IHKplus 06/2022

Das Revier zukunftsfähig machen

Das Rheinische Revier könnte zu einer „europäischen Modellregion für den erfolgreichen wirtschaftlichen Transformationsprozess“ werden. Welche Herausforderungen es dabei zu bewältigen gilt, war Thema unseres Gespräches mit Bodo Middeldorf, Geschäftsführer der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR).
Herr Middeldorf, reden wir von Zukunftsbildern. Wie sieht Ihre Vision vom Rheinischen Revier aus?
Middeldorf: Wichtig wird sein, dass wir das, was hier in den nächsten Jahren an Arbeitsplätzen, Wertschöpfung und Einkommen wegfallen wird, mindestens kompensieren. Das könnte das einfachste Zielbild für die Region sein, ist aber nicht unseres. Wir wollen zeigen, wie es gelingen kann, eine Industrieregion wie das Rheinische Revier in eine neue Zukunft zu führen. Dabei geht es darum, in den nächsten 20 bis 30 Jahren über das klimaneutrale Wirtschaften den Industriestandort nicht nur zu erhalten, sondern ihn innovativ und zukunftsweisend weiterzuentwickeln. Wenn es uns gelingt, eine „Blaupause“ als Antwort auf die Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft stehen, zu entwickeln, dann ist das eine Grundlage für vielfältigste Geschäftsmodelle, die am Ende auch zu vielen guten neuen Arbeitsplätzen führen werden und ein gewichtiges Pfund für die Attraktivität des Standortes und der gesamten Region sein können.
Um dies zu realisieren, setzen wir sowohl auf die Investitions- und Risikobereitschaft der Unternehmerinnen und Unternehmer und Start-ups in der Region als auch auf die Verbindung mit Wissenschaft, Forschung und Entwicklung. Nur wenn beides ineinandergreift, werden wir innovative Prozesse in Gang setzen. Wir müssen Wirtschaft und Wissenschaft gemeinsam betrachten und nicht als Konkurrenz.
Welche Rolle spielt dabei die Zukunftsagentur?
Middeldorf: Wir sehen uns als Wegbereiter des Strukturwandels und führen die Dinge zusammen, die für den Prozess wichtig sind. Dabei stellen wir uns zugleich an die Seite der Akteure in der Region. Wir sehen immer wieder, dass sowohl Kommunen als auch Unternehmen Unterstützung bei der Initiierung von guten Projekten und Vorhaben sowie deren Qualifizierung und Umsetzung benötigen. Zugleich geht es auch darum, alle Beteiligten auf eine gemeinsame Strategie zur Entwicklung des Rheinischen Reviers einzuschwören.
Was sind für Sie die größten Herausforderungen auf diesem Weg?
Middeldorf: Es gibt eine Vielzahl an Herausforderungen, die sich natürlich immer wieder verändern. In den letzten Monaten haben wir jedoch zwei Entwicklungen gesehen, die für unsere Arbeit und den gesamten Prozess des Strukturwandels von allergrößter Bedeutung sind. Das eine ist die Aussage der neuen Bundesregierung, idealerweise schon 2030 aus der Braunkohleverstromung aussteigen zu wollen, also noch einmal deutlich vor dem ursprünglich anvisierten Datum 2038. Das bringt eine deutliche Beschleunigung aller Prozesse mit sich und bedeutet für uns, dass wir die Entwicklung bis zum Ende des Jahrzehnts so in Gang gebracht haben müssen, dass die Weichen gestellt sind. Zugleich schauen wir natürlich auch sehr intensiv auf die aktuelle weltpolitische Entwicklung und die Auswirkungen auf das Thema Energieversorgung.
Bleibt es vor diesem Hintergrund beim Zielhorizont 2030?
Middeldorf: Sowohl die Bundes- als auch die Landesregierung haben gesagt, dass sie an den Enddaten festhalten und nach wie vor idealerweise früher aus der Braunkohleverstromung aussteigen wollen. Insofern bleibt unsere Zeitplanung zunächst einmal gesetzt, ich denke aber, dass es eine Streckung des Ausstiegspfades im Laufe der nächsten Jahre geben wird. Nichtsdestotrotz gilt es, die Prozesse zu beschleunigen und sie zugleich zu vereinfachen.
An welchen Themen lässt sich das exemplarisch festmachen?
Middeldorf: Zum Beispiel am Thema Flächen. Nach meiner Überzeugung brauchen wir zusätzliche Flächen, die uns in den nächsten Jahren die Chance geben, der Herausforderung durch den beschleunigten Ausstieg begegnen zu können. Wir müssen also jetzt Flächen für Unternehmen und auch für die Energiewende zur Verfügung stellen. Wenn wir die gesellschaftliche Zielsetzung, die wir uns gesetzt haben, erreichen wollen, dann können wir an vielen Stellen nicht so weitermachen, wie wir das bisher getan haben.
Was heißt das konkret?
Middeldorf: Beim Thema Flächen brauchen wir vor allem zwei Dinge: Erstens die zeitnahe Ausweisung zusätzlicher Flächen, damit wir unser Ziel Anfang der 2030er-Jahre erreichen und schnell Unternehmensinvestitionen ermöglichen können. Gleichzeitig müssen wir jedoch auch bei der Entwicklung dieser Flächen schneller werden. Daher versuchen wir die Kommunen unmittelbar zu unterstützen und auch die interkommunale Zusammenarbeit zu fördern. Das ist zwar eine Herkulesaufgabe, ich bin aber optimistisch, dass wir unser Ziel erreichen werden. Es gibt jedoch auch Stellschrauben, die wir auf regionaler Ebene nicht beeinflussen können, zum Beispiel in den regulatorischen Rahmenbedingungen auf Landes- und auf Bundesebene. Hier braucht es eine Überarbeitung der entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Und das Thema Energieversorgung?
Middeldorf: Auch wenn wir in Zukunft sicher keine Exportregion für Energie mehr sein werden, sollten wir zumindest den Anspruch haben, die Hälfte dessen, was wir zuvor aus der Braunkohleverstromung gewonnen haben, aus erneuerbaren Energien zu generieren. Auch dazu bedarf es einer Beschleunigung und der Bereitschaft der Akteure im Rheinischen Revier. Dass diese vorhanden ist, sehen Sie zum Beispiel am Gigawattpakt, den wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben. So soll bis zum Jahr 2028 eine Kapazität von 5 Gigawatt, also mehr als doppelt so viel wie aktuell, in der Region aus erneuerbaren Energien hergestellt werden. Dazu sollen zeitnah die regulatorischen Rahmenbedingungen verbessert werden, damit wir solche Zielsetzungen auch erreichen können.
Welche Rolle spielt dabei die Einbindung von Menschen und Unternehmen?
Middeldorf: Wir setzen sehr stark auf Beteiligungsprozesse und wollen Menschen und Unternehmen frühzeitig dafür gewinnen, die Zukunft ihrer Region mitzugestalten. Dazu gibt es verschiedene Formate und Möglichkeiten, wobei es mir persönlich besonders am Herzen liegt, gerade die junge Generation mitzunehmen. Aktuell haben wir beispielsweise ein gemeinsames Projekt mit 17 Schulen im Rheinischen Revier gestartet.
Und die Unternehmen?
Middeldorf: Zum einen sind die Unternehmen der Region bereits sehr gut in unseren Gremien vertreten, denn die Kammern sind Gesellschafter der Zukunftsagentur. Darüber hinaus haben wir das „Breitenförderprogramm Zukunftsgutscheine“ entwickelt, das sich exklusiv an die Unternehmen im Rheinischen Revier richtet und Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Strukturwandel gibt – sei es hinsichtlich der Förderung von Personal oder der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle im Sinne des Transformationsprozesses. Auch Investitionsfördermaßnahmen und andere unternehmensrelevante Themen stehen auf der Agenda. Unser Ziel ist, den Unternehmen im Rheinischen Revier optimale Rahmenbedingungen für einen klimagerechten und nachhaltigen Umbau ihres Wirtschaftens zu bieten und sie auf diesem Weg bestmöglich zu beraten.
Denn eines ist für mich klar: Ohne industrielles Engagement wird das alles nicht funktionieren.
Die Wirtschaft ist für mich ein Vorreiter der Energiewende. Ich glaube, dass viele Unternehmen mittlerweile in punkto Klimaneutralität und Nachhaltigkeit weiter sind als die Politik. Die Notwendigkeit des Prozesses ist in großen Teilen der Wirtschaft längst angekommen. Das müssen wir nutzen, um Innovationen voranzubringen und den Standort Rheinisches Revier zukunftsfähig zu machen.