Recht

Scheinselbstständigkeit und rentenversicherungspflichtige Selbstständige

Die gesetzlichen Regelungen über die „Scheinselbstständigkeit“ und die Rentenversicherungspflicht bestimmter Selbstständiger haben unter anderem zum Ziel, nur zum Schein als Selbstständige tätige Beschäftigte für die Sozialversicherung besser zu erfassen und bestimmte Selbstständige als Pflichtversicherte in die Rentenversicherung aufzunehmen.
Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen der soziale Schutz der Betroffenen dauerhaft sichergestellt und die Finanzgrundlagen der Sozialversicherung gesichert werden.

Erfassung „scheinselbstständiger“ Arbeitnehmer

Als „scheinselbstständig“ gelten solche Beschäftigten, die zwar den Status als „selbständig“ (freiwillig auf Wunsch ihres „Auftraggebers“ oder aus Unkenntnis) beanspruchen, deren Tätigkeit in Wirklichkeit aber der eines abhängig Beschäftigten entspricht.
Bei der Beurteilung des Status wird auf die Gesamtsituation im Einzelfall abgestellt. Erkennbares unternehmerisches Handeln und die freie Entscheidung des Unternehmers stehen dabei bei der selbstständigen Tätigkeit im Vordergrund. Als deutliche Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung werden eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers angesehen.
Für die rechtliche Einordnung ist die tatsächliche Durchführung ausschlaggebend.

Feststellung des Erwerbsstatus

Um das Risiko einer Fehleinschätzung auszuschließen, können die Beteiligten einen Antrag bei der Deutsche Rentenversicherung Bund stellen, damit der Status verbindlich festgestellt wird:
Clearingstelle der
Deutsche Rentenversicherung Bund10704 Berlin
Service-Telefon: 0800/1000 480 00
Antragsvordrucke und Infomaterial
Dabei wird nicht geprüft, ob es sich um eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit handelt. Vielmehr wird der Erwerbsstatus verbindlich festgestellt. Es obliegt dann dem Arbeitgeber bzw. der Arbeitgeberin zu ermitteln, ob auf Grund des festgestellten Erwerbsstatus eine mögliche Versicherungspflicht besteht.
Der Antrag kann auch schon vor Aufnahme der neuen Tätigkeit gestellt werden. Hierfür müssen der Deutschen Rentenversicherung die vertragliche Vereinbarung sowie die beabsichtigten Umstände der Vertragsdurchführung mitgeteilt werden. Zu beachten ist hierbei, dass gegenüber der Deutschen Rentenversicherung eine Mitteilungspflicht besteht, sofern sich innerhalb eines Monats nach der Aufnahme der Tätigkeit wesentliche Umstände für die Vertragsdurchführung ändern. Die Prognoseentscheidung kann dann durch die Deutsche Rentenversicherung aufgehoben werden.
Geändert sind zudem die Möglichkeit von Gruppenfeststellungsverfahren sowie die Feststellung des Erwerbsstatus im Dreiecksverhältnis.
Bei dem Gruppenfeststellungsverfahren entfällt die Notwendigkeit bei mehreren Auftragsverhältnissen auf Grund einheitlicher Vereinbarungen einzelne Anfrageverfahren durchzuführen. Bei dem Gruppenfeststellungsverfahren handelt es sich allerdings nur um eine gutachterliche Äußerung. Dies bedeutet, dass weder die Deutsche Rentenversicherung noch Andere an das Ergebnis gebunden sind. Innerhalb eines Dreiecksverhältnisses erfolgt eine umfassende Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses inklusive der Feststellung zu wem das Beschäftigungsverhältnis besteht.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund entscheidet über den Erwerbsstatus aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles. Widerspruch und Klage haben aufschiebende Wirkung. Innerhalb des Widerspruches gibt es nun mehr auch die Möglichkeit einer mündlichen Anhörung, sofern der Widerspruch bereits begründet ist.
Wird der Antrag auf Feststellung des Erwerbsstatus innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt und stellt die Deutsche Rentenversicherung Bund eine Beschäftigung fest, gilt der Tag der Bekanntgabe der Entscheidung als Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis, wenn der Beschäftigte zustimmt und er für den Zeitraum zwischen Aufnahme der Beschäftigung und der Entscheidung eine Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge vorgenommen hat, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung entspricht. Die Deutsche Rentenversicherung Bund stellt den Zeitpunkt fest, der als Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis gilt.

Konsequenzen der „Scheinselbstständigkeit“

a) Sozialversicherungsrechtliche Folgen

Wird in einem weiteren Verfahren auch sozialversicherungsrechtlich der Beschäftigtenstatus festgestellt, hat der bisherige Auftraggeber als Arbeitgeber die üblichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die gesetzlichen Krankenkassen abzuführen und die Beschäftigten dort als solche anzumelden. Die Kranken- und Pflegeversicherungspflicht richtet sich nach der jeweiligen Versicherungssituation (unter anderem Höhe des Einkommens, aktuelle Beitragsbemessungsgrenze).
Zu beachten ist, dass der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin unter Umständen die Sozialversicherungsbeiträge für die letzten vier Jahre nachzahlen muss, er im Regelfall von den Beschäftigten aber nur drei Monate lang einen Teil des Gehaltes einbehalten darf. Abweichende Regressregelungen zwischen den Parteien sind unwirksam!

b) Arbeitsrechtliche Folgen

Wird ein Beschäftigtenstatus festgestellt, so kann der „Scheinselbstständige“ seine Rechte wie Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch, Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall geltend machen.

c) Steuerrechtliche Folgen

Die Veränderung der Verhältnisse kann auch steuerrechtliche Konsequenzen haben. Beide Seiten haben dann die neue Situation gegebenenfalls steuerrechtlich nachzuvollziehen und haften für die Nachzahlungen gesamtschuldnerisch, sie können also beide zur Zahlung der Außenstände in voller Höhe aufgefordert werden.
Da dies Einzelfallbetrachtungen sind, empfiehlt es sich, einen Steuerberater oder eine Steuerberaterin hinzuzuziehen und sich mit dem zuständigen Finanzamt abzustimmen. Finanzämter können eine eigene Prüfung vornehmen und sind nicht an die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung gebunden. Demnach besteht die Gefahr, dass die Finanzämter im Rahmen der Einzelfallbetrachtung zu einem anderen Ergebnis kommen. Es besteht jedoch nach § 42 e EStG die Möglichkeit ein Anrufungsauskunftsverfahren durchzuführen. Danach hat das Finanzamt auf Anfrage Auskunft über die steuerrechtliche Bewertung zu erteilen.
„Scheinselbstständige“ müssen beachten, dass sie als Arbeitnehmer den lohn-/einkommensteuerrechtlichen Regelungen unterliegen und durch diese Tätigkeit fortan keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb mehr erzielen. Kommt es zu einer rückwirkenden Einstufung als Beschäftigte, ist eine entsprechende Änderung der Gewerbesteuerbescheide erforderlich. Eine Aufhebung der Gewerbesteuerbescheide ist aber nur möglich, wenn den Steuerpflichtigen oder die Steuerpflichtige kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Tatsache trifft. Es kommt also im Einzelfall darauf an, ob der oder die Scheinselbständige erkennen konnte und musste, dass er oder sie „nur auf dem Papier“ als Unternehmer tätig wird, tatsächlich aber in einem Arbeitsverhältnis steht.
Darüber hinaus schuldet der vermeintliche Auftragnehmer oder die Auftragnehmerin gegebenenfalls die auf seinen oder ihren bisherigen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 UStG, während ein Vorsteuerabzug für den Auftraggeber oder die Auftraggeberin (in diesem Fall wie Arbeitgebende zu behandeln) nicht in Betracht kommen würde.
Die Berichtigung der Rechnung ist möglich, soweit der Ausstellende der Rechnung den unberechtigten Steuerausweis gegenüber dem Empfangenden für ungültig erklärt und die Gefährdung beseitigt wurde. Eine derartige Beseitigung liegt vor, wenn der Vorsteuerabzug nicht durchgeführt wurde oder die geltend gemachte Vorsteuer an das Finanzamt zurückgezahlt wurde.

d) Gewerberechtliche Folgen

Spätestens mit Feststellung des Beschäftigtenstatus endet auch die unternehmerische Tätigkeit für das betriebene Gewerbe. Dies heißt, das Gewerbe muss abgemeldet werden. Auch die gesetzliche Mitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer und die gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der Berufsgenossenschaft enden zu diesem Zeitpunkt.

Rentenversicherungspflichtige Selbstständige

Grundsätzlich sind „echte“ Selbstständige nicht rentenversicherungspflichtig. Ausnahmen gibt es in bestimmten Branchen (zum Beispiel als selbständige Lehrkraft, Auflistung in § 2 Abs. 1 SGB VI) sowie bei Selbstständigen, die regelmäßig keine versicherungspflichtigen Beschäftigten und „im Wesentlichen nur einen Auftraggeber“ haben. Dann muss eine sofortige Anmeldung beim zuständigen Rentenversicherungsträger sowie eine eigene Beitragszahlung in vollem Umfang erfolgen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts reicht es auch aus, wenn mehrere geringfügig Beschäftigte angestellt sind, wenn die Arbeitsentgelte zusammengerechnet die Geringfügigkeitsgrenze für Minijobs überschreiten.
„Im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber“ ist nach der Faustregel gegeben, wenn hierdurch 5/6 der Betriebseinnahmen erzielt werden.

Es gibt nur wenige Möglichkeiten, sich von der Rentenversicherungspflicht befreien zu lassen:

  • Existenzgründende können auf Antrag für die Dauer von drei Jahren nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit von der Rentenversicherungspflicht befreit werden. Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an.
  • Nach Vollendung des 58. Lebensjahres, wenn die Person nach einer zuvor ausgeübten selbständigen Tätigkeit erstmals nach § 2 Satz 1 Nr. 9 versicherungspflichtig wird Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an.
Hinweis
Die Abgrenzung zwischen Selbstständigen, rentenversicherungspflichtigen Selbstständigen und „Scheinselbstständigen“ bleibt schwierig. Viele Einzelfälle und strittige Punkte werden weiterhin von der Rechtsprechung anhand der bisherigen Kriterien zu klären sein. Dabei kann das Ergebnis der arbeitsrechtlichen Prüfung die Selbstständigkeit sein, während die sozialversicherungsrechtliche Prüfung derselben Person den Beschäftigtenstatus zuspricht, verbunden mit der entsprechenden Sozialversicherungspflicht.
Insbesondere Existenzgründende sollten sich innerhalb von drei Monaten nach der Aufnahme der Geschäftstätigkeit an die Deutsche Rentenversicherung Bund wenden und schriftlich einen Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht stellen, wenn dies gewünscht ist.
Ist eine verbindliche Klärung bezüglich des Erwerbsstatus gewollt, sollte bei der Deutsche Rentenversicherung Bund innerhalb von einem Monat nach Aufnahme der Beschäftigung ein Antrag auf Feststellung gestellt werden.
Dieser Artikel soll Ihnen erste Hinweise geben und erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Stand: Januar 2025
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