Arbeitgeber müssen Arbeitszeit erfassen

Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sind Arbeitgeber verpflichtet, die gesamte Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer zu erfassen. Die Entscheidung bringt weitreichende Folgen mit sich.
Stand: Mai 2025
Wie es zu dieser Entscheidung kam, was die Entscheidung des BAG konkret aussagt und was Arbeitgeber jetzt schon tun sollten, erfahren Sie in diesem Artikel.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hatte am 18. April 2023 einen Referentenentwurf vorgelegt, mit dem die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des BAG umgesetzt werden sollten. Dieser Entwurf wurde nicht mehr verabschiedet. Es bleibt abzuwarten, ob die neue Regierung einen weiteren Gesetzesentwurf vorlegen wird.

1. Bisherige gesetzliche Regelungen zur Arbeitszeiterfassung

Im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gibt es aktuell keine Verpflichtung zur generellen Aufzeichnung der Arbeitszeit. Nach § 16 Abs. 2 ArbZG sind Arbeitgeber verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit nach § 3 Satz 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Es galt somit bisher schon, dass Überstunden und die Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen aufgezeichnet werden müssen.
Gesonderte Aufzeichnungspflichten gelten bereits zudem u. a. für:
  • Geringfügig Beschäftigte (Minijobber), § 17 Abs. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG)
  • Arbeitnehmer in den in § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) genannten Wirtschaftsbereichen
  • Arbeitnehmer im Straßentransport, § 21a Abs. 7 ArbZG
  • Arbeitnehmer in der Fleischwirtschaft, § 6 Abs. 1 Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch)
  • bestimmte Arbeitnehmer im Anwendungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG), § 19 Abs. 1 AEntG
  • Bestimmte Leiharbeitnehmer, § 17c Abs. 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)
Bislang war die überwiegende Auffassung, dass im deutschen Recht keine allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung existiert. Für alle überraschend hat das BAG aber entschieden, dass bereits jetzt eine generelle Aufzeichnungspflicht besteht.

2. Wie es zur Entscheidung des BAG kam („Stechuhr-Urteil“ des EuGH)

Bereits im Jahr 2019 fällte der EuGH ein maßgebendes Urteil, wonach ein nationales Arbeitsrecht mit der EU-Grundrechtecharta unvereinbar sei, wenn Arbeitgeber nicht verpflichtet sind, die tägliche Arbeitszeit jedes Mitarbeiters aufzuzeichnen (EuGH, Urteil vom 14.5.2019, Az.: C-55/18). Nach dem EuGH müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
Aus dieser EuGH-Entscheidung wurde vielfach der Schluss gezogen, dass der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben des EuGH erst noch umsetzen müsse (was bis heute nicht geschehen ist) und Arbeitgeber ohne entsprechende gesetzliche Neuregelung nicht verpflichtet seien, die gesamte Arbeitszeit aller Arbeitnehmer aufzuzeichnen.

3. Verpflichtung zur generellen Arbeitszeiterfassung nach der BAG-Entscheidung

In seinem Beschluss vom 13. September 2022 (BAG, Beschluss vom 13.9.2022, Az. 1 ABR 22/21) entschied das BAG, dass Arbeitgeber jetzt schon kraft Gesetztes verpflichtet sind, die gesamten Arbeitszeiten aller Arbeitnehmer aufzuzeichnen.
In der Entscheidung des BAG ging es um einen Rechtsstreit zwischen einem Arbeitgeber und einem Betriebsrat und um die Frage, ob dem Betriebsrat ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht. Das BAG lehnte ein Initiativrecht ab. Entscheidend für alle Arbeitgeber (auch solche ohne Betriebsrat) ist aber die überraschende Begründung:
Der Arbeitgeber sei bereits jetzt gesetzlich verpflichtet, ein Zeiterfassungssystem einzuführen, mit dem die Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers erfasst werden kann, daher stünde dem Betriebsrat kein Initiativrecht zu. Denn Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bestehen nach § 87 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) nur, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht existiert. Die Pflicht zur generellen Arbeitszeiterfassung ergebe sich aus der Regelung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), welche europarechtskonform auszulegen sei.
§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet Arbeitgeber allgemein, „für eine geeignete Organisation zu sorgen und erforderliche Mittel bereitzustellen“ zur Gewährleistung von Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit.
Da die Einhaltung der Höchstarbeitszeiten und der Ruhezeiten nach dem ArbZG arbeitsschutzrechtlichen Zwecken dient, gehöre die Arbeitszeiterfassung zu den dem Arbeitgeber obliegenden „erforderlichen Maßnahmen“ des Arbeitsschutzes, so das BAG.

4. Was Arbeitgeber jetzt schon tun müssen

Inzwischen liegen die ausführlichen Entscheidungsgründe vor. Aus diesen können folgende Vorgaben für Arbeitgeber abgeleitet werden:
  • Die Pflicht zur generellen Arbeitszeiterfassung gilt ab sofort.
  • Die Arbeitszeiterfassung muss in jedem Fall objektiv, verlässlich und für jeden Arbeitnehmer einsehbar sein.
Es muss ein System eingeführt werden, das Beginn, Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich etwaiger Überstunden erfasst. Nach allgemeinem Verständnis müssen auch der Beginn und das Ende der Ruhepausen aufgezeichnet werden, auch wenn dies der BAG-Entscheidung nicht ausdrücklich zu entnehmen ist. Denn Ruhepausen sind gesetzlich vorgeschrieben, gehören aber laut ArbZG nicht zur Arbeitszeit und müssen entsprechend abgezogen werden, um die Dauer der Arbeitszeit zu ermitteln. Ein pauschaler Abzug von Pausen (beispielsweise Mittagspause 30 Minuten) genügt nicht.
Solange der Gesetzgeber keine konkretisierende Regelung getroffen hat, bleibt die Art und Weise der Arbeitszeiterfassung (etwa handschriftlich, über Excel-Tabellen, analoge/digitale Stechuhr, Online-Zeiterfassung über den Arbeitsplatz-PC oder -Laptop oder mobile Zeiterfassung über eine App) dem Arbeitgeber überlassen. Bei einer digitalen/elektronischen Lösung (hier gibt es kostenlose und kostenpflichtige Varianten) sollte man darauf achten, dass die Software nicht nur die Arbeitszeitdaten erfasst. Es muss eine fälschungssichere und datenschutzkonforme Software sein. Sie sollte auch verknüpfbar sein mit Systemen, die im Unternehmen bereits genutzt werden.
Laut BAG ist es nicht ausgeschlossen, die Arbeitszeiterfassung als solche an die Arbeitnehmer zu delegieren. Arbeitgeber haben aber die tatsächliche und korrekte Erfassung der Arbeitszeiten sicherzustellen und (jedenfalls durch regelmäßige Stichproben) zu kontrollieren.
Das System darf nicht nur angeboten werden. Arbeitgeber können also ihren Mitarbeitern nicht freistellen, ob sie das Zeiterfassungssystem nutzen. Sie müssen auch dafür Sorge tragen, dass es tatsächlich genutzt wird.
Gesetzlich vorgeschrieben und damit der Mitbestimmung des Betriebsrats entzogen ist das „Ob“ der Einführung eines Zeiterfassungssystems. Bei der näheren Ausgestaltung und Durchführung (dem „Wie“) dieses Systems steht dem Betriebsrat jedenfalls nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht zu. Soll ein elektronisches Zeiterfassungssystem eingeführt werden, ist der Betriebsrat auch nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu beteiligen.
In Unternehmen, in denen die Arbeitszeiten nicht erfasst werden, sollten Arbeitgeber überlegen, welches Zeiterfassungssystem für das eigene Unternehmen kurzfristig/langfristig umsetzbar ist. Existiert bereits ein Zeiterfassungssystem, sollte dieses daraufhin überprüft werden, ob die obigen Vorgaben erfüllt sind.
Das BMAS hat im Anschluss an die BAG-Entscheidung Fragen und Antworten zur Arbeitszeiterfassung veröffentlicht, in denen auf die wichtigsten Punkte zur Arbeitszeiterfassung eingegangen wird.

5. Drohen Bußgelder bei Verstößen?

Das ArbSchG sieht derzeit keine direkten Sanktionen für einen Verstoß gegen § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG vor. Ein Verstoß gegen diese Regelung stellt keine Ordnungswidrigkeit nach § 25 ArbSchG dar.
Eine bußgeldbewährte Ordnungswidrigkeit kann aber entstehen, wenn die Arbeitsschutzbehörde (dies sind die Gewerbeaufsichtsämter) einen Verstoß feststellen. Dann kann die Behörde nach § 22 Abs. 3 ArbSchG eine konkrete Anordnung zur Einrichtung eines Arbeitszeiterfassungssystems erlassen. Erst wenn der Arbeitgeber einer solchen Anordnung nicht oder nicht innerhalb einer gesetzten Frist nachkommt, kann ein Bußgeld verhängt werden.

6. Ist Vertrauensarbeitszeit noch möglich?

Die Vertrauensarbeitszeit ist bislang gesetzlich nicht geregelt. Darunter versteht man in der Regel, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit weitestgehend selbst bestimmen kann. Meist wird lediglich das Volumen der wöchentlichen oder monatlichen Arbeitszeit vertraglich festgelegt. Beginn, Ende und sonstige Lage der Arbeitszeit wird vom Arbeitgeber aber nicht vorgegeben. Vielmehr vertraut der Arbeitgeber darauf, dass der Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten erfüllt und die ihm aufgetragene Arbeit erledigt.
Vertrauensarbeitszeit im Sinne einer selbst bestimmten Lage der Arbeitszeit ist weiterhin möglich und wird auch künftig erhalten bleiben. Vertrauensarbeitszeit heißt jedoch nicht mehr, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit nicht aufzeichnen müssen, selbst wenn der Arbeitgeber ihnen insoweit vertraut. Auch hier müssen die Arbeitszeiten vollständig erfasst werden, was einen zusätzlichen organisatorischen Aufwand mit sich bringt. Zudem müssen nach wie vor die zwingenden Vorgaben des ArbZG beachtet werden.

7. Pläne des Gesetzgebers

Aufgrund des Auseinanderbrechens der Ampel-Koalition Ende 2024 wurde der Referentenentwurf des BMAS aus dem Jahr 2023 zur Reform des Arbeitszeitgesetzes obsolet. Die neue Regierung plant zwar ebenfalls eine Überarbeitung des Arbeitszeitgesetzes. Jedoch gibt es derzeit noch keinen Gesetzesentwurf dazu.