreiben und ihr Angebot ausbauen. In der Region gibt es jede Menge Streuwiesen, die schon immer völlig selbstverständlich zu einem Bauernhof dazugehören – also kamen bei Lammsbräu 2009 erstmals Fruchtsaftgetränke aus biologisch angebauten Zutaten ins Sortiment, „die erste Bio-Limonade in Europa“, wie Ehrnsperger erzählt: es durfte auf keinen Fall Zucker in die Limonade, nur Honig, was aber ungewohnt schmeckte; auch der Name, den er sich ausdachte – Honeysubs –, war schwierig und funktionierte nicht auf dem Markt. In einem zweiten Versuch, von der jüngeren Generation im Unternehmen gestartet, wurde mit Name und Design vor allem ein junges und modernes Publikum anvisiert – und es funktionierte. Now-Limonaden enthalten keinen Fertig-Sirup, sondern den Saft echter biologisch angebauter Früchte, zum Süßen wird nur Zucker aus deutschen Bio-Zuckerrüben verwendet. Heute ist „bio now“ mit Geschmacksrichtungen wie Fresh Lemon, Sunny Orange, Sweet Mandarin, Birne Hopfen oder dem Dauerrenner Black Cola gleich nach der Firma Völkl die Nummer zwei auf dem Bio-Limonaden-Markt. „In den now-Limonaden stecken unsere umfassende Nachhaltigkeitsphilosophie und das gesamte Getränke- und Bio-Know-how eines Bio-Pioniers mit über 380 Jahren Tradition“, erklärt Susanne Horn, die generalbevollmächtigte Geschäftsführerin der Neumarkter Lammsbräu. Von 2010 bis 2016 legten die alkoholfreien Getränke um knapp 60 Prozent auf über 69.000 Hektoliter zu.
Nimmt man den Begriff Nachhaltigkeit ernst, wie es sich die Neumarkter auf ihre Fahnen geschrieben haben, wird der wirtschaftliche Erfolg zum Problem: je besser die Geschäfte, desto schlechter die Ökobilanz. Man kann nur staunen, was die Neumarkter alles in die Wege setzten, um den selbstgesteckten Zielen Zug um Zug näherzukommen. Das ganze Bündel der erfolgten Einzelmaßnahmen zeigt seinerseits nachdrücklich, welche Mühen der Ebene es dabei zu meistern galt und welch unermüdliche und kontinuierliche visionäre Schaffenskraft in dieser Entwicklung steckt:
1978: Einrichtung der Solarthermieanlage auf dem Mälzereidach – 1980: Umstellung auf Mehrweg-Flaschen – 1981: Umstellung von Heizkessel auf Wechselbetrieb mit Erdgas – 1989: Vollständiger Verzicht auf schweres Heizöl – 1989: Umstellung auf schwermetallfreie Etiketten – 1990: Optimierung der Abwärmenutzung durch Einbau von Wärmetauschern – 1991: Umstellung aller Geschäftspapiere auf Recyclingpapier – 1992: Einführung PVC-freier Kronkorken – 1993: Substitution umweltbedenklicher Büromaterialien – 1994: Umstellung auf unbedenkliche Kältemittel im Lagerkeller sowie erste Versuche der kieselgurfreien Bierklärfiltration – 1996: Umbau der betriebseigenen Tankstelle auf Pflanzenöl – 1997: Umrüstung der drei ersten PKWs auf Pflanzenölbetrieb – 1998: Lärmreduzierung in der Abfüllanlage durch Umstellung auf drucklose Flaschenzusammenführung – 2001: Inbetriebnahme des energiesparenden Würzeschonkochverfahrens – 2002: Einbau einer neuen, wassersparenden Flaschenwaschanlage sowie Umrüstung des ersten LKWs auf Pflanzenölbetrieb …
Ganzheitlich? Das klingt simpel genug, benennt aber ein Fernziel, das tausend Neuerungen nötig macht. 2003: Installation des ersten Abschnitts der Regenwassersammelanlage – 2004: Bau des neuen Wertstoffhofs sowie weitere Lärmreduzierungsmaßnahmen in der Abfüllanlage durch Umbau auf stufenlose Bandsteuerung – 2005: Einsparung von Produktionswärme durch Umstellung auf Abfüll- und Produktionswochen – 2009: Komplettrenovierung des Filterkellers – 2011: Inbetriebnahme der neuen stromsparenden Kälteanlage sowie Umstellung auf Ökostrom – 2012: Drucktankerneuerung – 2013: Neustrukturierung Kaltwassernetz mit zusätzlichem Einbau von neuen Kaltwassertanks – 2013: Beginn der Sanierung der Stromversorgung in der gesamten Brauerei – 2014: Einbau eines neuen Trafos – 2015: Beginn des Bauvorhabens zur nachhaltigen Erweiterung der Brauerei am Standort – 2016: Abschluss der umfangreichen Bau- und Modernisierungsarbeiten auf dem Brauereigelände, Einbau und Inbetriebnahme des Tunnelpasteurs für die Biosäfte sowie Abschluss der Bauvorhaben Gär- und Lagerkeller und Erneuerung der Energieversorgung; auch der gesamte Fuhrpark wird sukzessive auf alternative umweltfreundliche Antriebstechnologien umgestellt.
In der Summe kosteten die Neuerungen rund zwölf Millionen Euro. All das und noch viel mehr en detail kann man zum einen der Website von Lammsbräu entnehmen, zum anderen dem „Nachhaltigkeitsbericht“, den Lammsbräu seit 2001 jährlich veröffentlicht. Schon 1990/91 wurde eine erste umfassende und ganzheitliche Ökobilanz erstellt. Ohne Frage brachte gerade das ungebremste Wachstum Probleme mit sich, die man durch umso genaueres Auditing zu erfassen und zu kompensieren versuchte. Ob Produktpalette, Umsatzzahlen, Auszeichnungen, Nachhaltigkeitsmanagement, Nachhaltigkeits-Controlling, Umweltprogramm, Partnerschaften etc. – der 77 Seiten starke Bericht für 2016 lässt nur wenige Fragen offen. „Für die Neumarkter Lammsbräu war und ist nie allein der kurzfristige betriebswirtschaftliche Unternehmenserfolg Richtschnur des Handelns, sondern das Bedürfnis, im Einklang mit der Umwelt das bestmögliche Produkt auf nachhaltige Art und Weise herzustellen. Und das dokumentieren wir Jahr für Jahr – umfassend, schwarz auf weiß und voller Begeisterung für die Sache an sich.“
Als bislang jüngstes Produkt brachte die Biobrauerei gar Mineralwasser auf den Markt. Auf den Erfolg des Bio-Mineralwassers mit einem zweistelligen Absatzzuwachs in Höhe von 11,2 Prozent ist die Lammsbräu-Chefin Susanne Horn besonders stolz. Zum ersten Mal in der langen Geschichte der Brauerei habe man im Jahr 2016 den Gesamtausstoß aller Getränke über die magische Grenze von 200.000 auf genau 206.819 Hektoliter hieven können.
Kaum zu glauben und dennoch wahr: 2009 wurde die Neumarkter BioKristall-Quelle als erste deutsche Bio-Mineralwasserquelle zertifiziert. Man ahnt schon – hier liegt das neueste Aktionsfeld des Biovisionärs Ehrnsperger, der seit kurzem auch als Vorsitzender der „Qualitätsgemeinschaft Biomineralwasser“ amtiert, in der u.a. Vertreter von Bioland und Demeter sitzen. Seit der Unternehmer im August 2008 die Geschäftsführung der Brauerei an Susanne Horn abgab, hatte er Kapazitäten frei. Und fand selbstredend eine neue Mission: „Jeder, der Biomineralwasser auf den Markt bringt, muss Biowasserbauer werden. Der Biolandwirt sorgt dafür, dass an seine Möhren nichts rankommt, was der liebe Gott nicht selbst erschaffen hat. Das Gleiche muss der Biowasserbauer für sein Wasser tun.“
Ist der Begriff „Biosprudel“ schlicht und simpel ein Etikett und damit Teil vom Marketing – oder geht es um mehr? Was heißt es konkret? Ehrnsperger pocht aufs ganzheitliche Denken – einfach einen Brunnen zu bohren, reiche beileibe nicht aus. Der Brunnenbetreiber muss erstens mehr und zweitens strengere Grenzwerte einhalten, sich drittens aktiv für Umweltschutz einsetzen und nachweisen, dass er den Biolandbau in seiner Region fördert und ausschließlich Ökoverpackungen benutzt. Die Vorgaben der Mineral- und Tafelwasserverordnung sind sowieso einzuhalten, dito die teils sogar noch strengeren Auflagen der Trinkwasserverordnung, speziell die Grenzwerte beim Bor- und Fluoridgehalt.
Prompt traf die Zertifizierung des Lammsbräu-Wassers als „Bio-Mineralwasser“ einen wunden Nerv bei der Konkurrenz. Wer die problematische Qualität des Grundwassers und damit auch der Mineralbrunnen in Deutschland thematisiert, bekommt, ähnlich wie zu Beginn der „Bio-Ära“, erstmal Ärger. Und das trotz der Tatsache, dass sich in Nordrhein-Westfalen 40 % aller Grundwasserkörper in „chemisch schlechtem Zustand“ befinden – in Niedersachsen sind es gar 41,7 %, dort registrieren 31 % der Messstellen Nitratwerte über dem gesetzlich zulässigen Grenzwert – in Brandenburg geben 48 % der Messstellen Anlass zu Sorge – in Baden-Württemberg wiesen 41,4 % der Grundwassermessstellen mindestens eine perfluorierte Chemikalie nach. Und in Bayern registrieren immerhin 45,2 % der Grundwassermessstellen Reste von Pestiziden, fast 50 % der Messungen erbringen den Nachweis sogenannter nichtrelevanter Pestizidmetabolite. Ist das etwa kein Grund zu akuter Sorge?
Dessen ungeachtet reichte die „Wettbewerbszentrale“, eine private Interessensgemeinschaft, postwendend im März 2010 gegen Lammsbräu eine Unterlassungsklage beim Landgericht Nürnberg ein, um die Qualitäts-Auszeichnung „Bio-Mineralwasser“ verbieten zu lassen. Nach drei Jahren juristischer Auseinandersetzung mit Unterlassungsurteil, Revision, neuem Urteil, neuer Revision und abschließendem Urteil des Bundesgerichtshofs steht nun fest: Mineralwasser, das die präzise definierten Qualitätskriterien der Qualitätsgemeinschaft Biomineralwasser e.V. erfüllt, darf mit dem Etikett Bio-Mineralwasser gekennzeichnet und vermarktet werden; natürlich auch das Mineralwasser des Lammsbräu mit dem Label „BioKristall“.
Obwohl sich der Lammsbräu-Chef noch vor Jahresende 2017 ganz aus der Leitung der Brauerei zurückziehen wird, wie er im Gespräch sagte, das er mit jugendlicher Begeisterungsfähigkeit, voller Energie und überzeugender Verve führte, wird ihn speziell das Thema Bio-Mineralwasser auch künftig intensiv beschäftigen und zugleich Raum für neue Aktivitäten, Netzwerkereien und produktiv-kreative Unruhe eröffnen. Nein, auf halbem Wege stehenzubleiben, das ist Franz Ehrnspergers Sache nicht. Er braucht neue Ideen und neue Pläne wie andere Leute Atemluft und (Bio)Mineralwasser. Dass Lammsbräu zum Brauen nur Gerste, Weizen, Dinkel, Hopfendolden und Hefe benutzt, die zu hundert Prozent biologisch angebaut bzw. gemälzt bzw. vermehrt sind und wenn irgend möglich aus der Region kommen, versteht sich längst von selbst. Dass die Brauerei ihren Lieferanten die Erstellung eines ‚Kulturlandplans’ finanziert, bei dem Naturschutzberater von Bioland ein ganzes Jahr lang die einzelnen Bauern begleiten und einen speziell auf seinen Hof zugeschnittenen Naturschutzplan erarbeiten, ist klar als ‚Dreingabe’ zu sehen.
In Neumarkt steht aber noch mehr auf dem Programm: bezuschusst wird das Pflanzen von Streuobstwiesen, Blühstreifen und Hecken auf den Äckern, ebenso die Schonung der Waldränder, um landwirtschaftlich genutzte Flächen weniger monoton zu gestalten, auf dass sich Wildkräuter und selten gewordene Pflanzen neu ansiedeln und Insekten und Niederwild wieder Rückzugsgebiete finden. Interessierte können auf geführten naturkundlichen Spaziergängen die Resultate dieser Programme mit eigenen Augen sehen. Auch das in Zusammenarbeit mit Bioland e.V. und der bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft geplante Projekt „Wiederansiedlung von alten Wildkräutern in Braugerstebeständen“ ist zu nennen oder die Workshops, bei denen Schulklassen Insektenhotels bauen und beim Projekt „Bienenkiste“ die Grundzüge des Imkerns lernen – all das wird von Lammsbräu aktiv gefördert und unterstützt.
Kein Wunder, dass Dr. Franz Ehrnsperger 2001 für sein ganzheitliches ökologisches Unternehmenskonzept mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet wurde. Eher verwundert, was er mit dem Preisgeld von immerhin 500.000 € tat: Er investierte es nämlich in eine neue Flaschenwaschanlage, die spürbar weniger Wasser und Energie verbraucht, stiftete aber zugleich mit dem auf diese Weise eingesparten Geld den neu ins Leben gerufenen Nachhaltigkeitspreis der Neumarkter Lammsbräu.
Zweiundsechzig Preisträger gab es in den fünfzehn Jahren seither, von denen stellvertretend einige hier genannt seien: Joachim Wille von der Frankfurter Rundschau, der Artikel zur Agrarwende publizierte – Walter Janka, der Unterrichtsmaterial über ökologische Landwirtschaft und Kreislaufwirtschaft für Schüler erarbeitete – Hanne Rosemann vom Hessischen Rundfunk, die über grüne Landwirtschaft als Mittel gegen den Hunger in den Entwicklungsländern schrieb – Guido Hammesfahr, der als Nachfolger von Peter Lustig in der Serie „Löwenzahn“ den Kindern die Welt erklärt – Neumarkter Biobauern und der Kreisverband für Gartenbau und Landespflege im Landkreis Neumarkt – das Hotel Gutshaus Stellshagen als Vorreiter ökologischer Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern – die „Teekampagne“, heute der größte Tee-Importeur der Region Darjeeling – Leo Pröstler, Leiter des Öko-Instituts, Gründer des Umweltversands Waschbär und Chef der Stiftung FuturoVerde – Geolino extra, das Wissensmagazin für Kinder.
Gefördert wird, was nachhaltig ökologisch zukunftsweisend ist. Mit dem „Ehrenpreis für herausragende Persönlichkeiten“ geehrt wurden beispielsweise das Ehepaar Weinzierl vom Bund Naturschutz, ebenso Klaus Töpfer, ehemals Bundesumweltminister und später Direktor des UN-Umweltprogramms UNEP, Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker vom Institut für Europäische Umweltpolitik, Gregor Maria Hanke, heute Bischof von Eichstätt und zuvor Abt des Ökopionier-Klosters Plankstetten, Dr. Hans Rudolf Herren, Träger des Welternährungspreises und Chef des Millennium Institute oder Peter Maffay, der auf seiner Finca im Norden Mallorcas jährlich bis zu dreihundert Jugendlichen einen Aktivurlaub ermöglicht, bei dem sie praktische Erfahrung im Ökolandbau sammeln können.

Was freut den Bio-Visionär am allermeisten? Schwer zu entscheiden. Sicherlich rangiert die Tatsache, dass auch in seiner Generation die Nachfolge des Familienunternehmens geklärt ist, ganz oben: Sein Sohn Johannes, Jahrgang 1990, der zunächst Betriebswirtschaft studierte, schloss kürzlich sein Brauer-Diplom in Weihenstephan mit der Bestnote des Jahres 2016 ab und wird die Brauerei übernehmen. Zur großen Freude von Franz Ehrnsperger ist er ebenfalls „mit Leib und Seele“ dabei. Die Eltern, die Schwestern und auch die Generalbevollmächtigte Susanne Horn werden bei den ersten Schritten für Rückendeckung sorgen. Überhaupt gab es in der Geschichte des Familienunternehmens mittendrin immer wieder „starke Frauen“, erzählt der Lammsbräu-Chef. Seine Mutter, achtzehn Jahre jünger als sein Vater, hielt eine Generation lang die Stellung, bis ihr Sohn Franz 1975 mit Studium und Ausbildung so weit war, dass er das Unternehmen übernehmen konnte. Seine Großmutter wiederum hielt die Brauerei nach 1921 am Laufen, als der Großvater starb und der damals siebzehnjährige Vater noch nicht alt genug für die Übernahme der Leitungsposition war. Auch die Urgroßmutter bewies Energie und Innovationskraft, als sie um die Jahrhundertwende den ersten Natureiskeller der Brauerei draußen vor den Toren der Stadt bauen ließ.
Der gemeinsam beschrittene Weg liegt und lag Franz Ehrnsperger immer am Herzen. Auch in dieser Hinsicht war das Engagement im IHK-Gremium Neumarkt für ihn ganz selbstverständlich – 24 Jahre lang amtierte der promovierte Steuerrechtler als Vorsitzender des Steuerausschusses. Die IHK habe die Umstellung auf biologische Verfahren bei Lammsbräu immer unterstützt: „eine tolle Einrichtung“, sagt er. Heute führt im Gremium Neumarkt Frau Horn den Vorsitz. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass bereits der Bierbrauer Leonhard Ehrensperger 1865 als Vertreter aus Neumarkt in der Kreis-, Gewerbe- und Handelskammer der Oberpfalz und von Regensburg saß.
Der prominente Biobauer Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Landwirt (seit 1992 biologisch) und Vorsitzender des Bio-Dachverbandes Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) schrieb im Grußwort zum 25jährigen Jubiläum der Erzeugergemeinschaft EZÖB: „Diese Zusammenarbeit hat aber noch etwas geleistet, was sich nicht mit Geld messen lassen kann: sie hat dafür gesorgt, dass eine immer größere Fläche auf eine zukunftsfähige Weise bewirtschaftet werden konnte, dass vielen Bauernhöfen eine Zukunftsperspektive erhalten geblieben ist und dass durch viele durstige Kehlen ein köstliches Bier laufen konnte. Wirtschaftlicher Erfolg, Nutzen für die Menschheit und Genuss vereinigt zu haben – könnte man sich eine bessere Bilanz zum Jubiläum vorstellen?“
Die Antwort liegt auf der Hand: 100%ig nicht. Aber es bleibt immer Luft nach oben. Die Zeit der Kompromisse ist vorbei. Die jüngsten, erst im Oktober 2017 veröffentlichten Zahlen zum rapiden Anstieg des CO2-Gehalts in der Atmosphäre, die düstere Bilanz alarmierend hoher Schadstoffwerte im Grundwasser, die heillose Überfischung der Meere, das verantwortungslose Verfüttern von Antibiotika bei der Massentierhaltung und derlei Aberwitz mehr – all das unterstreicht, dass noch viel zu tun bleibt, bis man, ob hierzulande oder sonstwo in der Welt, von einer echten ökologischen Wende sprechen kann. Höchste Zeit also für die Revolution der Nachhaltigkeit – auf dem Acker, zu Wasser und in der Luft. Der Biobrauer und Betriebswirt und Umweltfreund Dr. Franz Ehrnsperger hat vorgeführt, was möglich ist.