Entschädigungsansprüche bei Straßenbaumaßnahmen

Größere Bauprojekte wie die Sanierung von Fahrbahnbelägen oder ein U-Bahn-Bau führen fast immer zu Belastungen für anliegende Unternehmen. Gewerbetreibende haben durch Baumaßnahmen in der Nähe ihrer Geschäfte oft einen Rückgang der Kundschaft und damit verbundene Umsatzrückgänge zu beklagen. Damit stellt sich die Frage nach Entschädigungsansprüchen für gewerbliche Anlieger.
Im Folgenden wird ein Überblick über mögliche Ansatzpunkte für Entschädigungsansprüche gegeben.
Achtung: Entschädigungen wegen Baustellen sind die Ausnahme! Es kommt immer auf die Bewertung des konkreten Einzelfalls an!
Da die Beurteilung in allen Aspekten vom jeweiligen Einzelfall abhängt, kann dieser Artikel nur einen ersten Überblick über die wichtigsten rechtlichen Fragen bieten.

1. Welche Rechte werden geschützt?

Eigentumsverletzungen

Kommt es durch die Bauarbeiten zu Schäden an Gebäuden (z.B. Mauerrisse) oder am Grundstück (Erdrutsche, Überschwemmungen etc.), können Schadensersatzansprüche wegen Eigentumsverletzung gegen den Verursacher bestehen (§ 823 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). Im Falle von Pflichtverletzungen durch Amtsträger besteht ggf. auch ein Anspruch aus § 839 Absatz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Grundgesetz (GG).

Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbetriebs

Von der Rechtsprechung wurde die Figur des „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs“ als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Absatz 1 BGB entwickelt. Geschützt ist alles, was in seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert des Betriebes ausmacht: Betriebsräume und -grundstücke, Maschinen und Gerätschaften, Einrichtungsgegenstände und Warenvorräte, aber auch Geschäftsverbindungen, Kundenkreis und Außenstände (BGH, Urteil vom 9.12.1958, VI ZR 199/57).
Der Schutz gilt allerdings nur gegen unmittelbare und betriebsbezogene Eingriffe. Ein solcher liegt nicht vor, wenn bei Bauarbeiten auf einem anderen Grundstück zufällig das zu einem Unternehmen hinführende Stromkabel beschädigt wird und es dadurch zu einem Stromausfall kommt (BGH, Urteil vom 09.12.1958, VI ZR 199/57).
Bloße Gewinn- oder Umsatzchancen wie auch der Lagevorteil eines Betriebs (beispielsweise die verkehrsgünstige Lage an einer belebten Straße oder Fußgängerzone) werden nicht geschützt. Es gibt weder eine Bestandsgarantie hinsichtlich der Ausgestaltung und des Umfangs der Grundstücksverbindung mit der Straße, noch eine Gewährleistung von Bequemlichkeit oder Leichtigkeit des Zu- und Abgangs.

2. Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb: Wann ist eine Entschädigung möglich?

Der BGH hat dazu folgende Grundsätze aufgestellt (Urteil vom 20.12.1971, III ZR 79/69):
„Der Anlieger muss den Gemeingebrauch anderer sowie die Behinderungen durch Ausbesserungs- und Verbesserungsarbeiten an der Straße entschädigungslos dulden. […] Mit solchen Beeinträchtigungen, die das Zusammenleben der Menschen mit sich bringt, muss der Anlieger von vornherein rechnen, er muss sie entschädigungslos in Kauf nehmen; […]. Die Behörde muss jedoch bei solchen Arbeiten den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten und jede überflüssige Verzögerung vermeiden. Die Verkehrsbehinderungen durch derartige Straßenarbeiten bleiben nur dann in den entschädigungslos hinzunehmenden Grenzen, wenn sie nach Art und Dauer nicht über das hinausgehen, was bei ordnungsmäßiger Planung und Durchführung der Arbeiten mit möglichen und zumutbaren Mitteln sächlicher und persönlicher Art notwendig ist. Bei einer nicht unerheblichen Überschreitung dieser Grenze besteht ein Anspruch auf Entschädigung wegen rechtswidrigen, enteignungsgleichen Eingriffs. […]
Entschädigungsansprüche sind daher in folgenden Fällen denkbar (je nach Einzelfall):
  • Über lange Zeit praktisch abgeschnittene Zufahrt ohne wirksame Behelfswege
    (BGH, Urteil vom 20.12.1971, III ZR 79/69: Frankfurter U-Bahn-Bau, Entschädigung für 2,5-jährige Straßensperrung/Baugrube vor Drogerie)
  • Erhebliche, organisatorisch vermeidbare Bauzeitverlängerung
Typischerweise entschädigungslos hinzunehmen (Einzelfall vorbehalten):
  • Vorübergehende Verkehrsbeschränkungen für einige Wochen oder Monate – ein gesunder Betrieb muss solche Beeinträchtigungen vorher einkalkulieren (BGH, Urteil vom 20.12.1971, III ZR 79/69)
  • Umleitungen, Einbahnregelungen, Halteverbote, vorübergehend nur fußläufige Erreichbarkeit
  • Sichtbehinderungen durch Bauzäune, Engstellen, erschwerte LKW-Anfahrt
  • Zeitlich/organisatorisch notwendige, ordnungsgemäß geplante Bauphasen
Die sogenannte Opfergrenze kann überschritten sein, wenn die Ertragsrückgänge außergewöhnlich stark sind. Maßstab ist ein wirtschaftlich gesunder Betrieb, der Baumaßnahmen einkalkuliert hat (BGH, Urteil vom 20. 12. 1971, III ZR 79/69). Treten bereits kurz nach Beginn der Arbeiten erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten auf, deutet dies laut Rechtsprechung darauf hin, dass der Betrieb schon zuvor nicht gesund war.
Bei ein- und derselben Baumaßnahme kann es vorkommen, dass nicht alle Anlieger gleichermaßen Ansprüche auf Entschädigung haben. Kleinere Betriebe sind eher ungewöhnlich schwer betroffen oder in ihrer Existenz gefährdet als größere Betriebe. Die Sperrung einer Fahrbahn kann eine Tankstelle stärker treffen als ein Einzelhandelsgeschäft. Die Sperrung des Gehwegs kann Ladengeschäfte stärker beeinträchtigen als Bürobetriebe (vgl. BGH, Urteil vom 20.12.1971, III ZR 79/69).

Sonderfall: Verringerte Opfergrenzen:

Bei Bauvorhaben wie einem U-Bahn-Bau, die nach ihrem Zweck und Umfang nicht mit üblichen Modernisierungsarbeiten im Straßenbau verglichen werden können, gelten geringere Opfergrenzen. Die Folgen einer solchen Baumaßnahme können für die Anlieger nach Dauer, Intensität und Auswirkung so erheblich sein, dass die Maßnahme ohne Entschädigung unzumutbar wäre. Eine Entschädigung kann dann auch ohne Existenzgefährdung zu gewähren sein (BGH Urteil vom 07.07.1980, III ZR 32/79). Auch hier kommt es auf den Einzelfall an.

3. Besonderheiten in NRW und in Köln

Mit § 20 Absatz 6 des nordrhein-westfälischen Straßen- und Wege-Gesetzes (StrWG NW) besteht eine weitere Möglichkeit, Entschädigung zu erlangen. Dort heißt es:
„Werden durch Straßenarbeiten Zufahrten oder Zugänge für längere Zeit unterbrochen oder wird ihre Benutzung erheblich erschwert, ohne dass von Behelfsmaßnahmen eine wesentliche Entlastung ausgeht, und wird dadurch die wirtschaftliche Existenz eines anliegenden Betriebes gefährdet, so kann dessen Inhaber eine Entschädigung in Höhe des Betrages beanspruchen, der erforderlich ist, um das Fortbestehen des Betriebes bei Anspannung der eigenen Kräfte und unter Berücksichtigung der gegebenen Anpassungsmöglichkeiten zu sichern. [...]“
Wann diese Kriterien erfüllt sind, ist wiederum Frage des Einzelfalls.
In Köln gibt es die „Richtlinie der Stadt Köln über die Durchführung von Hilfsmaßnahmen bei Beeinträchtigung durch Tiefbaumaßnahmen der Stadt Köln“ (Amtsblatt der Stadt Köln, 26.03.1984, Nr. 14, G 2663 B, S. 101 ff.). Sie sieht vor, dass betroffene Anlieger Darlehen erhalten können, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen.
In Ziffer 3 der Richtlinie heißt es jedoch:
„Das Darlehen soll nur gewährt werden, wenn der Betriebsinhaber auf die Geltendmachung von Entschädigungs- und Schadensersatzansprüchen wegen der durch die Tiefbaumaßnahmen hervorgerufenen Beeinträchtigungen verzichtet.“

4. Bundesautobahnen und Bundesstraßen

Anliegern von Bundesautobahnen und Bundesstraßen kann nach § 8a Abs. 5 Fernstraßengesetz (FStrG) ein Entschädigungsanspruch zustehen: Voraussetzung ist, dass Zufahrten oder Zugänge für längere Zeit durch Straßenarbeiten unterbrochen werden oder ihre Benutzung erheblich erschwert wird, ohne dass von Behelfsmaßnahmen eine wesentliche Entlastung ausgeht. Dadurch muss die wirtschaftliche Existenz eines anliegenden Betriebs gefährdet werden.
Die Höhe der Entschädigung ist der Betrag, der erforderlich ist, um das Fortbestehen des Betriebs bei Anspannung der eigenen Kräfte und unter Berücksichtigung der gegebenen Anpassungsmöglichkeiten zu sichern.
§ 8a Abs. 7 FStrG regelt zusätzlich, dass der Träger der Straßenbaulast eine angemessene Entschädigung zu leisten hat, wenn „der Zutritt von Licht oder Luft zu einem Grundstück auf Dauer entzogen oder erheblich beeinträchtigt wird“ und dadurch Vermögensnachteile entstehen.

5. Pflichten der Behörden bei Planung und Durchführung der Arbeiten

Bei Baumaßnahmen müssen die Behörden den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten: Das Vorgehen muss geeignet, erforderlich und angemessen sein, um das Ziel zu erreichen.
Daher sind die Behörden unter anderem verpflichtet, die Baumaßnahmen so zu planen und zu gestalten, dass sie die Anlieger nicht unnötig beeinträchtigen.
Überflüssige Verzögerungen sind durch sorgfältige Planung und Durchführung zu vermeiden. Unter diesem Gesichtspunkt kann es auch geboten sein, mehrere Straßenbaumaßnahmen nicht gleichzeitig, sondern zeitlich versetzt durchzuführen, wenn ansonsten ein Fernbleiben der Kundschaft in großem Ausmaß zu erwarten wäre. Sofern die Behörden etwa mit nur geringen zusätzlichen öffentlichen Mitteln die Gefahr der Existenzbedrohung abwenden können, müssen sie dies tun.
Problematisch ist dabei, dass Außenstehende die Notwendigkeit und die Planung einer Baumaßnahme nur schwer nachprüfen können. Die Darlegungs- und Beweislast liegt zudem grundsätzlich bei demjenigen, der Entschädigungsansprüche geltend macht. Hat die Behörde jedoch ursprünglich eine deutlich kürzere Bauzeit veranschlagt, kann eine erhebliche Überschreitung ein Indiz dafür sein, dass die Arbeiten im rechtlichen Sinn „unverhältnismäßig lang“ gedauert haben.

6. Folgen für Miet- und Pachtverhältnisse

Je nach den Umständen des Einzelfalls können (auch) Ansprüche gegen den Vermieter oder Verpächter, zum Beispiel auf Minderung, bestehen. Weitere Informationen finden Sie in unserem Artikel Störungen im Mietverhältnis.

7. Hinweise zur Vorgehensweise

  • Falls Sie von einer Baustelle betroffen sein werden oder es bereits sind und eventuell einen Entschädigungsanspruch gelten machen wollen, lassen Sie sich frühzeitig anwaltlich beraten. Die Rechtslage ist komplex und einzelfallabhängig. Klären Sie, gegen wen sich mögliche Entschädigungsansprüche richten könnten: Wer ist Träger der Baumaßnahme?
  • Bereits bei der Planung der Bauarbeiten sollten, wenn möglich, Rechtsmittel eingelegt werden. Geschieht dies nicht, kann später unter Umständen nicht mehr geltend gemacht werden, dass die Maßnahme rechtswidrig sei.
  • Wichtig ist in jedem Fall, dass Sie ausreichend Beweise haben:
    Sorgen Sie von Anfang an für eine gute Dokumentation – zum Beispiel Fotos/Videos der Erreichbarkeit Ihres Unternehmens, Beschilderung, Lieferwege, Plan/IstBauzeiten, Schriftwechsel usw. Umsatzeinbußen und sonstige Zahlen müssen ebenfalls nachweisbar sein. Ziehen Sie dafür ggf. Ihren Steuerberater zu Rate.
Mitgliedsunternehmen der IHK Köln und Personen, die in der Region Köln die Gründung eines Unternehmens planen, erhalten gerne weitere Informationen.