Gruppenbild mit Frauen

Eines ist klar: mit den Frauen müssen wir beginnen. Ohne die Frauen, in dem Fall die Mütter, gäbe es erstens die zahlreichen Friedriche gar nicht, Nummer eins bis sechs, mehrere von ihnen Fritz genannt – nein, nicht von den Preußenkönigen ist die Rede, sondern von den männlichen Erstgeborenen des Familienunternehmens Friedrich Pustet, das nach ihnen benannt ist und umgekehrt traditionell sie nach ihm. Ohne die Frauen als tatkräftige Unternehmerinnen gäbe es zweitens das gesamte Unternehmen nicht, das im Juli 2020 sein zweihundertjähriges Jubiläum feiern wird: Friedrich Pustet Verlag, Buchhandel, Druckerei.
Friedrich I. wiederum zählte im Jahr 1843 zu den zwölf vom König ernannten Gründungsmitgliedern der IHK, die 2018 ihr 175jähriges Jubiläum begeht. Begeben wir uns daher zurück zu den Anfängen und unternehmen wir den Versuch, auf wenigen Seiten zweihundert Jahre Familien- und Firmengeschichte nachzuzeichnen, eingebettet in die unterschiedlichsten Zeitläufte. Alles beginnt mit Anna Maria Pustet, der Mutter des ersten Friedrich.
Es fängt an wie in einem Märchen der Brüder Grimm – eine mittellose Familie, treu sorgende Eltern, kriegerische Zeiten. Die Buchbindereheleute Anna Maria und Anton Pustet lebten einst in Hals bei Passau: „Eine Familie, wo die Sorge täglich mit ungestümer Faust an die Türe pocht und sich zu Gaste lädt.“ Die Buchbinderei warf wenig ab, oft reichte das Geld nicht für die Schuhe und Strümpfe der insgesamt acht Kinder. Ab 1784 begann Vater Anton, arm und ohne Schulbildung, der aber für sein Leben gern las und exzerpierte, einen Handel mit alten und neuen, gebundenen und nicht gebundenen Büchern. Er gründete eine Leihbibliothek und war als Bücher verkaufender Hausierer viel auf Reisen. Bei seinem frühen Tod 1803 war sein Sohn Friedrich gerade einmal fünf Jahre alt und die tägliche Not größer denn je. Die Witwe Anna Maria musste von nun an allein fürs Nötigste sorgen. Da sie vertraut war mit den Geschäften ihres Mannes, führte die tatkräftige, mutige, intelligente Frau seine Arbeit weiter – ohne zu reisen, versteht sich. Multitasking würde man das heute nennen.
„Also, dieser Frau gehört ein Denkmal errichtet!“ Die aktuelle „Patriarchin“ Elisabeth Pustet sagt dies mit Überzeugung und Nachdruck. Anna Maria Pustet sei die „tüchtigste Pustet-Frau, die es bis heute gibt. Ohne sie würde das heutige Pustet-Unternehmen gar nicht existieren.“
Die Passauer Konkurrenten und Neider witterten nämlich sofort die Chance. Ihr Mann war noch nicht lange unter der Erde, da wurde die Witwe Anna Maria Pustet polizeilich aufgefordert, innerhalb von drei Tagen eine eigene Konzession auszuweisen – ihr Geschäft sei nichts als eine „Trödelei“. Sie wehrte sich, verfasste eine geschickt formulierte Eingabe an die Verwaltungsbehörde in München und erhielt sechs Wochen später die Erlaubnis, wie ihr Mann bildende Volksschriften zu verlegen und andere nicht gebundene Bücher zu verkaufen – eine Genugtuung. Dennoch, zu Zeiten der Napoleonischen Kriege gingen viele Geschäfte schwerer als andere, die Familie lebte von der Hand in den Mund, das Geld reichte nur für die existentiellsten Bedürfnisse. In ihrer Not beschloss Anna Maria Pustet schweren Herzens, ihren Ältesten, der noch ein Kind war und heutzutage die vierte Grundschulklasse besuchen würde, in die Welt hinauszuschicken: die Donau hinauf, nach Regensburg. Diese Jahre, reich an Entbehrungen wie an Erfahrungen, sollten den ersten Friedrich Pustet wesentlich prägen. Seine Sparsamkeit lag darin ebenso begründet wie das auch noch zu späteren Zeiten eher bedürfnisarme Leben.
Im Alter von neun Jahren begann Friedrich beim Buchbindermeister Eggensperger in Stadtamhof eine Lehre. Wie es heißt, fing er sich „derbe Klapse“ ein, wenn er dem Inhalt der Bücher mehr Aufmerksamkeit schenkte als den Einbänden. Auch anderes Nützliches erlernte er – wie man Strümpfe strickt, zeigte ihm Dompfarrer Wittmann, späterer Bischof von Regensburg.
Als 1809 die Franzosen nach der Schlacht von Eggmühl die Stadt Regensburg eroberten, lagen binnen kurzer Zeit zwei Drittel von Stadtamhof in Schutt und Asche, so auch das Haus des Lehrherrn. Der schickte den nun Elfjährigen erneut hinaus in die kriegerische Welt, über die mit Toten und Verwundeten „haufenweise bedeckte, blutüberronnene“ Steinerne Brücke. Auf der Regensburger Seite angekommen, wurde Friedrich ohnmächtig. Seine Rettung verdankte er im wesentlichen dem Laib Brot, den der Lehrherr ihm zum Abschied um den Leib gebunden hatte – eine Familie, die Hunger hatte, nahm den Jungen auf. Im säkularisierten Kloster Karthaus-Prüll, wo ein Onkel von ihm lebte (Peter Pustet, er starb 1825 als Bischof von Eichstätt) fand Friedrich vorübergehend Asyl, dann schickten die Mönche ihn zurück nach Passau zur Mutter. Dort herrschte die alte Not. Es kam vor, dass die Soldaten vor den Augen der hungrigen Familie eine Schüssel mit dampfenden Knödeln wegschleppten. Außerdem stand das Haus der Pustets 1809 mitten in der Befestigungslinie und wurde abgerissen.
Die folgenden Jahre vor der Gründung des Unternehmens lesen sich wie ein fortwährender, nie nachlassender Kampf der Ahnin und seinerzeitigen Powerfrau Anna Maria Pustet um ihr Recht, als verwitwete Frau und alleinerziehende Mutter in einer von Männern beherrschten Welt ein Gewerbe zu betreiben. Jedes Jahr musste sie eine Eingabe machen, damit die Konzession verlängert wurde, ständig wurden ihr Steine in den Weg gerollt – sei es, dass plötzlich gefordert wurde, sie solle die Schulbücher, mit denen sie handelte, bei Bestellung künftig bar bezahlen; sei es, dass ihre Eingabe um Zulassung einer zweiten Buchhandlung in Passau mit dem Argument abgeschmettert wurde, es gebe gar nicht genug Leser, außerdem sei sie nicht eingebürgert, nur Hausbesitzerin. Jeder Vorwand war recht und billig. Höhepunkt der heuchlerischen Kampagne war die Aussage, sie habe gar nicht „die subjektive Fähigkeit“ zu einem derartigen Gewerbe. Da war die Katze endlich aus dem Sack. Anna Maria ließ sich nicht entmutigen, schrieb stattdessen eine Eingabe an den König, die aber unbeantwortet blieb.
Ihr ältester Sohn Friedrich zeigte schon damals sein unternehmerisches Talent. Mit zwölf Jahren verdingte er sich als Lotterieschreiber, fädelte mit vierzehn sein erstes Buchhandelsgeschäft ein (Lieferung aller neuen Steuerbücher für den Unterdonaukreis), hatte mit neunzehn die Idee, einen Papierhandel aufzuziehen. Abends nach der Arbeit lernte er, der nur zwei Jahre lang eine Schule besucht hatte, Fremdsprachen und eignete sich kaufmännisches Wissen an. Als seine kluge Mutter den Magistrat der Stadt darum bat, ihren bisherigen Bücherverlag zu einer Buchhandlung erweitern zu dürfen und diese an ihren Sohn abzutreten, wendete sich das Blatt. Jegliche Zweifel an der Befähigung Friedrichs wurden durch seine glänzenden Zeugnisse sowie Empfehlungsschreiben abgeschmettert; ein amtliches Gutachten bescheinigte Friedrich, er sei ein achtbarer, gesitteter, ordentlicher, eifriger Bürger. Im Übrigen hätte Anna Maria Pustet, so hieß es, die Konzession ja schon viel eher bekommen, wenn sie diese nicht für sich, sondern für ihren Sohn erbeten hätte …
Ironie der Geschichte: Der Verzicht der Mutter und Frau auf ihre Konzession zugunsten des Sohnes bildete letztlich den Grundstein für die „uneingeschränkte persönliche Buchhandelskonzession“, die Friedrich Pustet am 10. Juli 1820 erhielt. Ein weiterer taktisch kluger Schritt: für sich und die Familie behielt Anna Maria das Haus, die Buchbinderei und die Lotterieannahmestelle. So waren alle versorgt. Das lange Leben des Pustet-Unternehmens konnte beginnen.
In den folgenden Jahren wandte Friedrich sich dem Buchhandel zu und versuchte sich schon damals als Verleger. Die „Bauernzeitung aus Frauendorf“, für tausend Gulden für die Dauer von zehn Jahren erworben, hatte bald neuntausend Abonnenten und wurde bis ins Rheinland vertrieben. 1822 erhielt Friedrich Pustet die Konzession für eine Druckerei, um eigene Verlagstitel drucken zu können. Der Wendepunkt aber war eindeutig 1826 – das Jahr, in dem Friedrich Pustet sein Geschäft in Regensburg eröffnete.
Wie sein Vater zog Friedrich an den Wochenenden als „fliegender Händler“ über Land, wochentags arbeitete er mit derselben unermüdlichen Energie und Tatkraft wie zuvor seine Mutter am Aufbau des Regensburger Buchverlags. Nicht anders als in Passau traten auch in Regensburg die Konkurrenten zahlreich auf den Plan, um einen so erfolgversprechenden Unternehmer wie den jungen Friedrich Pustet wenn irgend möglich auszubremsen – und wie in Passau scheiterte dieser Versuch.
Schon nach einem Jahr gründete Friedrich eine kleine Druckerei für sein eigenes Verlagsprogramm, das Wagemut und Spürsinn für Qualität und Novitäten aufwies, kontinuierlich wuchs und im Laufe der Jahre eine bunte Palette von Titeln aus Philosophie, Theologie, Recht, Naturwissenschaften und Belletristik anbot. 1833 erstand Friedrich in der Gesandtenstraße ein eigenes Haus (zuvor im Besitz des Gesandten von Hessen-Kassel) für seinen Verlag und die Druckerei; bis 1913 wurden nach und nach zahlreiche angrenzende Immobilien hinzugekauft – der heutige Pustet-Komplex.
Die neueste Schnellpresse wurde installiert, die den Druckvorgang immens erleichterte und auf mehrere Hundert Bogen pro Stunde beschleunigte. 1841 berichtete Friedrich nicht ohne Stolz, seine Druckerei sei nach Augsburg und München die drittgrößte im ganzen Königreich Bayern. Sein Verlagsangebot umfasste zu jener Zeit an die tausend Titel.
Um zu drucken, brauchte man Papier – und möglichst kurze Lieferwege. Friedrich beantragte und erhielt 1835 die Konzession zum Hadernsammeln, 1836 die für den Zwischenhandel „in Lumpen“. Ab 1834 ließ er etwa acht Kilometer außerhalb der Stadtgrenze die Papiermühle in Alling an der Laaber aufbauen. Die neueste englische Erfindung, eine Maschine, die Papier in endlosen Bahnen herstellte, wurde mit königlicher Erlaubnis zollfrei eingeführt. Das Papier war von großer „Güte und Schönheit“ und wurde nicht nur für die eigene Produktion verwendet, sondern bald über die Landesgrenzen hinaus verkauft, sogar bis auf den Balkan. Da die Wasserkraft als Energiespender auf Dauer nicht ausreichte, wurden in der näheren Umgebung kleine Braunkohlelager erschlossen, die sogenannte Ludwigszeche. 1859 wurde das Elektrizitätswerk Oberalling angegliedert und 1874/75 für den Transport des Pustet-Papiers die Lokalbahnlinie Alling-Sinzing gebaut, heute ein beliebter Radweg.
Zwei Entscheidungen prägten die Ära des ersten Friedrich: Zum einen war er im April 1843 eines der Gründungsmitglieder der „Handelskammer im Regierungsbezirk der Oberpfalz und von Regensburg“. Zum anderen übernahm er 1845/46 den Auftrag zur Herstellung eines Missale Romanum – ein komplett auf Latein abgefasstes Werk, das auf mehreren hundert Seiten alle Texte für den Gottesdienst der katholischen Kirche fürs ganze Kirchenjahr enthält: Orationen, Lesungen, Gesänge. Der Auftrag kam vom Regensburger Kanonikus Melchior von Diepenbrock, soeben zum Fürstbischof von Breslau ernannt; der Regensburger Bischof Valentin von Riedel steuerte finanzielle Unterstützung bei.
Das Missale bedeutete für das Pustet-Unternehmen eine große und risikoreiche Herausforderung – und zwar sowohl für den Verleger, als auch für die Setzer und Drucker. Friedrich hatte nie Latein gelernt, sein Faktor (der Leiter der Druckerei) nur wenige Lateinklassen besucht. Gemeinsam prüften sie das voluminöse Werk Wort für Wort auf seine Richtigkeit. Zur genauen Abgleichung der schwarzen und roten Textstellen wurde jeder Druckbogen mehrfach verbessert. „Es ist unglaublich, was sein eiserner Wille und seine Arbeitskraft zu leisten vermochten“, schrieb Friedrichs Sohn Karl rückblickend.
Das erste Missale Romanum aus dem Hause Pustet erschien 1849 – und erhielt den ungeteilten Beifall der katholischen Kirchenoberen. Finanziell war es kein Erfolg: zu groß der Aufwand, zu gering der Absatz. Doch bald folgten weitere Aufträge für liturgische Werke, für Proprien der jeweiligen Diözesen, für Breviere und Nachdrucke des ersten Missale, wenn neue Kirchenfeste hinzugekommen waren – Auftakt für ein über hundert Jahre andauerndes intensives Engagement des Verlags in diesem Bereich.
Schon 1856 erstellte Friedrich Pustet eine neue Auflage des Missale mit den inhaltlichen Änderungen der Ritenkongregation, darin erstmals Stahlstiche und an die jeweilige Lesung angepasste Initialen. Sein ältester Sohn Friedrich II. fuhr mit dem Werk nach Rom und überreichte es Papst Pius IX. höchstpersönlich. Für das Haus Pustet war damit die allgemeine Aufmerksamkeit des Klerus gesichert, das Missale erhielt die offizielle Empfehlung des Heiligen Stuhls, nahezu täglich erreichten den Verlag neue Anfragen und Aufträge.
1861 übergab Friedrich I. sein Unternehmen an zwei seiner drei Söhne: Friedrich II. und Karl; der Zweitgeborene Klemens, vorübergehend aufgrund einer unliebsamen Heirat enterbt bzw. ausgezahlt, wurde zwei Jahre später von seinen Brüdern in die Firma zurückgeholt. Friedrich führte im Sinne des Vaters den liturgischen Verlagsbereich weiter, sein jüngerer Bruder Karl war zuständig für alles Kaufmännische sowie die deutschsprachigen Bücher; er sorgte auch für die modernste Maschinenausstattung, kaufte u.a. eine neue Zweifarbenmaschine, die rot und schwarz gleichzeitig drucken konnte, sowie 1903 eine Linotype-Setzmaschine. Karl Pustet verstand es zudem, immer neue Autoren an den Verlag zu binden. Klemens wiederum machte das Papierwerk in Alling zur modernsten Anlage in ganz Bayern.
Papierfabrik Alling
Papierfabrik Alling (Foto: Pustet)
Letztlich war diese Arbeitsteilung ein Glücksfall, entsprach sie doch der jeweiligen Mentalität der Brüder: Friedrich als Liturgiespezialist und geschickter Verhandler, sprachgewandt, reisefreudig, erzkatholisch; Karl und Klemens als kluge Organisatoren und Rechner, strenge, aber wohlwollende Personalchefs, liberal und gesellig. Alle drei liebten ihre Arbeit und wussten, dass nur ein einverständiges Miteinander die Expansion des Familienunternehmens sichern konnte. Das klingt fast ein wenig nach dem Motto der drei Musketiere: Einer für alle, alle für einen. Und der Vater? Er zog sich noch lange nicht aus dem Geschäftsleben zurück, sondern verlagerte sein Tun und Handeln im Verlagsgeschäft nach Sulzbach und München.
Und wo bleiben in der Geschichte dieses ersten Friedrich die Frauen? Mitnichten nur an Heim und Herd. Kaum stand das Regensburger Unternehmen einigermaßen auf stabilen Beinen, heirateten 1830 Friedrich und Therese von Schmid. Therese brachte, zur damaligen Zeit nicht unüblich, nicht nur jedes Jahr ein Kind zur Welt – insgesamt zehn, vier Töchter und sechs Söhne (von denen zwei als Säuglinge und eins im Kindesalter starben), sie schrieb darüberhinaus in den ersten Jahren für das junge Unternehmen Geschäftsbriefe, korrigierte Druckbögen und half mittwochs und samstags beim Bücherverkauf auf dem Neupfarrplatz mit. Bei der Goldenen Hochzeit im Jahr 1880 feierten achtundzwanzig Enkel und vier Urenkel mit.
Vom Biographen Dr. Otto Denk wird Therese als fromm, nächstenlieb, häuslich und gewissenhaft beschrieben – das Idealbild weiblicher Tugend für einen entsprechend idealen Ehemann. Eheleute pflegen sich oft zu ergänzen, und so ist anzunehmen, dass Therese nicht so sparsam war wie ihr Gatte, dem die karge Kindheit in den Knochen saß und der, wenn er Briefe an seine Kinder beantwortete, zur Papierersparnis gern den freigebliebenen Platz auf dem empfangenen Brief füllte. Das Haushaltsgeld blieb bei ihm stets knapp bemessen. Auch wird Friedrich I. nachgesagt, er habe seine Zigarre zwölfmal am Abend ausgehen lassen, um möglichst lange an einer einzigen zu paffen. Vergnügungen wie Theater, Konzerte, Bälle habe er auch seinen Kindern nicht gestattet. Derlei Anekdoten gehören zur Pflichtausstattung jeder Biographie – was wären Menschen ohne ihre Schwächen …
Auch Friedrich II. heiratete eine Frau namens Therese, eine geborene Huber aus dem Köselverlag in Kempten. „A bissl eine Geschäftsheirat“, kommentiert Elisabeth Pustet. Friedrich I. hatte den Kontakt eingefädelt und gleich stellvertretend für den Sohn um Thereses Hand angehalten. Deren weise Mutter aber vergab ihre Tochter nicht ohne deren Zustimmung. Und doch scheinen Friedrich und Therese sich nach ihrer ersten Begegnung in Landshut heftig ineinander verliebt zu haben, das belegen unter anderem die romantischen Liebesgedichte, die er an sie schrieb.
Auch nach seiner Heirat ging Friedrich II. wie zuvor oft und gern auf Reisen, knüpfte und pflegte Kontakte ins europäische und überseeische Ausland. 1862 begleitete er eine zwanzigköpfige Reisegruppe deutscher katholischer Oberhirten, darunter auch der Regensburger Bischof Senestrey, ganze vier Wochen lang nach Rom, wo anlässlich der Kanonisation japanischer Märtyrer über 500 Kirchenfürsten aus aller Welt zusammenkamen – und wurde bei einer Papstaudienz zum Typographus Apostolicus ernannt. Im Rahmen einer Parisreise entdeckte Friedrich in einem Missale aus dem 16. Jahrhundert eine erstaunlich modern wirkende Schrifttype, nach der er schon so lange gesucht hatte und die künftig – als Mediäval oder Pustet-Römisch bezeichnet – für alle Messbücher verwendet werden sollte. Letztlich trug speziell diese Neuerung zur Hochblüte des Unternehmens bei.
Papstaudienz 1963
Papstaudienz 1963 (Foto: Pustet)
Da das großformatige Missale für die Altäre kleiner Kirchen zu groß war, begann man Kleinfolio-Ausgaben und später das Quartmissale zu drucken, die natürlich ungleich größeren Absatz fanden. Als 1882 Papst Leo XIII. die Änderung diverser liturgischer Regeln dekretierte, einigte man sich in Rom auf die Herstellung einer einzigen Missale-Ausgabe, die künftig allen Druckereien als Norm und Grundlage dienen sollte – und Pustet erhielt den Auftrag für diese Editio Typica sämtlicher (!) liturgischer Bücher weltweit. Das war nicht nur eine große Ehre und ebenso große Herausforderung (die Revision der bisherigen Ausgaben war so mühevoll wie zeitraubend und nahm vier Jahre in Anspruch), sondern auch ein entscheidender Karriereschritt: Pustet war nun als offizieller liturgischer Typograph für die ganze Welt die alleroberste Instanz.
Handwerkliche Qualität, gründliche Redaktion, einheitliches Schriftbild, gutes Papier und edle Gestaltung – bei Ausstellungen in aller Welt wurden Pustet-Bücher mit Preisen ausgezeichnet. Auch Friedrich II. „sammelte“ Orden und Ernennungen, so u.a. 1864 Ritter des Gregoriusordens, 1872 Ritter des Piusordens, 1888 Pro Ecclesia et Pontifice. Der ab 1866 bei Pustet erscheinende Marienkalender, ein katholisches Sonntagsblatt, erreichte Jahresauflagen von bis zu 400.000 Exemplaren, der Katholische Hausfreund, ab 1876 Katholischer Volksfreund, hatte 4000 Abonnenten, zwischenzeitlich verlegte man auch Tageszeitungen (Bayerisches Volksblatt ab 1850, ab 1861 Regensburger Morgenblatt, 1883 an Habbel verkauft).
Seit 1874 erschien das katholische Familienblatt Der deutsche Hausschatz, in dem Karl May ab 1878 in Fortsetzungen seine Reiseerzählungen veröffentlichte, mit denen er weltberühmt wurde. Er hielt dem Pustet-Unternehmen nicht zuletzt aufgrund der zuverlässigen und rasanten Zahlungsmodalitäten die Treue: „Rund zwanzig Jahre lang ist das Honorar, wenn ich das Manuskript heute zur Post sandte, genau übermorgen eingetroffen. Und niemals hat es in Beziehung auf das Honorar auch nur die geringste Differenz zwischen uns gegeben. Solchen Verlegern bleibt man treu.“ Auch im Bereich Kirchenmusik engagierte sich der Verlag und erhielt für dreißig Jahre das (wegen des Aufwands nicht unbedingt lukrative) Privileg, exklusiv katholische Choralbücher zu drucken.
Ein umfangreiches, globales Vertriebsnetz wurde aufgebaut, mit Filialbuchhandlungen u.a. in Köln, Leipzig, Wien. 1865 wurde eine Filiale in New York gegründet, 1867 reiste Karl zur Gründung der Vertretung in Cincinnati nach Amerika. 1899 wurde in der Via della Scrofa in Rom die Libreria Pontificio Frederice Pustet eröffnet, auch im erzkatholischen Spanien war Pustet vertreten. Aber bei aller Offenheit, Reisefreudigkeit und planerischen Weite blieb doch der Kern des Unternehmens der Familienverbund mit Sitz in Regensburg.
Kein Familienunternehmen ohne Familie, keine Familie ohne interne Konflikte. Friedrich III. und Ludwig, Karls Sohn, waren bereits in jungen Jahren ins Pustet-Unternehmen eingetreten; beide unternahmen sie Bildungsreisen nach Italien, Frankreich und Übersee, beide engagierten sie sich für das Unternehmen. Eine einvernehmliche, gemeinsame Leitung gelang ihnen jedoch nicht lange.
Fritz III. war wie sein Vater für das liturgische Programm zuständig und setzte die traditionell bestehenden Kontakte nach Rom fort, machte „Huldigungsbesuche“ bei fünf Päpsten, bei denen jeweils eine neue Prachtausgabe des Pustet-Messbuchs überreicht wurde. Nach einer Audienz im September 1884 notierte Fritz: „Vater und ich mussten die ganze Zeit vor dem Papst knien – recht unbequem. Ich hatte obendrein das schwere Missale zu halten, bis ein Camerlengo meine Not bemerkte und es mir abnahm.“ Ludwig wiederum war für den kaufmännischen und technischen Betrieb zuständig. Da sein Vater in erster Ehe mit der Erbin von Rauch-Druck in Innsbruck verheiratet war, ging die Druckerei beim Tod seines Vaters Karl in Ludwigs Eigentum über. Ludwig gründete eine Buchhandlung in Innsbruck, Pustets Generalvertretung im westlichen Teil Österreichs sowie der Schweiz. Aber nach dem Tod der Väter eskalierten die Konflikte zwischen den beiden ungleichen Cousins. Zuletzt trennten sich ihre Wege: Friedrich wurde Alleininhaber des Unternehmens in Europa, Ludwig übernahm die amerikanischen Filialen, forderte und erhielt eine Abfindung von 1,2 Millionen Goldmark. An dieser kostspieligen Trennung – wenn man so will: Scheidung – hatten noch die nächsten Generationen schwer zu tragen.
Die „fetten“ Jahre waren vorbei, die „mageren“ Jahre kündigten sich an. Das Papierwerk in Alling konnte mit der Konkurrenz nicht mithalten und wurde 1914 verkauft. Auch die Liturgie, der Kern der Verlagstätigkeit, machte Sorge, denn eine von Rom angekündigte Reform des Breviers kam zwar nicht voran, bremste jedoch die Nachfrage. Der erste Weltkrieg führte zu massiven personellen und materiellen Engpässen. Um es weniger distanziert auszudrücken: die Mitarbeiter zogen fahnenschwenkend bis unfreiwillig in den Krieg und kamen oftmals nicht unversehrt oder aber gar nicht mehr zurück. Pustet hatte immerhin in weiser Voraussicht noch rechtzeitig einen Vorrat an englischem Oxford-India-Papier für die Dünndruckausgaben gekauft und konnte so wenigstens weiterhin drucken.
Filiale Italien
Filiale in Rom (Foto: Pustet)
Aufgrund des Krieges brach der amerikanische Markt komplett ein; die Filiale in Rom wurde enteignet und erst durch Vermittlung des Vatikans 1922 wiedereröffnet. 1920 wurde eine „Vernunftehe“ zwischen Kösel und Pustet geschlossen, die Kösel-Pustet KG, mit einem ausschließlich religiös-theologischen Buchprogramm und einem gemeinsamen Redakteur für die Hauszeitschriften. Die Leitung dieses Verlages wurde Friedrich IV. übertragen, den sein Vater gleich nach dessen Studium der Volkswirtschaft mit Promotion sehr früh zum Teilhaber machte. Dass die „Ehe“ mit Kösel jedoch scheiterte, war nicht Friedrich IV. anzulasten – das Aus brachten ein aufgeblähter Leitungsapparat, stetig neuer Geldbedarf im Unternehmen sowie die massive Geldentwertung. Pustets Anteil am Gesellschaftskapital sank rapide, am Ende löste sich Pustet aus der unseligen Fusion. Auch diese zweite „Scheidung“ innerhalb weniger Jahre war kostspielig – es sollte fast zwanzig Jahre dauern, bis die vereinbarten Gelder in Höhe von 700.000 Reichsmark an den „Ehepartner“ Kösel abbezahlt waren.
Die Zeiten waren alles andere als rosig. Zwar wurde 1922 nach jahrelangen Bemühungen endlich eine Generalvertretung in Valencia gegründet, doch mit dem Spanischen Bürgerkrieg 1936 war es damit vorbei. Die Weltwirtschaftskrise setzte auch dem Pustet-Unternehmen zu, Immobilien mussten verkauft werden, Angestellte nahmen vorübergehend ein eingeschränktes Salär in Kauf, um ihren Arbeitsplatz zu retten; erstmals in der Geschichte des Pustet-Unternehmens bewarb sich der technische Betrieb um Fremdaufträge im Buch- und Akzidenzbereich und betrieb hierzu systematisch Akquise. Während Friedrich III., der Herr Geheimrat, weiterhin das Liturgie-Programm leitete, übernahm sein Sohn, Dr. Friedrich Pustet IV., das „deutsche“ Programm mit dem religiösen Buch, publizierte Erfolgsautoren wie bspw. Anton Stonner, dessen Bestseller Germanentum und Christentum von 1934 „den Zeitgeist atmete“, oder Richard Gräf mit dem in siebzehn Sprachen übersetzen Ja, Vater. Alltag in Gott.
In diesen Jahren waren Vater und Sohn Pustet beide tagtäglich zu gleichen Teilen im Unternehmen tätig – angesichts der charakterlichen Unterschiede kein einfaches Miteinander. Oder eher ein pragmatisches Nebeneinander? Es ging darum, den Verlag irgendwie durch die NS-Zeit zu retten, von der ja damals niemand zu sagen oder zu deuten wusste, wie lange dieses „Reich“ existieren würde – fünf Jahre, ein Dutzend Jahre, tausend Jahre? Die neuen Gegebenheiten erforderten immerzu neue Balanceakte mit ungewissem Ausgang und durchaus problematischen Entscheidungen, beispielsweise die auf Druck der Nazis erfolgte Kündigung der jüdischen Familie Levy, alteingesessene Zuckerwarenhändler und Mieter im Pustet-Komplex. (In der Spiegelgasse 4 finden sich Stolpersteine für Albert und Gertrud Levy.)
Zunächst hatte Pustet als Firma von Weltruf mit den Nazis keine ernsteren Schwierigkeiten, wenn man davon absah, dass Friedrich IV. als Stadtrat und Mitglied der Bayerischen Volkspartei für einen Tag in „Schutzhaft“ genommen wurde. Auch war das Unternehmen aufgrund der lateinisch-liturgischen Produktion und ihres Exports in alle Welt ein guter Devisenbringer für den NS-Staat. Dennoch wurde das Klima rauher, die versuchte Einflussnahme Zug um Zug massiver: Auf Hitlers persönlichen Befehl musste ein Buch von Ellen Ammann, Gründerin des katholischen Bayerischen Frauenbundes, kirchliche Aktivistin, Wegbereiterin der modernen Sozialarbeit und mitbeteiligt an der Niederschlagung des Hitler-Putsches 1923, aus dem Programm genommen werden, 60.000 Exemplare wurden eingestampft. Etliche geplante Titel des Verlags wurden von der Reichsschrifttumskammer abgelehnt, Nachauflagen allenfalls in kleiner Höhe genehmigt, das benötigte Papier nicht bewilligt. Die Produktion sank auf nur noch zwölf Neuerscheinungen im Jahr 1939.
Die Pustetsche Buchhandlung führte so gut wie keine NS-Literatur, die Schaufenster wurden weitgehend von NS-Ideologie freigehalten. Mit dem Argument, im Verlag seien spezielle Fertigkeiten wie etwa Lateinkenntnisse unabdingbar, konnte Pustet zumindest vermeiden, dass man schon bald vorwiegend an Parteigenossen zugeteilt bekam, wenn Mitarbeiter an die Front mussten. Ständig drohte dem Verlag die Stilllegung oder die „Verwandlung“ in einen Rüstungsbetrieb. Sofort nach Kriegsbeginn wurden Papierlieferungen an die Bedingung geknüpft, von nun an Bücher von Parteiverlagen zu drucken, primär für den NS-Gauverlag Bayreuth.

Zwischen 1942 und 1945 wurden bei Pustet 200.000 Exemplare von Hitlers Mein Kampf, dunkelblaues Leinen, Halbleder, gedruckt und ausgeliefert. Das führte nach Kriegsende prompt zum Verbot der Verlagstätigkeit durch die amerikanische Militärregierung. In der Anklageschrift vom September 1946 wurde Geheimrat Friedrich III. als Mitläufer eingestuft. Der Achtzigjährige durfte die Verlagsräume von da an nicht einmal mehr betreten, am Ende seines Lebens ein bitterer Schlag, der ihm in gewissem Sinne das Herz brach – er starb Anfang 1947 an einem Herzinfarkt. Sein Sohn Friedrich IV. war als Vater von sechs Kindern gerade noch rechtzeitig aus Russland abgezogen und im besetzten Rumänien stationiert worden. Er überlebte den Krieg, kehrte aber erst 1948 aus russischer Gefangenschaft zurück. Vater und Sohn waren sich nicht mehr begegnet.
Anders als der Verlag erhielt der technische Betrieb Pustet bereits 1945 die erneute Zulassung, auch wegen der benötigten Druckkapazitäten für die zahlreichen Drucksachen der Militärverwaltung. Nach diversen Eingaben und Fürsprachen erteilte die Militärregierung dem Verlag ab August 1946 die erneute Lizenz, allerdings unter anderem Namen und anderer Leitung. Den Anfang des Gregorius-Verlags, der strenger Zensur unterstand, managte wiederum eine Frau: Elisabeth Pustet, die älteste Tochter von Friedrich IV. Gemeinsam mit dem Theologen Prof. Georg Engelhardt führte sie das „unverdächtige“ liturgische Programm weiter und beschaffte für das deutschsprachige Programm eine Auswahl an Titeln, die als nützlich im Sinne der ‚Umerziehung’ galten. Jedes Quartal musste eine genaue Verlagsplanung vorgelegt werden, das Papier war nach wie vor knapp.
Ab 1949 wurde der Verlag neu konzessioniert und unter dem aus der Gefangenschaft zurückgekehrten, nunmehr alleinigen Chef Friedrich IV. weitergeführt. Seine erste Neuanschaffung war eine „Sturmvogel“-Maschine für die Druckerei. In den Fünfziger Jahren dominierten Pustet-Liturgika in moderner Gestaltung erneut den Weltmarkt. Mit Pustet ging es in den Wirtschaftswunderjahren kontinuierlich bergauf. Bald waren 60 % der Buchproduktion für den Export bestimmt, Auslandsbeziehungen und Vertretungen zu Nord- und Südamerika, Australien und natürlich den katholischen Ländern Europas neu etabliert. Auch des Verlegers ‚Lieblingskind’, der deutschsprachige Verlag, wurde erfolgreich weiterentwickelt. Friedrich IV. war umsichtig und kontaktfreudig, musisch interessiert, gebildet und tolerant im Umgang mit den Autoren und Künstlern. Die jährlichen Betriebsausflüge per Sonderzug nach Waldmünchen, Kötzting, Hals bei Passau oder Salzburg waren beliebte Unternehmungen für die „Familie“ der Mitarbeiter und die Leitungsfamilie und signalisierten: „Hier kommen wir!“ und: „Wir halten zusammen!“
Unter seine Ägide fiel auch der heftig umstrittene Abriss des Pustetschen Büro- und Geschäftsareals zwischen Gesandtenstraße und Roter-Hahnen-Gasse – die Denkmalschutzbehörde und Dr. Boll liefen dagegen Sturm, die Stadtväter aber favorisierten 1957den Abbruch als ersten Schritt zur Altstadtsanierung. „Die waren schon waghalsig“, kommentiert Ursula Pustet aus der heutigen sechsten Pustet-Generation; auch wenn die alten Gebäude mit ihren tausend Ecken und Nischen und Treppen für einen Graphischen Großbetrieb „unpraktisch ohne Ende“ waren und man mehr Platz schaffen wollte und musste, sei ein solcher Kahlschlag natürlich heute nicht mehr möglich und nur „aus der Zeit heraus“ zu verstehen. Das neu erschlossene Areal in Kumpfmühl bot dort, wo zuvor Schafe geweidet hatten, Platz für ein geräumiges Betriebs- und Verlagsgebäude und damit beträchtliche Raumkapazitäten für einen Zuwachs an Mitarbeitern sowie für neue Druck- und Bindemaschinen auf dem neuesten Stand der Technik.
Allenthalben standen die Zeichen auf Expansion, Wachstum, Zugewinn – so würde und sollte es weitergehen, wenn möglich: immer. Friedrich IV. jedoch spürte langfristig die Belastungen aus neun Jahren Krieg und Gefangenschaft. Auch der Wiederaufbau und später der Umzug des Unternehmens hatten ihn viel Kraft und Energie gekostet – nach einem Schlaganfall, in dessen Folge er sofort mit seinen drei Söhnen einvernehmlich die Nachfolge regelte, starb er 1962, nur eine Woche nach seinem Wechsel in den Ruhestand, mit Mitte sechzig an einem Herzinfarkt.
Sein ältester Sohn Friedrich V. war nach der Promotion in Philosophie bereits 1956 ins Unternehmen eingetreten. Jetzt wurde er – was sich künftig als starke Belastung erweisen sollte – zum allein verantwortlichen Inhaber des Unternehmens. Sein Bruder Paul, Schriftsetzer und Betriebswirt, übernahm die kaufmännische und technische Leitung sowie den Buchhandel. Zusammenhalt und Durchhaltevermögen waren bald mehr als jemals zuvor gefordert, denn eine ernste, wenn nicht die größte Krise in der Geschichte des Pustet-Unternehmens stand bevor.
Bereits in den späten Fünfziger Jahren waren die Forderungen nach einer grundsätzlichen Reform der katholischen Liturgie immer lauter geworden: viele Gemeinden wollten im Gottesdienst anstelle der lateinischen Texte die jeweilige Landessprache verwenden. Auch bei Pustet spürte man das: „Der Umbruch lag schon in der Pipeline“, sagt Elisabeth Pustet rückblickend, nur ahnte niemand, wie radikal er ausfallen würde. Papst Johannes XXIII. berief 1962 das Zweite Vatikanische Konzil ein. Für Pustet bedeutete die Verkündung des Sacrosanctum Concilium durch Papst Paul VI. im Dezember 1963 ein abruptes Ende der Nachfrage nach der gesamten liturgischen Produktion und natürlich auch ein Ende ihres Weltmarktmonopols auf lateinische Messbücher. Sämtliche Textausgaben für die Liturgie wurde nun auf Deutsch verlangt – eine gewaltige Herausforderung, die von einem Verlag allein unmöglich bewältigt werden konnte. Aus dieser Überlegung heraus verfügten die deutschen Bischöfe, dass nur noch eine Verlegergemeinschaft zum Zuge kommen sollte. Pustets Konkurrent Herder hatte die Gunst der Stunde früh erkannt und die deutschen Texte der Liturgie bereits druckfertig zur Hand – bei Pustet brach der Umsatz massiv ein. Das Druck- und Verlagsimperium Pustet sollte sich von dieser folgenschweren, die Liturgie modernisierenden Entscheidung des Vatikans nie mehr erholen.
Ob und wie Pustet, vor allem mit Blick auf die Zukunft, zu halten wäre, wurde für Friedrich V. zur dauerhaften Sorge. In den 1970er Jahren baute Pustet deshalb das Buchhandelsgeschäft weiter aus, eine Reihe von Filialen wurden gegründet, u.a. in Straubing, Passau, Landshut. Auch neue Programmbereiche konnte der Verlag auf- und ausbauen: Geschichte und Kunstgeschichte, beide Friedrich Pustets eigentliche Leidenschaft. „Aus ihm wäre ein exzellenter Kunsthistoriker geworden“, sagt seine Witwe Elisabeth Pustet. Mit Unterstützung durch den Liturgiespezialisten und langjährigen Lektor für Theologie Dr. Gerd Maurer entstanden einige neue liturgische Reihen – u.a. Liturgie konkret, die Ratgeberreihe Pfarrei heute, kleine Predigtreihen, katholische Handbücher, Kinderbücher sowie der „Dauerbrenner“ Regensburger Neues Testament. Doch all das half wenig gegen den Konkurs zweier großer Auftraggeber des Druckbetriebs, der von heute auf morgen 700.000 bestellte Exemplare weniger bedeutete.
Friedrich Pustet V. trug schwer an dieser Dauerbelastung, die er immerhin mit seiner Ehefrau Elisabeth teilen konnte, die ihm Gesprächspartnerin und „Zuhörpartnerin“ war; trotzdem blieben die Sorgen und der tagtägliche Stress. Seine innere Gelassenheit kehrte nicht mehr zurück, zu nervenaufreibend war die ungewisse Zukunft des Verlags, zu schwer wog die Verantwortung. „Mein Mann war nie mehr sorgenfrei“, sagt Elisabeth Pustet im Rückblick. Ihr Vater habe für alles allein gehaftet – „sowas ist sträflich!“, urteilt Ursula Pustet, die jüngste Tochter und heutige Unternehmensleiterin. Seine vier Kinder standen zwar stets hinter ihrem Vater und sprachen ihm Mut zu, dennoch war die Zukunft des so traditionsreichen, seit nun schon fünf Generationen bestehenden Familienunternehmens alles andere als gesichert. Friedrich V. starb im November 1989 im Alter von nur 62 Jahren.
Obwohl die Nachfolge nicht geklärt war, trat in der Unternehmensleitung kein Vakuum auf: Paul Pustet leitete den immer stärker expandierenden Bereich Buchhandel, Dr. Gerd Maurer den Verlag – und Elisabeth Pustet wurde von 1989 bis 1998 zur neuen Geschäftsführerin. Sie verfügte, wie sie sagt, zwar aufgrund der vielen Gespräche mit ihrem verstorbenen Mann und ihrer langjährigen Arbeit als Korrektorin und Lektorin im Verlag über „ein gewisses Know-How“ – dennoch musste sich die ehemalige Grundschullehrerin die Kunst der Unternehmensleitung erst aneignen. Aber sie stand nicht allein: „Ich habe diese Position nicht autoritär ausgefüllt, sondern ich war’s halt – im Verein mit der ganzen Führungsebene.“ Keine Alleinherrscherin, vielmehr Teamworkerin.
Verlagsmitarbeiter
Elisabeth Pustet (vorne) mit Verlagsmitarbeitern (Foto: Pustet)
Ihr Grundgedanke: Wir sind ein Familienunternehmen, ein kleiner bis mittlerer Betrieb, wo einer für den anderen da ist. Probleme wurden dank der Zusammenarbeit vieler überwunden. „Jede Generation hat so viel geleistet“, sagt Elisabeth Pustet heute und preist die Strategien und Stärken eines inhabergeführten Unternehmens: Selbstverantwortung der Mitarbeiter, vertrauensvolle Zusammenarbeit, offene Kommunikation, kurze Entscheidungswege, Raum für Ideen und Innovationen, findig besetzte Leitungspositionen. 2016 wurde Elisabeth Pustet mit dem Margarethe-Runtinger-Preis geehrt, der Betriebe auszeichnet, die im Firmenalltag die Chancengleichheit von Frau und Mann umsetzen. Auf die Frage bei der Preisverleihung, wie zu erklären sei, dass viele Mitarbeiter teilweise schon seit mehreren Generationen bei Pustet arbeiten und bis zum Rentenalter im Betrieb blieben, antwortete stellvertretend für die Seniorchefin der Betriebsleiter: „Wissen Sie, wir sind eine große Familie!“ Ein größeres Lob könne man nicht erhalten, sagt Elisabeth Pustet.
Seit 1998 leiten Friedrich Pustet VI. und seine Schwester Ursula das Unternehmen, jetzt als GmbH & Co KG – der studierte Geograph und Betriebswirt ist Verlagschef, seine neun Jahre jüngere Schwester Ursula, gelernte Buchhändlerin und diplomierte Europäische Betriebswirtin, ist die Geschäftsführerin. Schon als Kind, so erzählt die Mutter, war Ursula als jüngste der vier Geschwister davon überzeugt, dass sie einmal in die Fußstapfen des Vaters treten und die Geschäfte übernehmen würde. Die Buchhandlungsfilialen werden in Eigenregie geführt, fast durchweg von Frauen. Lehrlinge können in leitende Positionen hineinwachsen. 2013 wurde Bücher-Pustet als Buchhandlung des Jahres ausgezeichnet. 2015 erhielt der Betrieb den Bayerischen Verdienstorden.
Den größten Beitrag zum Gewinn erwirtschaften die Buchhandlungen, gefolgt vom Druckbetrieb und dem Verlag – der nach wie vor (gemeinsam mit Herder) Verleger der offiziellen Liturgika für den Gottesdienst der katholischen Kirche ist. Außer den theologisch-wissenschaftlichen Reihen, den Dissertationen und Habilschriften, die man in Zusammenarbeit mit den Universitäten in Eichstätt und Münster verlegt, den Büchern über Regensburg und über Ost- und Südosteuropa entstanden im Verlagsprogramm in den letzten Jahren zwei neue Schwerpunkte: die Reihe bayerische Biographien und die kleinen Stadtgeschichten. Insgesamt sind es in etwa vierzig Neuerscheinungen pro Jahr.
Autoren sind ein „Schatz, der gehoben werden will“, sagt Elisabeth Pustet, die mit über achtzig Jahren noch immer jugendliche Begeisterung, Neugier und Offenheit für das Unternehmen wie für das Leben ausstrahlt. Sie war es auch, die 2014 ein lebendig geschriebenes, gründlich recherchiertes Buch über das Familienunternehmen veröffentlichte: Pustet. Das Buch. Ein bayerisches Unternehmen. Damit setzte sie das von ihrem Schwiegervater mit großem Elan begonnene Unterfangen einer Firmen- und Familiengeschichte in die Tat um und „vergaß“ in ihrer bescheidenen Art sogar, Überhaupt den Namen der Autorin zu erwähnen. Im Zuge ihrer Nachforschungen durchforstete sie einen ganzen „Berg“ an Materialien zur Familiengeschichte mit teils „babylonischer Sprachverwirrung“ (die vielen Friedrichs, Pauls, Elisabeths, Ursulas …), angefangen beim Ariernachweis, den Friedrich III. beibringen musste, bis zu den Notizen von Friedrich IV., aus denen sie allerlei über die allererste Pustet-Ahnin Anna Maria erfuhr. Nach wie vor lektoriert Elisabeth Pustet mit über achtzig Jahren ausgesuchte Titel. Das Lektorieren mache ihr einfach Spaß und halte außerdem den Kopf fit, sagt ihre Tochter Ursula. Ihre Mutter sei „im Repräsentativen unschlagbar“, eine vornehme Dame, „die es nicht unbedingt nach vorne zieht“: die Seele des Hauses. Umgekehrt bezeichnet die Mutter ihre jüngste Tochter als die Powerfrau der Pustet-Familie schlechthin – jede steht für die andere ein. Das kennzeichnet diese Familie seit Generationen.
„Auch in den vorigen Generationen gab es nicht nur die Friedrichs“, sagt die Powerfrau von heute, „sondern ein Team, eine Familie, ein Miteinander.“ Und immer, versteht sich, gab es viele starke, tatkräftige Frauen …
Gruppenbild mit Frauen – viele von ihnen mussten hier unerwähnt bleiben: die Ehefrauen der sechs Friedriche, die ihre Männer und damit das Familienunternehmen unterstützten; die Töchter, die eher gegen den Willen der Eltern eigene Wege einschlugen, wie in den Fünfziger Jahren die Intellektuellen Elisabeth und Marianne, die „aus freien Stücken“ ins Kloster gingen; Elisabeth wurde Benediktinerin und war zuletzt Äbtissin im Südtiroler Kloster Säben, „Mandy“ wurde Salesianerin und unterrichtete Musik im Kloster Pielenhofen. Beinahe zweihundert Jahre lang wurde das Pustet-Unternehmen von vielen Schultern getragen, darunter in mehreren Generationen je ein „Schöngeist“ und ein „Kaufmann“ als einander ergänzendes Team. Als einer der Friedriche im Pustet-Unternehmen aufzuwachsen, war und ist bei aller Freiheit der Berufswahl vermutlich nicht immer einfach, bleibt im Hintergrund doch stets die Familientradition präsent, die es fortzuführen gilt.
„Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt“, sagt Ursula Pustet zum Abschluss unseres Gesprächs und beharrt darauf, sie jedenfalls lebe im Hier und Jetzt. Gedruckte Bücher werden es immer schwerer haben – aber kennt man mit Gewissheit das Leseverhalten künftiger Generationen? Eines sei sonnenklar: solange es Menschen gibt, wird das Geschichtenerzählen bleiben.