Recht

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) setzt vier EU-Richtlinien in deutsches Recht um. Ziel des Gesetzes ist die Verhinderung oder Beseitigung bestimmter Benachteiligungen.
Für die Praxis – gerade im Arbeitsrecht – stellt das AGG eine erhebliche Herausforderung dar. Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass ihre betrieblichen Abläufe und Strukturen und alle arbeitsrechtlichen Verträge und Maßnahmen mit dem AGG vereinbar sind.

Ziel und Schutzbereich des AGG

Benachteiligungen von Beschäftigten aus Gründen
  • der Rasse
  • der ethnischen Herkunft
  • des Geschlechts
  • der Religion oder Weltanschauung
  • der Behinderung
  • des Alters
  • der sexuellen Identität
sollen durch das AGG verhindert oder beseitigt werden.
Diese Benachteiligungsmerkmale sind im Gesetz selbst nicht definiert – nach der Gesetzesbegründung sind die Kriterien weit zu verstehen.
Das AGG fasst den Kreis der Beschäftigten ebenfalls weit. Dazu zählen nicht nur die „klassischen" Arbeitnehmer, sondern auch
  • Bewerber
  • Leiharbeitnehmer
  • Auszubildende
  • ehemalige Beschäftigte
  • Geschäftsführer und Vorstände (zum Teil)
  • Heimarbeiter
Eine Benachteiligung kann unmittelbar und mittelbar erfolgen.
Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines der o.g. Benachteiligungsmerkmale eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.
Von einer mittelbaren Benachteiligung spricht man, wenn eine Maßnahme/Vorschrift dem Anschein nach neutral ist, also keine der oben genannten Diskriminierungsgründe betrifft aber dennoch geeignet ist, mittelbar eine Benachteiligung hervorrufen. Beispiel: Jubiläumszuwendung
Alle Beschäftigten erhalten nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit eine Prämie in Höhe von 500 €, Teilzeitbeschäftigte erhalten die Hälfte. Wenn im Betrieb in der Regel Frauen in Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen anzutreffen sind und grundsätzlich eher Männer als Frauen eine langjährige Betriebszugehörigkeit haben, stellt sich die neutrale Vorschrift „Jubiläumszuwendung" als mittelbare Benachteiligung von Frauen dar.
Als Benachteiligung gelten auch Belästigungen einschließlich sexueller Belästigungen.

Adressat und Reichweite des Benachteiligungsverbotes

Das Verbot der Benachteiligung gilt für alle öffentlich-rechtlichen und privaten Arbeitgeber. Als Arbeitgeber i.S. des Gesetzes gilt bei der Arbeitnehmerüberlassung auch der Entleiher.
Ebenfalls die Benachteiligung eines Mitarbeiters durch Kollegen (also nicht durch einen weisungsbefugten Vorgesetzten) oder sogar durch betriebsfremde Dritte kann für den Arbeitgeber Konsequenzen haben, da er zum Schutz der Beschäftigten verpflichtet ist.
Das Benachteiligungsverbot umfasst grundsätzlich den gesamten Bereich des Arbeitsrechts. Dazu gehören u.a.
  • Bewerbungsverfahren und Einstellung
  • beruflicher Aufstieg (Beförderung)
  • Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere auch in kollektivrechtlichen Vereinbarungen (Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen) und Beendigung des Arbeitsverhältnisses
  • Berufsbildung (Aus- und Weiterbildung)

Zulässigkeit von Ungleichbehandlungen

Nicht alle Benachteiligungen sind unzulässig. Unter bestimmten Voraussetzungen können Ungleichbehandlungen gerechtfertigt sein.

a) wegen beruflicher Anforderungen

Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines der oben genannten 7 Benachteiligungsmerkmale kann zulässig sein, wenn dieses Merkmal wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Im Zweifelsfall ist der Arbeitgeber hier in der Beweispflicht. Umstritten ist, inwieweit Kundenerwartungen berücksichtigungsfähig sind.

Beispiele:

Fließende Deutschkenntnisse dürften eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für einen Radiosprecher sein, nicht aber für die Stelle eines Bauhelfers. Dass ein Pilot körperlich fit sein und uneingeschränkte Sehfähigkeit haben muss, dürfte unbestritten sein, weshalb hier eine Benachteiligung wegen einer Behinderung zulässig sein dürfte.

b) wegen Religion oder Weltanschauung

Ist der Arbeitgeber eine kirchliche (religiöse) Einrichtung, kann er bei der Einstellung hinsichtlich der Religion oder Weltanschauung differenzieren, wenn diese nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.

Beispiel:

In einem katholischen Kindergarten wird man wohl entsprechende Anforderungen an Erzieher/innen stellen dürfen. Bei einer Reinigungskraft wäre eine Differenzierung nach der Religion dagegen wahrscheinlich nicht gerechtfertigt.

c) wegen Alters

Zulässig sind auch unterschiedliche Behandlungen wegen des Alters, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sind. Die Vorschrift des § 10 AGG enthält einen ausführlichen Beispielskatalog, der aber nicht abschließend ist.

Beispielsfälle des § 10 AGG:

  • Mindestalter/Berufserfahrung für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte Vorteile, insbesondere für Entgeltregelungen
  • Höchstalter für Einstellung auf Grund spezifischer Ausbildungsanforderungen oder der Notwendigkeit einer bestimmten Beschäftigungszeit vor dem Ruhestand
  • Festsetzung von Altersgrenzen bei betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit
  • Vereinbarungen, die die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung ab Erreichen des Rentenalters vorsehen
Selbst bei Vorliegen der Beispielsfälle ist immer zu prüfen, ob die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sind und ob das Ziel objektiv und angemessen ist.

d) wegen Ausgleichs bestehender Nachteile

Das Gesetz erlaubt eine sogenannte "positive Diskriminierung", d.h. eine Benachteiligung kann gerechtfertigt sein, wenn dadurch bestehende Nachteile wegen eines Benachteiligungsmerkmals verhindert oder ausgeglichen werden sollen. Dieser Rechtfertigungsgrund kommt vor allem bei Regelungen in Betracht, die die Einstellung von Frauen oder von Behinderten fördern sollen.

Rechtsfolgen einer unzulässigen Benachteiligung

a) Beweislast

Abweichend von den allgemeinen Beweislastregeln muss der Beschäftigte oder die Beschäftigte lediglich Indizien darlegen, die eine Benachteiligung wegen eines der o.g. Benachteiligungsmerkmale vermuten lassen (z.B. eine diskriminierende Stellenausschreibung, entsprechende Bemerkungen im Vorstellungsgespräch). Der Arbeitgeber trägt sodann die volle Beweislast dafür, dass entweder keine Benachteiligung nach dem AGG vorliegt oder diese wegen eines der unter Punkt 3. genannten Gründe gerechtfertigt gewesen ist.

b) Beschwerderecht

Benachteiligte können sich bei der zuständigen Stelle des Betriebes schriftlich beschweren. Welche Stelle im Betrieb zuständig ist, kann der Arbeitgeber festlegen. Er muss die Beschäftigten davon in Kenntnis setzten. Der Arbeitgeber darf Beschäftigte nicht wegen der Inanspruchnahme ihres Beschwerderechts benachteiligen.

c) Leistungsverweigerungsrecht

Im Falle einer Belästigung oder sexuellen Belästigung hat der oder die Beschäftigte das Recht zur Arbeitsverweigerung unter Entgeltfortzahlung, sofern der Arbeitgeber keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung der Belästigung ergriffen hat.

d) Schadensersatz und Entschädigung

Es besteht Anspruch auf Ersatz des entstandenen Schadens, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Vertretenmüssen ist gegeben bei:
  • eigenem Verschulden, d.h. bei Vorsatz und Fahrlässigkeit (§ 276 BGB);
  • Verschulden von Organmitglieder, z.B. des Geschäftsführers (§ 31 BGB);
  • Verschulden von Erfüllungsgehilfen, z.B. Vorgesetzten (§ 278 BGB).
Materielle Schäden sind alle Vermögensschäden, z. B. der durch die Diskriminierung entgangene Lohn oder die Rechtsanwaltskosten. Der Schadensersatzanspruch ist der Höhe nach nicht begrenzt.
Für Schäden, die keine Vermögensschäden sind, kann der oder die Benachteiligte eine angemessene Entschädigung verlangen. Ausgeglichen wird hier die Verletzung der Würde. Dieser Anspruch besteht neben einem evtl. Schadensersatzanspruch, ist mit dem Schmerzensgeld vergleichbar und der Höhe nach ebenfalls nicht begrenzt.
Dieses „Schmerzensgeld" ist unabhängig vom Verschulden des Arbeitgebers. Die Entschädigungshöhe muss „angemessen" sein. Bei Nichteinstellung ist sie auf höchstens drei Monatsgehälter begrenzt, wenn die Einstellung auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht erfolgt wäre. Ansonsten gibt es keine Höchstgrenzen.
Schadensersatz und Entschädigung müssen binnen zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt bei einer Bewerbung oder Beförderung mit dem Zugang der Ablehnung, ansonsten mit der Kenntniserlangung von der Benachteiligung.
Die Klagefrist für die Geltendmachung der Entschädigung (umstritten ist, ob hiervon auch der Schadensersatz erfasst ist) beträgt drei Monate nach schriftlicher Geltendmachung (§ 61 b Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG).
Werden die Fristen versäumt, entfällt der Anspruch!

e) Keine Pflicht zum Vertragsabschluss

Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot begründet keinen Kontrahierungszwang, also keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses. Nach dem AGG kann sich also kein abgelehnter Bewerber auf eine Stelle im Betrieb einklagen, für die ein anderer ausgewählt wurde, selbst wenn er als der beste Bewerber eigentlich die Stelle hätte bekommen müssen.

f) Sonstiges

In Betrieben, die unter das Betriebsverfassungsgesetz fallen, kann der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft bei einem groben Verstoß gegen das AGG auf Unterlassung, Duldung oder Vornahme einer Handlung klagen. Nicht geltend gemacht werden können dagegen individuelle Ansprüche der Benachteiligten, z.B. auf Schadensersatz oder Entschädigung.

Pflichten des Arbeitgebers

  • Einrichtung einer Beschwerdestelle im Betrieb (§ 13 AGG), z.B. Personalchef oder Betriebsratsvorsitzender
  • Bekanntmachung der Gesetzestexte (AGG, § 61 b ArbGG) sowie der Beschwerdestelle (§ 12 Abs. 5 AGG) durch Aushang, Auslegen oder durch den Einsatz der im Betrieb üblichen Kommunikationstechnik, z.B. Intranet
  • Treffen vorbeugender Maßnahmen. Mit der Durchführung einer Mitarbeiterschulung gilt die Vorbeugepflicht als erfüllt, (§ 12 Abs. 1, 2 AGG)
  • Bei Benachteiligungen durch andere Beschäftigte oder Dritte müssen die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen werden (§ 12 Abs. 3 und 4 AGG), z.B. Abmahnung, Umsetzung oder Kündigung

Praxistipps

a) Überprüfung interner Abläufe

Alle Arbeitgeber sollten bestehende Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen auf Benachteiligungen überprüfen, z.B. ob hier Altersdifferenzierungen enthalten sind oder Teilzeitkräfte und damit mittelbar Frauen ungleichbehandelt werden.
Zur Erleichterung diskriminierungsfreier Personalarbeit sollten Konzepte für Beurteilungssysteme, Bonuszahlungen, Beförderungen, Gesprächsführung bei Einstellung etc. erstellt werden bzw. bestehende Konzepte überprüft werden. Personalentscheidungen sollten dokumentiert werden.

b) Bewerbungsverfahren

Stellen müssen durchweg neutral ausgeschrieben werden. Stellen Sie sicher, dass Stellenausschreibungen nicht nur geschlechtsneutral formuliert sind, sondern auch keine Benachteiligung aus den anderen Gründen enthalten. Es wird empfohlen, auf die Anforderung von Fotos, Alters- und Geburtsortsangabe zu verzichten. Bei Einschaltung der Bundesagentur für Arbeit bzw. von Personalagenturen hat der Arbeitgeber den Dritten im Hinblick auf diese Vorgaben sorgfältig zu überwachen, ansonsten besteht ein Haftungsrisiko.
Die Auswahl der Bewerber sollte sorgfältig dokumentiert werden. Bewahren Sie alle relevanten Informationen wenigstens für die Dauer der Klagefrist auf. Bei "Risikofällen" und evtl. bei hochdotierten Stellen sollte darüber nachgedacht werden, die Absage per Einschreiben zu versenden, um den Zugang der Ablehnung beweisen zu können. Absageschreiben sollten neutral abgefasst werden, also keine Gründe für die Absage benennen.

c) Umgang mit Beschwerden

Arbeitgeber sind verpflichtet eine Beschwerdestelle einzurichten und die Mitarbeiter darüber zu informieren. Beschwerden von Mitarbeitern müssen von der Beschwerdestelle geprüft werden. Sind sie berechtigt, ist Abhilfe zu schaffen. Das Ergebnis ist dem Betroffenen mitzuteilen. Die zur Prüfung und Abhilfe getroffenen Maßnahmen sollten von der Beschwerdestelle schriftlich dokumentiert werden.

d) Maßnahmen zum Schutz der Mitarbeiter

Dem Arbeitgeber obliegt die Pflicht, erforderliche Maßnahmen zum Schutz seiner Mitarbeiter vor Benachteiligungen zu treffen. Der Arbeitgeber muss seine Arbeitnehmer für dieses Thema sensibilisieren. Er muss deutlich machen, dass er keinerlei Benachteiligung duldet und jegliche Benachteiligung von Kollegen arbeitsrechtliche Sanktionen zur Folge hat.
Verpflichten Sie auch Ihre Lieferanten oder Kunden zu einer diskriminierungsfreien Vertragsdurchführung und nehmen Sie entsprechende Regelungen in Ihre AGB auf. Alle Mitarbeiter, Betriebsrat und v.a. Führungs- und Personalverantwortliche sind entsprechend zu informieren und mit Nachweis zu schulen. Bei Neueinstellungen ist auf eine entsprechende Belehrung zu achten.
Diese Information soll – als Service Ihrer IHK Köln – nur erste Hinweise geben und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Obwohl es mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurde, kann eine Haftung für die inhaltliche Richtigkeit nicht übernommen werden.
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