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Prokura und Vertretung im Geschäftsverkehr

Wer darf im Geschäftsverkehr handeln und beispielsweise Verträge unterschreiben, wenn der Chef nicht da ist? Wie wird Prokura richtig erteilt und wann erlischt sie wieder?
Stand: Juli 2023

1. Bedeutung der Prokura im Rechts- und Geschäftsverkehr

Das Handelsrecht kennt verschiedene Vertretungsformen des Kaufmanns im Rahmen des Handelsverkehrs. Die Erteilung einer Prokura bietet eine umfassende Vertretung in allen denkbaren Bereichen des Handelsgeschäfts. Mit ihrem gesetzlich festgesetzten Umfang trägt sie zudem zur Rechtssicherheit bei, indem die Rechtswirkungen der Prokura nicht willkürlich durch den Geschäftsherrn bestimmt werden können. Der Geschäftspartner kann sich daher auf den gesetzlich garantierten Umfang verlassen. Verglichen mit anderen Vertretungsformen trägt die Prokura so zur wesentlichen Erleichterung und Beschleunigung des Geschäfts- und Wirtschaftsverkehrs bei.

2. Erteilung der Prokura

Grundsätzlich können nur Kaufleute eine Prokura zur Begründung von Vertretungsmacht erteilen. Kaufleute sind zunächst solche, die ein Handelsgewerbe betreiben oder die als Kaufmann im Handelsregister eingetragen sind. Für den Betrieb einer Land- oder Forstwirtschaft sind allerdings weitere Ausnahmen zu beachten. Auch Handelsgesellschaften wie die offene Handelsgesellschaft können eine Prokura erteilen, da für diese die Vorschriften der Kaufleute Anwendung finden.
Die Prokura muss stets ausdrücklich erteilt werden. Eine nur stillschweigende Erteilung oder eine Duldung des Auftretens eines Dritten als Prokuristen (sog. Duldungsprokura) reichen nicht aus. Ausreichend ist dagegen die Formulierung, dass eine „Vollmacht i.S.d. § 48 HGB“ erteilt werde. Die Eintragung im Handelsregister ist nach § 53 HGB vorgeschrieben, aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Das heißt die Prokura ist selbst dann wirksam, wenn keine Eintragung stattgefunden hat.
Gleichwohl sollte die Eintragung ins Handelsregister unverzüglich erfolgen, damit alle Beteiligten auf die Wirksamkeit vertrauen können. Erteilt werden kann die Prokura grundsätzlich nur einer natürlichen Person. Für die Stellung eines Prokuristen nicht in Betracht kommen juristische Personen und deren Organe, eine KG oder organschaftliche Vertreter wie z. B. ein vertretungsberechtigter Gesellschafter der oHG. Die Prokura ist strikt an die Person gebunden, der sie erteilt wurde. Sie ist unübertragbar (§ 52 Abs. 2 HGB).

3. Umfang

Die Prokura ermächtigt zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt (§ 49 Abs. 1 HGB). Anders als der Handlungsbevollmächtigte ist der Prokurist nicht auf die Vornahme der gewöhnlichen Geschäfte des Betriebes des Handelsgewerbes beschränkt. Ein Prokurist kann darüber hinaus
  • Kreditgeschäfte tätigen
  • Personal einstellen oder entlassen
  • Zweigniederlassungen errichten
  • den Geschäftsbereich branchenmäßig erweitern und
  • Prozesse führen.
Bei den möglichen Rechtsgeschäften ist der Prokurist nicht auf diejenigen des Handelsverkehrs beschränkt. So sind auch Willenserklärungen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit Wirkung für und gegen den Geschäftsherrn möglich. Der gesetzliche Umfang der Prokura kann grundsätzlich nicht abbedungen werden.

4. Gesetzliche Beschränkungen

Nach § 49 Abs. 2 HGB darf der Prokurist keine Grundstückgeschäfte tätigen, die die Veräußerung oder Belastung eines Grundstücks betreffen. Davon betroffen sind sowohl vertragliche Verpflichtungen als auch die darauf beruhenden Verfügungen. Etwas anderes gilt nur, wenn dem Prokuristen eine entsprechende Befugnis eingeräumt (sog. Grundstücksklausel) wurde. Auch sind Grundlagengeschäfte, die den Bestand des Betriebes als solchen betreffen, nicht von der Prokura erfasst.
Der Prokurist kann also nicht die Firma ändern, das Handelsgeschäft einstellen oder das Insolvenzverfahren beantragen. Höchstpersönliche Geschäfte des Geschäftsherrn dürfen ebenfalls nicht getätigt werden. Ein Prokurist kann nicht selbst eine Prokura erteilen und ist nicht zum Selbstkontrahieren ermächtigt. Soweit das Privatvermögen des Kaufmanns vom Gesellschaftsvermögen unterscheidbar ist, ist der Prokurist selbstverständlich auch nicht befugt, über das Privatvermögen zu verfügen. Ob die Geschäftshandlungen des Prokuristen letztlich zu Lasten des geschäftlichen oder privaten Vermögens des Kaufmanns führen, ist für die Wirksamkeit der Prokura hingegen unerheblich.
Erscheinungsformen:
Der Kaufmann kann die Prokura nach außen hin nicht einschränken. Die (zuvor beschriebenen) weitreichenden Vollmachten des Prokuristen können den Kaufmann im Einzelfall dazu veranlassen, die Prokura auf mehrere Schultern zu verteilen, um Vertrauensmissbräuchen und wirtschaftlichen Fehlentscheidungen durch den Prokuristen vorzubeugen.

Gesamtprokura

Gemäß § 48 Abs. 2 HGB kann die Erteilung der Prokura nicht nur an eine, sondern auch an mehrere Personen gemeinschaftlich erfolgen. Eine wirksame Stellvertretung des Geschäftsherrn ist in diesen Fällen nur durch das gemeinsame Handeln in Form übereinstimmender Willenserklärungen aller Prokuristen möglich. Ein gleichzeitiges Handeln ist aber nicht nötig. Ein Gesamtprokurist kann stellvertretend auch für den anderen handeln, wenn der Wille zur Stellvertretung nach außen in Erscheinung tritt und die Ermächtigung des anderen Gesamtprokuristen vorliegt. Das alleinige Handeln eines Gesamtprokuristen kann auch nachträglich durch den anderen genehmigt werden. Eine passive Vertretung kann ein Gesamtprokurist immer alleine vornehmen. Das heißt, Willenserklärungen werden schon durch den Zugang an nur einen Gesamtprokuristen wirksam. Als weitere Form bietet sich die halbseitige Gesamtprokura an. In diesem Fall besitzt Prokurist P1 Einzelprokura und zusätzlich gemeinsam mit Prokurist P2 Gesamtprokura, so dass Prokurist P2 nicht allein rechtsgeschäftlich tätig werden kann. Einzelprokurist P1 ist nicht auf die Mitwirkung des Gesamtprokuristen P2 angewiesen. Insbesondere in größeren Betrieben hat sich die sogenannte Gruppenprokura bewährt:
Beispiel: In einem größeren Betrieb sollen P1 - P6 jeweils eigene Geschäftsbereiche führen. Alleinvertretungsmacht auf ihrem Geschäftsgebiet wird ihnen durch Erteilung einer Handlungsvollmacht übertragen. Darüber hinaus sollen von den P1 - P3 jeweils zwei gemeinsam und von den P4 - P6 ebenfalls jeweils zwei gemeinsam zur Gesamtprokura ermächtigt sein.
Dieses Modell hat den Vorteil, dass bei Rechtshandlungen, die P1 - P6 als Prokuristen vornehmen, durch die Mitwirkungspflicht eines anderen aus dem jeweiligen Prokuristenkreis eine Kontrollmöglichkeit bei Geschäften, die über einen Geschäftsbereich hinausgehen, erfolgt, ohne dass die Prokura nach außen hin unzulässig eingeschränkt wäre. Andererseits ist dieses Modell flexibel genug, dass P1 - P6 in ihren jeweiligen Geschäftsbereichen als Handlungsbevollmächtigte allein handeln können.
Auf die beschriebene Weise wird eine möglichst effektive, den durch den Arbeitsvertrag konkret umrissenen Arbeitsbereich jedes einzelnen Prokuristen berücksichtigende Aufteilung der Stellvertretungsmöglichkeiten erreicht.

Unechte Gesamtvertretung

Gemäß §§ 125 Abs. 3 HGB, 78 Abs. 3 Aktiengesetz (AktG) ist es möglich, die gesetzlich vorgesehene gemeinschaftliche, organschaftliche Vertretung einer Gesellschaft durch ihre Gesellschafter einzuschränken. Im Gesellschaftsvertrag kann bestimmt werden, dass ein Organteil nur zusammen mit einem außenstehenden Prokuristen vertretungsbefugt ist. Dem Prokuristen kann darüber hinaus Einzelprokura erteilt werden. Als gesetzlicher Vertreter kann er nur mit dem im Gesellschaftsvertrag bestimmten Organteil zusammenwirken. Im Rahmen der gewillkürten, gesetzlichen Stellvertretung ist er alleinvertretungsberechtigt. In einer Personengesellschaft ist die Erteilung einer „unechten Gesamtprokura“ immer dann unzulässig, wenn nur ein einziger Gesellschafter berechtigt ist, die Gesellschaft zu vertreten, weil dann ein Verstoß gegen das Gebot der Selbstorganschaft von Personengesellschaften vorliegen würde.

Niederlassungsprokura

Hat der Kaufmann Zweigniederlassungen gegründet, kann er gemäß § 50 Abs. 3 HGB die Prokura auch auf eine einzelne Zweigniederlassung beschränken. Voraussetzung hierfür ist, dass die Zweigniederlassung im Geschäftsverkehr als klar vom Kern des Unternehmens abtrennbarer Teil erkennbar ist. Die Zweigniederlassung muss deshalb eine von der Hauptniederlassung unterschiedliche Firma führen. Dies kann durch Anfügung eines entsprechenden Zusatzes geschehen. Die Beschränkung der Prokura auf den Bereich einer einzelnen Zweigniederlassung muss ebenso ausdrücklich erklärt werden wie deren Erteilung gemäß § 48 Abs. 1 HGB. Einzutragen ist diese Prokura im Handelsregister sowohl der Haupt- als auch der Zweigniederlassung.

6. Erlöschen und Rechtsscheinhaftung

Erlöschenstatbestände

Die Prokura erlischt durch den Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Prokuristen oder mit dessen Tode, nicht hingegen mit dem Tode des Geschäftsinhabers (§ 52 Abs. 3 HGB). Auch die Begründung der Mitinhaberschaft des Geschäftes in der Person des Prokuristen führt zum Erlöschen der Prokura. Gleiches gilt bei Geschäftsaufgabe des Geschäftsherrn oder Verlust dessen Kaufmannseigenschaft. Zum Erlöschen führt auch der Fortfall des der Prokura zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses. Der weitaus wichtigste Erlöschenstatbestand ist der jederzeit mögliche Widerruf der Prokura gemäß § 52 Abs. 1 HGB. Das zugrunde liegende Rechtsverhältnis bleibt von diesem Widerruf unberührt. Widerrufen kann jeder, der auch zur Erteilung der Prokura ermächtigt ist. Der Widerruf kann formlos, muss aber unzweideutig erklärt werden.
Das Erlöschen der Prokura ist im Handelsregister einzutragen (§ 53 Abs. 2 HGB).

Rechtsfolgen fehlerhafter Prokura

Ist die Prokura fehlerhaft erteilt, so ist sie unwirksam bzw. anfechtbar. Darüber hinaus wirkt zugunsten Dritter der Gutglaubensschutz des Handelsrechts, der sich aus der Publizitätswirkung des Handelsregisters ergibt. § 15 Abs. 1 HGB schützt die „negative“ Publizität des Handelsregisters. Ein Dritter kann auf das Fortbestehen der im Handelsregister eingetragenen, eintragungspflichtigen Tatsachen vertrauen, es sei denn, er hat die Unrichtigkeit gekannt. Demnach muss der Kaufmann bei Widerruf der Prokura darauf achten, dass die entsprechende Handelsregistereintragung gelöscht wird, um der möglichen Rechtsscheinhaftung nach § 15 Abs. 1 HGB zu entgehen.
Wird die richtige Handelsregistereintragung unrichtig bekannt gemacht, so wird das Vertrauen eines Dritten, der die Unrichtigkeit nicht kannte, hierauf nach § 15 Abs. 3 HGB geschützt. Rechtsscheingrundlage für § 15 Abs. 3 HGB ist die unrichtige Bekanntmachung. Nach § 15 Abs. 3 HGB haftet derjenige, der die unrichtige Bekanntmachung im weitesten Sinne veranlasst hat. § 15 Abs. 3 HGB ist entsprechend auf den Fall anzuwenden, dass die Prokura im Handelsregister unrichtig eingetragen wurde.
Die Eintragung und die Bekanntmachung sind gleichwertige Rechtsscheinträger. Geschützt wird dadurch der Dritte, der im Vertrauen auf die unrichtige Eintragung Rechtsgeschäfte vorgenommen hat. Er kann seinen Schaden ersetzt verlangen. Wegen dieser durch die entsprechenden Anwendungen des § 15 Abs. 3 HGB „positiven“ Publizitätswirkung des Handelsregisters sollte die Eintragung der Prokura umgehend auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden.

7. Vertretung

7.1 Die Handlungsvollmacht als „kleine Prokura“

Die Handlungsvollmacht reicht weniger weit als die Prokura. Ihren Umfang kann der Geschäftsinhaber – anders als bei der Prokura – selbst festlegen. Überschreitet der Bevollmächtigte den gesetzten Rahmen, bleibt das Unternehmen durch den Vertrag gleichwohl gebunden, wenn der Geschäftspartner die Beschränkung nicht kannte oder hätte kennen müssen. Regelmäßig werden von der Handlungsvollmacht allerdings nur branchenübliche Geschäfte erfasst. Die Handlungsvollmacht wird nicht in das Handelsregister eingetragen und kann ohne Formerfordernisse, z. B. auch mündlich oder durch schlüssiges Handeln, erteilt werden. Schon aus Beweisgründen ist aber eine schriftliche Erteilung zu empfehlen.
Eine Handlungsvollmacht kann, wie die Prokura, auch als Gesamthandlungsvollmacht mehreren Personen gemeinschaftlich erteilt werden.

7.2 Verkaufsberechtigung von Angestellten im Laden oder Warenlager

Wer in einem Laden oder offenen Warenlager angestellt ist, gilt nach dem HGB als ermächtigt zu Verkäufen und Empfangnahmen, die in einem derartigen Laden oder Lager gewöhnlich abgewickelt werden. Sofern ein Angestellter also mit Wissen und Willen des Geschäftsinhabers in Kontakt zu Kunden tritt, dürfen diese sich auf das Bestehen einer Vollmacht im üblichen Rahmen verlassen. Der Begriff „Verkäufe“ ist in diesem Zusammenhang „untechnisch“ zu verstehen, so dass hierunter auch die Entgegennahme von Mängelanzeigen sowie Übereignungserklärungen, nicht jedoch Ankäufe oder Zusagen für einen Umtausch fallen. Wenn der Kunde vom Bestehen einer Verkaufsberechtigung ausgehen darf, kann er z. B. wirksam bei einem Angestellten im Laden zahlen. Der Geschäftsinhaber wiederum kann dies durch deutliche Hinweise wie etwa „Zahlung nur an der Kasse“ ausschließen.

7.3 Einräumung einer typischerweise mit Vollmacht verbundenen Stellung

Manche Aufgaben setzen zu ihrer ordnungsgemäßen Erfüllung eine bestimmte Vollmacht voraus, wie etwa die Tätigkeiten des Architekten oder des Anwalts. Wer einem anderen eine solche Aufgabe überträgt, muss diesen deshalb auch dann als bevollmächtigt gelten lassen, wenn eine Vollmacht für das konkrete Geschäft tatsächlich nicht erteilt war. Der Geschäftsherr kann nur dann nicht in Anspruch genommen werden, wenn für den anderen Teil das Fehlen bzw. die Einschränkung der Vertretungsmacht unschwer zu erkennen war.

7.4 Die Vertretungsmacht im Gesellschaftsrecht

Das Gesellschaftsrecht enthält verschiedene Sonderregelungen zur Vertretungsbefugnis der jeweiligen Gesellschafter:
  • BGB-Gesellschaft (GbR): Grundsätzlich besteht bei der GbR Gesamtvertretungsmacht, d. h. Rechtsgeschäfte mit Dritten sind nur dann wirksam, wenn sie von allen Gesellschaftern gemeinsam abgeschlossen wurden. Im Gesellschaftsvertrag können jedoch beliebige Abweichungen von diesem Grundsatz vereinbart werden.
  • oHG: Zur Vertretung der oHG ist jeder Gesellschafter allein ermächtigt, der nicht durch den Gesellschaftsvertrag von der Vertretung ausgeschlossen ist. Ein entsprechender Ausschluss ist von sämtlichen Gesellschaftern zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Bleibt ein Gesellschafter allein oder mit anderen Gesellschaftern vertretungsbefugt, so erstreckt sich diese Vertretungsmacht auf sämtliche denkbaren gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäfte. Eine Beschränkung dieses Vertretungsumfangs ist gegenüber Dritten nicht möglich.
  • KG: Die Vertretungsmacht des Komplementärs einer KG entspricht der des oHG-Gesellschafters. Eine Besonderheit ergibt sich dagegen für den Kommanditisten: Er ist von der organschaftlichen Vertretung ausgeschlossen, gehört also nicht zu den Personen, durch die eine KG nach dem Gesetz handelt. Unabhängig davon kann er jedoch nach den allgemeinen Grundsätzen rechtsgeschäftlich bevollmächtigt und sogar zum Prokuristen ernannt werden.
  • GmbH und UG (haftungsbeschränkt): Die GmbH und die UG (haftungsbeschränkt) werden durch den Geschäftsführer vertreten; mehrere Geschäftsführer müssen gemeinsam handeln, wenn im Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt ist. Die Vertretungsmacht der Geschäftsführer ist nach außen nicht beschränkbar.

7.5 Die Rechtsscheinvollmachten

Die Rechtsprechung hat zwei Fallgruppen entwickelt, wonach ein Gewerbetreibender die Geschäfte eines vermeintlichen Vertreters auch ohne ausdrückliche Bevollmächtigung als bindend akzeptieren muss:
Duldungsvollmacht: Der Gewerbetreibende lässt es über einen längeren Zeitraum wissentlich geschehen, dass ein anderer für ihn als Vertreter auftritt.
Anscheinsvollmacht: Der Gewerbetreibende kannte zwar das Handeln des Scheinvertreters nicht, hätte es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen und verhindern können.
Die Bindungswirkung für den Gewerbetreibenden entfällt nur dann, wenn der Vertragspartner nicht schutzwürdig erscheint, z. B. weil er das Fehlen der Vertretungsmacht kannte. Insgesamt führen diese Grundsätze zu erheblichen Haftungsrisiken für den Geschäftsinhaber, so dass dieser sein Verhalten jederzeit kritisch beobachten sollte. Hier gewinnen etwa die Fälle an Bedeutung, in denen ein ehemals Bevollmächtigter trotz Beendigung seines Vertrages mit dem Unternehmen weiterhin nach außen agiert, oder in denen ein Angestellter sich unter Duldung des Inhabers Kompetenzen anmaßt. Um einem falschen Rechtsschein von vornherein vorzubeugen, kann der Geschäftsinhaber z. B. seine Kunden per Rundschreiben vom Erlöschen der Vollmacht unterrichten.

7.6 Rechtsfolgen beim Fehlen der Vertretungsbefugnis für ein konkretes Geschäft

Handelt ein Vertreter ohne die erforderliche Vollmacht, so wird der angeblich Vertretene nur dann rechtlich verpflichtet, wenn er das Geschäft nachträglich genehmigt. Verweigert er die Genehmigung, ist die Angelegenheit für ihn erledigt. Ein Schaden kann für ihn – abgesehen von den Fällen der Rechtsscheinvollmacht – nicht entstehen. Der Vertragspartner muss sich wegen etwaiger Ansprüche allein an den vermeintlichen Vertreter halten, der ihm nach seiner Wahl zur Erfüllung des Vertrages oder zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist. Die Ersatzpflicht des vermeintlichen Vertreters ist eingeschränkt, wenn er den Mangel der Vertretungsmacht nicht kannte. Die Haftung entfällt, sofern der andere Teil wusste oder hätte wissen müssen, dass eine Bevollmächtigung tatsächlich nicht bestand.

Dieses Merkblatt soll – als Service Ihrer IHK – nur erste Hinweise geben und erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Obwohl es mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurde, kann eine Haftung für die inhaltliche Richtigkeit nicht übernommen werden.