Rechtsfragen und Antworten

Brexit: Q&A zu wichtigen Rechtsfragen

Stand: November 2022
Nach Vollzug des Brexit haben sich die Unterhändler der EU und des UK auf ein  Handels- und Kooperationsabkommen (TCA Trade and Cooperation Agreement) geeinigt. Das Abkommen hat das Rechtsverhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU grundlegend neu gestaltet.

Was bedeutet das Abkommen für grenzüberschreitende Dienstleistungen? Sind Dienstreisen weiterhin möglich?

Mit Stichtag 1. Januar 2021 können sich EU-Bürger und Briten nicht mehr auf die durch EU-Recht garantierte Dienstleistungsfreiheit berufen. Das neue Handelsabkommen schafft hier kaum Erleichterungen: Zwar enthält das Abkommen in Artikel 4.4 des Dienstleistungskapitels eine allgemeine Regelung, dass grenzüberschreitende Dienstleistungen weiterhin erlaubt sind – sieht jedoch für den Aufenthalt im anderen Land unter anderem eine Zeitbegrenzung, Qualifikationsvoraussetzungen und Branchenbeschränkungen vor. Der „Lizenzfinder” der britischen Behörden hilft bei der Ermittlung der neuen Zugangsschranken. Was die Kranken- und Sozialversicherung betrifft, konnten sich EU und das Vereinigte Königreich auf eine Weitergeltung der Zusammenarbeit verständigen. Das bedeutet im Grundsatz: Eine entsendete Person ist auch nach dem 1. Januar 2021 im anderen Land automatisch sozialversichert. Europäische Nachweisbescheinigungen werden dabei weiterhin anerkannt. Auch die A1-Bescheinigung gilt vorbehaltlich eines neuen Bescheinigungsformulars unter unten genannte Voraussetzungen weiterhin.

Für die konkrete Einreise wurde geregelt: Für einfache Geschäftsreisen ohne „öffentliche Leistungserbringung” bis 6 Monate ist grundsätzlich kein gesondertes Einreisevisum notwendig. Darunter fallen beispielsweise Tätigkeiten wie die Teilnahme an Seminaren, Vertragsverhandlungen/ -unterzeichnungen oder Markterkundungsreisen. Die britischen Behörden haben einen Katalog für diese privilegierten Tätigkeiten zusammengestellt. Auch „sachnahe Dienstleistungen” (die Dienstleistung muss mit einem vorher abgeschlossenen Kauf- oder Mietvertrag der Sache zusammenhängen) sind miterfasst. Für alle übrigen Geschäftsreisen und für alle Geschäftsreisen über 6 Monate gelten neue Vorschriften: In einem punktebasierten System (PBS) wird anhand von Faktoren wie persönliche Fähigkeiten, Sprachkenntnisse, Höhe des Einkommens oder die Branche über die Arbeits- und Niederlassungserlaubnis entschieden. In vielen Fällen ist auch eine sogenannte “Sponsorship Licence” des britischen Auftraggebers notwendig. Das britische Behördenportal hat die entsprechenden Informationen zu den neuen Visabestimmungen zusammengestellt. Für die meisten mit Entgelt verbundenen Dienstreisen kommt das sogenannte “Skilled Worker Visum” in Betracht. Zur einfachen Überprüfung, ob für Ihre Geschäftsreise ein Visum notwendig ist, haben die britischen Behörden einen “Visa-Check” zur Verfügung gestellt.
Die neuen Einreisebestimmungen sollten ernst genommen werden. Verstöße gegen das neue Einreiserecht können mit Inhaftierung, Geldbuße und Eintrag im persönlichen Immigrationsregister geahndet werden. Insbesondere letzteres hat die Konsequenz, dass die generelle Reisefreiheit einschränkt und auch die Rückkehr in das Vereinigte Königreich erschwert werden kann. Auch versicherungstechnisch wird allgemein davon ausgegangen, dass die Firma ein großes Risiko eingeht, wenn das Personal illegal in das Vereinigte Königreich geschickt wird und ein Versicherungsfall eintritt.
Eine Entsendemeldung ist nicht erforderlich. Auch gibt es kein Höchstkontingent an Entsendetagen, wie beispielsweise bei Entsendungen in die Schweiz.
Für Personen, die vor Ende des Übergangszeitraums am 31.12.2020 ins Vereinigte Königreich entsandt wurden, gelten bis zum Ende der Entsendung (max. 24 Monate) die bisherigen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit weiter. Dies gilt, solange sich die Person ohne Unterbrechung in der bis 31.12.2020 bestehenden Situation befunden hat. Die Entsendung wird dann wie bisher durch die A1-Bescheinigung nachgewiesen.
Für Personen, die ab dem 01.01.2021 neu entsandt werden, gelten die bisherigen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit nur dann weiter, wenn
  • die Person/-en von einem Arbeitgeber entsandt werden, der eine nennenswerte Geschäftstätigkeit im Vereinten Königreich ausübt,
  • der Einsatz voraussichtlich 24 Monate nicht überschreitet und
  • keine zuvor entsandte Person abgelöst wird.
Zum Nachweis einer Entsendung im Rahmen dieses Abkommens wird während eines Übergangszeitraums mangels neuer Bescheinigung zunächst weithin eine A1-Bescheinigung ausgestellt.

Gibt es eine Art “Bestandsschutz” für bisherige Grenzgänger?

Das Austrittsabkommen schützt nach seinem Wortlaut “alle Unionsbürger, die ihr Recht als Grenzgänger im Vereinigten Königreich vor Ende des Übergangszeitraums im Einklang mit dem Unionsrecht ausgeübt haben und danach weiter ausüben”. Arbeitnehmer und Selbständige, behalten ihr Recht am Arbeitsmarkt teilzunehmen bzw. selbständig erwerbstätig zu sein. Eng im Zusammenhang damit steht das Recht, in den Arbeitsstaat einzureisen und aus dem Arbeitsstaat auszureisen. Verwaltungstechnisch ist jedoch hierfür die Beantragung eines sogenannten Frontiert Worker Permit notwendig. Beantragen kann es, wer außerhalb des Vereinigten Königreichs wohnt und vor dem 31. Dezember 2020 im Vereinigten Königreich gearbeitet hat. An den Begriff des Arbeitens sind allerdings Anforderungen geknüpft. Vereinzelte / isolierte Aktivitäten wie zum Beispiel die Unterzeichnung eines Vertrages oder die Beteiligung an einem Vorstellungsgespräch genügen nicht. Die Arbeit muss „genuine and effective“ gewesen sein, also - in etwa - authentisch und relevant.

Gibt es Veränderungen in Bezug auf rechtliche Standards und den Verbraucherschutz?

Mit Blick auf rechtliche Standards gilt: Damit britische Firmen gegenüber EU-Firmen keinen unfairen Vorteil auf dem EU-Markt haben, müssen sie weiterhin ähnliche Vorgaben unter anderem bei Umweltschutz und im Arbeitsrecht einhalten. Die künftigen Standards sollen dabei nach Artikel 1.1 des Kapitels über Faire Wettbewerbsbedingungen nicht unter jene sinken, die derzeit gelten. Sollte eine der beiden Seiten ihre Standards so ändern, dass sie daraus einen unfairen Vorteil ziehen kann, soll das Gleichgewicht mithilfe einer Schiedslösung wiederhergestellt werden. In der Praxis bedeutet dies, dass sich im Hinblick auf Verbraucherschutz, Arbeitsschutz- und Umweltstandards zunächst einmal nicht viel ändern wird. Sollte die EU hier jedoch in Zukunft die Standards verschärfen, ist das Vereinigte Königreich nicht gezwungen, das Schutzniveau gleichermaßen anzuheben.

Was wurde im Hinblick auf gemeinsame Warenstandards vereinbart?

Entgegen dem britischen Wunsch enthält das Abkommen keine gegenseitige Zertifizierung der Warenstandards. Somit könnte eine britische Prüfanstalt ein Produkt nur für das Vereinigte Königreich zulassen, nicht aber für den Verkauf im EU-Gebiet. Der Hersteller müsste von EU-Institutionen eine zweite Zulassung einholen. Auch werden die gegenseitigen Standards für Tierprodukte nicht automatisch anerkannt, was vor allem beim Import in die EU den Kontrollaufwand erhöht. Bereits vorher klargestellt wurde, dass ab dem 1. Januar 2021 das neue UKCA-Label gilt, welches das bisherige CE-Kennzeichen ersetzen soll. Rechtmäßig mit einer CE-Kennzeichnung versehene Produkte dürfen in Großbritannien weiterhin für einen begrenzten Zeitraum bis 31. Dezember 2021 in Verkehr gebracht werden, sofern EU- und GB-Anforderungen übereinstimmen. Für die Marktzulassung in Großbritannien ab 1. Januar 2023 wird dann jedoch nur noch das UKCA-Label akzeptiert. Die ursprünglich bis 1. Januar 2022 geltende Frist wurde um ein weiteres Jahr verlängert. Die Übergangsfrist gilt jedoch nicht für Medizinprodukte. Die britische Auslandshandelskammer informiert in einem Merkblatt zur neuen Rechtslage der Warenstandards. (nicht barrierefrei, PDF-Datei · 185 KB)

Enthält das Abkommen auch Berufsanerkennungsregelungen?

Im Abkommen finden sich keine Regelungen zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen. Ärzte, Ingenieure oder Architekten und andere Berufsgruppen mit einer entsprechenden Zulassung dürfen ihren Beruf nicht mehr automatisch im Vereinigten Königreich bzw. in der EU ausüben. Ihre Qualifikation muss gesondert beantragt und bestätigt werden, basierend auf den britischen Regeln für die Anerkennung von Qualifikationen aus Drittstaaten. Zwar gibt es Ausnahmen für Geschäftsreisen und befristete Entsendungen. Doch eine automatische Anerkennung gibt es grundsätzlich nicht mehr. Grundsätzlich haben sich das Vereinigte Königreich und die EU jedoch verständigt, hier einen Anerkennungsmechanismus einzuführen.

Was passiert mit Verträgen, die ich bereits mit britischen Geschäftspartnern abgeschlossen habe?

Für Verträge gilt: Abgeschlossene Verträge sind nach dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ einzuhalten. Mit dem Brexit ist – trotz Handelsabkommen – wieder die grundsätzliche Pflicht zur Ein- und Ausfuhranmeldung entstanden. Verträge müssen deswegen analyisiert und es muss ermittelt werden, wen die neuen Pflichten treffen. Helfen kann es, wenn man sich vorher auf eine Incoterms® -Klausel verständigt hat. In der Regel lässt sich dann ermitteln, wen die neuen Pflichten treffen. Im Artikel zu den Incoterms® werden die Regelungen der einzelnen Klauseln dargestellt. Haben Brexit und Handelsabkommen schwerwiegende Veränderungen für das Vertragsverhältnis gebracht, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sich auf das Rechtsinstitut der „Störung der Geschäftsgrundlage“ zu berufen. Rechtsfolge ist dann nach § 313 BGB ein Anspruch auf Vertragsanpassung oder auch die Möglichkeit eines Rücktritts vom Vertrag. An die Stelle des Rücktritts würde bei Dauerschuldverhältnissen die Möglichkeit einer vorzeitigen Vertragskündigung gemäß §§ 313 Absatz 3 Satz 2, 314 BGB treten. Es ist jedoch zu beachten, dass von der Rechtsprechung für eine Berufung auf „Störung der Geschäftsgrundlage“ recht hohe Anforderungen gestellt werden. Direkt betroffen sind Handelsvertreterverträge: Mit EU-Austritt gilt für Handelsvertreter, die ihre Tätigkeit in Großbritannien ausüben, nicht mehr automatisch der bislang gesetzlich verankerte Ausgleichsanspruch bei Beendigung des Vertragsverhältnisses. Das Handelsabkommen hat hier auch keine Sonderregelung getroffen. Handelsvertreterverträge sind deswegen auf die Vereinbarung eines Ausschlusses des Ausgleichsanspruchs zu prüfen – dieser ist ab sofort grundsätzlich zulässig.

Enthält das Abkommen Regelungen zur Forderungsvollstreckung? Kann das europäische Mahnverfahren weiterhin betrieben werden?

Das Abkommen enthält keine Nachfolgeregelung zum europäischen Mahnverfahren. Die Beitreibung von Forderungen gegen Schuldner im Vereinigten Königreich ist somit - je nach Gerichtszuständigkeit – nur noch über das nationale deutsche Mahnverfahren oder über das nationale britische Mahnverfahren möglich. Unser Artikel zur grenzüberschreitenden Forderungsbeitreibung beschreibt den zu gehenden Weg und geht hier auch auf die aktuellen Besonderheiten beim Mahnverfahren gegen einen Schuldner im Vereinigten Königreich ein. Wichtig: Wegen des ersatzlosen Wegfalls internationaler Gerichtsstandsregelungen und insbesondere wegen des Wegfalls der bisher geltenden EUGVVO sollte bereits im Vorfeld die Geltung eines ausschließlichen Gerichtsstands vereinbart werden. Ansonsten könnte sich die Ermittlung der internationalen Zuständigkeit mangels EU-Recht unter Umständen als kompliziert erweisen.