Flüchtlinge

Hilfe zur Selbsthilfe ist wichtig

Das landesweite Projekt „Integration durch Ausbildung – Perspektiven für Zugewanderte“ wird in der IHK Hochrhein-Bodensee von Hina Raza für den Bereich Konstanz und Sven Ness für die Region Schopfheim betreut. Sie haben vielfältige Aufgaben, denn auch die Biografien der Menschen, die ihre Unterstützung erhalten, sind unterschiedlich. In einer kleine Reihe stellen wir einige Erfolgsgeschichten vor. Sidar Ali hat eine von ihnen geschrieben. Sie ist seit diesem Sommer Prüfungskoordinatorin für kaufmännisch Berufe der IHK Hochrhein-Bodensee.
Wäre Sidar Ali nicht verliebt gewesen, hätte sie die ungewisse Reise von Syrien vielleicht nicht angetreten. Doch die heute 28-Jährige wollte mit ihrem Partner, mit dem sie seit der neunten Klasse verbunden war und den sie 2016 in Abwesenheit geheiratet hatte, zusammen sein. Er war bereits 2014 vor dem Bürgerkrieg geflohen und lebte in Konstanz. Seine Versuche, Sidar als Ehefrau nach Deutschland zu holen, blieben erfolglos. „Da habe ich mich für die illegale Einreise entschieden“, sagt Sidar Ali mit fester Stimme.
Zu Fuß über die letzte Grenze
Begleitet von ihrem Schwiegervater reist sie in den Irak. Dort schließt sie sich einer Familie an. Knapp drei Monate dauert die Reise mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln über die Türkei und Griechenland in die Schweiz. Nicht immer gelingt der Grenzübertritt. Mehrmals wird ihr die Einreise ins nächste Land verweigert. Zurückgeschickt wird sie allerdings auch nicht. In Zürich wird Sidar Ali dann von ihrem Mann und dessen Bruder abgeholt. Sie sehen sich zum ersten Mal nach drei Jahren wieder. Die Grenze bei Konstanz überquert das Ehepaar zu Fuß, um möglichen Kontrollen vorzubeugen.
Das erste halbe Jahr in Deutschland nutzen Sidar und ihr Mann dazu, alle Anträge und Formalitäten zu erledigen. Sie ist schließlich gekommen, um zu bleiben. Danach geht sie das Thema Sprache an: Sie nimmt Unterricht und legt die Sprachprüfungen B1 und B2 ab. Gleichzeitig arbeitet sie – wie ihr Ehemann – bei Kaufland. Sie wollen ihre Zukunft ohne staatliche Finanzierung meistern: Bei Kaufland trifft Sidar Ali auf Sebastian Holl, der ihr vom Kümmerer-Projekt berichtet und den Kontakt zur IHK herstellt. Es gibt einen ersten Termin – und viel zu tun.
Vom Praktikum zur Ausbildungsstelle
„Es ging um das richtige Formulieren von Bewerbungsschreiben, um die Anerkennung meiner schulischen Dokumente aus Syrien und um Kontakte in die Berufswelt“, umreißt Sidar Ali das Paket, das sie mit dem Vorgänger von Hina Raza, Jan Vollmer, damals schnürt. „Ich habe ihn auch gefragt, ob ich ein Praktikum in der IHK absolvieren darf. Ich wollte einen echten Einblick in die Berufswelt erhalten.“ Nach einem Monat als Praktikantin in der IHK steht für die junge Frau fest: Sie möchte hier eine Ausbildung beginnen, bewirbt sich und erhält die Zusage.
Drei Jahre später legt sie die Prüfung zur Kauffrau für Büromanagement ab. Sie wird direkt übernommen und schmiedet Pläne. Das nächstes Ziel: „Ich würde gern den Ausbilderschein machen, um diese Unterstützung, die ich erhalten habe, weiterzugeben.“ Zeitgleich mit dem Start ihrer Ausbildung hat Sidar Alis Mann ein Studium in Konstanz begonnen. Sie wollen sich eine gemeinsame Zukunft mit vielen Perspektiven aufbauen. „Das war in Syrien nicht möglich.“