Bedeutung + Zukunft der Binnenschifffahrt im Ruhrgebiet
Deutschland ist eine der bedeutendsten Logistiknationen weltweit. Unsere leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist ein entscheidender Standortfaktor für Unternehmen und Industrie. In diesem Netzwerk nehmen die Wasserstraßen und Binnenhäfen eine besondere Stellung ein. Sie verbinden die bedeutenden Wirtschaftsregionen mit den großen Seehäfen, ermöglichen ressourcenschonende Transporte und entlasten Straßen sowie Schienenwege.
Mit einer Kanallänge von mehr als 400 Kilometern verfügt Nordrhein-Westfalen über ein weitverzweigtes Wasserstraßennetz. Gerade die Kanäle im Ruhrgebiet bieten hervorragende Voraussetzungen für den Transport von Gütern. In Zeiten maroder Brücken und latent überlasteter Straßen und Schienenwege stellen sie eine echte Alternative dar und können somit zum Wettbewerbsvorteil werden. Ebenso wichtig ist die nachhaltige Rolle der Binnenschifffahrt für Klimaschutz und klimaresiliente Mobilität im Ruhrgebiet. Der Gütertransport per Schiff verursacht pro Tonnenkilometer erheblich weniger CO₂-Emissionen als der Lkw. Ein modernes Binnenschiff kann – je nach Schiffstyp – bis zu rund 150 Lkw ersetzen und verursacht pro Tonnenkilometer rund zwei Drittel weniger Treibhausgase. Angesichts dieser Vorteile gilt die umweltfreundliche Binnenschifffahrt als unverzichtbar, um die ehrgeizigen Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erreichen.
Das westdeutsche Kanalnetz (WDKN) mit seinen Binnenhäfen stellt eine essenzielle Infrastruktur für die Industrie und den Warenumschlag dar. Doch trotz der enormen Kapazitäten und Potenziale bleibt die Entwicklung des Kanalnetzes seit langem weit hinter den Möglichkeiten zurück. Niedrige Wachstumsraten und infrastrukturelle Engpässe hemmen seit geraumer Zeit die Wettbewerbsfähigkeit der Binnenschifffahrt. Mit der engen Verflochtenheit von Rhein und Kanalnetz besitzt diese Region ein Alleinstellungsmerkmal, dass aber angesichts von Entwicklungshemmnissen weit hinter den Möglichkeiten zurückbleibt. Potenziale werden nicht genutzt.
Die Industrie- und Handelskammern des Ruhrgebiets haben sich deshalb dieser Thematik angenommen und gemeinsam mit dem renommierten Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (Fraunhofer IML) eine umfassende Analyse der Potenziale und Herausforderungen des Kanalnetzes durchgeführt. Die vorliegende Studie liefert fundierte Erkenntnisse darüber, wie eine leistungsfähige und zukunftssichere Wasserstraßeninfrastruktur gestaltet werden kann.
Im Licht der sicherheitspolitischen Veränderungen, die der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seit 2022 mit sich gebracht hat, wird deutlich, dass wir in eine neue geopolitische Lage eingetreten sind. Deutschland fungiert zunehmend als logistische Drehscheibe innerhalb Europas – nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die militärische Bündnisverteidigung. Dazu braucht es eine widerstands- und leistungsfähige und multimodal einsetzbare Infrastruktur – Straßen, Schienen, aber eben auch Wasserstraßen.
Die Ergebnisse dieser Studie richten sich an Politik, Verwaltung und Wirtschaft gleichermaßen. Es braucht entschlossene Investitionen, um die Wasserstraßen als wettbewerbsfähige, nachhaltige und resiliente Transportalternative zu positionieren. Ein „Weiter so“ können wir uns nicht leisten – nicht ökonomisch, nicht ökologisch und auch nicht militär- und sicherheitspolitisch.
Die Modernisierung des Kanalnetzes und die gezielte Förderung der Binnenschifffahrt sind daher kein Selbstzweck, sondern eine wirtschafts-, industrie- und sicherheitspolitische Notwendigkeit. Nur wenn die Infrastruktur zuverlässig funktioniert und mit den Anforderungen der Wirtschaft Schritt hält, kann sie ihre Rolle als Verkehrsträger im europäischen Logistiksystem erfüllen. Das betrifft nicht nur die Unternehmen der Region, sondern auch die politischen Entscheidungsträger, die jetzt die Weichen für die Zukunft stellen müssen.
Die Industrie- und Handelskammern des Ruhrgebiets werden den Dialog mit der Politik auf Landes- und Bundesebene daher weiter intensivieren, um für notwendige Investitionen und Maßnahmen zu werben. Die vorliegende Studie ist dabei ein wertvolles Instrument, um gemeinsam und faktenbasiert Lösungen zu erarbeiten und den Weg hin zu einer nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Wasserstraßeninfrastruktur zu ebnen.