(Schein-)Selbstständigkeit im Verkehrsgewerbe

Hintergrund

Welche Bedingungen müssen erfüllt sein , damit den Unternehmen beim Einsatz von Personal keine rechtlichen Probleme und keine finanziellen Risiken drohen?
Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Tatsache, dass Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung und Scheinselbständigkeit sowohl die Gesellschaft insgesamt als auch die legal tätigen Unternehmen durch Benachteiligung im Wettbewerb schädigen.
Dass letzteres den Unternehmen auch bewusst ist, zeigt beispielsweise eine Online-Umfrage der Deutschen Verkehrszeitung (DVZ) vom August 2012: 79,7 Prozent der Umfrageteilnehmer sind der Meinung, dass …“der Einsatz scheinselbstständiger Fahrer den Markt kaputt … macht“.

Problematik

  • Nicht-Anmeldung zur Sozialversicherung
  • Arbeiten ohne Steuerkarte
  • Tätigkeit von Ausländern ohne Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung
  • Arbeitsverleiher ohne Erlaubnis
  • Betrieb ohne Gewerbeanmeldung
  • Güter- und/oder Personenbeförderung ohne Genehmigung, Erlaubnis oder Lizenz
  • und andere
Das auffälligste Problem in der Verkehrsbranche war und ist der so genannte selbständige Kraftfahrer. Dieser stellt sowohl aus sozialversicherungsrechtlicher als auch aus güterkraftverkehrs- und personenbeförderungsrechtlicher Sicht ein Risiko dar. Bereits Anfang der 2000er Jahre hatten die Sozialversicherungsträger in einem diesbezüglichen „Berufsgruppenkatalog“ klargestellt, dass Lkw-, Omnibus-, Taxi- und Mietwagenfahrer als Arbeitnehmer einzustufen sind. Das Güterkraftverkehrs- bzw. Personenbeförderungsrecht sagt hierzu sinngemäß: Wer als Unternehmer Güter (mit Kfz über 3,5 t zGG) oder Personen befördert braucht dafür eine „Berechtigung“. Nach der EU-Richtlinie 2002/15/EG, Artikel 3, Buchstabe e ist der „selbständige Kraftfahrer“ eine „… Person, deren berufliche Tätigkeit hauptsächlich darin besteht, mit Gemeinschaftslizenz oder einer anderen berufsspezifischen Beförderungsermächtigung gewerblich in Sinne des Gemeinschaftsrechts Fahrgäste oder Waren im Straßenverkehr zu befördern…“.
Das Problem verschärft sich vor allem dann, wenn für die Tätigkeit des selbständigen Fahrers keine Genehmigung, Erlaubnis oder Lizenz vorliegt und auch kein eigenes Fahrzeug zur Verfügung steht. Gerade das Fehlen eines eigenen Fahrzeugs hatte sich in vielen Fällen, die vor Gericht gelandet sind, als K.O.-Kriterium für die Einstufung als tatsächlich Selbständiger herausgestellt. Vereinfacht kann man deshalb sagen: Wird bei der Beförderung kein eigenes Kfz eingesetzt gilt die Beförderungsdienstleistung des vermeintlich selbständigen Fahrers als scheinselbständige Tätigkeit und er wird als Arbeitnehmer eingestuft mit Konsequenzen vor allem für den Auftraggeber, der dann zum Arbeitgeber wird.

Risiken für Unternehmen

  • Nachzahlung der Arbeitgeber- und (bis auf die ersten 3 Monate) Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung (einschließlich Unfallversicherung) für bis zu vier Jahre
  • Einklagen der Arbeitnehmerrechte (einschließlich evtl. Ausstehender Vergütung) durch den ehemaligen Auftragnehmer
  • Strafbarkeit nach § 266 a StGB wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt
  • Verstöße zum Beispiel gegen Mindestentgelt- und Meldepflicht oder Arbeitserlaubnisverstöße
Darüber hinaus kommt auch das Abführen von Mehrwertsteuer und Vorsteuer aus den Geschäften mit dem vermeintlich Selbständigen auf den Prüfstand. Auch hier kann es zu Nachzahlungsforderungen kommen.
Als Lösung für die Konstellation, dass der selbständige Fahrer ohne Fahrzeug und ohne eigene Berechtigung tätig ist, wurde und wird oftmals darauf verwiesen, dass man ja nur seine Arbeitskraft verleihe. Für ein derartiges Verleihen müssen aber mehrere Voraussetzungen erfüllt sein :
  • Der Verleiher muss eine Erlaubnis der Landes-Arbeitsagentur haben
  • Bei diesem Verleiher ist der Leiharbeitnehmer per Arbeitsvertrag angestellt.
  • Der Verleiher schließt mit dem Entleiher einen Überlassungsvertrag, mit dem das Weisungsrecht auf den Entleiher übergeht und
  • der Leiharbeitnehmer stellt auf der Basis dieses Überlassungsvertrages dem Entleiher seine Arbeitsleistung zur Verfügung
Damit wird klar, dass „Selbstverleih“ rechtlich nicht möglich ist. Darüber hinaus gelten für die Leiharbeit auf der Grundlage der skizzierten Konstellation spezielle Mindestlohn-Regelungen.

Wie kann man Scheinselbständigkeit erkennen?


Die Rechtsprechung hat schon seit vielen Jahren eine Vielzahl von Kriterien entwickelt anhand derer man ein entsprechendes Vertragsverhältnis einschätzen kann. Eine wichtige Grundvoraussetzung dabei ist, dass immer das konkrete Vertragsverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer im Zentrum der Prüfung steht. Eventuell weitere selbständige Tätigkeiten des Auftragnehmers bleiben davon unberührt. Diesen Grundsatz hat zum Beispiel das Bayerische Landessozialgericht mit Urteil vom 24.07.2007 (L 5 KR 233/05) bestätigt.

Die wesentlichen Kriterien für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sind:
  • Persönliche Abhängigkeit oder Weisungsgebundenheit: Weisungsrecht des Arbeitgebers über Arbeitszeit und -ort, Eingliederung in den Betrieb
  • Fehlende Möglichkeit der freien Gestaltung der Arbeitstätigkeit
  • Fehlender Einsatz von eigenem Kapital
  • Fehlendes Unternehmerrisiko

Merkmale selbständiger (unternehmerischer) Tätigkeit sind im Kern:
  • Unternehmerische Entscheidungsfreiheit über die Einstellung von Personal, den Einsatz von Kapital und Fahrzeugen sowie Preisgestaltung
  • Unternehmerisches Risiko und Wahrnehmung unternehmerischer Chancen
  • Eigenwerbung

Zwei wichtige Erkenntnisse sind demnach:
  • Jedes Vertragsverhältnis wird für sich betrachtet. So schließt zum Beispiel das Vorhandensein eines zweiten Auftraggebers nicht automatisch aus, dass das erste Auftragsverhältnis scheinselbständig ist.
  • Selbständige Kraftfahrer ohne eigenes Fahrzeug sind in aller Regel scheinselbständig. Hier ist allergrößte Vorsicht geboten.

Bei Unklarheit, ob eineTätigkeit als "selbständig" oder abhängige Beschäftigung (scheinselbständig) eingestuft wird, kann bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung eine so genanntes Statusfeststellung von den Beteiligten und Betroffenen beantragt werden.
Nähere Informationen dazu erhalten Sie im IHK-Fachbereich Recht und bei der Deutschen Rentenversicherung.