Standortpolitik

Wilde Fahrt durch die verschlungenen Wege der Bürokratie

Am 2. Mai 2018 wurde die Richtlinie (EU) 2018/645 zur Änderung der Richtlinie 2003/59/EG über die Grundqualifikation und Weiterbildung der Fahrer bestimmter Kraftfahrzeuge für den Güter- oder Personenverkehr im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Hiernach sollte gemäß ihres Abschnitts 4 für die obligatorische Weiterbildung, die eine Gesamtdauer von 35 Stunden alle fünf Jahre hat, erstmals möglich werden, dass höchstens 12 Stunden in Form von E-Learning erteilt werden. Die Richtlinie enthielt in Artikel 3 Absatz 1 einen entscheidenden Passus: „Die Mitgliedsstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum 23. Mai 2020 nachzukommen […].“

Drei innovative Unternehmer aus der Region vertrauten der Politik und machten sich auf den Weg

Nagold, 30.05.2023. Drei innovative Unternehmer aus der Region vertrauten der Politik und machten sich auf den Weg: Christian Stickel, Samuel Neuner und Simon Pirmann gründeten im Jahr 2020 in Nagold die „BKF Online-Schulungs GmbH“.
„Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im LKW und warten darauf, entladen zu werden. Sie haben die Möglichkeit, Ihre gesetzlich vorgeschriebene Weiterbildung zu absolvieren, ohne dass Sie dafür extra Zeit aufbringen müssen. Wie wäre es, wenn Sie das bequem von Ihrem mobilen Gerät aus tun könnten, wann und wo immer Sie wollen? Genau das ist das Versprechen der BKF Online-Schulungs GmbH.“, so der geschäftsführende Gesellschafter Christian Stickel, der auch Inhaber und Geschäftsführer des Nagolder Speditions- und Transportunternehmens Stickel ist.

“Wir stehen derzeit vor einem politischen Hindernis”

„Doch trotz aller technischen Möglichkeiten stehen wir derzeit vor einem politischen Hindernis, das uns bremst“, verweisen die beiden Mitgesellschafter Samuel Neuner und Simon Pirmann mehr als drei Jahre nach der versäumten Frist auf den Umstand mit der genannten EU-Richtlinie. „Deutschland ist da zwar leider nicht alleine – auch andere EU-Mitgliedsstaaten sind noch in Verzug. Doch einige haben es umgesetzt und von deren Erfahrungen könnte man schon längst profitieren. Wir wären einsatzbereit und sind technisch weiter als andere Anbieter, zum Beispiel mit einer digitalen Identitätsfeststellung und einem innovativen System zur Aufmerksamkeitskontrolle.“, führen die drei Gründer aus.

Interesse von 10.000 Berufskraftfahrern und 200 Unternehmen geweckt

Unter dem Eindruck der Corona-Krise und den damit einhergehenden Herausforderungen in der Weiterbildung wurde die BKF Online-Schulungs GmbH geboren. Die Gründer haben sich das Ziel gesetzt, die Digitalisierung der Berufskraftfahrerqualifikation in Deutschland voranzutreiben. Die selbst entwickelte Plattform mit hochwertig produziertem Schulungsmaterial hat bereits das Interesse von 10.000 Berufskraftfahrern und 200 Unternehmen geweckt. Denn eine Registrierung und Nutzung ist möglich – nur das Absolvieren der Pflichtfortbildung noch nicht. Trotz der derzeitigen rechtlichen Einschränkungen wurden bereits zwei der fünf erforderlichen Module fertig produziert. Die BKF Online-Schulungs GmbH bietet darüber hinaus weitere Kurse an. Dabei ist die Plattform auch auf Mehrsprachigkeit ausgelegt. „Der Markt ist groß, unser Investment aber auch“, ergänzt Christian Stickel.

Das Startup ist trotz der politisch-rechtlichen Hürden optimistisch.

Das Startup ist trotz der politisch-rechtlichen Hürden optimistisch. Sie sehen mit der Novellierung der oben genannten Richtlinie Licht am Ende des Tunnels. Sie lesen richtig: Am 23. Dezember 2022 wurde eine neue Richtlinie – (EU) 2022/2561 – veröffentlicht, die mit ihrem Inkrafttreten zwar die ursprüngliche Richtlinie aus dem Jahre 2003, die 2018 wie oben dargestellt geändert wurde, aufhebt – allerdings mit einem im Vergleich mit der Richtlinie aus 2018 wortgleich formuliertem Abschnitt 4 zur obligatorischen Weiterbildung. Das heißt weiterhin: 35 Stunden in fünf Jahren, davon höchstens zwölf in Form von E-Learning. Und, in Artikel 14 der neuesten EU-Richtlinie heißt es, dass die bisherige Richtlinie unbeschadet der Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten hinsichtlich der Fristen für die Umsetzung aufgehoben wird. Das heißt, die Bundesrepublik Deutschland befindet sich also weiterhin – seit mehr als drei Jahren – in Verzug. Gleichwohl sieht die neue Richtlinie sogar Möglichkeiten für die Mitgliedsstaaten vor, dass ein Teil der Grundqualifikation mittels E-Learning stattfinden dürfte.

Armutszeugnis

„Für die größte europäische Volkswirtschaft, die wie keine andere auf funktionierende Lieferketten angewiesen ist und das größte Transportaufkommen Europas hat, ist das ein Armutszeugnis. Gerade während der Corona-Pandemie wurde allen Wirtschaftsakteuren einmal mehr bewusst, wie groß die Bedeutung der Transportwirtschaft für alle Wertschöpfungsketten ist. Krankheitsbedingte Fahrerausfälle und erschwerte Reisebedingungen für den Einsatz von Fahrern brachten das System an den Rand des Funktionierens. Da wären digitale Möglichkeiten zur Weiterbildung hilfreich gewesen“, so IHK-Hauptgeschäftsführerin Tanja Traub. „Das Beispiel dieses regionalen Startups zeigt, was wir in Deutschland brauchen: Mut und Innovation. Seine bisherige Geschichte ist aber leider ebenso beispielhaft: Es braucht mehr politische Verlässlichkeit und weniger Bürokratie!“, so Traub abschließend.

Branche muss weiterhin warten

Der „Fahrermangel“ war auch im Verkehrsausschuss der IHK Nordschwarzwald Thema Nummer 1 (siehe Bericht in dieser Magazinausgabe). Und dabei ging es auch um die Digitalisierung der Pflichtfortbildung. Aus politischen Kreisen hört man, dass es nunmehr einen entsprechenden Referentenentwurf der Bundesministerien zur Änderung der Berufskraftfahrerqualifikationsverordnung gäbe, der alsbald an die Länder zur Abstimmung gehen solle (Stand: 30.05.2023). Man wird sehen, wie lange die Branche noch warten muss. „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“, zitieren die drei Gründer ein chinesisches Sprichwort. „Trotz aller Mauern, die uns momentan im Weg stehen, sind wir bereit, unsere Windmühlen zu bauen und die Veränderung zu begrüßen.“