Tattoo und Entgeltfortzahlungsgesetz

Vor zwanzig Jahren noch eher selten zu sehen, sind sie heute alltäglich: Tätowierungen. Gänzlich ungefährlich sind sie aber nicht – und führen manchmal auch vor das Arbeitsgericht. So hatte das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (LAG) über einen Fall zu entscheiden, in dem eine Pflegehilfskraft sich hatte tätowieren lassen. Einige Tage später entzündete sich die tätowierte Stelle. Die Arbeitnehmerin war deswegen einige Tage arbeitsunfähig erkrankt. Die Arbeitgeberin lehnte die Entgeltfortzahlung für diesen Zeitraum ab, die Arbeitnehmerin versuchte, die Entgeltfortzahlung einzuklagen. Sie scheiterte damit sowohl vor dem Arbeitsgericht wie vor dem Landesarbeitsgericht (Urteil vom 22.05.2025, AZ 5 Sa 284 a/24).
Hintergrund: § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) gewährt Arbeitnehmern einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen, wenn sie arbeitsunfähig erkrankt sind. Eine Entgeltfortzahlung erfolgt aber nicht, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet hat. Rechtlich gesehen gibt es verschiedene Arten des Verschuldens bzw. dessen, was man zu vertreten hat. Grundsätzlich haftet man gegenüber Dritten für Vorsatz und Fahrlässigkeit. In einigen Fällen ist die Haftung eingeschränkt, z.B. auf die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten. Im Fall des § 3 EFZG gilt die Arbeitsunfähigkeit als dann durch den Arbeitnehmer verschuldet, wenn ein besonders grobes Verschulden gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen vorliegt („Verschulden gegen sich selbst“).
Entscheidung des LAG: Das LAG hat entschieden, dass die Arbeitnehmerin die Arbeitsunfähigkeit - nach dem Verschuldensmaßstab des § 3 EFZG - verschuldet hat und die Arbeitgeberin daher nicht das Entgelt fortzahlen muss. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der in § 3 EFZG vorausgesetzte grobe Verstoß gegen das eigene Interesse vorläge. Dieser sei zu bejahen bei einem besonders leichtfertigen oder vorsätzlichen Handeln. Sinn des § 3 EFZG sei es, einerseits den Arbeitnehmer bei unverschuldeter Krankheit finanziell abzusichern, andererseits sollten auch die Risiken der Entgeltfortzahlung zwischen Arbeitgeber und Krankenkassen verteilt werden. Von diesem gesetzgeberischen Ziel ausgehend, sei das zu wahrende eigene Interesse des Arbeitnehmers in diesem Zusammenhang allein das, seine Gesundheit zu erhalten und Arbeitsunfähigkeiten zu vermeiden. Gegen dieses Interesse habe die Arbeitnehmerin verstoßen. Sie habe sich vorsätzlich tätowieren lassen und dabei mit bedingtem Vorsatz in Kauf genommen, dass es aufgrund der Tätowierungen zu Komplikationen komme. Mit deren Eintritt habe die Klägerin rechnen müssen. Das folge schon daraus, dass die Klägerin selbst vorgetragen habe, dass es bei Tätowierungen in bis zu 5% der Fälle zu Entzündungen der Haut komme. Damit handele es sich nicht mehr um eine vollkommen fernliegende Komplikation. Bei Medikamenten werde eine Nebenwirkung als häufig angegeben, wenn sie in mehr als 1% und weniger als 10% der Fälle auftrete. Schon aufgrund dieser Häufigkeit habe die Klägerin mit der eingetretenen Folge rechnen müssen. Außerdem habe die Klägerin als Pflegehilfskraft einen körperlich anstrengenden Beruf mit engem Patientenkontakt, was das Risiko noch erhöhe.
Schließlich gleicht das Gericht seine Wertung noch mit der des § 52 Abs. 2 SGB V ab. Dieser lege fest, dass gesetzliche Krankenkassen Versicherte im Fall einer Erkrankung in Folge einer nicht indizierten ästhetischen Operation, einer Tätowierung oder eines Piercings an den Kosten in angemessener Höhe beteiligen oder Krankengeld ganz oder teilweise für die Dauer der Erkrankung versagen können. Grund dafür sei, dass die Versichertengemeinschaft keine Risiken übernehmen solle, denen sich jemand aus freien Stücken ausgesetzt habe. Dem ließe sich die grundsätzliche Wertung entnehmen, dass die mit einer Tätowierung verbundenen Risiken demjenigen zugewiesen werden sollten, der sie veranlasst habe.
Die Revision gegen seine Entscheidung hatte das LAG nicht zugelassen, gegen diese Entscheidung ist Beschwerde eingelegt. Man darf also gespannt sein, wie das Verfahren weitergeht.