Besucheransturm auf Volksfeste

Pferde, Bratwurst, Schokolade

Pferde, Bratwurst, Schokolade, Jubel, Trubel, Menschenmassen. Überregional bedeutende Volksfeste sorgen in vielen Städten für riesigen Besucheransturm. Das spült bei den Beteiligten reichlich Geld in die Kassen. Auch die innerstädtischen Händler und andere Gewerbetreibende profitieren von solchen Ereignissen. Allerdings kommt es immer auf den Charakter der Veranstaltungen an, wer und in welcher Form. Im Bezirk der IHK Magdeburg gibt es dazu unterschiedliche Erfahrungen.
Zwei Begriffe gehören untrennbar zusammen. Wenn von Havelberg die Rede ist, denkt jeder auch an den Pferdemarkt und umgekehrt. Es gibt kein Volksfest im Norden Sachsen-Anhalts von solchen Ausmaßen und mit solch langer Tradition.
Seit 1750 nachweisbar werden hier einmal im Jahr mehr oder weniger edle Rösser gehandelt. Der Markt war im 18. Jahrhundert einer der größten Viehmärkte in der Region. Da der Pferdehandel zunehmend an besonderer Bedeutung gewann, bürgerte sich die heutige Bezeichnung ein. Noch immer besiegelt man auf Deutschlands größtem Pferdehandelsplatz per Handschlag das Geschäft. Rund 1.000 Tiere, neben Pferden auch Schafe, Ziegen, Esel, wechseln hier an jedem ersten Wochenende im September die Besitzer. Rund 200.000 Besucher strömen jedes Mal auf die Wiesen vor dem 7.000-Einwohner-Städtchen. Was aber weniger am doch eher speziellen Fachpublikum der Pferdehändler liegen dürfte als am großen Rummel, der rundherum veranstaltet wird.
Mehr als 100 Schaustellergeschäfte, zig Bier-, Brause-, Bratwurst- und andere Imbissbuden sowie ein riesiger Flohmarkt sorgen für eine einzigartige Atmosphäre. Zu DDR-Zeiten galt der Havelberger Pferdemarkt auch als größter Schwarzmarkt der Republik. Hier wurde alles gehandelt oder getauscht, was es im staatlichen Handel nicht oder nur unter dem Ladentisch zu haben gab. Heute verläuft alles selbstverständlich in geregelten marktwirtschaftlichen Bahnen.
»Viele Besucher nehmen unsere Stadt erst durch den Pferdemarkt wahr«, berichtet Bürgermeister Bernd Poloski. Hotels und Pensionen seien rund um das Marktwochenende brechend voll und seien langfristig Nutznießer der überregionalen Popularität. »Der Effekt lässt sich nicht in Zahlen fassen«, sagt das Stadtoberhaupt.
Aber eines sei klar: »Der Pferdemarkt ist ein entscheidender Werbeträger für Havelberg.« DEHOGA-Landesvorstandsmitglied Manfred Hippeli sieht das ebenso. Der Havelberger Gastronom profitiert von dem Trubel vor den Toren der Stadt. Bei ihm kehren »Fußlahme« und Ruhesuchende ein, um sich zu erholen und kulinarisch verwöhnen zu lassen.
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Was Touristiker, Hoteliers und Gastronomen freut, hat für andere Gewerbetreibende einen Wehrmutstropfen. »Wer auf dem Pferdemarkt war, geht nicht in die Stadt zum Einkaufen«, weiß Poloski. Das Angebot auf der Festwiese sei für Besucher und Einheimische so attraktiv, dass sie dort ihr Geld ausgeben. Bei den innerstädtischen Einzelhändlern herrsche in dieser Zeit daher eher Flaute in den Kassen. »Niemand kommt zum Pferdemarkt, um in der Stadt einen Fernseher zu kaufen«, bringt es der Bürgermeister auf den Punkt.
In den 1990er Jahren habe man versucht, sich mit Verkaufsveranstaltungen der städtischen Händler auf dem Markt, ein Stück vom enormen Umsatzkuchen abzuschneiden. Diese Gewerbeausstellungen hätten sich aber letztlich nicht etabliert. Obwohl Havelberg und Pferdemarkt untrennbar zusammengehören, wie die zwei Seiten einer Medaillen, bleiben beide doch jeweils ihre eigene Welt.
In Magdeburg sieht das schon räumlich etwas anders aus. Mit 150.000 bis 200.000 Besuchern lässt das Europafest, als größtes Bürgerfest Sachsen-Anhalts, besonders im Zentrum der Landeshauptstadt zu Pfingsten die Kassen kräftig klingeln. Die Veranstaltung ging aus dem Magdeburger Stadtfest hervor, das seit 1994 alljährlich gefeiert wurde. Mit dem neuen Namen ist auch ein anderer Anspruch verbunden. Schließlich bewirbt sich Magdeburg um den Titel »Kulturhauptstadt 2025«.
Um 100 bis 150 Prozent höhere Umsätze verzeichnen die innerstädtischen Gastronomiebetriebe in dieser Zeit, berichtet Arno Frommhagen, Inhaber des Cafés Flair und Sprecher der rund 220 Mitglieder zählenden Interessengemeinschaft Innenstadt. Auch die Einzelhändler profitieren an diesem Wochenende vom vier- bis achtfachen Besucherstrom. Die Gäste kommen aus der Stadt selbst, dem Umland und auch von weiter her. Das Europafest hat sich als überregional bekannte Marke fest etabliert.
Bei den Vorbereitungen und dem Marketing ziehen, laut Frommhagen, Magdeburgs kleine Cityhändler mit den »Großen« an einem Strang. Egal ob City Carré, Allee-Center oder Karstadt, alle rühren kräftig die Werbetrommel für das Event und beteiligen sich mit Aktionen. »Man wird auch immer ein paar Meckerer finden, die nur Lärm und Dreck sehen, aber nicht erkennen, dass auch sie etwas davon haben«, sagt der Gastronom. »Jeder freut sich über die Besucherfrequenz, aber niemand will die Bratwurstbude vor der Tür.«
Auf berechtigte Interessen müsse natürlich Rücksicht genommen werden. So werden etwa Bühnen und Buden so aufgebaut, dass sie die Geschäftseingänge nicht verstellen und dazwischen ungehindertes Flanieren möglich ist. »Mancher Festbesucher entdeckt dadurch das ein oder andere Geschäft neu«, so der IG-Sprecher. Wie im Straßenverkehr gilt also auch hier: Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme sind das oberste Gebot. Die Konsumlust hat ohnehin ihre Grenzen. Extra Sonntagsöffnungen gibt es aus diesem Anlass nicht.
Fünf Tage lang wird in Wernigerode das Schokoladenfestival »ChokolART« gefeiert. Dessen süßer Kern ist ein Schokomarkt in der historischen Altstadt. Zahlreiche Stände nationaler und internationaler Aussteller laden rund um das Rathaus mit verzaubernden Angeboten ein. Die Besucher können sich auch auf einen Schokoladenpfad durch die Innenstadt begeben. Dabei sind die Händler nicht nur mit im Boot. Das Festival ist gewissermaßen für sie gemacht und die örtliche Kaufmannsgilde Motor des Ganzen.
Mit 1,2 Millionen Übernachtungs- und 2,2 Millionen Tagesgästen ist die bunte Stadt am Harz als Ganzjahresziel bei den Touristen beliebt. Rund 160 Millionen Euro Umsatz spülen die Gäste in die Kassen der Händler, Hoteliers und Gastronomen, berichtet Roman Müller, stellvertretender Geschäftsführer der Wernigeröder Tourismus GmbH. Wenn es überhaupt eine Art Gästeflaute gibt, dann nach der Sommer- und vor Beginn der Wintersaison.
Als vor Jahren die Idee keimte, das Herbstgeschäft anzukurbeln, fand man mit dem ChokolArt-Festival in Tübingen eine Idee, die ideal ins Harzstädtchen passt. Mit dem Thema Baumkuchen, der traditionsreichen Schokoladenfabrik Wergona sowie dem Maschinenhersteller Chocotech, die zusammen rund 750 Beschäftigte haben, und der wunderbaren Altstadtkulisse schien das Festival für Wernigerode wie gemacht. Die Idee schlug ein wie eine Bombe. Und so wurde aus der als einmalig gedachten Veranstaltung eine Tradition, die das Vorbild als Deutschlands größtes Schokoladenfestival inzwischen überflügelte. Bis zu 130.000 Besucher strömen insgesamt an den fünf Festivaltagen in die Stadt.
Der Termin sei bewusst gewählt, sagt Müller. Einerseits passe das Thema Schokolade nicht in den heißen Sommer. Andererseits sei das Wochenende um den Reformationstag für die Händler besonders interessant. Am jeweiligen Sonntag laden die Innenstadtgeschäfte mit Sonderöffnungen ein. Für die Mitglieder der Kaufmannsgilde, in der 110 der rund 190 Innenstadthändler zusammengeschlossen sind, ist es selbstverständlich, beim »ChokolArt«- Festival mitzumachen.
»Jeder hat einen Gewinn davon«, sagt Ute Walther-Nachtmann, Mitarbeiterin des städtischen Wirtschaftsförderungsamtes und Vorstandsmitglied der Kaufmannsgilde. Das verlängerte Wochenende sei ideal, um gute Umsätze zu erzielen. Viele Händler lassen sich etwas einfallen, das zum Thema passt. Die Buchfiliale beispielsweise lockt schon im Schaufenster mit Literatur über Schokolade und Rezepten, Cafés und Konditoreien bieten Schokoladenspezialitäten an. Aber auch »Artfremde« sind dabei.
»Wir machen mit, weil wir zur Innenstadt gehören«, sagt Dietmar Hanisch, Inhaber der örtlichen Intersport-Filiale und ebenfalls in der Kaufmanngilde engagiert. Obwohl sein Geschäft eher in einer Randlage liegt, profitiert es von den vielen Gästen, die extra zum Festival die Stadt besuchen. »Die Leute sind entspannt, haben Zeit zum Bummeln«, berichtet Hanisch. Und so mancher decke sich dann mit Wintersachen ein oder finde schon ein passendes Weihnachtsgeschenk. Dabei kaufen bei ihm längst nicht nur Touristen. Viele Wernigeröder und Leute aus dem Umland nutzten den Anlass, um die Altstadt zu besuchen, berichtet Hanisch.
»Die gezielte Förderung der Innenstadt ist ein ganz wichtiges Anliegen des Festivals«, erklärt Ute Walther-Nachtmann. Dabei gehe es auch darum, den Einheimischen Wernigerode als attraktive Einkaufsstadt ans Herz zu legen, auch um der wachsenden Konkurrenz durch den Online-Handel zu begegnen. Erlebnisfaktor contra Bequemlichkeit. Für die Händler zahlten sich die Beteiligung am Festival und die Sonntagsöffnung in barer Münze aus. »Wenn es das Schokoladenfestival nicht gäbe, hätte sich die Kaufmannsgilde etwas anderes einfallen lassen«, sagt die Wirtschaftsförderin. Durch die hervorragende Zusammenarbeit mit der Tourismusgesellschaft bei der Vorbereitung, dem Marketing und der Durchführung habe sich dieses Event zu einem einzigartigen Erfolgsmodell entwickelt. »Eine gelungene Symbiose«, wie es Tourismusexperte Müller nennt.
Autor: Christian Wohlt aus "Der Markt in Mitteldeutschland", 12/2017