Architekt, Bausachverständiger, Rutengänger

„Die einfache und schlichte Ausführung des Neu- und Umbaus, wie sie von Architekt Jakob Oberberger geplant wurde, ist modern und zweckmäßig. Es soll an dieser Stelle kein Prunkbau, sondern ein Arbeitsgebäude entstehen“, sagte IHK-Präsident Wilhelm Seltmann in seiner Rede anlässlich der Grundsteinlegung für das neue Kammergebäude im November 1951.
Das neue Gebäude sollte, so die erklärte Absicht, den ernsten und sachlichen Aufbauwillen der oberpfälzischen Wirtschaft verkörpern und Ausdruck der Entwicklung einer freien Wirtschaft in einem freien Lande in einer friedlichen Zeit sein. Die unmittelbare Nachkriegszeit war vorbei, jetzt konnte man endlich ans Werk gehen, um neu zu bauen bzw. wieder aufzubauen, was in den Jahren der NS-Herrschaft und im von ihr entfesselten Krieg zerstört worden war. Auch die Architekten dachten um – weg vom megalomanen Pathos eines Albert Speer, weg von Prunk, Dekor und aufwendigem Luxus, statt dessen klare, schnörkellose Formen. Geplant war eine Variante neuer Sachlichkeit, oberstes Ziel der praktische Nutzen. Jakob Oberberger plante „ein Verwaltungsgebäude, das allen Erfordernissen der Neuzeit in einer jeden überflüssigen Luxus vermeidenden Ausführung gerecht werden sollte“, wie er in seinem „Baubericht des Architekten“ schrieb.
Ein kurzer Blick zurück in die abenteuerliche Historie des Kammergebäudes der IHK Regensburg und Oberpfalz. Bis 1942 hatte die Kammer angemietete Räume im Haus der Hypobank in der Residenzstraße 2 genutzt, musste aber ins Rückgebäude der vormaligen Handwerkskammer Oberpfalz in der Weißenburger Straße umziehen, weil sie nach einer Fusion mit den Handwerkskammern für Niederbayern bzw. die Oberpfalz zur Gauwirtschaftskammer Bayreuth gehörte. Als die US-Armee am 28. April 1945 in Regensburg einmarschierte, beschlagnahmte sie sofort die Häuser der Handwerkskammer in der Weißenburger Straße. Wie sich Friedl Kitzmüller erinnerte, durften die Mitarbeiter die Gebäude nicht einmal mehr betreten und konnten weder Unterlagen noch private Gegenstände aus den Büros mitnehmen. Am 25. Oktober 1945 verfügte die amerikanische Militärregierung auch formal-rechtlich die Beseitigung der Gauwirtschaftskammern und regelte die Wiederzulassung der Handelskammern, Handwerkskammern und Innungen, indem sie ihnen in der US-Zone eine neue Rechtsgrundlage gab.
Die IHK Regensburg zog also wieder zurück in ihre alten Räume in der Residenzstraße. Ein leidiges Provisorium und eine „unzulängliche“, im Grunde „unerträgliche“ Unterbringung, wie Kammerpräsident Seltmann 1951 in einem Brief umreißt: „Die Räume reichen bei weitem nicht aus, sind überbesetzt und so schlecht beleuchtet, dass selbst im Sommer in den meisten Büros am Tage Licht brennen muss. Ein Besprechungszimmer steht überhaupt nicht zur Verfügung, sodass wir gezwungen sind, regelmäßig die Gasthäuser in Anspruch zu nehmen.“
Wie Seltmann im obigen Schreiben weiter ausführt, existierte bereits ein größerer Fonds für den Erwerb oder Bau eines eigenen Gebäudes. „Bei der Geldumstellung ist das Bankguthaben, das über 1 Million betragen hatte, auf einen kaum nennenswerten Beitrag zusammengeschmolzen. Es hat sich nun die Möglichkeit geboten, ein vorzüglich geeignetes Grundstück unweit des Bahnhofs Regensburg zu erwerben. Kurz entschlossen hat der Vorstand der Kammer davon Gebrauch gemacht, und es besteht die Hoffnung, dass nun endlich auch die älteste ständische Organisation von Handel und Gewerbe in Deutschland – das ist die Industrie- und Handelskammer Regensburg, wenn man ihre historischen Vorgänger mit in Betracht zieht – ein eigenes, würdiges Haus bekommt.“
Und von welchem Grundstück war da die Rede? Von der feudalen Villa des Seidensieders Gschwendtner, 1869/70 erbaut, später von der Familie Schwarzhaupt erworben und 1935 von der NSDAP mit kräftiger finanzieller Beteiligung der Stadt Regensburg „zwangsarisiert“.
Die Nazigranden hatten dort ihr „braunes Haus“ eröffnet, mit erstens: dem Sitz der Gauleitung Bayerische Ostmark, Gauinspektion Süd, zweitens: der NSDAP-Kreisleitung Regensburg mitsamt ihrer achtzehn Ortsgruppen, drittens: der Deutschen Arbeitsfront, dem NS-Lehrerbund, dem NS-Ärztebund, dem NS-Amt für Beamte, der NS-Rechtsabteilung, der NS-Frauenschaft und der Kreisbauernschaft. Am 23. April 1945 wurde hier im Keller der Kreisleitung der NSDAP Michael Lottner erschossen, der auf der spontanen Protestkundgebung verhaftet worden war, zu der sich Regensburger Bürger nach der Sprengung der Steinernen Brücke auf dem damaligen Moltkeplatz (heute Dachauplatz) versammelt hatten, um die kampflose Übergabe der Stadt zu fordern. Nach dem Einmarsch der Alliierten war es eine naheliegende symbolische Geste, dass die US-Truppen die Villa der Kreisleitung als das prägnanteste Aushängeschild der Hitlerzeit ruckzuck requirierten.
Zweieinhalb Jahre später, am 10. November 1947, wurde im amerikanischen Besatzungsgebiet das „Militärregierungsgesetz Nr. 59“ erlassen. Es bestimmte „die Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände (Sachen, Rechte, Inbegriffe von Sachen und Rechten) an Personen, denen sie in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Weltanschauung oder politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus entzogen worden sind ...“ Der Süddeutsche Länderrat (1946–1949) erließ im April 1949 ein analoges und zoneneinheitliches „Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts“, das der Freistaat Bayern unter Wilhelm Hoegner im August 1949 als eigenes Landesgesetz übernahm. Die „zwangsarisierte“ Schwarzhaupt-Villa kam damit in den Besitz des Landesamts für Vermögensverwaltung, bis sie im Rückerstattungsverfahren mit rechtskräftiger Entscheidung vom 23. August 1950 wieder an Betty Schwarzhaupt rückübereignet wurde, die seit 1939 mit zweien ihrer Kinder und deren Familie in Buenos Aires lebte.
Nach einigem Hin und Her mit dem Treuhänder kaufte die IHK Regensburg und Oberpfalz die rückübereignete Schwarzhaupt-Villa im April 1951 für 120.000 DM. Die Genehmigung der Landeszentralbank für Bayern­ folgte bereits im Mai. Als nächsten Schritt musste sich der neue Eigentümer mit den Mietern „einigen“, die in dem Gebäude untergebracht waren – ausgerechnet das bayerische Landesamt für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung, Außenstelle Regensburg sowie das Flüchtlingsamt der Stadt Regensburg mit dem Flüchtlingskommissar an der Spitze. IHK-Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Brenneisen formulierte die Kündigung so: „Die Erwerbung geschah unter der Voraussetzung, dass das Gebäude unverzüglich im Wege des Umbaus und der Erweiterung für Kammerzwecke zur Verfügung gestellt werden kann. Wir treten demnach in den Mietsvertrag ein und bitten um Räumung der von Ihnen genutzten Etage per 30. Juni ds. Jhrs. Hochachtungsvoll!“ Die Wohnungsnot war gerade einmal sechs Jahre nach Kriegsende selbst im weitgehend unzerstörten Regensburg prekär – beide Ämter zeigten sich daher alles andere als kooperativ und ließen sofort ihre Rechtsabteilungen Widerspruch einlegen.
Eine weitere Kündigung stand an für die Wohnung des Hausmeisters, einen Vertriebenen aus Brünn; ihn hatte das „Deutsche Hilfswerk für die v. d. Nürnberger Gesetzen Betroffenen“ im Dezember 1949 als Flüchtling für die Hausmeisterstelle empfohlen. Den größten Verdruss bereitete ein Nachbar aus einem angrenzenden Gebäude, ein gewisser Herr Süß, der sich hartnäckigst gegen das Bauvorhaben sperrte. All diese Probleme ließen sich letztlich meistern, schleppten sich jedoch bis ins späte Frühjahr 1952 hin, als die Baugenehmigung für das langersehnte Bauprojekt – „vorbehaltlich der Angelegenheiten Nachbar Süss“ – längst bewilligt war.
Plan Neubau IHK-Gebäude
Plan Neubau IHK-Gebäude (Jakob Ludwig Oberberger)
Die IHK vergab den Bauauftrag für das neue Kammergebäude an Jakob Ludwig Oberberger, der in Regensburg als Architekt – und als Bausachverständiger – einen sehr guten Ruf genoss. Ihm wurden der Vorentwurf, der Entwurf und die Bauvorlage sowie alle notwendigen Tekturpläne für die Bauaufsichtsbehörde beim Stadtbauamt Regensburg überantwortet.
Oberberger, Jahrgang 1902, hatte das Bauhandwerk von der Pieke auf erlernt und seine Bauschul-Absolvia im Jahre 1927 gefeiert. Die Bauschule befand sich in der Regensburger Ludwigstraße, wo heute die Räume des Kunst- und Gewerbevereins zu finden sind. Bei diesem Vorläufer der heutigen OTH handelte es sich um eine Schule für Baupraktiker, genau gesagt entstand sie 1910 aus der Umwandlung der Städtischen Baugewerkschule zu einer fünfkursigen Bauschule, in der speziell alterfahrene Poliere im Winter Weiterbildungskurse besuchten, aber auch Abiturienten das Metier erlernen konnten. Wie Jakob Oberbergers Sohn Klaus in einem Interview mit der ehemaligen Pressesprecherin der IHK Julia Weigl berichtet, hielt man in der Familie die auf Baustellen gesammelte Praxis hoch: „Ich musste in allen Ferien, vor allem in den großen Ferien, auf die Baustelle. Erst war ich beim Wallisch, das war ein Bauunternehmen. Dann war ich beim Bär, dann war ich bei den Dachdeckern, dann bei den Zimmerern. Die ganzen Gewerke musste ich absitzen. Musste da sechs Wochen schuften. Mein Vater hat gesagt, da gehst du hin.“
Jakob Ludwig Oberberger war viele Jahre als öffentlich vereidigter und bestellter Sachverständiger für Baufragen für die IHK Regensburg tätig. In dieser Funktion war er allerdings auch der Verfasser des Wertgutachtens für den im Januar 1939 erfolgten Zwangsverkauf des Kaufhauses Schwarzhaupt am Watmarkt. Aufgrund des von ihm nach einer Begehung erstellten Gutachtens wurde der Wert des Hauses massiv, nämlich um ein volles Drittel des letztendlich vereinbarten Verkaufspreises herabgesetzt.
Als Architekt entwarf und baute Jakob Oberberger eine lange Liste von Großbauten und Einfamilienhäusern, die bis heute als „qualitätsvolle und wertvolle“ Bauten gelten – da sind sich Prof. Alois Schaller, emeritierter Professor für Gestaltung an der FH und der Architekt Prof. Oswald Peithner, der Oberberger noch bestens kannte, einig. Primär finden sich Oberbergers Wohnbauten und Villen im Areal rund um das heutige Goethe-Gymnasium, also rund um die Goethestraße, die Schillerstraße, am Hochweg, in der Prebrunnstraße usw. An Großbauten hatte Oberberger an der Essigfabrik Hengstenberg mitgebaut, die 1927 ein Zweigwerk in Regensburg eröffnet hatte, ebenso eine ganze Reihe von Molkereigebäuden entworfen und errichtet, etwa in Abensberg, Amberg, Haag in Oberbayern, Eichstätt, Schwandorf.
Der Baubeginn des neuen Kammergebäudes der IHK Regensburg und Oberpfalz erfolgte bereits am 29. September 1951. Laut den Plänen von Oberberger, der auch die Bauleitung innehatte, war eine umfangreiche Vergrößerung der alten Villa Schwarzhaupt bzw. späteren NSDAP-Kreisleitung vorgesehen. Das neue Gebäude mit einer Länge von 46 Metern und einer Breite von 14,60 Metern sollte zwei Obergeschosse sowie ein ausgebautes Dachgeschoss erhalten, darin eine Dienstwohnung, die Bibliothek, das Archiv und die Registratur. Im Keller würden außer den Heiz- und Koksräumen auch Wohnungen und Zimmer für die Registratur untergebracht werden. Für das Erdgeschoss war außer den Büros der Abteilungen für Industrie, Außenhandel und Verkehr, Berufsausbildung und Sozialwirtschaft vor allem ein repräsentativer Saal für etwa 120 Personen geplant. Der Präsident, der Hauptgeschäftsführer und die Abteilungsleiter würden im ersten Stockwerk residieren. Auch eine Wohnung für den Hauptgeschäftsführer sollte im ersten Obergeschoss integriert werden, mit einem Balkon (dem einzigen!) zur Rückseite des Gebäudes. Der Vorgarten war als Parkplatz und Gartenanlage geplant.
Man muss sich alte Fotos oder die filigranen Architekturzeichnungen in der „Zeitschrift des Bayer. Architekten-und Ingenieurs-Vereins“ von 1870 ansehen, um sich noch ein Bild von der prächtigen Villa machen zu können. Vom einstigen Palladio-Echo blieb nichts, aber auch nichts übrig. Es entstand, wie gewünscht und geplant, ein modernes, schlichtes, zeitgemäßes, primär kraft seiner Größe repräsentatives Arbeitsgebäude. Dass zu diesem Zweck zunächst die so edle wie bestens erhaltene, von Architekt Heinrich von Hügel gebaute Gschwendtner-Schwarzhaupt-Kreisleitungs-Villa abgerissen wurde, stieß vielen bitter auf.
In der Regensburger „Woche“ vom 27.6–3.7.1952 machte sich Kolumnist „Irion“ entsprechend Luft: „Jedenfalls ist die Arbeit am Neubau der Industrie- und Handelskammer in der Martin-Luther-Straße so munter fortgeflossen, dass von der alten Schwarzhaupt- und späteren Kreisleiter-Villa heute nichts mehr steht. Ein immerhin vollständiges Haus ist abgetragen worden. Wenn auch der Fachmann vielleicht nicht drüber staunt, weil Fachleute immer irgendeine Erklärung haben (wenn es um die Verteidigung ihres Faches geht), so wundert sich der Laie doch, denn der Laie meint, dass das eine sehr kostspielige Bauerei ist.“
Beim Abriss der Villa stießen die Bauarbeiter auf lange Reihen mächtiger Quader, die sich als ein Teilstück der Römermauer entpuppten. Im Handumdrehen hatten die Bagger ein gut zwanzig Meter langes Stück davon zerstört. Museumsdirektor Dr. Walter Boll erfuhr erst nach vollendeter Tatsache von diesem Fund. „Als die Greifer des Baggers plötzlich auf einige kapitale Steinquadern stießen, wurde man im Museum stutzig und widmete den Ausschachtungsarbeiten größte Aufmerksamkeit. Tatsächlich stellte es sich alsbald heraus, dass dort ein Teilstück der alten Römermauer verläuft, deren östlicher Teil sich dort vom Erhardi-Haus durch das Karmeliten-Hotel und die Kegelbahn der Gaststätte St. Klara nach Süden bis zur Landshuter Straße hinziehen muss.“ (Tages-Anzeiger vom 8.10.1951)
Die Zerstörung eines beträchtlichen Stücks der Römermauer wurde, anders als man heute denken würde, ohne nennenswerte Empörung als unabänderlich abgehakt – das sei nun mal eben passiert. Die Tagespresse vermerkte lediglich die „unvorhergesehenen Schwierigkeiten“, die sich während des Baus ergaben. Der Verlust eines Teils der Römermauer wird nicht bedauert, vielmehr hebt man, quasi als positive Bilanz hervor, dass der Kostenvoranschlag sogar noch unterschritten werden konnte. Diesen achselzuckenden Umgang mit den Spuren und Relikten der Geschichte wertet der Historiker Gerhard Waldherr in seinem Aufsatz „Denkmalverlust bedeutet Geschichtsverlust“ als ein weiteres „Zeugnis unseres Barbarentums“. Noch expliziter formulierte es Heinrich Kreisel, der bayerische Generalkonservator und damit oberste Denkmalpfleger des Freistaats, im Jahrbuch der bayerischen Denkmalpflege von 1961/62: „Wenn man sich vorstellt, dass ein etwa 20 m langes Stück dieser Römermauer kurz nach dem Krieg beim Bau irgendeines Gebäudes einfach mit dem Greifbagger ausgeräumt und fortgeworfen worden ist, dann sagt dies alles aus von unserer geistigen Verfassung nach 1945 und ebenso freilich auch von der damals noch schlimmeren Ohnmacht der Denkmalpflege.“
Die für den Fortgang des Baus so heikle Situation wurde mit Dr. Boll und dem Denkmalschutz geklärt. Der Umbau ging danach flott voran; was an Steinquadern weg war, war eben weg und wurde der Dombauhütte übergeben ­– was von nun an auftauchte, wurde gesichert.
Die Kosten für das neue Kammergebäude waren ganz erheblich. Wie einem Schreiben vom 1. April 1953 zu entnehmen ist, beliefen sie sich auf insgesamt 679.423,13 DM. Aufgebracht wurde die Summe durch eine „Sonderumlage“ der Unternehmen des Kammerbezirks, die stattliche 330.000 DM erbrachte, hinzu kamen eine Reihe von Darlehen und Spenden.
Als das unbestrittene „Schmuckstück“ des neuen Hauses galt der Sitzungssaal, der „eine eigenwillige Note durch die Behandlung der Wände erfahren hat“: der Bühnenbildner Jo Lindinger hatte als Wandschmuck eine Foto-Tapete anfertigen lassen, wie sie laut den „Nachrichten der deutschen Linoleum-Werke A.-G.“ von 1954 „in Deutschland bisher wenig zu sehen ist.“ Als Motive benutzte er den klassischen Merian-Kupferstich von 1644 mit der Ansicht der Steinernen Brücke, an der Wand gegenüber flankiert von zwei ähnlich alten Stadtansichten, nämlich Nabburg und Neumarkt. In der oben genannten Broschüre finden sich auch Fotos der soeben erst erbauten und top-modern eingerichteten Räume und Säle, die allesamt mit verschiedenen Varianten von Linoleum ausgestattet wurden, der Sitzungssaal mit großformatigen Linoleumplatten in schwarz-weiß. (Der Besucher von heute freut sich eher an den Korridoren, die mit Platten aus Kelheimer Marmor ausgelegt sind; sie zeigen eine matte Patina auf den im Laufe der Jahre feinst geglätteten Steinen, so dass sie fast wie Seide schimmern. Seitens der Bauherren wurde „größte Sorgfalt darauf gelegt, dass Material und Arbeiten, soweit irgend möglich, von der Wirtschaft des Kammergebietes gestellt wurden.“) Die Fotos aus dem Jahr 1954 zeigen schlichte, funktionale, helle Räume, die 65 Jahre später, von unserem heutigen Blickwinkel aus, ein wenig altmodisch wirken, aber auch liebenswert „retro“.
Präsident Seltmann war begeistert. In einem Schreiben an Jakob Ludwig Oberberger zum Jahreswechsel 1953/54 drückt er seinen „aufrichtigen Dank“ aus: „Ich darf Ihnen bestätigen, dass wir mit Ihren Entwürfen und der Überwachung der Bauarbeiten in jeder Beziehung zufrieden sind. Besonders beeindruckt sind wir von Ihrer steten Bereitschaft, auf unsere häufig nicht sehr bequemen Wünsche einzugehen. Das an sich sehr schwierige Bauvorhaben ist in einer Weise gelungen, die den ungeteilten Beifall sowohl der Öffentlichkeit als auch der Überwachungsbehörde und nicht zuletzt der Benutzer des neuen Hauses, d.h. der Kammer und des Fernmeldebauamtes, gefunden hat. Insbesondere für die klare, übersichtliche Anordnung der Büroräume von allen Besuchern, vor allem von unseren Schwesterkammern hervorgehoben. Ich freue mich deshalb aufrichtig, sehr geehrter Herr Architekt, Ihnen hiermit uneingeschränktes Lob und volle Anerkennung aussprechen zu können. Mit allen guten Wünschen für das Neue Jahr und dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung bin ich Ihr ergebener Wilhelm Seltmann.“ Auch Jo Lindinger erhielt ein analoges Dankesschreiben, in dem insbesondere die Ausgestaltung des großen Saales hervorgehoben wurde, „die bei allen Besuchern stets höchste Anerkennung gefunden hat.“
Neubau IHK-Gebäude
Neubau IHK-Gebäude
Die Einweihungsfeier des neuen Kammergebäudes sollte am 22. Februar 1953 stattfinden. Präsident Seltmann war ein gewaltiger Coup gelungen: als Festredner hatte niemand Geringerer zugesagt als Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer. Nach dem privaten Teil (Gottesdienst in der Alten Kapelle unter Mitwirkung des Domchors, Besuch beim Diözesanbischof und feierlicher Empfang durch die Stadt im Alten Reichssaal) war für die geladenen Gäste ein gemeinsames Mittagessen im Hotel Grüner Kranz in der Obermünsterstraße geplant mit anschließenden Gesprächen mit der „oberpfälzischen bzw. ostbayerischen Wirtschaft“. Um 17 Uhr würde Dr. Adenauer in der Jahnturnhalle auf dem Oberen Wöhrd bei einer „öffentlichen Kundgebung“ über „Fragen der großen Politik und der bayerischen Wirtschaft“ sprechen. Dazu kam es nicht, denn der Besuch Adenauers wurde aus Krankheitsgründen abgesagt (und am 12. August des Jahres nachgeholt). Die Kammer verschob daraufhin die offizielle Einweihung des Hauses. Am 28. Mai 1953 tagte die Vollversammlung erstmalig im neuen Sitzungssaal des Kammergebäudes.
Auch sechzig Jahre später zollen die nachgeborenen Kollegen in der Region Jakob Ludwig Oberberger und seinen Arbeiten Anerkennung und Respekt. Das gilt für die gesamte Familie Oberberger – den bekannten Glasmaler Josef Oberberger, einen Cousin Jakob Ludwig Oberbergers, als auch für die beiden Söhne des Architekten, Klaus und Kurt Oberberger, die 1968 das Büro ihres Vaters übernahmen und seither sehr erfolgreich weiterführten. Sie erwarben sich in Regensburg und weit um Regensburg hinaus viel Renommee durch die Entwürfe und Bauten von rund dreißig Kirchen und Pfarrhöfen sowie Kindergärten. Ob in Regensburg-Prüfening der 1970 geweihte Klinkerrundbau von St. Bonifaz oder in Ihrlerstein die zeitgleich fertiggestellte, „unerhört moderne“ (so die MZ) quadratische Kirche mit ihrem prägnanten Zeltdach – all diese Bauten werden gelobt, zumal sie mit Buntglasfenstern von Josef Oberberger ausgestattet sind. Josef Oberberger (1905–1994) wiederum war mehr als nur ein anerkannter Künstler – er war, wie Gerd Holzheimer es 2011 im Ostbayerischen Magazin lichtung nannte: „ein Patron für himmlische Heiterkeit“, der großartige Fenster in vielen Kathedralen schuf: in Regensburg das "Pfingstfenster" gleich neben der neuen Orgel, Ähnliches im Dom von Augsburg, in Naumburg, Freising, Prag, Washington D.C. etc. Um es mit den Worten von Eugen Roth zu sagen, der ebenso zu „Obe“ Oberbergers Freunden zählte wie Karl Valentin oder Olaf Gulbransson: „Die Kunst ist oft ein großer Ärger, doch nicht bei Josef Oberberger“.
Oberberger 70. Geburtstag 1975
Oberberger 70. Geburtstag 1975
Nicht nur als Architekt und Bausachverständiger war Jakob Ludwig Oberberger gefragt, sondern auch, man staune: als Rutengänger. Das Rutengehen habe zwar stets bei einigen Leuten ein leises Lächeln hervorgerufen, erinnert sich Oswald Peithner, „aber der Oberberger ist auch sehr ernst genommen worden, so würde ich sagen.“ Die Kollegen hätten dessen immenses Wissen über Grundwasserströme und Störungszonen ungemein zu schätzen gewusst. Auch die Vorträge, die Oberberger regelmäßig hielt, waren gut besucht. Oberberger warnte, man solle sichmit Großbauten vom Dom und seiner näheren Umgebung tunlichst fernhalten, denn der Dom stehe auf Eichenpfählen – „und wenn Wasserströme verändert oder unterbrochen werden, stehen die im Trockenen und verrotten, das ist risikoreich“, fasst Peithner zusammen.
Jakob Oberberger untersuchte aber nicht nur Bauplätze und fertige Häuser mit der Rute, er prüfte durchaus auch die Leute selbst. Bei einem Vortrag vor Bauingenieurstudenten in der Fachhochschule Regensburg Anfang der 1970er Jahre sprach Oberberger zunächst über seine Tätigkeit als Rutengänger und zeigte den Studenten anschließend im Park die praktische Handhabung der Rute. Einer der damaligen Studenten erinnert sich: „Noch nie hatte ich bis dahin etwas gehört von Wasseradern, Wünschelrutengehen, geschweige denn schädlichen Auswirkungen von Wasseradern unter Betten. Es kam uns Studenten wie ‚Hokus-Pokus’ vor, als sich die Rute mal nach oben, mal nach unten drehte, angeblich ganz von selbst, während Oberberger konzentriert auf Wassersuche ging. Ich war einerseits skeptisch, andererseits fasziniert von der Sache. Oberberger lud interessierte Studenten und Dozenten ein, am folgenden Samstagnachmittag in den Stadtpark zu kommen, um dort seine Fähigkeiten testen zu können. Jeder bekam vom ‚Meister’ eine hölzerne Rute (die frische Astgabel eines Haselnussstrauches) in die Hand gedrückt. Andächtig und erwartungsvoll schritten wir nacheinander zu der bereits markierten Wasserader. Und was passierte? Zu meiner Verblüffung konnte ich die Rute nicht mehr in waagrechter Lage halten. Ich bekam einen ganz starken ‚Ausschlag’, als würde eine fremde, unsichtbare Kraft die Rute nach unten ziehen. „Prima!“, meinte Oberberger, „Sie sind rutenfühlig! Lernen Sie es bei uns, dann können Sie vielen Leuten helfen!” Bei manch anderen Interessenten dagegen schien es nicht zu klappen, trotz bestem Willen. Offensichtlich waren diese nicht ‚rutenfühlig’, wie es in der Fachsprache heißt. Oberberger erzählte uns vieles aus seiner jahrelangen praktischen Arbeit mit der Rute; wie er für Privatpersonen und Brauereien ergiebige Wasseradern aufspürte und chronisch Kranken durch richtige Bettverlegung zur gewünschten Gesundheit verhelfen konnte.“
Aber wie war jemand wie Jakob Oberberger, der als Architekt und Bausachverständiger nur mit exakten Zahlen und präzisen Winkeln zu tun hatte, zur Rutengängerei gekommen? Er hatte ein Haus gebaut und traf den Bauherrn etwa ein Jahr nach dessen Einzug wieder. Der Mann sah elend aus und erzählte, dass er laufend krank gewesen sei, bis er kürzlich einen Rutengänger kommen ließ, der eine starke Wasserader entdeckt habe. Das ließ Oberberger keine Ruhe, er machte sich kundig, fuhr nach München, wurde selber Rutengänger. „Nein, das war kein Hobby, das betrieb er nicht etwa nebenbei, nein, er hat sich ganz wissenschaftlich damit beschäftigt“, sagt Peithner. Oberberger war nicht lediglich lokal tätig, sondern bundesweit aktiv als Funktionär und lange Jahre Vorsitzender im deutschen Verband der Rutengänger. Da Jakob Oberberger seine Sache verstand, war er in ganz Bayern als Rutengänger gefragt und wurde laufend angefragt, wenn es um das Auffinden und Bohren von Brunnen ging. Auch als die Stadt Regensburg nach dem Krieg die Trinkwasserversorgung grundlegend veränderte und den neuen Hochbehälter baute, war Jakob Oberberger in offiziellem Auftrag unterwegs, um nach Quellwasser zu suchen, das er auf den Winzerer Höhen fand.
Den „ungeteilten Beifall“, den das IHK-Gebäude in den 1950er Jahren fand, kann der heutige Betrachter nicht mehr richtig nachvollziehen; der Blick ist kritischer, weiß das Gestern mehr zu schätzen, achtet ebenso auf die Form wie die Funktion. Das ‚gläserne’ Service-Center, welches das Architekturbüro Peithner 2006 vor die strenge Fassade Jakob Ludwig Oberbergers schob, gibt dem Gesamteindruck des Hauses ohne Frage ein transparentes, zeitgemäßes Gesicht. Auch die bis dahin arg vernachlässigten Reste der Römermauer und der darüber aufgemauerten mittelalterlichen Stadtmauer, die in der Nordwestecke des Hauptbaus stecken und zuvor hausintern als „Katzenklo“ abgetan wurden, sind seither mustergültig restauriert und stimmig ins Bauensemble eingebunden. Auch das hier vorgelegte Porträt des Architekten, Bausachverständigen und Rutengängers Jakob Ludwig Oberberger braucht diese Zusammenschau mit der Geschichte: Erst mit dem Blick zurück und mit dem Blick nach vorn runden sich die Dinge – nur so trägt unser Heute ein zukunftsträchtiges Morgen in sich.