IHKplus 04/2022

Rheinisches Revier: Energiesicherheit als Herausforderung

Die Ablösung konventioneller Kraftwerke im „Rheinischen Revier“ durch volatil einspeisende Anlagen macht die Energieversorgung für Industrieunternehmen zunehmend zu einer Herausforderung. Vor diesem Hintergrund hat die IHK Köln gemeinsam mit den IHKs Aachen und Mittlerer Niederrhein Anfang 2022 eine Studie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse Mitte April veröffentlicht werden.
Text: Manfred Kasper
Ein Tag Stromausfall könne Produktionsunternehmen durchschnittlich zwischen 50.000 und 500.000 Euro kosten, sagt Thorsten Zimmermann, seit Januar 2022 Leiter Wirtschaft und Politik bei der IHK Köln und deren Vertreter im Aufsichtsrat der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR). Daher sei es wichtig, sich spätestens jetzt mit der Versorgungssicherheit des eigenen Unternehmens und der industriellen Infrastruktur in der Region zu befassen. Für Zimmermann hat dies eine elementare Bedeutung für den Erfolg des Strukturwandels.
Das von der SME Management GmbH erstellte Impulspapier analysiert die aktuelle Situation in den Unternehmen und gibt Handlungsempfehlungen für Wirtschaft und Politik. Prof. Dr. Beate Braun, Mitglied des Management-Teams bei SME und Sprecherin der Industrieallianz für regionale Industriesicherheit (IARES), sieht ihren Nutzen vor allem in der Schaffung eines Sets von „Lösungsräumen“, mit dessen Hilfe die strategischen Aufgaben auf dem Weg in die Klimaneutralität im Sinne eines Monitorings kontinuierlich überprüft werden können. Braun wörtlich: „Ohne Mitwirken der Wirtschaft werden wir die ambitionierten klima- und energiepolitischen Ziele nicht erreichen. Deshalb ist es wichtig, das Bewusstsein für das Thema zu stärken. Wir haben einen ,lebenden Handlungsfahrplan‘ entwickelt, der den Unternehmen als Leitfaden für eigene Aktivitäten dient.“

YNCORIS stellt sich früh auf Wandel ein

Wie die Wirtschaft sich auf die Herausforderungen vorbereitet, verdeutlicht das Beispiel der YNCORIS GmbH & Co. KG. Der Industriedienstleister und Standortbetreiber des Chemieparks in Hürth-Knapsack hat bereits früh Ansätze zur Energieversorgung der Zukunft entwickelt. „Für uns ist der Strukturwandel ein Riesenthema, zumal die Anlagen der chemischen Industrie extrem energieintensiv sind“, unterstreicht Thomas Theisen, Leiter Standortbetrieb bei YNCORIS.
Wurde der Prozessdampf für die ansässigen Industriebetriebe lange Zeit aus der Abwärme benachbarter Kraftwerke gewonnen, so entstand bereits 2009 eine erste Alternative vor Ort. Das von der EBS Kraftwerk GmbH betriebene thermische Ersatzbrennstoffkraftwerk ist ein Joint Venture von YNCORIS und der EEW Energy from Waste. Hier werden speziell aufbereitete Gewerbe- und Industrieabfälle mit hohem Heizwert emissionsarm in Strom und Wärme umgewandelt – ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Grundlast in der Energieversorgung.

Versorgungsengpässe verhindern

Da jedoch auch eine solche Anlage ausfallen kann, braucht es zusätzliche Strategien, um bei Versorgungsengpässen oder Spannungsschwankungen auf der sicheren Seite zu sein. Theisen setzt dabei auf die langjährige Kooperation mit Vorlieferanten und den Umbau zu einer energetischen Nutzung von Klärschlamm. Prinzipiell ist es sein Ziel, „eine gesamtheitliche Strategie zu entwickeln, mit der wir sukzessive die im Zusammenhang mit der Energie- und Medienversorgung des Chemieparks stehenden rund 600.000 Tonnen CO2 jährlich ,auf Grün‘ stellen können.“
Hinzu kommt das seit 2020 gemeinsam mit der Bergischen Universität Wuppertal und der Universität Duisburg-Essen durchgeführte Forschungsvorhaben „FlexChemistry“, das untersucht, welche Flexibilitätspotenziale die Prozesse eines Chemieparks bieten und wie sie sich zur  Entlastung der Energieversorgungsnetze nutzen lassen, um die Integration von erneuerbaren, volatilen Stromerzeugern zu fördern. All dies gewährleistet laut Theisen, dass man in puncto Versorgungssicherheit gut aufgestellt sei. Zugleich sieht er darin auch einen Standortvorteil, beispielsweise wenn es um die Ansiedlung neuer Unternehmen geht.

Energieautarkie für kleinere Unternehmen

Natalie Kühn ist Geschäftsführerin der SK Elektronik GmbH in Leverkusen, eines Spezialisten für die Schadstoffüberwachung in der Industrie sowie für nachhaltige Produkte zum Schutz der Umwelt. Sie ist zugleich Mitinitiatorin von IARES und betont: „Für viele Unternehmen wird es in Zukunft nicht mehr so sein, dass der Strom einfach aus der Steckdose kommt. Sie werden selbst gefordert sein, etwas für ihre Versorgungssicherheit zu tun. Die Dialog- und Informationsplattform IARES eignet sich hervorragend für alle, die sich informieren und neue Produkte und Chancen in diesem Bereich finden wollen. Sie bietet zudem die Möglichkeit, sich mit anderen Akteuren zu vernetzen.“
Für ihr eigenes Unternehmen setzt Kühn auf Energieautarkie, die sie vor allem über eine wasserstoffbasierte Eigenproduktion erreichen will. Sie ist überzeugt, dass – wenn die Technologien und Rahmenbedingungen es zulassen – auch andere kleine und mittelständische Unternehmen diesen Weg gehen könnten. Dazu bräuchten sie jedoch Unterstützung, um das notwendige Know-how zu erlangen und eigene Technologiekonzepte zu entwickeln.
Da die Vorlaufzeiten gerade bei Umstellungen der Infrastruktur in der Regel relativ lang seien, rät sie den Unternehmen im Kammerbezirk, sich möglichst zeitnah mit dem Thema auseinanderzusetzen und vorhandene Beratungs-, Fortbildungs- und Förderangebote zu nutzen, beispielsweise seitens der IHK. Natürlich könne dabei nicht jedes Unternehmen zum eigenen Energieversorger werden. Kühn plädiert jedoch für eine Stärkung derartiger Modelle und die Schaffung notwendiger Rahmenbedingungen. Dazu müssten Wirtschaft und Politik Hand in Hand arbeiten.

Planungssicherheit für die Industrie gefordert

Thomas Theisen ergänzt, dass gerade die aktuelle weltpolitische Entwicklung zeige, wie dynamisch und zugleich anfällig der Energiemarkt sei. Wie Kühn fordert auch er mehr Planungssicherheit für die Industrie, zum Beispiel hinsichtlich des Ausbaus der Netze und Leitungen. Das sei eine wichtige Voraussetzung für richtungweisende Investitionsentscheidungen. Abschließend bekräftigt er: „Nur wenn Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft an einem Strang ziehen, wird es uns gelingen, den Umbau unserer Wirtschaft erfolgreich zu realisieren. Dazu müssen wir einen intensiven Dialog mit allen Akteuren führen.“