Der Visionär sieht mehr

Auf dem steinigen Gipfel eines zerklüfteten Felsens steht ein Mann: dunkler Gehrock, heller, zerzauster Haarschopf, in der Rechten ein Wanderstab. Vor und unter ihm erstreckt sich ein Meer aus waberndem Nebel, aus dem vereinzelt weitere Gipfel aufragen. Der Mann – wir sehen ihn nur von hinten – blickt von oben in die Ferne, in die Weite, der Aufstieg war garantiert mühselig, aber er hat sich, wie aus der Körperhaltung spricht, gelohnt. Es handelt sich um Caspar David Friedrichs Wanderer im Nebelmeer, wir alle kennen das 1818 entstandene Gemälde.
Das Bild kam uns in den Sinn als Analogie zum Wirken und Wandern Dr. Thomas Brennauers. Eingefangen sind hier zwei Stränge, die oft parallel verliefen: hier das Engagement Thomas Brennauers im Alpenverein als Ausdruck seiner Begeisterung für das Bergsteigen und Wandern – dort der Weitblick seiner Amtsperiode als Hauptgeschäftsführer der IHK Regensburg/Oberpfalz von 1967 bis 1990. Denn wer visionär ist, blickt in die Weite der Zeit, nach vorne in die Zukunft. Aus diesem Blickwinkel sieht, erkennt, entwirft, plant jemand Dinge oder Ideen oder Projekte, die andere Menschen noch lange nicht sehen oder denken oder gar entwerfen können. Nicht weil sie kurzsichtig wären oder unter ihm stünden oder nicht die Energie aufbrächten, ebenfalls so hoch hinauszuklettern, sondern weil sie andere Schwerpunkte setzen und den Blick auf anderes richten. Insofern steht unser Mann im Nebelmeer nicht über allem oder gar über allen anderen, das interessiert ihn gar nicht – er muss einfach auf seinem Lebensweg von Zeit zu Zeit einen Hügel oder Berg erklimmen, um sich Überblick zu verschaffen und die Mühen der Ebene gegen die Mühen der Berge zu vertauschen. Versteht sich fast von selbst, dass er dabei die eine oder andere Gratwanderung auf sich nimmt.
Als Thomas Brennauer 1928 in Peiting (Obb.) das Licht der Welt erblickte, nahte eine düstere, eine gefährliche Zeit. Hätte er als Jugendlicher wie zwei seiner Klassenkameraden als Lehrling zum Messerschmittwerk in Regensburg „gedurft“, weil deren Väter dort arbeiteten, dann wäre auch er mit hoher Wahrscheinlichkeit beim großen Fliegerangriff vom 17. August 1943 „zu Tode gekommen“, wie er rückblickend schrieb: rund vierhundert Tote gab es auf dem Areal des Flugzeugwerks, darunter einundneunzig Lehrlinge. Thomas Brennauers Lebensweg wäre allzu früh zu Ende gewesen, lange vor jedem Höhepunkt oder Gipfel. Auch in anderer Hinsicht hatte er Glück: Sein Vater arbeitete bei der Eisenbahn, als Bahnunterhaltungsanleiter, kurz BUA, was immer auch auf der Lohntüte geschrieben stand, worüber der „Bua“ Thomas sich jedesmal freute; im Nebenerwerb betrieb die Familie eine kleine Landwirtschaft. Eines Tages erzählte eine Verwandte, die häufiger zum Eierholen kam, von der Wirtschaftsaufbauschule, und kurz darauf nahm das Leben des Vierzehnjährigen, der in Deuerling mitten im Krieg keine Lehrstelle fand, für die nächsten zwei Jahre einen anderen Lauf. Vormittags fuhr er als Eisenbahnerkind gratis zur Schule nach Regensburg, nachmittags half er zu Hause auf den Feldern mit.
Mit sechzehn wurde Thomas zur Flak eingezogen, das war 1944, bereits in der Spätphase des Kriegs. Seine Ausbildung als Flakhelfer absolvierte er in Kneiting, stationiert wurde er zunächst in Piesenkofen, später wechselte er nach Nürnberg, wo er am 2. Januar 1945 den vernichtenden Angriff auf die Stadt miterleben musste. Kurz vor Kriegsende beorderte ihn der Arbeitsdienst zusammen mit einem Trupp Jugendlicher in den Bayerischen Wald: „Mit Fahrrädern waren wir unterwegs zum Kriegseinsatz.“ Der Befehl an die Jungs lautete, die Amerikaner aufzuhalten. Und wieder hatte Thomas Brennauer Glück – er überlebte die letzten Kriegstage, schlug sich mit zwei Altersgenossen zurück nach Hause durch, und weil er aufgrund des Besuchs der weiterführenden Schule leidlich gute Englischkenntnisse besaß und ein amerikanischer Leutnant ihm zur Seite stand, wurde der Siebzehnjährige nach nur zwei Tagen Kriegsgefangenschaft nach Hause geschickt.
Lernen und Bildung, das lernte der junge Thomas Brennauer auf diese Weise, konnten eindeutig von Vorteil sein. Erlebten Mangel münzte er um in Neugier und Wissensdurst. Zum Büchernarr wurde Thomas Brennauer, wie er sagt, weil es bei ihm zu Hause in jenen Jahren außer einem Katalog und einem Raiffeisenkalender kaum etwas zu lesen gab. Außerdem machte ihm das Lernen Spaß. Als ihm ein ehemaliger Flakkamerad von der Wirtschaftsoberrealschule in München erzählte, lernte Thomas Brennauer in kurzer Zeit Physik, Chemie und Französisch nach und konnte schon nach zwei Jahren in München sein Abitur machen. Während des Studiums verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Hilfsarbeiter und hatte trotzdem bald die nötigen Scheine beisammen, um nach nur sechs Semestern in München das Examen als Diplomvolkswirt abzulegen.
Zur mündlichen Prüfung lieh er sich den guten Anzug vom Vater aus, erzählte Thomas Brennauer fast siebzig Jahre später – so etwas vergisst man nicht. Zwei Jahre lang arbeitete er anschließend als Assistent am Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Institut für Fremdenverkehr an der Universität München und promovierte 1954 mit einer Dissertation zum Thema „Die Lohn-Preis-Abkommen in Österreich“. Nach einer Begegnung mit dem damaligen Hauptgeschäftsführer Dr. Brenneisen wechselte Brennauer am 1. Januar 1955 mit knapp siebenundzwanzig Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Dienst der Industrie- und Handelskammer Regensburg.
Neuer HGF 1967
Dr. Thomas Brennauer wird neuer IHK-Hauptgeschäftsführer (Foto: IHK)
Nicht im Traum hätte er „von Haus aus“ daran gedacht, dass „einer wie der Brennauer“ mit seinem „besonderen Werdegang“ zwölf Jahre später, also 1967, zum IHK-Hauptgeschäftsführer und damit zum Nachfolger des hochangesehenen Dr. Brenneisen berufen werden könnte. Die Namensähnlichkeit bei der Hausberufung forderte fast unvermeidlich zu einem kammerinternen Witz heraus: „Ja, der Brennauer, der ist doch nur deshalb zum Hauptgeschäftsführer geworden, weil die Kammer sich einen halben Stempel hat sparen können: Vom Brenneisen zum Brennauer.“ Aber von wegen ‚billig’ davongekommen – statt dessen hatte man jetzt einen Visionär ins Haus bekommen. Einen, der die Dinge anpackte und teils völlig neue Wege ins Visier nahm.
1967, im Jahr des Amtsantritts von Dr. Brennauer, war die Zeit reif für grundlegende Veränderungen, nicht nur in Ostbayern, sondern in der gesamten Bundesrepublik, und beileibe nicht nur an den Universitäten. Wenn die aufmüpfigen Studenten unter den Talaren den Muff aus tausend Jahren lüften wollten, brauchte das mehr als nur veränderte Studieninhalte. Im Gegenteil – es ging ebenso sehr darum, all die Verkrustungen und starren Denkweisen aufzubrechen, die der Militarismus, der Nationalsozialismus und insgesamt die Autoritätshörigkeit des Wilhelminismus hinterlassen hatten. Das Hinterfragen der Autoritäten, die man allzu lange absolut blind akzeptiert hatte, war ebenso berechtigt wie überfällig und brachte im Gegenzug jede Menge neue Impulse für Erziehung, Bildung und Gleichberechtigung.
Bereits für das Jahr 1961 wurde im IHK-Jahresbericht festgestellt, dass überall das „Berufsausbildungsanliegen stärker denn je im Vordergrund des Interesses“ steht, und zwar nicht nur für die Ausbildung von Jugendlichen und Lehrlingen, sondern auch für die „Weiter- und Fortbildung der Mitarbeiter nach Abschluss der eigentlichen Berufsausbildung.“ Hier wurde bereits formuliert, was in den 1970er Jahren landesweit umgesetzt und spätestens seit den 1980er Jahren zum Mainstream-Gedanken werden sollte: „Weiterbildung“ hieß jetzt die Devise, und zwar bundesweit. Dieses Konzept gehörte von nun an zur „Großwetterlage“. Die Vorstellung, in der Jugend einen Beruf zu erlernen und diesen dann in den alten Bahnen und den eingeübten Abläufen bis zum Ende des Berufslebens auszuüben, gehörte ein- für allemal der Vergangenheit an. Außerdem rückten jetzt erstmals die sogenannten „Begabungsreserven“ in den Blick, sobald von Bildung und Weiterbildung die Rede war: die Themen der Zukunft.
War die Industrialisierung im 19. Jahrhundert der erste epochale Einschnitt in der Arbeitswelt, kamen ab den 1970er Jahren die Umwälzungen durch die Technologisierung großer Bereiche des gesellschaftlichen Lebens hinzu, speziell durch die Einführung der EDV. Berufsbilder veränderten sich, wurden komplexer, nahmen andere Gestalt und Form an. Altetablierte Berufe wie bspw. der Schriftsetzer sahen sich mehr und mehr ins Abseits gedrängt und starben langsam, aber sicher aus, umgekehrt kamen viele neue, teils extrem spezialisierte Berufe hinzu. Entsprechend erweiterten und veränderten sich die Ausbildungsgänge und die Prüfungen. Wer mithalten wollte – und das gilt heute nach wie vor und mehr denn je –, musste auf dem Laufenden bleiben, sich bilden, sich informieren, sich weiterbilden und bewusst beruflich weiterentwickeln. Ein Berufswechsel musste nicht immer so radikal ausfallen wie einst der Wechsel vom Acker ans Fließband. Oftmals konnte die Umschulung am alten Arbeitsplatz stattfinden wie beispielsweise bei der Umstellung der Buchführung auf elektronische Datenverarbeitung.
Das Leben also als lebenslanger Lernprozess. Was Bildung bewirken konnte, wusste IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Brennauer aufgrund seines von Krieg und unmittelbarer Nachkriegszeit geprägten Lebenslaufs nur zu gut – was immer er in seinem Amt in der Kammer bewirken konnte, das wollte er umgesetzt sehen, und zwar so breitgefächert wie irgend möglich.
1973 baute die IHK mit viel Aufwand zunächst zwei Schulungsräume in das bestehende Kammergebäude ein, doch zeigte sich rasch, dass die dazugewonnenen Räume angesichts des rasanten Tempos, in dem sich die Halbwertzeit von erworbenem Wissen und beruflichen Kenntnissen verkürzten, nie und nimmer ausreichen würden. Die Vollversammlung der IHK beschloss daher, in verkehrsgünstiger Lage und in möglichst enger räumlicher Anbindung an das Kammergebäude ein neues Bildungszentrum zu bauen. Im Nachbargebäude hätte es sehr wohl geeignete Räume gegeben, nur war dort das Sozialamt der Stadt angesiedelt – man biss lange auf Granit. Als OB Viehbacher gewählt war, waren sich IHK und Stadtverwaltung schon nach einem halben Jahr handelseinig: für eine Million DM erwarb die IHK Regensburg 1979 das Grundstück D.-Martin-Luther-Str. 10, um dort das neue IHK-Weiterbildungszentrum (WBZ) zu bauen.
Mit dem Kauf des Hauses war es nicht getan; inklusive Umbau und Anbau beliefen sich die Kosten auf rund siebeneinhalb Millionen DM – die baulich größte Investition der IHK seit 1952. Das rief nicht zuletzt im eigenen Haus die Kritiker auf den Plan: „Riesenkosten für einen Riesenkasten“, lautete der eine halbhumorige Refrain, der zweite hielt sich ans beliebte Muster der Ostfriesenwitze: „Wieso wird eigentlich rund um das Weiterbildungszentrum Rasen angesät? – Damit man es nicht so laut klimpern hört, wenn das Geld aus dem Fenster geworfen wird …“
Was aber manche Leute als Verrücktheit oder Geld-zum-Fenster-Rauswerfen abtaten, „genau das war eben das Visionäre“, so der Dipl.-Pädagoge Winfried Mellar, der von Dr. Brennauer mit der Leitung des Weiterbildungszentrums betraut wurde. „Um Veränderungen und Neuerungen durchzusetzen, muss man ein wenig verrückt denken“, sprich über den abgesteckten Horizont hinaus. Als passionierter Bergwanderer hatte der Hauptgeschäftsführer zugleich genug Bodenhaftung, um die Machbarkeit seiner Ideen realistisch einschätzen zu können. Der Visionär Brennauer, das wussten auch die Unternehmer, war vor allem eines: ein „Kammermensch mit Leib und Seele“.
Innerhalb weniger Jahre sollte sich das Weiterbildungszentrum mehr als rentieren. Als der Bau noch eine Großbaustelle war, gab es von Dr. Brennauer bereits eine klare Vorgabe an Winfried Mellar, der am 1. April 1981 seinen Dienst antrat: „Lassen Sie uns daraus ein Bildungszentrum machen, in dem Tag und Nacht die Lichter nicht mehr ausgehen.“ Das WBZ sollte an sechs Tagen in der Woche ausgelastet sein. Eine Riesenaufgabe für den 27jährigen Diplom-Pädagogen, dem für die Entwicklung des Programms, die Werbung, die Suche nach geeigneten Lehrkräften, den laufenden Kontakt zu den Unternehmen etc. nur eine Sekretärin zur Seite stand, und ab und zu der Hausmeister. Während der neue Leiter des WBZ nicht wusste, woher die Zeit nehmen und wohin vor Arbeitsaufträgen, die an allen Ecken und Enden auf ihn warteten, ermunterte ihn der Hauptgeschäftsführer, durch den Kammerbezirk zu reisen, um alle Unternehmen kennenzulernen: „Herr Mellar, reisen Sie! Stellen Sie einen Dienstreiseantrag!“
Der neue Lehrsaaltrakt enthielt sechs große Schulungsräume, die mit allen damals modernen Medien ausgestattet waren und dank schalldichter Faltwände eine variable, vielseitig verwendbare Ausstattung boten. Im Altbau kamen zwei kleine Seminarräume und die Verwaltung des WBZ dazu – insgesamt 1.700 qm Schulungsfläche für potentiell 220 Teilnehmer. „Von der Tiefgarage bis zur Videokamera wurde nichts vergessen, was das Lernen angenehm und wirkungsvoll werden lassen kann“, so Winfried Mellar. Alle Kurse waren kostenpflichtig, die Gebühren wurden zum Großteil ganz oder anteilig von den Unternehmen übernommen und lagen im Schnitt zwischen 180 DM und 250 DM oder 60 bis 65 DM pro Teilnehmertag; später wurde der Preis auf rund 95 DM pro Tag erhöht. An Nachfrage mangelte es nie, im Gegenteil, schon zwei Jahre nach der Eröffnung war die Auslastung des Gebäudes erreicht, abends gab es bereits erste Engpässe.
Bei der Eröffnung erhielt die neue Einrichtung von vielen Seiten Vorschusslorbeeren und lobende Worte. Das Weiterbildungszentrum sei ein „Höhepunkt“ in der Kammergeschichte, sagte Präsident Willy Lersch nicht ohne Stolz, darüberhinaus eine „Vorsorgemaßnahme für die Zukunft unserer Betriebe.“ Auch der bayerische Wirtschaftsminister Anton Jaumann betonte in seiner Ansprache, Investitionen in die berufliche Bildung seien „hervorragende Zukunftsinvestitionen. Es wird immer deutlicher, dass neben den drei klassischen Produktionsfaktoren Kapital, Boden und Arbeit ein weiterer, nämlich die berufliche Bildung, an Bedeutung gewonnen hat, das Know how, oder – anders ausgedrückt – das Wissen, das sich in beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten sowie Berufserfahrung niederschlägt. Mit dem Bildungszentrum können bildungsmäßige Vorteile geschaffen werden, um standortbedingte bzw. infrastrukturelle Nachteile auszugleichen oder wenigstens zu verringern.“
Veranstaltung Mittelstand 1981
Symposium für den gewerblichen Mittelstand 1981 (Foto: IHK)
Die Ausgangslage gab all dem recht. Anfang der 1980er Jahre war jeder siebte Oberpfälzer und jeder achte Regensburger arbeitslos. Vor allem junge Menschen sahen ihre berufliche Zukunft weit eher in den großen Städten und Ballungsräumen als in den Dörfern und Kleinstädten, in denen sie aufgewachsen waren. „Es fehlte generell an Stellen, besonders für besser Qualifizierte. Fachkräfte hatten hier kaum eine Chance und zogen weg in die Ballungszentren. Mit ihnen floss die Energie, das Potenzial für Modernität und Entwicklung ab. Bis in die 80er Jahre hinein war das so. Als etwa der Conrad-Versand expandieren und gute Leute nach Hirschau locken wollte, tat er sich schwer. Wer geht schon von München da her?“, so die Mittelbayerische Zeitung in einem Rückblick. Speziell Dr. Thomas Brennauer hatte sich seit Jahrzehnten mit den standortbedingten Wirtschaftsproblemen Ostbayerns beschäftigt und eine Vielzahl von Vorträgen zu entsprechenden Themen gehalten. Als Grenzregion zum Ostblock war die Oberpfalz nicht nur verkehrspolitisch „abgeschnitten von der Welt“. Dem galt es etwas entgegenzusetzen. Bildungsangebote waren einer der wesentlichen Bausteine. Genau hier lag der Aufgabenschwerpunkt des WBZ.
Fünf Maximen galten für die in den neuen Räumen angebotenen Weiterbildungskurse: aktuelle Themen, qualifizierte Dozenten, kleine Gruppen, Lernen in angenehmer Umgebung und maßgeschneiderte Lösungen für die konkreten Anfragen und Wünsche der einzelnen Betriebe. Auf dem Programm standen Kurzzeitseminare, Sprachkurse im Baukastensystem (wie Wirtschaftsenglisch) und Langzeitlehrgänge mit Prüfung (z.B. Verkehrsfachwirt, Handelsfachwirt, Industriemeister Metall, Küchenmeister etc.). Die Palette an Themen reichte bereits 1982 von Unternehmensführung, Bank-Englisch, Grundschulungskurs Außenhandel, Verkaufen am Telefon, Mitarbeiterführung, steuerrechtlichen Fragen bis zu EDV-Kursen, CAD, Produktinnovation und vielem mehr, und natürlich gab es auch Lehrgänge mit abschließender Prüfung. Schon nach einem Jahr wurden 130 verschiedene Kurse angeboten, zwei ABM-Kräfte konnten eingestellt werden. Und der Expansionskurs des WBZ setzte sich fort: die Anzahl der Teilnehmer, der Veranstaltungen und der Einnahmen stieg 1984 um fünfzig Prozent. EDV-Kurse waren bald der Renner. Zunehmend wurden auch Firmenseminare angeboten, denn die Lernerfolge erwiesen sich als optimal und die Kurse als effektiv und kostengünstig, da Themen, Inhalte und Termine exakt auf die Bedürfnisse der jeweiligen Unternehmen zugeschnitten waren.
Bald erbrachte der Bereich Weiterbildung mehr als zufriedenstellende Zahlen, eine Konsolidierung auf hohem Niveau. Klare Wegweiser stellte die IHK Ende 1987, als sie das BBZ in Kelheim übernahm und 1988 ihre neu gebaute Dependance in Weiden einweihte: sieben Räume mit 176 Plätzen und zwei großen EDV-Schulungsräumen mit zwanzig PCs. Endlich konnte die gesamte nördliche Oberpfalz Weiterbildungsangebote nutzen, ohne allzu lange Fahrtwege auf sich zu nehmen. Das Angebot in Weiden – u.a. Sprachkurse, EDV, Kommunikationstechnik, Elektronik, Mikroprozessortechnik – erlebte im Nu eine große Resonanz und schon nach einem Jahr eine hundertprozentige Steigerung. Eines der Highlights war das Seminar „Erfolgreiche Geschäfte mit Ostblockländern“. Und dann kam auch noch die große Politik ins Spiel: ab Herbst 1989 sah die Welt quasi über Nacht komplett anders aus. Dass sich einmal alles so fügen und die wirtschaftliche Situation in Ostbayern aufgrund der Grenzöffnung grundlegend ändern würde, hätte zehn Jahre zuvor kein noch so weitblickender Wanderer im Nebelmeer ahnen können.
Schon lange vor seiner Zeit als Hauptgeschäftsführer war Dr. Brennauer in Fragen wie der Verkehrsanbindung Ostbayerns, speziell dem Autobahnbau, der Gründung einer Universität für Regensburg und dem Außenhandel kontinuierlich aktiv und vorausschauend. Als eines der ersten Mitglieder im Universitätsverein erkannte er klar die Chancen und die Strahlkraft, die von der Errichtung einer Regensburger Universität ausgehen mussten. Ganz im Gegensatz zum SPIEGEL-Reporter, der sich im Jahr 1962 unter der Überschrift „Mut zur Kultur“ in Spott und Hohn erging: „Im historischen Reichssaal der alten Donaustadt Regensburg soll gleich nach den Sommerferien des Bayrischen Landtags ein Luftschloss gegründet werden: die vierte Universität des Freistaates Bayern. Das Projekt wird eine Milliarde Mark kosten; es wurde vom Bayern-Parlament nahezu einstimmig gebilligt, obschon gänzlich ungewiss ist, ob die Milliarde beschafft werden kann. Gewiss ist lediglich, dass die neue Hochschule in erster Linie dem Fremdenverkehr der Stadt Regensburg dienen soll.“
Auch für die Fachhochschule mit ihren drei Ausbildungsrichtungen Technik, Wirtschaft und Sozialwesen machte Dr. Brennauer sich stark. Gleiches galt für das im Jahre 1977 gegründete Ostbayerische Technologie-Transfer-Institut e. V. – OTTI war wie das Bildungszentrum „Brennauers Baby“, so Winfried Mellar. Der Schwerpunkt lag auf Wissenstransfer im Sinne der Wirtschaftsförderung und der Vernetzung mit Unternehmen durch die Organisation von Seminaren und Tagungen, zuletzt insbesondere im Bereich der regenerativen Energien (vor wenigen Monaten musste OTTI nach vierzig Jahren Arbeit Insolvenz anmelden).
Der Hauptgeschäftsführer hatte stets klare Ansichten, mit denen er nicht hinter dem Berg hielt – auch auf die Gefahr hin, sich querzulegen, damit allein zu stehen und gegen Mehrheitsmeinungen anzutreten. Einmal, so erinnert sich Thomas Brennauer in einem Interview, legte er Präsident Seltmann stundenlang seine Ansicht zum Thema Tarifgleichheit im Raum auseinander: die Transportunternehmer für Fernverkehr und für die Eisenbahn müssten verschiedene Tarife zahlen, so Brennauers Meinung – und nach stundenlangem Gespräch war dann Seltmann auch davon überzeugt, rief Dr. Brenneisen an und sagte, der Brennauer, der hat Recht.
Als die ersten PCs auf den Markt kamen, gab Thomas Brennauer sofort bei der Kammer in Auftrag, zehn Einzelplatzsysteme für Schulungszwecke zu kaufen. Das war damals in der Tat sündteuer – aber eben auch ein Blick in die Zukunft. Mit diesen zehn PCs im VW-Bus tingelten dann Winfried Mellar und seine Mitstreiter Anfang der achtziger Jahre quer durch den Kammerbezirk zu den Firmen und führten vor, was sich in einem Unternehmen mit diesen komischen Kästen alles anfangen ließ. Wenn er etwas wollte, so Mellar rückblickend, hat er dafür gekämpft – „wenn er etwas nicht wollte, dann ist man voll gegen die Wand gelaufen.“ Und wenn es etwas vielversprechendes Neues gab – dann immer her damit!
Einweihung AB-Stück Pfreimd-Nabburg 1968
Einweihung des Autobahn-Stücks Pfreimd-Nabburg 1968 (Foto: Gerhard Blaschke)
„Den Sprung hin zu einer prosperierenden, modernen Region mit viel Hightech und anspruchsvollen Arbeitsplätzen markierten nach Brennauers Analyse Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre vor allem die Gründung der Universität Regensburg, der Ausbau der Infrastruktur (endlich eine Autobahn in der Oberpfalz!) sowie mehrere Ansiedlungen wie BMW und das Donau-Einkaufszentrum in Regensburg. Heute ist die Region ein Zentrum für Mechatronik, Sensorik, Biotechnologie, Automobilindustrie, höchst innovative Maschinenbauer, Elektronik, Informationstechnologie etc. Die internationale Verflechtung hat rapide zugenommen. Die Öffnung Osteuropas rückte Ostbayern zurück vom Rand in die Mitte Europas“, heißt es 2009 in einem Bericht der MZ.
Der IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Brennauer tat stets das Seine, um diese Veränderungen anzuschieben bzw. konkret in die Wege zu leiten. Dennoch hatte er im Laufe der Jahre offenbar den Eindruck, die Mitarbeiter und Mitstreiter in der IHK würden ihm, seinen Ansichten und Visionen immer zögerlicher „folgen“. Einst „dicht unter dem lieben Gott“ rangierend, als ebenso eigensinnig wie auch als umgänglich und kommunikativ bekannt, hatte er im Laufe der Jahre zu den Mitarbeitern der Kammer immer mehr Distanz aufgebaut.
Mit knapp zweiundsechzig Jahren nahm Dr. Thomas Brennauer am 26. März 1990 nach insgesamt 35 Jahren im Dienste der IHK seinen Abschied. Gefeiert wurde im Haus Heuport – doch ihm selbst war nicht ungebrochen nach Feiern zumute. Irgendwann an dem Abend zog er sich stillschweigend zurück; sein langjähriger Mitarbeiter konnte ihn gerade noch in der Tiefgarage einholen und ihm das Abschiedsgeschenk überreichen.
Das Leben ging weiter, immer weiter, alles verändert sich. Auch Brennauers „Baby“, das Weiterbildungszentrum, war davon nicht ausgenommen und wurde 2006 in eine GmbH umgewandelt, die profitabel wirtschaften sollte – vielleicht hatte Dr. Brennauer diese Entwicklung bereits am fernen Horizont erahnt. Auf jeden Fall konnte der jahrelange erste Vorsitzende des Deutschen Alpenvereins, Sektion Regensburg, nach der Pensionierung wieder viel häufiger in den Bergen unterwegs sein – und auch im Alpenverein Projekte anschieben. „Er war es, der mit großem Weitblick, Mut und persönlichem Einsatz den Kauf der relativ nah gelegenen Talherberge Brixen im Thale“ veranlasste, wie es auf der Website des DAV Regensburg heißt. Die besonders bei Jugendlichen und Familien beliebte Talherberge Brixen, mit vielen freiwilligen Arbeitseinsätzen, bei denen auch Thomas Brennauer stets Hand anlegte, aufwendig renoviert und erweitert, heißt seit langem schon „Dr. Thomas-Brennauer-Haus“ und liegt, wie der Name sagt, auf 797 Metern über dem Meeresspiegel in den Bergen – im T(h)al.
Verleihung Bundesverdienstkreuz 1987
Brennauer erhält 1987 das Bundesverdienstkreuz (Foto: IHK)
Wo Gipfel sind, tun sich auch Täler auf. Dr. Thomas Brennauer wusste das ebenso wie der Wanderer auf Caspar David Friedrichs Gemälde. Doch war er nicht als Einzelgänger unterwegs im Leben, sondern als Quergeher, Querdenker. Quer zum Mainstream, wann immer es ihm einleuchtete – oder mit dem Mainstream, wenn ihm dies sinnvoll erschien. Nur eben nicht, weil alle diesen Weg einschlugen, sondern weil es in seinen Augen der bessere Weg war – für ihn, für alle.