IHKplus 11/2022 - Titelthema

Mit aller Energie nach vorne

Bislang galt: Die Wirtschaft in der Region ist stark und hat bisher noch jede Krise gemeistert. Noch im Frühjahr ist die Wirtschaft trotz der Folgen des Ukraine-Kriegs leicht gewachsen. Das könnte sich jetzt ändern. Denn die eigenen Anstrengungen reichen häufig nicht mehr aus, der Energiekrise in diesem und im nächsten Winter zu begegnen. Davon hängt aber nicht nur für die Wirtschaft viel ab.
Text: Werner Grosch, Susanne Hartmann, Sabina Janssen
Goertz, Hakle, hier ein Café und dort ein Laden: Durch die Schlagzeilen geistern aktuell vor allem Firmenpleiten. Steigende Kosten beim Strom und bei Vorprodukten, fehlende Kundschaft und die Nachwirkungen der Corona-Krise sind beispielsweise Gründe für Schließungen. Aber wie sieht es wirklich aus in unserer Region? Sind das die Vorboten einer gewaltigen Krise oder ist das immer noch ein Jammern auf hohem Niveau?

Was sagen die Zahlen?

Immerhin stieg die Zahl der IHK-Mitgliedsunternehmen im Vergleich zum Vorjahr um 4,3 Prozent auf nun 153.445 Betriebe. Die Zahl der Insolvenzen ging zurück. Auch das Bundesamt für Statistik meldet Ende August, dass sich die deutsche Wirtschaft in den ersten beiden Quartalen 2022 behauptet hat. Allerdings sind die Erwartungen der Unternehmen schon in der Frühjahrsumfrage zur Konjunktur in der Region Köln deutlich gesunken und die Entwicklung der Energie- und Rohstoffpreise gilt seitdem als Hauptrisiko für das eigene Geschäft.
Und das ist ein vollkommen realistischer Blick auf die Lage. Strompreise brechen fast täglich neue Rekorde. Die Dürre in Europa hat unter anderem dazu geführt, dass Wasserkraft aus der Schweiz und Kernkraft aus Frankreich fehlt. Trotz extrem hohem Gaspreis als Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wird so ausgerechnet deutscher Strom aus Gas auch in den Nachbarländern gebraucht und schraubt die Spirale dadurch zusätzlich in die Höhe. Die logische Schlussfolgerung für Unternehmen liegt seit dem Frühjahr auf der Hand: Sparen, Umsteigen, Ersetzen.

Sparen durch Umstellung

Energiesparen ist in den meisten Unternehmen eine Selbstverständlichkeit – denn möglichst geringe Kosten sind Anreiz genug. Daher brauchen Betriebe jetzt schon einiges an Kreativität und Einfallsreichtum, um in dieser Situation noch nennenswerte Einsparungen realisieren zu können.
Eindrucksvolle Zahlen liefert Evonik: Rund 100.000 Haushalte ließen sich mit der eingesparten Erdgasmenge ein Jahr lang versorgen. Wie das geht, ohne die Produktion zu verringern? Der Erdgasverbrauch wird durch die Umstellung auf andere Energiequellen ersetzt, wo es möglich ist. In Wesseling wird ein Dampfkessel des standorteigenen Kraftwerks von Erdgas auf Heizöl umgestellt. „Dadurch sparen wir etwa zehn Prozent unseres Bedarfs für die thermische Versorgung unserer Produktionsanlagen“, sagt Sprecherin Stefanie Prescher.
Wie sieht es aber im Mittelstand aus, bei den Industrieunternehmen, die unsere Region prägen? Der Kölner Maschinenbauer Schütte hat Notstromaggregate aufgestellt und senkt die Temperaturen in Hallen und Büros. Die Belegschaft zieht selbstverständlich mit, denn das Wichtigste ist, dass die Produktion weiter versorgt werden kann. Viel mehr ist zurzeit nicht zu machen, denn Schütte hat bereits investiert und von Ölkesseln auf ein gasbasiertes Blockheizkraftwerk zum Heizen und für die Stromerzeugung umgestellt. Gut für die Umwelt, zurzeit jedoch schlecht für die Bilanz. Eine Rückkehr zum Öl ist für den geschäftsführenden Gesellschafter Carl Martin Welcker allerdings keine Option. Stattdessen prüft er bereits den nächsten Schritt, die Umstellung auf Flüssiggas.

Wundermittel Propangas?

Mit der geplanten Umstellung auf Flüssiggas ist Schütte nicht alleine. Flüssiggas oder Propangas ist der gleiche Kohlenwasserstoff, der unter Druck verflüssigt und so weniger Volumen einnimmt als in gasförmigem Zustand. So lässt es sich einfacher lagern und transportieren. Umgekehrt betrachtet: Aus vier Litern Flüssiggas werden wieder über 1.000 Liter brennbares Gas, das vielseitig verwendbar ist.
Für die Umstellung auf Propangas gibt es einige Beispiele. Die Kölner Kaffeerösterei Schamong hat sich mit flüssigem Gas weitgehend unabhängig gemacht vom Erdgas. Angesichts der Krise hat der Unternehmer Heribert Schamong schon im März die notwendigen Bauteile geordert, seit Anfang August ersetzt Schamong rund 90 Prozent seines bisherigen Erdgasbedarfs
durch Propangas.
Auch die Rasspe Systemtechnik, die mit rund 170 Mitarbeitenden in Wermelskirchen Teile für Landmaschinen produziert, will ab dem zweiten Quartal 2023 ihren gesamten Erdgasbedarf in dem Wermelskirchener Werk durch Propan ersetzen – und das bei einem bisherigen Jahresbedarf von 2,1 Millionen Kilowattstunden. Das entspricht dem Verbrauch von etwa 140 Vier-Personen-Haushalten. Das Unternehmen hat drei einzelne Versorgungskreise aufgebaut.
„Für jeden Kreis reicht die Versorgung über einen 2,9-Tonnen-Tank, der alle zwei bis vier Wochen neu befüllt wird. Das ist logistisch für den Versorger machbar, und in dieser Größe ist der Tank auch genehmigungsfrei. Außerdem sind die Investitionen und die notwendigen technischen Umbauten sehr überschaubar“, sagt Michael Flanhardt, Senior Consultant der Group Schumacher, zu der Rasspe gehört. Rasspe bereitet sich damit auf die Gefahr vor, abgeschaltet zu werden, wenn der „Notfallplan Gas“ von „Alarmstufe“ auf „Notfallstufe“ springt (siehe Info-Kasten). Denn das Unternehmen liegt mit seinem Jahresbedarf deutlich oberhalb der Grenze von 1,5 Millionen Kilowattstunden, bis zu der Unternehmen geschützt sind.
Notfallplan Gas – Wenn es knapp wird: Wer bekommt wie viel?

Das Bundeswirtschaftsministerium hat im Juni die zweite Eskalationsstufe des Notfallplans Gas ausgerufen – die Alarmstufe. Heißt: Ein aus Behörden und Versorgern zusammengesetztes Krisenteam beobachtet den Markt, greift aber noch nicht regulierend ein. Erst wenn die Gasversorgung „unmittelbar gefährdet oder gestört“ ist und den deutschen Speichern das Gas auszugehen droht, greift die Notfallstufe. Dann wird rationiert. Wer wie viel bekommt, entscheidet die Bundesnetzagentur in Bonn.

Weiterversorgt werden zunächst die „geschützten“ Verbrauchenden: private Haushalte, Supermärkte, Einrichtungen der Gesundheit und der öffentlichen Sicherheit sowie kleine Firmen, deren Gasverbrauch unterhalb der Grenze von 1,5 Millionen Kilowattstunden pro Jahr liegt. Warm bleibt es also bei Polizei und Feuerwehr, in Krankenhäusern und Altenheimen, Gefängnissen und Schulen, im Supermarkt und im Kiosk. „Ungeschützten“ Gasabnehmern kann zuerst die Energie abgeklemmt werden. Dazu gehören mittlere und große Unternehmen, vor allem diejenigen, die keine lebensnotwendigen Produkte herstellen. Und hier wird es schwierig, denn einheitliche Kriterien gibt es dafür nicht.

Stichwort Genehmigungen

Das Stichwort „genehmigungsfrei“ ist deshalb für das Unternehmen so wichtig, weil die Umstellung von einer Energieart auf die andere Bürokratie nach sich zieht. Anträge bei der Immissionsschutzbehörde (meist Bezirksregierung oder die unteren Umweltschutzbehörden) dauern je nach Verfahren drei bis sieben Monate. Sehr viel mehr Zeit verschlingen allerdings die notwendigen Unterlagen, zum Beispiel Gutachten oder Messungen. Trotz weiterer Vereinfachungen, die mit einer Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes bis zum 15. Oktober beschlossen werden sollen, bleibt das Modell „Sparen durch Umstellung“ aufwändig und in der jetzigen Lage auch nicht kurzfristig umsetzbar.
Wasserstoff marsch im Rheinland

Wasserstoff wird ein unverzichtbarer Baustein unseres zukünftigen Energiesystems. Eine wesentliche Voraussetzung für den Auf- und Ausbau der Wasserstoffwirtschaft ist dabei eine zuverlässige und kostengünstige Verteilinfrastruktur. Wie diese im  Großraum Köln realisiert werden könnte, hat eine Machbarkeitsstudie unter Federführung von HyCologne – Wasserstoff Region Rheinland e. V. untersucht. HyCologne vernetzt mehr als 50 Akteure aus Politik, Industrie und Forschung.

Allen gemein ist die Überzeugung, dass Wasserstoff ein unverzichtbarer Energieträger zur Erreichung der Klimaschutzziele ist. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der Aufbau einer Pipeline-Infrastruktur zur Versorgung der Region mit Wasserstoff technisch möglich ist und für alle Beteiligten große Chancen zum beschleunigten Ausbau der Wasserstofftechnologien bietet. Der Aufbau eines Wasserstoff-Pipeline-Netzes zur Versorgung des Großraums Köln trägt so entscheidend zur Wertschöpfungssteigerung in der Region bei.

Kleinvieh macht auch Mist

Im Dienstleistungsbereich, in Gastronomie oder Geschäften gibt es diese Möglichkeiten  des Energieträgerwechsels in der Regel nicht. Hier hilft in vielen Fällen der Blick auf den Energieverbrauch. „Die Einstellung der Heizung, dichte Fenster, die Absenkung der Raumtemperatur oder der bewusstere Umgang mit Stromfressern – das alles kann den Energieverbrauch spürbar senken“, sagt Christian Vossler, Energieexperte der IHK Köln. Maßnahmen, die Rainer van Loon, Energieberater bei der IHK, auch bei persönlichen Besuchen mit den Unternehmen durchgeht. Maßnahmen, die wichtig sind, allerdings Lieferverträge zu Extrempreisen nicht kompensieren können.
„Ich möchte die Preissteigerung nicht an die Gäste weitergeben. Jeder hat zu kämpfen.”
Svenja Strauch, Inhaberin des Restaurants Gernot’s in Köln
Der IHK-Berater war auch bei Svenja Strauch, die in Köln-Nippes das „Gernot’s“, Restaurant mit Caféhaus und Bar, führt. Die Gastronomin hat die Heizungen in dem rund 120 Jahre alten Haus aufgerüstet und kann nun auch in Abwesenheit und per Fernsteuerung die Temperatur rauf- und runterfahren. „Angesichts einer Abschlagzahlung, die viermal so hoch ist wie in normalen Zeiten, hilft das schon“, sagt sie. Noch geht es dem Unternehmen, das Svenja Strauch von ihrem Vater übernommen hat, recht gut. „Wir werden das irgendwie hinbekommen“, zeigt sich Strauch zuversichtlich. „Ich werde selber unter dem Strich sehr viel weniger haben, da ich die Preissteigerungen nicht an die Gäste weitergeben möchte. Aber jeder hat jetzt zu kämpfen.“

Jetzt muss die Politik ran

Die Beispiele zeigen: Unternehmen haben von sich aus ein großes Interesse daran, energieeffizient und auch möglichst ressourcenschonend zu wirtschaften. Wenn der Effekt der eigenen Maßnahmen allerdings von den Extrempreisen aufgefressen wird, muss die Wirtschaft unterstützt werden. DIHK-Präsident Peter Adrian: „Unsere Wirtschaftsstruktur und unser Wohlstand in Deutschland geraten in Gefahr – Produktionsstopps, Wertschöpfungsverluste und die Verlagerung von Produktion ins Ausland sind die Folgen.“
Das betrifft nicht nur die Wirtschaftsunternehmen selbst, sondern die gesamte Gesellschaft. „Als Scheuklappen-Republik, wo jeder nur sich selbst sieht, werden wir das nicht schaffen“, sagt Birgit Felden, Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin und Gründerin der TMS Unternehmensberatung GmbH in Köln.
„Einen gesellschaftlichen Konsens zur gemeinsamen Krisenbewältigung kann ich noch nicht erkennen. Und ausbaden sollen es mal wieder die lokalen Unternehmen.”
Birgit Felden, Gründerin der TMS Unternehmensberatung GmbH in Köln
Anne und Dirk Köntje sehen das ähnlich. Das Ehepaar führt gemeinsam die W. Albrecht GmbH & Co. KG in Lindlar, eines der ältesten Familienunternehmen Deutschlands. Die „Behälterbauer und Blecharbeiter“, wie sie sich selber nennen, sind seit 385 Jahren auf dem Markt. „Wir sind durch viele Krisen gegangen und werden auch das schaffen“, ist Anne Köntje sicher. Aber die positiven Signale von Seiten der Politik fehlen dem Geschäftsführer-Paar: „Sowohl unsere Mitarbeitenden als auch Kunden und Geschäftspartner sind sehr verunsichert. Eine klare Haltung der Politik würde helfen.“
„Wir sind durch viele Krisen gegangen und werden auch das schaffen.”
Anne und Dirk Köntje, W. Albrecht GmbH & Co. KG in Lindlar
Diese Krise wird nicht von Einzelnen zu bewältigen sein. Alle IHKs deutschlandweit haben das in einer gemeinsamen Resolution sehr deutlich gemacht und über den Dachverband DIHK konkrete Forderungen an die Politik gestellt. Wichtigste Ziele: Alle Energieträger müssen eingesetzt werden, damit die Krise überwunden werden kann. Die Energiepreise in Deutschland müssen international wettbewerbsfähig sein und Unternehmen müssen unterstützt werden. Die Umsetzung des vorgelegten Zehn-Punkte-Planes könnte uns alle durch diese Krise bringen.

10 Sofortmaßnahmen – Resolution zur Energiekrise des DIHK

  1. Alle verfügbaren Kohle- und Ölkraftwerke in den Markt zurückholen.
  2. Verfügbare Kernkraftwerke bis zum Ende der Krise weiterbetreiben.
  3. Preisbremse für die Wirtschaft einführen.
  4. Strom- und Gaspreisumlagen in den Bundeshaushalt überführen und Zuschuss zu Netzentgelten einführen.
  5. Stromsteuer und Energiesteuer auf Gas auf europäische Mindestsätze senken.
  6. Entlastungen bei den CO2-Handelssystemen schaffen.
  7. Dauerhafte Ersatzversorgung Strom und Gas einführen sowie Liquidität der Energieversorger sichern.
  8. Absicherungsinstrument im Stromsektor einführen
  9. Zusätzliches Gasauktionsmodell einführen.
  10. Heimische Ressourcen noch stärker nutzen.

Was können Unternehmen in der Energiekrise machen?

Eine mögliche Lösung könnte der sogenannte Fuel Switch sein. 
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