Gesundheitswirtschaft

Der zweite Gesundheitsmarkt

Neben der wachsenden Nachfrage nach einer besseren und umfangreicheren medizinischen Versorgung im engeren Sinne wird sich ein großer Teil des künftigen Wachstums in dem sogenannten zweiten Gesundheitsmarkt abspielen. In üblicher Abgrenzung vom ersten Gesundheitsmarkt umfasst der zweite Gesundheitsmarkt alle Leistungen, die nicht über die Vollversicherung der gesetzlichen Krankenkassen und der privaten Krankenversicherungen – im Rahmen der gesetzlichen Versicherungspflicht – finanziert werden. Damit gehören einerseits private Zusatzversicherungen zum zweiten Gesundheitsmarkt. Diese Zusatzversicherungen werden nicht zuletzt deshalb künftig noch stärker an Gewicht gewinnen, da sie in Kombination mit Kapitaldeckung dazu beitragen können, dem demografischen Wandel zu begegnen. Andererseits sind sämtliche weiteren privat finanzierten Gesundheitsleistungen – ohne Abschluss einer Versicherung – hierunter zu fassen. Einbezogen werden dabei sowohl medizinische Leistungen im engeren Sinne als auch Angebote zur Erfüllung von Gesundheitsbedürfnissen, die über den engeren Kreis der Krankenversorgung hinausgehen (Fitness, Wellness und Wohlbefinden, Functional Food bis hin zu Kleidung).
Die Ausgabendimensionen in diesem gesamten zweiten Gesundheitsmarkt liegen im zweistelligen Milliardenbereich. Jüngste Berechnungen schätzen für 2005 Ausga-benvolumina für den zweiten Gesundheitsmarkt unter Einbezug des genannten erweiterten Begriffs der Gesundheitswirtschaft von fast 55 Mrd. Euro. Allein seit 2006 sind die privaten Gesundheitsausgaben um 6 % p. a. gewachsen.
Eine zunehmend ältere Bevölkerung wird verstärkt medizinische Leistungen nach-fragen. Damit verknüpft werden auch Präventionsmaßnahmen häufiger in Anspruch genommen. Ebenso wird die Nachfrage nach anderen ergänzenden Gesundheits(dienst)leistungen steigen. Auch in Verbindung mit dem medizinisch-technischen Fortschritt kommt es in vielen Bereichen des zweiten Gesundheitsmarktes – etwa im Bereich altersgerechtes Wohnen, in dem zunehmend technische Unterstützungsinstrumente zur Prävention eingeführt werden – zu Innovationen, die verstärkt nachgefragt werden. Hinzu kommt, dass in der Bevölkerung ein deutlicher Wertewandel hin zu den „weichen“ Lebensfaktoren zu beobachten ist. In Kombination mit einem generell höheren Gesundheitsbewusstsein und dem allgemeinen Trend zum gesunden Lebensstil, der in vielen Gesellschaftsschichten verbreitet ist, führt dies zu einer höheren Nachfrage sowohl von Leistungen des ersten als auch des zweiten Gesundheitsmarktes.
Aus der Sicht der Gesundheitswirtschaft ist es wichtig und sinnvoll, die Potenziale dieses Bereiches zu erschließen und die Verknüpfungen, die zwischen dem ersten und zweiten Gesundheitsmarkt bestehen, transparent zu machen, Hemmnisse für das Wachstum beider Märkte abzubauen und positive Synergien zwischen beiden Sektoren zu nutzen. Auch die Kommunikation der positiven Effekte einer solchen Entwicklung für die Gesamtgesellschaft ist von enormer Bedeutung. Denn der zweite Gesundheitsmarkt bietet auch aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive Chancen für alle Bürger, die es zu nutzen gilt. Die zunehmende Individualisierung der Lebensentwürfe und -formen verdeutlicht zudem, dass pauschal zugeschnittene Angebote und Standardformate der Gesundheitsversorgung immer weniger angemessen sind.
Der zweite Gesundheitsmarkt ist nicht als Markt für Besserverdienende zu verstehen. Vielmehr ist ein wachsender zweiter Gesundheitsmarkt für alle Beteiligten von Vorteil. Denn seitens der Bevölkerung gibt es eine (wachsende) Zahlungsbereitschaft für die Angebote, die einen Zugewinn an Gesundheit oder auch nur größere Zufriedenheit bieten. Natürlich muss die Abgrenzung zum ersten Gesundheitsmarkt transparent und nachvollziehbar sein und die Übergänge müssen so gestaltet sein, dass die größtmögliche Wahlfreiheit besteht. Dann bietet der zweite Gesundheitsmarkt eine Chance für alle Bürger, ergänzende Leistungen zukaufen zu können, die sie persönlich für sinnvoll und hilfreich erachten.